81234_VT_61_Ansprache_2015:VTT_Ansprache 17.08.2015 15:27 Uhr Seite 1 VOLKSBUND DEUTSCHE KRIEGSGRÄBERFÜRSORGE e.V. Landesverband Bayern Gedanken zum Volkstrauertag 2015 Tag der Erinnerung Am heutigen Volkstrauertag kehrt für viele die Erinnerung an die Zeit des Kriegsendes in Europa vor 70 Jahren wieder. In zahllosen Reden und Veranstaltungen haben wir am 8. Mai dieses Jahres versucht, diesem Ereignis gerecht zu werden. Vor allem in den Medien wurden die Ereignisse jener Tage – und somit einer ganzen Epoche – sehr eindringlich dargestellt. Für viele der älteren Generation, die diese Tage und Wochen damals als Soldaten an den zusammenbrechenden Fronten oder als junge Frauen in den zerbombten und den später besetzten Städten und Dörfern miterlebten, waren diese Schilderungen oft sehr schmerzlich. Denn manche sahen sich konfrontiert mit der eigenen Vergangenheit, mit dem persönlichen Schicksal, mit dem eigenen Verhalten. Andere sahen diesen Tag als Befreiung von einem verhassten System. Bei vielen unter uns, die jenes Frühjahr noch als Kinder erlebten und zum Teil auch mit der Mutter, den Geschwistern oder den Großeltern durchlitten, wurden Erinnerungen wach. Und für die Jüngeren der Nachkriegs-, der Wohlstandsgeneration, war vieles aufgrund einer friedlichen Jugend und demokratischen Erziehung nicht mehr nachvollziehbar und deshalb oft unverständlich. Der Zweite Weltkrieg war mit dem 8. Mai 1945 jedoch nicht zu Ende, der Krieg in Asien ging weiter. Erst zwei Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945, die weit über 200.000 Menschen innerhalb von wenigen Stunden den Tod brachten, setzten einen schrecklichen Schlusspunkt. Am 2. September 1945 kapitulierte Japan schließlich. Das Ende eines Weltkrieges , der über 55 Millionen Menschen das Leben kostete und unsagbares Leid mit sich brachte, war der Beginn eines Zeitalters neuer massiver Aufrüstung, dessen Waffen das Vielfache an Vernichtung und Tod in sich bargen und trotz späterer Abrüstungsbemühungen noch heute in sich bergen. Aber das Groteske dieser Situation war den Menschen damals nicht bewusst. Sie hatten völlig andere Sorgen und Nöte. Sicher bedeutete der 8. Mai 1945 das Ende des täglichen massenhaften Sterbens an der Front und im Bombenhagel, für die Internierten, 81234_VT_61_Ansprache_2015:VTT_Ansprache 17.08.2015 15:27 Uhr Verfolgten und Zwangsarbeiter das Ende der NS Herrschaft und das Ende der Leiden im KZ, für alliierte Soldaten das Ende der Kriegsgefangen schaft. Für viele aber war der 8. Mai auch der Anfang des Schreckens, der Anfang einer lange währenden Gefangenschaft – die letzten, nicht in der Fremde umgekommenen Kriegsgefangenen, kamen erst zehn Jahre später, vor 60 Jahren, nach Hause zurück – der Anfang der Vertreibung, der Anfang als Flüchtling in einer neuen Heimat, der Anfang eines Lebens als Witwe oder Waise. Wie sollte es weitergehen, das Leben in Ruinen, mit wenig Nahrung, ohne Heizung oder Brennmaterial im bitterkalten Winter 1945/46, ohne Arbeit, ohne Perspektive? Zur materiellen Not kam das Leid um die Opfer. Fast acht Millionen Deutsche, Soldaten und Zivilpersonen, waren tot. Rund 15 Millionen Menschen wurden allein in Deutschland nach Kriegsende gesucht – bis heute blieben rund 1,3 Millionen von ihnen vermisst. Die Zahlen sind bekannt – aber das Leid lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Aber der 8. Mai war auch der Anfang der Teilung Deutschlands und der Anfang des Kalten Krieges. Insbesondere aber war der 8. Mai 1945 der erste Tag einer jetzt 70 Jahre dauernden Friedensepoche, der bislang längsten in der Geschichte Europas – leider mit der schmerzlichen Ausnahme des südöstlichen und östlichen Europas. Gerade deshalb sind Rückschau und Erinnerung, Gedenken und Mahnung an diesem Tag der Erinnerung, dem Volkstrauertag 2015, so besonders wichtig. Die Wunden und Narben, die der Krieg hinterließ, sind weitestgehend verheilt. Die immer noch beunruhigende Frage, wie es zu den unsäglichen Verbrechen des Seite 2 Nationalsozialismus, wie zur Verursachung des Zweiten Weltkriegs durch Deutschland kommen konnte, bricht aber immer wieder auf und mündet für uns in der Frage, wie wir verhindern können, dass der Geist der Intoleranz und des Fremdenhasses in unserem Land wieder Boden gewinnen kann. Angesichts der fast täglichen schrecklichen Ereignisse an vielen Krisenherden dieser Welt, wird uns das Leid des Krieges, der Gewalt ständig vor Augen geführt. Seit 1945 sind in über 200 Kriegen und Bürgerkriegen weitere Millionen von Toten zu beklagen und täglich werden es mehr. Dies zeigt, wie bitter notwendig die Mahnung zum Frieden ist. Deshalb ist und bleibt der alljährliche Volkstrauertag zeitlos. Er fordert uns auf, uns selbst, unser Verhalten und unseren Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben zu prüfen. Heute, am Volkstrauertag, steht das persönliche Leid aller durch Kriege Betroffenen an erster Stelle. Ihnen gilt unsere Anteilnahme in dieser Stunde. Aber wir sollten diese Anteilnahme nicht heute nur erweisen, sondern sie auch im täglichen Leben beweisen. Die Erinnerungen an vergangenes Leid und die Ängste um eine friedliche Zukunft heute dürfen uns nicht mutlos werden lassen. Wir müssen uns bewusst sein, dass Friede machbar ist. Hier bei uns bereits seit 70 Jahren. Dieser Friede ist ein Geschenk, das wir vor Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und kleinlicher Angst um Besitzstände bewahren müssen. Neid, Vorurteile und Gleichgültigkeit gegenüber anderen Völkern und Rassen müssen überwunden werden, wenn es zu einem friedlichen Neben- und Miteinander kommen soll. Gerd Krause 81234_VT_61_Ansprache_2015:VTT_Ansprache 17.08.2015 15:27 Uhr Seite 3 Ein Europa ohne Krieg Dieses Jahr jährte sich das Ende des 2. Weltkrieges zum 70. Mal (1945 – 2015). Die ganze Welt, insbesondere Europa und speziell Deutschland, gedachte des „Zweiten Weltkrieges“. So steht auch der Volkstrauertag 2015 ganz im Zeichen des Ende des letzten verheerenden Krieges, den Deutschland und ganz Europa erlitten hatte. Er war der zweite weltweit geführte Krieg aller damals führenden Großmächte des 20. Jahrhunderts und stellt den „bislang größten militärischen Konflikt“ in der Geschichte der Menschheit dar. Direkt oder indirekt waren über 60 Staaten am Krieg beteiligt, über 110 Millionen Menschen standen unter Waffen. Die Zahl der Kriegstoten liegt zwischen 60 und 70 Millionen. 70 Jahre später sucht Deutschland noch immer nach seiner Rolle in Europa und in der Welt. Europa ist für viele weit entfernt und im eigenen Alltag manchmal wenig greifbar. Die Menschen sprechen über Frieden und Freiheit, Wohlstand, Spracherwerb und Schülerund Studierenden-Austausch in der EU, ebenso über Regeln und Normierungen, die von der EU ausgehen. Auch die Finanzkrise Griechenlands ist ein intensiv diskutiertes Thema. Welchen Weg soll die EU einschlagen? Ein unsicherer Blick in die Zukunft schürt wirtschaftliche Ängste, malt in ganz Europa ein Schwarz-Weiß-Bild, das es in dieser Form wohl nicht gibt. Es nährt in allen Ländern nationalistische Strömungen. Und doch wissen die Menschen, dass Europa eine große Errungenschaft ist. In den vergangenen 70 Jahren hat Europa den Krieg hinter sich gelassen, hat eine einzigartige Erfolgsgeschichte von Versöhnung und Aussöhnung erlebt. Die Länder Europas entscheiden heute viele ihrer innenpolitischen Probleme nicht mehr allein national, denn Themen wie z. B. Datenschutz, Sicherheits- und Flüchtlingspolitik können nur auf europäischer oder internationaler Ebene gelöst werden. Dieses gemeinsame Lösen ist immens wichtig, um Frieden, Wachstum und Wohlstand zu erhalten. Als leistungsfähige Industrienation nimmt Deutschland heute wirtschaftlich eine wichtige Rolle in der EU ein. Andere Nationen erwarten von Deutschland politisch mehr Verantwortung und internationales Engagement. Seine neue Rolle muss Deutschland noch finden. Wie möchte Deutschland in Zukunft wahrgenommen werden? Wie möchten wir international auftreten? Welche Hilfe und politische Unterstützung kann das Land leisten? Diese Fragen haben auch am Volkstrauertag eine besondere Bedeutung. Gerade weil das nationalsozialistische Deutschland den umfassendsten und opferreichsten Weltkrieg verursacht hat, kommt uns bei der Friedenswahrung eine besonders verantwortungsvolle Rolle zu. Die Millionen von Kriegstoten verpflichten uns, die Europäische Union in ihrer historischen friedenstiftenden Funktion zu stärken, sie als Wertegemeinschaft weiter zu entwickeln und uns dabei auch nicht von technokratisch-bürokratische Tendenzen der Gemeinschaft zu sehr beirren zu lassen. Wir können also am Volkstrauertag gar nichts Besseres tun, als uns immer wieder auf diese friedenstiftende Errungenschaft des vereinten Europas zu besinnen und bei ihrem weiteren Ausbau hilfreich zu sein. Ursula Sauter-Spiegl 81234_VT_61_Ansprache_2015:VTT_Ansprache 17.08.2015 15:27 Uhr Seite 4 Totengedenken Wir gedenken heute der Opfer von Krieg und Gewalt: der Soldaten, die in den beiden Weltkriegen gefallen, ihren Verwundungen erlegen, in Gefangenschaft gestorben oder seither vermisst sind, der Männer, Frauen und Kinder aller Völker, die durch Kriegshandlungen ihr Leben lassen mussten. Wir gedenken derer, die im Widerstand, die um ihrer Überzeugung oder ihres Glaubens willen Opfer der Gewaltherrschaft wurden, und derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde. Wir gedenken der Männer, Frauen und Kinder, die in der Folge des Krieges auf der Flucht oder bei der Vertreibung aus der Heimat und im Zuge der Teilung Deutschlands und Europas ihr Leben verloren. Wir gedenken der Bundeswehrsoldaten und anderer Einsatzkräfte, die in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben ließen. Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Opfer sinnloser Gewalt, die bei uns Schutz suchten. Wir trauern mit den Müttern und mit allen, die Leid tragen, um die Toten. Doch unser Leben gilt der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern und auf Frieden in der Welt.
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