Lincoln County Lockdown -Leseprobe- Anderson Farm Lincoln County 25/08/2014 03:11 Uhr Lucilla blinzelte verschlafen und sah ihren Mann aufrecht neben ihr im Bett sitzen. Sie drehte sich zu ihm. “Michael, was ist los?” Er führte seinen Zeigefinger zu den Lippen. “Shhhh! Hörst du das?” Sie hielt inne und lauschte, setzte sich dann auf und hörte angestrengt in die Nacht. “Nein. Was denn?” “Da! Da war es schon wieder!” „Ach, quatsch. Du hast geträumt. Da war überhaupt nichts.“ Sie drehte sich schon wieder um und zog die Decke hoch, doch er war nicht überzeugt. Entschlossen schwang er seine Beine aus dem Bett und stand auf. „Michael! Was wird das?“ „Ich gehe nachsehen. Da stimmt was nicht!“ „Himmel, es ist drei Uhr! Jetzt hör auf damit und komm wieder ins Bett!“ Doch ihr Mann ließ sich nicht aufhalten. Michael schaltete die Nachttischlampe an und stieg in seine Hose, zog sich ein T-Shirt an. Demonstrativ packte sie sich ihr Kissen und drückte es sich auf den Kopf, während sie ihm den Rücken zu wandte. Er war davon wenig beeindruckt, marschierte aus dem Schlafzimmer und nach unten ins Erdgeschoss und suchte dort erst einmal seine Stiefel. Sie ärgerte sich über seine Starrköpfigkeit in Momenten wie diesen, doch kaum, da sie hörte, wie er rumpelnd seine Stiefel anzog, setzte sie sich erneut auf und lauschte konzentriert in die Dunkelheit, versuchte zu verstehen, was er gehört haben mochte. Draußen aber erklang nicht mehr als das Rauschen der Platanen im sanften Wind, ansonsten war es still. Im Erdgeschoss fiel die Tür ins Schloss und Lucilla konnte seine Schritte auf der Veranda hören. Dann entfernte er sich vom Haus und die Geräusche verklangen. von Felix A. Münter mit freundlicher Genehmigung des MANTIKORE-VERLAG, Nicolai Bonczyk Mittwoch, 9. Dezember 2015 Lincoln County Lockdown -Leseprobe- Wütend fiel sie wieder zurück in die Kissen, knurrte eine Verwünschung. Aber gut, sollte er sich doch ruhig die Nacht um die Ohren schlagen. Morgen würde sie mit einem gehässigen Lachen auf ihn deuten und sagen können: „Ich habe es dir ja gesagt!“. Eigentlich war das gar nicht ihre Art, aber in diesem Fall machte sie gerne eine Ausnahme. Die Frau schloss die Augen und wollte wieder einschlafen, da schreckte sie hoch. In der nächtlichen Geräuschkulisse fehlte etwas. Schlagartig drang in ihr Bewusstsein, das dort draußen nicht ein Geräusch war, das dort nicht hingehörte – es fehlte vielmehr ein sehr vertrautes Geräusch. Nämlich das Kläffen, Hecheln und Bellen von Jecko, ihrem Golden Retriever. Ein liebes Tier, das eben nur die Angewohnheit hatte, nachts immer wieder den Mond und die Wolken anzubellen. Ein Umstand, der zu Beginn nervig war, an den man sich aber schnell gewöhnte. Und Jecko hätte spätestens dann bellen sollen, als Michael das Haus verließ. Plötzlich raste ihr Herz und sie sprang aus dem Bett, eilte zum Fenster. Im Zwielicht des Mondes konnte sie Michael erkennen. Der Mann ging, geleitet vom Lichtkegel einer Taschenlampe, in Richtung einer der Scheunen. Lucilla kniff die Augen zusammen und erkannte, dass er die Schrotflinte mitgenommen hatte. Nachdem sie ihren Mann entdeckt hatte, suchte sie nervös nach Jecko. Der Hund schlief normalerweise auf der Veranda und war des Nachts mit einer langen Kette angeleint, an der er über den gesamten Vorplatz springen konnte. Doch von dem Hund mit dem goldenen Fell fehlte jede Spur. Ihr Blick ging wieder zu Michael, sie hoffte einfach, dass er das Tier mitgenommen hatte, doch sie konnte den treuen Hund nirgends entdecken. Panik stieg in ihr auf und sie sprang auf der Suche nach ihren Kleidern hektisch durch das Zimmer, rutschte dabei auf einem seiner arglos hingeworfenen Hemden aus und schlug der Länge nach hin. Es klatschte laut und Schmerz durchfuhr sie, doch sie hatte sich bei dem Sturz nicht ernsthaft verletzt. Wütend rappelte sie sich wieder auf, packte sein Hemd und schleuderte es in eine Ecke, dann fand sie ihre Hose und ein T-Shirt. Die Frau schlüpfte hinein und machte sich noch die Knöpfe der Jeans zu, als sie schon in den Flur eilte. Als sie an der Treppe ins Erdgeschoss angekommen war, ertönte draußen in der Nacht ein schrilles und lautes Kreischen, fremdartig und gefährlich. Der Lärm war so niederschmetternd, dass es schmerzte, sie hatte das Gefühl, dass ihr jemand eine Nadel in die Ohren gerammt hatte. Sie verharrte und presste sich die Hände gegen die Ohren, doch der Schmerz verebbte viel langsamer, als es das Kreischen tat. Das laute Geräusch war ihr sogleich auf die Trommelfelle und den Gleichgewichtssinn geschlagen, sie griff unsicher nach dem Treppengeländer und klammerte sich von Felix A. Münter mit freundlicher Genehmigung des MANTIKORE-VERLAG, Nicolai Bonczyk Mittwoch, 9. Dezember 2015 Lincoln County Lockdown -Leseprobe- daran fest, während sie das irrationale Gefühl hatte, dass der Boden schwankte. Es vergingen einige Sekunden, in denen ihr Herz raste und ihre Ohren knackten, dann erst traute sie sich wieder zu, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Vorsichtig eilte sie die Stufen hinab und schlüpfte unten in ihre Schuhe. Zeit, sie sich zu binden, hatte Lucilla nicht. Stattdessen griff sie nach dem alten und abgenutzten Baseballschläger neben der Tür, riss die Tür zur Veranda auf und trat hinaus. „Michael!“, brüllte sie in die Nacht. „Michael!“ Aber niemand antwortete. Weder ihr Mann noch Jecko. Alles, was sie hörte, war das Rauschen des Winds zwischen den Blättern. Nervös biss sie sich auf die Innenseiten ihrer Wangen, packte den Schläger mit beiden Händen und eilte hinüber zur Scheune. Ihre Schritte wurden mit jedem Meter zaghafter. Die Scheune war alt, tat aber noch ihren Dienst. Diesen Sommer hatten sie Beide das Gebäude in strahlendem Rot und Weiß gestrichen. Die Farben waren prächtig und schimmernd; sie verliehen der alten Farm einen gewissen Charme. Vor dem Herbst wollte sie sich auch noch das nächste Wirtschaftsgebäude vornehmen und in den gleichen Farben bemalen. Aber für die Schönheit des alten Gebäudes hatte sie jetzt keine Zeit. Eine der beiden großen Türen stand weit geöffnet, die Schwärze dahinter schien allumfassend. „Michael?“, fragte sie. Sie wollte rufen, doch die Angst hatte mittlerweile jede Faser ihres Körpers erfasst und sich bleiern auf ihre Stimme gelegt. Es war ein Krächzen, mehr nicht. Und niemand antwortete. Zögerlich machte sie einen Schritt auf das Tor zu. „Michael? Das ist nicht witzig!“ In der Finsternis klang ein Geräusch, ein Rascheln von Stroh. „Haha, Michael! Komm da raus! Ich hab den Baseballschläger hier und ich schwöre dir, dass ich dich vermöbeln werde, wenn du so weiter machst!“ Erneut raschelte es. Lucilla schüttelte wütend den Kopf und holte Luft, um ihm eine passende Beschimpfung entgegen zu schleudern, da flog etwas durch die Luft, kam in der Dunkelheit auf und kullerte rollte dann eiernd vor ihre Füße. Erst als die Bewegung aufgehört hatte, begriff sie, dass sie in die kalten Augen von Michael blickte. Das war sein Kopf. Und dann erklang wieder das schrille, schmerzende Kreischen aus der Finsternis. von Felix A. Münter mit freundlicher Genehmigung des MANTIKORE-VERLAG, Nicolai Bonczyk Mittwoch, 9. Dezember 2015
© Copyright 2025 ExpyDoc