der gartenzwerg

Unterhaltung
D er G artenzwerg
B
– Eine Gute-Nacht-Geschichte –
Foto: Gudrun Neuser
itte, Oma erzähl uns eine Geschichte, aber eine
neue, echt wahre, die wir noch nicht kennen. Meine
Geschichten sind doch alle „echt wahr“entgegnete
ich mit einem Augenzwinkern.
Die Kinder lagen frisch gebadet in ihren Betten und
sollten schlafen. Doch dann kam dieser Wunsch nach einer
neuen Geschichte. Gut, dachte ich, sollen sie ihre Geschichte haben. Wie ihr wisst, habe ich den ganzen Nachmittag
im Garten gearbeitet und dabei so Einiges erlebt, sagte ich.
Der Gartenzwerg, der mitten im Blumenbeet steht,
meinte, gut dass du kommst. Ich musste in den letzten Tagen sozusagen einen Krieg verhindern. Der Bärlauch hatte
gegen die Maiglöckchen gekämpft und, schau es dir an –
verloren. Du hattest ja viele Blätter abgezupft, weil man
sie essen kann. Dafür war ich dir auch sehr dankbar, denn
ich mag den Geruch nicht besonders, aber nun hängen die
letzten Blättchen armselig herum und da sagst du immer:
„Alles neu macht der Mai!“.
Natürlich sind die Blüten des Bärlauchs auch wunderschön, wie kleine Sternchen. Doch machen wir uns nichts
vor, die Maiglöckchen sind nun mal auf dem Vormarsch.
Dabei sind sie giftig. Sag das den Kindern!
Und noch etwas, streckte doch gestern ein Regenwurm
seinen Kopf vor mir aus der Erde. Ich erkannte ihn sofort.
Es war der, der schon früher immer was zu meckern hatte,
und richtig, die Erde sei zu trocken, ich solle mal Regen
bestellen, meinte er. Als ob das so einfach wäre.
Dann kamen einige Schnecken vorbei, nicht nur die,
die ihr Zuhause immer mit sich herumschleppen. Sie beschwerten sich über deine schönen Tulpen. Die Blätter
schmeckten ihnen nicht und an die Blüten kämen sie nicht
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heran. Sie hätten das Gefühl, es kämen schlechte Zeiten
auf sie zu. Alle Welt würde Jagd auf sie machen. In keinem
Garten wären sie mehr sicher.
Und noch etwas muss ich dir sagen. Dort auf der Wiese
ist ein kleines Häufchen Erde. Dort streckte vor einigen
Tagen ein Maulwurf vorwitzig seinen Kopf heraus. Hallo
rief er, wo bin ich denn hier gelandet? Ist ja richtig trostlos
hier. Gehört dir dieser Garten? Nein sagte ich, er gehört
nicht mir, doch ich hab hier die Aufsicht und muss darauf
achten, dass alles seine Ordnung hat. Deshalb rate ich dir,
schnellstens wieder dahin zu gehen, wo du herkommst. Ja,
ja, rief er, du brauchst nicht gleich so grantig zu werden. Ich
bin zur Zeit auf Brautschau, doch hier sind keine Mädels zu
sehen, also geh ich lieber wieder zurück in Nachbars Garten. Mach`s gut, rief er noch, dann war er verschwunden.
Du kannst mir dankbar sein, glaub mir, eine Wiese mit
vielen Maulwurfhügeln ist kein schöner Anblick. Da hast
du Recht, sagte ich zum Gartenzwerg, ich bin dir wirklich
dankbar.
Da du gerade da bist, meinte der Gartenzwerg, muss ich
dir noch etwas sagen, die Brennnesseln auf meinem schönen
Beet machen sich richtig mausig. Zieh dir Handschuhe an,
wenn du dich an sie heran wagst. Man muss sie mit der Wurzel ausreißen, sonst sind sie ruck-zuck wieder da. Und sag
mal, ich vermisse den Löwenzahn, wo ist er geblieben? Ich
liebe seine gelben Blüten und wenn sie verblüht sind und
die Pusteblumen dann ihre lustigen Fallschirmchen durch
die Luft schicken, freue ich mich immer. Doch nun finde
ich sie nicht mehr. Hör auf, sagte ich zum Gartenzwerg, ich
werde über deine Beschwerden nachdenken, doch nun
muss ich erst mal Pause machen, du weißt – mein Rücken!
Ja, ja, dein Rücken, aber schließlich bist du auch nicht mehr
die Jüngste, entgegnete der Gartenzwerg.
Doch etwas muss ich dir unbedingt noch erzählen. Ich
habe ein Gespräch belauscht. Die Kinder waren hier und
sprachen über einen gewissen Hugo. Sein Anzug sei nicht
mehr zeitgemäß, seine Zipfelmütze sei schmutzig und überall sei an ihm die Farbe abgeblättert. Sie wollen dich um
Pinsel und Farbe bitten, um ihm ein neues Outfit zu verpassen. Weißt du, normalerweise bin ich ja nicht so schwer von
Begriff, doch es hat etwas gedauert, bis ich gemerkt habe,
dass sie von mir sprachen. Also, sag ihnen, ich hätte nichts
dagegen, wenn sie mich verschönern wollen und der Name
Hugo, ja der gefällt mir auch.
Nach einem Blick auf meine Lieblinge sah ich, dass
der Gartenzwerg sich in den Sandmann verwandelt hatte
und sie inzwischen im Reich der Träume gelandet waren.
Vielleicht hatten sie sich dort schon mit Pinsel und Farbe
bewaffnet und waren dem lieben Hugo zu Leibe gerückt.
Ingeborg Knies
durchblick 3/2015