Gedanken zum Volkstrauertag 2015

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17.08.2015
15:27 Uhr
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VOLKSBUND DEUTSCHE KRIEGSGRÄBERFÜRSORGE e.V.
Landesverband Bayern
Gedanken
zum Volkstrauertag 2015
Tag der Erinnerung
Am heutigen Volkstrauertag kehrt für viele
die Erinnerung an die Zeit des Kriegsendes in
Europa vor 70 Jahren wieder. In zahllosen Reden und Veranstaltungen haben wir am 8. Mai
dieses Jahres versucht, diesem Ereignis gerecht zu werden. Vor allem in den Medien
wurden die Ereignisse jener Tage – und somit
einer ganzen Epoche – sehr eindringlich dargestellt.
Für viele der älteren Generation, die diese Tage
und Wochen damals als Soldaten an den zusammenbrechenden Fronten oder als junge
Frauen in den zerbombten und den später besetzten Städten und Dörfern miterlebten, waren
diese Schilderungen oft sehr schmerzlich. Denn
manche sahen sich konfrontiert mit der eigenen
Vergangenheit, mit dem persönlichen Schicksal, mit dem eigenen Verhalten. Andere sahen
diesen Tag als Befreiung von einem verhassten
System. Bei vielen unter uns, die jenes Frühjahr
noch als Kinder erlebten und zum Teil auch mit
der Mutter, den Geschwistern oder den Großeltern durchlitten, wurden Erinnerungen wach.
Und für die Jüngeren der Nachkriegs-, der
Wohlstandsgeneration, war vieles aufgrund
einer friedlichen Jugend und demokratischen
Erziehung nicht mehr nachvollziehbar und
deshalb oft unverständlich.
Der Zweite Weltkrieg war mit dem 8. Mai 1945
jedoch nicht zu Ende, der Krieg in Asien ging
weiter. Erst zwei Atombombenabwürfe auf
Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August
1945, die weit über 200.000 Menschen innerhalb von wenigen Stunden den Tod brachten,
setzten einen schrecklichen Schlusspunkt. Am
2. September 1945 kapitulierte Japan schließlich.
Das Ende eines Weltkrieges , der über 55 Millionen Menschen das Leben kostete und unsagbares Leid mit sich brachte, war der Beginn eines
Zeitalters neuer massiver Aufrüstung, dessen
Waffen das Vielfache an Vernichtung und Tod
in sich bargen und trotz späterer Abrüstungsbemühungen noch heute in sich bergen. Aber
das Groteske dieser Situation war den Menschen
damals nicht bewusst. Sie hatten völlig andere
Sorgen und Nöte.
Sicher bedeutete der 8. Mai 1945 das Ende des
täglichen massenhaften Sterbens an der Front
und im Bombenhagel, für die Internierten,
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Verfolgten und Zwangsarbeiter das Ende der
NS Herrschaft und das Ende der Leiden im KZ,
für alliierte Soldaten das Ende der Kriegsgefangen schaft.
Für viele aber war der 8. Mai auch der Anfang
des Schreckens, der Anfang einer lange
währenden Gefangenschaft – die letzten, nicht
in der Fremde umgekommenen Kriegsgefangenen, kamen erst zehn Jahre später, vor 60 Jahren, nach Hause zurück – der Anfang der Vertreibung, der Anfang als Flüchtling in einer
neuen Heimat, der Anfang eines Lebens als
Witwe oder Waise.
Wie sollte es weitergehen, das Leben in Ruinen, mit wenig Nahrung, ohne Heizung oder
Brennmaterial im bitterkalten Winter 1945/46,
ohne Arbeit, ohne Perspektive?
Zur materiellen Not kam das Leid um die
Opfer. Fast acht Millionen Deutsche, Soldaten
und Zivilpersonen, waren tot. Rund 15 Millionen Menschen wurden allein in Deutschland
nach Kriegsende gesucht – bis heute blieben
rund 1,3 Millionen von ihnen vermisst. Die
Zahlen sind bekannt – aber das Leid lässt sich
nicht in Zahlen ausdrücken.
Aber der 8. Mai war auch der Anfang der Teilung Deutschlands und der Anfang des Kalten
Krieges. Insbesondere aber war der 8. Mai 1945
der erste Tag einer jetzt 70 Jahre dauernden
Friedensepoche, der bislang längsten in der Geschichte Europas – leider mit der schmerzlichen Ausnahme des südöstlichen und östlichen
Europas.
Gerade deshalb sind Rückschau und Erinnerung, Gedenken und Mahnung an diesem Tag
der Erinnerung, dem Volkstrauertag 2015, so
besonders wichtig. Die Wunden und Narben,
die der Krieg hinterließ, sind weitestgehend
verheilt. Die immer noch beunruhigende Frage,
wie es zu den unsäglichen Verbrechen des
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Nationalsozialismus, wie zur Verursachung des
Zweiten Weltkriegs durch Deutschland kommen konnte, bricht aber immer wieder auf und
mündet für uns in der Frage, wie wir verhindern
können, dass der Geist der Intoleranz und des
Fremdenhasses in unserem Land wieder Boden
gewinnen kann.
Angesichts der fast täglichen schrecklichen
Ereignisse an vielen Krisenherden dieser Welt,
wird uns das Leid des Krieges, der Gewalt ständig vor Augen geführt. Seit 1945 sind in über
200 Kriegen und Bürgerkriegen weitere Millionen von Toten zu beklagen und täglich werden
es mehr. Dies zeigt, wie bitter notwendig die
Mahnung zum Frieden ist.
Deshalb ist und bleibt der alljährliche Volkstrauertag zeitlos. Er fordert uns auf, uns selbst,
unser Verhalten und unseren Beitrag zu einem
friedlichen Zusammenleben zu prüfen.
Heute, am Volkstrauertag, steht das persönliche
Leid aller durch Kriege Betroffenen an erster
Stelle. Ihnen gilt unsere Anteilnahme in dieser
Stunde. Aber wir sollten diese Anteilnahme
nicht heute nur erweisen, sondern sie auch im
täglichen Leben beweisen.
Die Erinnerungen an vergangenes Leid und die
Ängste um eine friedliche Zukunft heute dürfen
uns nicht mutlos werden lassen. Wir müssen uns
bewusst sein, dass Friede machbar ist. Hier bei
uns bereits seit 70 Jahren. Dieser Friede ist ein
Geschenk, das wir vor Fremdenfeindlichkeit,
Intoleranz und kleinlicher Angst um Besitzstände bewahren müssen. Neid, Vorurteile und
Gleichgültigkeit gegenüber anderen Völkern
und Rassen müssen überwunden werden, wenn
es zu einem friedlichen Neben- und Miteinander
kommen soll.
Gerd Krause
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Ein Europa ohne Krieg
Dieses Jahr jährte sich das Ende des 2. Weltkrieges zum 70. Mal (1945 – 2015). Die ganze
Welt, insbesondere Europa und speziell
Deutschland, gedachte des „Zweiten Weltkrieges“. So steht auch der Volkstrauertag 2015
ganz im Zeichen des Ende des letzten verheerenden Krieges, den Deutschland und ganz
Europa erlitten hatte.
Er war der zweite weltweit geführte Krieg aller
damals führenden Großmächte des 20. Jahrhunderts und stellt den „bislang größten
militärischen Konflikt“ in der Geschichte der
Menschheit dar.
Direkt oder indirekt waren über 60 Staaten am
Krieg beteiligt, über 110 Millionen Menschen
standen unter Waffen. Die Zahl der Kriegstoten
liegt zwischen 60 und 70 Millionen.
70 Jahre später sucht Deutschland noch immer
nach seiner Rolle in Europa und in der Welt.
Europa ist für viele weit entfernt und im eigenen Alltag manchmal wenig greifbar.
Die Menschen sprechen über Frieden und Freiheit, Wohlstand, Spracherwerb und Schülerund Studierenden-Austausch in der EU, ebenso
über Regeln und Normierungen, die von der
EU ausgehen.
Auch die Finanzkrise Griechenlands ist ein intensiv diskutiertes Thema. Welchen Weg soll
die EU einschlagen? Ein unsicherer Blick in die
Zukunft schürt wirtschaftliche Ängste, malt in
ganz Europa ein Schwarz-Weiß-Bild, das es in
dieser Form wohl nicht gibt. Es nährt in allen
Ländern nationalistische Strömungen.
Und doch wissen die Menschen, dass Europa
eine große Errungenschaft ist. In den vergangenen 70 Jahren hat Europa den Krieg hinter sich
gelassen, hat eine einzigartige Erfolgsgeschichte von Versöhnung und Aussöhnung erlebt. Die
Länder Europas entscheiden heute viele ihrer
innenpolitischen Probleme nicht mehr allein
national, denn Themen wie z. B. Datenschutz,
Sicherheits- und Flüchtlingspolitik können nur
auf europäischer oder internationaler Ebene
gelöst werden. Dieses gemeinsame Lösen ist
immens wichtig, um Frieden, Wachstum und
Wohlstand zu erhalten.
Als leistungsfähige Industrienation nimmt
Deutschland heute wirtschaftlich eine wichtige
Rolle in der EU ein. Andere Nationen erwarten
von Deutschland politisch mehr Verantwortung
und internationales Engagement.
Seine neue Rolle muss Deutschland noch finden. Wie möchte Deutschland in Zukunft wahrgenommen werden? Wie möchten wir international auftreten? Welche Hilfe und politische
Unterstützung kann das Land leisten?
Diese Fragen haben auch am Volkstrauertag eine
besondere Bedeutung. Gerade weil das nationalsozialistische Deutschland den umfassendsten
und opferreichsten Weltkrieg verursacht hat,
kommt uns bei der Friedenswahrung eine besonders verantwortungsvolle Rolle zu. Die Millionen von Kriegstoten verpflichten uns, die Europäische Union in ihrer historischen friedenstiftenden Funktion zu stärken, sie als Wertegemeinschaft weiter zu entwickeln und uns dabei auch
nicht von technokratisch-bürokratische Tendenzen der Gemeinschaft zu sehr beirren zu lassen.
Wir können also am Volkstrauertag gar nichts
Besseres tun, als uns immer wieder auf diese
friedenstiftende Errungenschaft des vereinten
Europas zu besinnen und bei ihrem weiteren
Ausbau hilfreich zu sein.
Ursula Sauter-Spiegl
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Totengedenken
Wir gedenken heute der Opfer von Krieg und Gewalt:
der Soldaten, die in den beiden Weltkriegen gefallen, ihren
Verwundungen erlegen, in Gefangenschaft gestorben oder seither
vermisst sind,
der Männer, Frauen und Kinder aller Völker, die durch Kriegshandlungen
ihr Leben lassen mussten.
Wir gedenken
derer, die im Widerstand, die um ihrer Überzeugung oder ihres Glaubens
willen Opfer der Gewaltherrschaft wurden, und derer, die verfolgt und
getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen
Rasse zugerechnet wurden oder deren Leben wegen einer Krankheit
oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken
der Männer, Frauen und Kinder, die in der Folge des Krieges auf der Flucht
oder bei der Vertreibung aus der Heimat und im Zuge der Teilung Deutschlands
und Europas ihr Leben verloren.
Wir gedenken
der Bundeswehrsoldaten und anderer Einsatzkräfte, die in Ausübung ihres Dienstes
ihr Leben ließen.
Wir trauern
um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage,
um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung,
um die Opfer sinnloser Gewalt, die bei uns Schutz suchten.
Wir trauern
mit den Müttern und mit allen, die Leid tragen, um die Toten.
Doch unser Leben gilt der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen
und Völkern und auf Frieden in der Welt.