Leiten heißt auch Dienen - Evangelische Kirchengemeinde Porz

Predigt 13.3.2016
Einführung Presbyterium
Markus-Evangelium, Kapitel 10, Verse 35 bis 45
Vom Herrschen und vom Dienen (»Die Söhne des Zebedäus«)
Zitat 1
35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen:
Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.
36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu
deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?
39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet
zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich
getauft werde;
40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu,
euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.
Zitat 2
41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten,
halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer
Diener sein;
44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse,
sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.
Amen.
Liebe Gemeinde !
Heute ist ein besonderer Tag: Heute führen wir Gemeindeglieder in das Presbyteramt ein,
andere verabschieden wir aus diesem Amt, das sie oft viele Jahre verwaltet haben. Den Neuen
und Wiedergewählten wird für die nächsten vier Jahre die Leitung der Gemeinde anvertraut
mit allen Konsequenzen und Pflichten. Aber für sie ändert sich auch etwas, viele kennen das
bereits: Sie sind auf einmal nicht mehr anonym, sie sind in Zukunft die Gesichter der Evangelischen Kirchengemeinde Porz. Wir alle haben uns das lange überlegt, als wir gefragt wurden, ob wir die Aufgabe übernehmen wollen, manche haben auch abgesagt.
In diesen Zusammenhang passt gut der Text des Evangeliums für den heutigen Sonntag, der
den Namen Judika trägt. Ich lese den Text in zwei Abschnitten.
(Zitat 1)
Zunächst ein paar einordnende Bemerkungen, was den Text angeht. Markus ist der erste Autor, der das Leben Jesu beschreiben will, er erfindet sozusagen die Literaturgattung Evangelium. Er schreibt um das Jahr 70 herum, also rund 2 Generationen nach dem Tod Jesu. Es gibt
zu diesem Zeitpunkt niemandem mehr, der Jesus persönlich gekannt hatte, er ist auf Quellen
angewiesen, Erzählungen, Briefe, gemeindliche Traditionen. Er verfolgt, anders als es ein
objektiv schreibender Historiker tun würde, bei der Abfassung seines Evangeliums eine bestimmte Absicht, Jesus ist in seinen Augen der Messias, der aber von niemandem als solcher
erkannt wird.
Betrachten wir nun den Text und seine Personen, der auch heute noch eine erstaunliche Aktualität hat. Er gehört aus meiner Sicht zu einer der menschlichsten Texten im NT, die ich
kenne. Menschliche Schwächen treten zu Tage, Eitelkeiten, Neid, Eifersucht. Aber auch eine
klare theologische Ansage, zu der ich später noch einmal komme.
Zwei der Jünger Jesu ahnen offensichtlich, dass sie in einer besonderen Zeit und Situation
leben. Jesus kündigt zum dritten Mal an, dass er sterben wird, dass danach eine andere Zeit
anbricht. Nun wollen sie sich einen besonderen Platz sichern, sie wollen nach ganz vorne.
Man kennt das von Hotelpools, da macht man es mit Handtüchern, hier wollen die Beiden auf
die Ehrenplätze bei einer Tafel. Sie wollen dicht am Geschehen sein, wenn sie schon Teil des
Ganzen sein werden. An dieser Stelle ist die Geschichte besonders menschlich, finde ich. Wer
mag das nicht? Freie Sicht auf die Akteure, das Geschehen, die Situation. Wer hat nicht schon
gesehen, dass normale Menschen mit Prominenten Selfies machen. Eines der bekanntesten
Selfies ist das des Flüchtlings mit Angela Merkel, er wird sein Leben lang davon erzählen und
es allen zeigen. Die eigene Existenz wird einen kurzen Augenblick aufgewertet, man sonnt
sich im Ruhm der oder des Anderen. Einen Moment lang fühlt man sich ungeheuer wichtig.
In diesem Fall folgt die Ernüchterung und Relativierung durch Jesus auf dem Fuß: Es geht in
dieser besonderen Situation um Leiden und Sterben. Dessen müssen sich die beiden Jünger
bewusst sein, das sind sie auch. Klingt hier bei Markus an, dass nur wenige Jahre vorher
Christen in Rom wegen ihres Glaubens verbrannt worden waren? Vielleicht!
Das Entscheidende kommt aber noch. Jesus macht deutlich, dass Prominenz ihren Preis hat.
Wer sich in das Rampenlicht begibt, muss leiden. Wer im Schatten der Großen sitzen will,
muss etwas dafür tun. Das schreckt die Brüder aber nicht ab, sie wollen es. Nun folgt die Ernüchterung auf dem Fuß: auch Jesus kann nicht garantieren, dass sie an die gewünschte Stelle
am Kopfende kommen werden.
An dieser Stelle hat der Text einen Bruch. Konnte man bis hierhin sagen, dass nur die Beiden
einen Dämpfer auf ihre hochfliegenden Ambitionen bekommen haben, macht das folgende
Jesus-Wort etwas anderes deutlich.
(Zitat 2)
Nun geht es um die Frage: Was ist Herrschaft? Markus legt Jesus ein paar grundsätzliche Bemerkungen in den Mund. Seine Ausführungen sind zunächst natürlich auf dem Hintergrund
der römischen Besatzungsmacht zu verstehen, niemand wird behaupten, dass Angela Merkel
die Bundesdeutschen unterjocht. Aber es geht um mehr. Und jetzt bin ich auch schon mitten
im Presbyteramt. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Presbyteramt und Regierungsoder Leitungsgewalt sind inkompatibel, da ist schon die presbyterial-synodale Kirchenordnung vor, alle Entscheidungen sollen einmütig getroffen werden, die Entscheider sind basisdemokratisch legitimiert. Aber die Gefahr in einem so exponierten Amt ist groß, sich von der
Realität zu entfernen. Entscheidungen treffen, Zukunft gestalten, Geld ausgeben macht Spaß,
es kann zum Selbstzweck werden. Ein Gremium, das sich regelmäßig trifft und miteinander
kommuniziert, hat schnell gut funktionierende Verfahrensweisen entwickelt, Automatismen
greifen, Korrektive werden ausgewaschen. Aber genau das meint „Herrschaft“ - „Leitung“
eben nicht.
An dieser Stelle sei als Ergänzung Martin Luther zitiert: „Ein Christenmensch ist ein freier
Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer
Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Luther hat diese beiden Sätze in seiner
Schrift „Freiheit eines Christenmenschen“ 1520 bereits formuliert, nur drei Jahre nach seiner
aufsehenerregenden Tat, derer wir nächstes Jahr zum 500. Mal gedenken. Ist das nicht ein
Paradoxon? Nein, ist es nicht, auch bei Jesus nicht. Denn wer Macht ausübt, auch im eben
beschriebenen Sinne, muss sich dessen bewusst sein, er muss sich einem inneren Korrektiv
unterwerfen, damit sie nicht zum Selbstzweck wird. Entscheidungen können nur im Sinne des
Evangeliums getroffen werden, Zukunft gestalten kann immer nur heißen die Gemeinde Jesu
Christi nach vorne zu bringen, Geld ausgeben kann nur zum Ziel haben, Strukturen zu verbessern, damit Menschen besser darin leben und arbeiten können.
Und dann fällt in V. 45 der bekannte Satz „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld
für viele.“ Zweimal ist von dienen die Rede. Wer möchte das schon? Wir verstehen es in der
heutigen Zeit eher als Dienstleistung, als Serviceangebot, das aber kostet. Jungens mussten
früher einen Diener machen, das trifft die Sache schon eher, ich muss mich verbeugen, den
Kopf und den Blick senken, demütig sein. Und dann ist da von Lösegeld die Rede. Das griechische Wort meint eher das Geld, das ich zahlen muss, um einem Sklaven die Freiheit zu
geben, indem ich ihn von seinem Herrn loskaufe, also eher eine Art Ablösesumme. (Im Fußball taucht dieser Begriff sogar sehr häufig auf.)
Es geht also wieder um Freiheit und Herrschaft. Aber hier macht Markus noch einmal deutlich, dass Jesus als der Messias nicht glanzvoll die Menschheit rettet, sondern mit seinem eigenen Blut eine Schuld abträgt.
Die Theologen wissen, dass die ersten Christen schwer daran zu tragen hatten, dass Jesus
nicht mehr da war und so grausam hingerichtet worden war. Eine solche Figur eignet sich
eigentlich nicht dazu, ihr nachzufolgen oder gar eine neue Theologie daran auszurichten.
Deswegen suchten sie Erklärungsmuster, die sie in der Tradition des AT fanden, in der der
Gottesknecht ebenfalls leiden muss. Und sie fanden das Bild aus der damaligen Gesellschaftsstruktur, in der es selbstverständlich Sklaven gab, denen man aber mit Geld die Freiheit erkaufen konnte.
(Eine kleine Zwischenbemerkung zu diesem Vers. Ich habe an der Uni Bonn eine Vorlesung
über das Markus-Evangelium gehört. Zum Abschluss bat ich Prof. Kuhn, mir eine Widmung
in meiner Studienbibel zu schreiben. Er wählte diesen Vers aus. Ich fand ihn zunächst nicht so
berauschend und wegweisend, aber im Laufe der Jahrzehnte stellte sich immer mehr heraus,
dass dieser Vers vor Überheblichkeit schützt, dass er einen immer wieder einnorden kann,
dass er gelegentlich wieder den Teppich unter den Füßen zurechtrückt.)
Und so ist es auch bei Luther: Christen sind frei, aber nicht unbegrenzt, Christen wissen um
Notwendigkeiten, lassen sich aber nicht von ihr vereinnahmen.
Liebe Gemeinde, liebe Mitpresbyterinnen und -presbyter! Vor uns stehen wichtige Aufgaben,
der Weinberg Gottes bedarf der Pflege, Menschen warten auf unser Engagement. Aber es stehen uns auch ein mächtige Feinde entgegen: die Hydra der Verwaltung, Skylla und Charybdis
der Gemeinde- und Kirchenordnung, das Gespenst der Finanzverwaltung. Das soll uns nicht
schrecken: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Das Evangelium für den heutigen Sonntag gibt theologisch den Rahmen vor: es geht
um das richtige Verständnis von Leitung, Luther hat dies noch einmal griffig präzisiert. Darum lassen Sie uns wohlgemut an die neue Aufgabe herangehen.
Amen.
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