«regio-00-sommerserie jura hotel bären bellelay» (Ressort: region bern / Ausgabe: st) Gedruckt von simone.lippuner am 13.07.2015 11:13:44 SOMMERSERIE BERNER JURA Ein Seeländer vermarktet die Idylle von Bellelay Alte Gebäude aufmöbeln und als historische Hotels neu zugänglich machen – das ist eine Strategie, den Berner Jura touristisch besser zu vermarkten. Quereinsteiger Adolf Saurer hat das Hôtel de l’Ours in Bellelay in mühseliger Arbeit renoviert. Das Leben als Hotelier und Gastronom im Berner Jura ist für den Seeländer zwar «ein Traum» – aber nicht nur einfach. Bellelay im Berner Jura. Bald gibt es dort keine Post mehr. Einen Laden hat das Dorf auch nicht. Die Jungen wandern ab, die Älteren bilden eine kleine, aber keineswegs verschworene Gemeinschaft. Bellelay, auf 931 Meter über Meer am Nordrand des Moores La Sagne gelegen, ist nicht viel mehr als ein kleines Nest. Die protzigen Gebäude gehörten einst alle dem Kanton. Heute ist noch das ehemalige Kloster in staatlichem Besitz, es dient als psychiatrische Klinik. Gleich gegenüber liegt der Gasthof Bären, das Hôtel de l’Ours. Liebe auf den ersten Blick für den pensionierten Unternehmer Adolf Saurer. Der Lysser sieht in der Abgeschiedenheit sein Glück, im Bären die Verwirklichung seines Traums. Er zahlte dem Kanton rund eine halbe Million für das Gebäude und steckte weitere 1,4 Millionen Franken in dessen Renovation. «In der Umgebung von Tavannes und Reconvilier gibt es noch viele tolle Gebäude. Aber es kann oder mag niemand in eine Aufwertung investieren.» Adolf Saurer Wie in der Räuberhöhle Die Gegend in den Höhenzügen des Juras kennt Saurer seit seiner Kindheit, oft hätten sie hier Ferien gemacht. Ursprünglich war seine Idee, hier nach der Pensionierung ein Wochenendhaus für Familie und Freunde zu erwerben. Aus dem Haus wurde ein Hotel – er und sein Kollege Pat Lerch kauften den Bären vor sechs Jahren. Das Gebäude stammt aus dem 17. Jahrhundert und war Teil der Abtei. Mönche erfanden hinter den alten Mauern den Tête-de-Moine-Käse. Doch der vorangehende Wirt hinterliess das Hotel in desolatem Zustand: «Alleine die Küche putzten wir während vierzig Tagen, die Zimmer sahen aus wie eine Räuberhöhle», so Saurer. In viel Eigenarbeit schliffen Saurer und Lerch Böden ab, verlegten 13 Tonnen Vollholzparkett, installierten Sanitäranlagen, restaurierten antike Möbel. «Nach zwei Jahren konnten wir das erste Zimmer vermieten, die anderen kamen sukzessive hinzu.» Das Restaurant war immer geöffnet. Fondue im Stall Das Resultat der langwierigen Sanierung kann sich sehen lassen. Elf schicke Zimmer, Pianobar, Billardraum, Brasserie, alte Pferdeboxen, die zu Fonduestuben umfunktioniert wurden. Das Hôtel de l’Ours trägt das Label «Swiss Historic Hotel» – 50 Schweizer Hotels gehören in diese Gruppe auserlesener, meist teuer renovierter Unterkünfte. Der Bär von Bellelay. Zuvor gehörte das Gebäude zum Kloster. Das «Hôtel de l’Ours» ist eine Oase für stressgeplagte Städter. Reiten, Wandern und TOURISMUS IN ZAHLEN Letztes Jahr lag die Zahl der Hotelübernachtungen im Berner Jura bei 46 605, das sind 2,7 Prozent mehr als im Vorjahr. In den letzten 10 Jahren kam man durchschnittlich auf rund 40 500 Übernachtungen jährlich. Gemäss Angaben des Bundesamts für Statistik gibt es im Berner Jura 35 Hotelbetriebe. Betrachtet man den Tourismus im ganzen Kanton Bern, so entfielen 2013 16 Prozent der total 46 Millionen Gästefrequenzen auf den Berner Jura, er liegt dabei als Tourismusdestination an dritter Stelle im Kanton – hinter Bern und der Region Interlaken. pd/lp Das Dossier Mehr Bilder zum Hotel Bären und Informationen zu anderen historischen Hotels sowie alles zur Sommerserie bejura.bernerzeitung.ch Die Zimmer wurden alle komplett renoviert. Biken stehen in der Abgeschiedenheit auf fast 1000 Metern über Meer auf dem Programm. Bei Saurer kehren primär Schweizer ein, immer häufiger aber auch internationale Kundschaft. Eher Gäste 50 plus, aber auch mal junge Pilgerer, liegt doch der Jakobsweg vor der Tür. Deshalb gibt es im Hotel zusätzlich ein Massenlager. «An den Wochenenden sind wir über Monate ausgebucht», sagt der 57jährige Saurer. Unter der Woche hingegen könnte die Auslastung noch besser sein. Oft reisen Tagesausflügler in den Berner Jura. Aus ihnen sollen Touristen werden (siehe Interview). «Wer einen Aufenthalt in Bellelay macht, wird die Abtei und die Käserei besuchen, sich dann aber bald langweilen.» Deshalb sind Saurer und Lerch stets bemüht, weitere Aktivitäten wie Biken oder Reiten anzubieten. Ein weiteres Problem ist der ÖV: Es fahren nur zwei Busse pro Tag nach Bellelay. Das Hôtel de l’Ours verfügt deshalb über einen Bus, mit dem Touristen in Tavannes Bilder Urs Baumann abgeholt oder an bestimmte Orte gebracht werden. «Alleine die Küche putzten wir während vierzig Tagen, und die Zimmer sahen aus wie eine Räuberhöhle.» Adolf Saurer Feuer im Dach Adolf Saurer ist Quereinsteiger. Er arbeitete als Dienstleister im Gesundheitsbereich und hatte mit Gastronomie bis vor sechs Jahren nichts am Hut. Nun sitzt er auf der Terrasse seines Hotels, im weissen Hemd, die Hände noch nass vom Bierservieren – und erzählt vom grössten Fettnapf, in den er getreten ist: «Meine erste Speisekarte war nur Deutsch.» Das französischsprachige Bellelay reagierte empört – und mied den Wirt. Auswärtige haben es im Jura nicht nur leicht. Und doch sind sie es, die die Schönheit dieser Gegend sichtbar machen wollen. Es gebe in der Umgebung von Tavannes und Reconvilier viele tolle Gebäude, aber niemand möge in eine Aufwertung investieren. Saurer schon. Bereits liebäugelt er mit einem neuen Objekt. Das Haus ist über 300 Jahre alt. Heute habe er das Vertrauen der Bevölkerung gewonnen, mit den Bauern will er künftig für Kutschenfahrten zusammenspannen. Aber ja, das Ganze brauche schon eine harte Haut, räumt der Hotelier ein. Denn bereits schwelt der nächste Konflikt. Saurer hat hinter dem Haus eine neue Terrasse gebaut. Der Denkmalpflege passte das Projekt nicht, sie verfügte einen Baustopp. Saurer: «Nun muss ich schauen, wie das weitergeht.» Alt und Neu hübsch kombiniert: Der Eingangsbereich des Hôtel de l’Ours. Alles im Lot Er sagts mit einer gewissen Gelassenheit. Die rührt vielleicht daher, dass die Leidenschaft ihn in diese Abgeschiedenheit getrieben hat. Und nicht die Suche nach einer neuen Geldquelle. «Gewinn mache ich hier derzeit keinen.» Er muss nicht hier oben bleiben, wie viele, vielleicht teils unzufriedene Bewohner von Bellelay. Er will. Simone Lippuner War zuvor eine Abstellkammer: Im Dachstock finden Ausstellungen statt. Wenn die Leute auch hier zu Abend essen und übernachten, brächte das eine viele grössere Wertschöpfung für uns. Wie wollen Sie das erreichen? Vorab braucht es dafür gute Angebote in der Gastronomie und Hotellerie. Wir arbeiten auch mit den Hoteliers zusammen, um ihre Präsenz im Internet zu verbessern. Natürlich werben wir auch, vor allem mit unseren touristischen Highlights – zum Beispiel dem Chasseral, dem MontSoleil oder La Neuvevillle. Wir müssen den Leuten zeigen, dass sie hier länger als einen Tag Schönes unternehmen können. Seit ein paar Jahren sind der ganze Jura und das Dreiseenland als Marketingplattform zusammengeschlossen. Das ist wichtig, damit man bestehen kann. Der Tourist interessiert sich nicht für Kantonsgrenzen. Wie sieht er aus, der typische Tourist im Berner Jura? Es gibt drei Typen: Familien, Paare ohne oder mit erwachsenen Kindern und gutem Einkommen. Und der dritte Typ sind die Naturliebhaber. Aus den Exkursionisten sollen vermehrt Touristen werden Der Berner Jura ist vor allem bei Tagesausflüglern beliebt. Tourismusdirektor Guillaume Davots Ziel ist es, dass diese Gäste länger in der Region verweilen. Monsieur Davot, wer reist gerne in den Berner Jura? Guillaume Davot: Schweizer machen 70 Prozent unserer Gäste aus. Die meisten stammen aus der Nordwestschweiz. Aus Zug, Zürich, Winterthur und St. Gallen. Bei den Ausländern stehen die Deutschen und Franzosen an der Spitze. Und die Berner? Sie kommen auch. Wir hoffen, dass es künftig noch mehr sein werden. Wir können ihnen eine gute Alternative zum Berner Oberland bieten. Dort hat es viel mehr Stau und viel mehr Leute. Kommen auch Chinesen, die eine Uhr kaufen wollen? Es gab schon Ateliers, in denen Chinesen sahen, wie die Uhr zusammengestellt wird, die sie kauften. Die Uhrenfabriken stärker für Touristen zu öffnen, ist Guillaume Davot, Tourismusdirektor aber nicht einfach, denn sie sind auch Produktionsbetriebe. Zudem fehlt uns in der Umgebung von St-Imier ein Restaurant, das in der Lage ist, zwei Busse voller Touristen zu verpflegen. Und die Reiseprogramme der asiati- schen Gruppen sind enorm dicht. Uhren, Schoggi, Käse – das sind Ihre Trümpfe, oder? Ja, aber wir spielen sie als Ganzes noch zu wenig aus. Die einzelnen Firmen aber tun viel. Camille Bloch zum Beispiel will 2018 ein neues Besucherzentrum eröffnen und erwartet 100 000 Besucher jährlich. Im Zehnkilometerradius von St-Imier haben wir Longines, Camille Bloch und den Tête de Moine – besser kann man es nicht haben. Aber wir brauchen auch ein grösseres Ho- tel, um davon wirklich zu profitieren. Wie ist die aktuelle Situation für die Anbieter? Für einige läuft es sehr gut, andere haben mehr zu kämpfen. Schwierig haben es oft die Gasthöfe in kleinen Orten mit vier, fünf alten Hotelzimmern. Es fehlt meist das Geld für eine Sanierung. Heutzutage ist ein Hotel dieser Grösse auch nicht wirklich rentabel. Wem läufts besser? Ein Trend sind die historischen Hotels. Die positionieren sich klar und versuchen, ihren Gästen mit dem Charme und der Geschichte ihrer Häuser etwas zu bieten. Diese Hotels sind gut belegt. Doch mussten die Besitzer viel investieren. Es ist deshalb fraglich, ob die Buchungen dazu reichen, diese Investitionen decken zu können. Wir würden diesen Bereich aber gerne stärken. Gibt es dafür Projekte? Nicht konkret. Aber es gibt im Berner Jura noch viele schöne historische Gebäude, auch aus dem Industriebereich. Die kennen wir natürlich. Wir versu- chen, Investoren zu finden. Es braucht Leute, die sich in einen solchen Ort verlieben und etwas wagen. Auch Geschäftsleute reisen sicher in den Jura. Ja. Sie machen mit 63 Prozent den Grossteil der rund 46 000 Übernachtungen in unseren Hotels aus. Da entfällt auf die Touristen nicht mehr sehr viel. Das ist so. Unsere Touristen sind meist Tagesausflügler. Es ist unser Ziel, aus diesen Exkursionisten mehr Touristen zu machen. Spüren Sie die Eurokrise? Die Schweizer fahren wegen des tiefen Euros zwar mehr ins Ausland, uns trifft das aber weniger, denn wir sind für Schweizer Verhältnisse eine eher günstige Destination. Unser Ziel ist es, die Werte von 2014 zu halten, dafür sieht es bis jetzt nicht schlecht aus. Interview: Lucia Probst Zur Person: Der Franzose Guillaume Davot (36), ist seit Oktober 2013 Direktor von Bern Jura Tourismus. Vorher arbeitete er 10 Jahre lang für den Naturpark Chasseral.
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