Mehrwert durch Vernetzung – worauf warten wir noch?

Car2X-Kommunikation
Mehrwert durch Vernetzung – worauf
warten wir noch?
Für neue Fahrerassistenzsysteme und nicht zuletzt das Zugpferd „autonomes Fahren“ wird der
Informationsaustausch zwischen Fahrzeugen unverzichtbar sein. Zur Vernetzung der Fahrzeuge untereinander stehen mit WLAN und Mobilfunk/LTE zwei alternative Technologien zur
­Verfügung – mit spezifischen Herausforderungen bei der Umsetzung neuer Dienste.
ovember 2018: Abendliche Heimfahrt über eine NebenN
strecke. Nebel wabert im Scheinwerferlicht. Vor einer Kuppe
warnt das Auto plötzlich seinen Fahrer – erst Sekunden später
ist die ­Ursache zu sehen: ein Pannenfahrzeug, das die Fahrbahn
­blockiert.
Dezember 2018, München Innenstadt: Die Straßen sind wie
immer eng mit parkenden Autos verstellt. Glücklicherweise
fließt der Verkehr ganz gut und alle beeilen sich, um noch in der
Grünphase die nächste Kreuzung zu schaffen. Plötzlich warnt
das Auto seinen Fahrer – aus der kleinen Seitenstraße drängt
ein Rettungswagen in den fließenden Verkehr. Zu sehen war er
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nicht, die Sicht war versperrt, zu hören war er auch nicht, das
Radio war zu laut…
Die technologischen Voraussetzungen für diese Szenarien sind
bereits geschaffen. Aber warum ist die Technologie noch nicht
im breiten Einsatz?
Mehrwert durch Vernetzung
Unsere modernen Autos sind mit zahlreichen Sensoren ausgerüstet, die Assistenzsysteme füttern. Diese wiederum warnen den
Fahrer vor Gefahren und können zum Teil auch eigenständige
Aufgaben wie das autonome Einparken übernehmen. Bislang
befinden sich diese Sensoren im eigenen Fahrzeug, alle Entscheidungen und Aktionen müssen auf die Sicht, Reichweite
und Auswertung der eigenen Sensorik aufsetzen. Genau dies
zeigt aber auch die Grenzen: Entscheidungen für das Fahren mit
höherer Geschwindigkeit erfordern vorausschauende Maßnahmen. In vielen Fällen ist eine solche „Weitsicht“ aus zahlreichen
Gründen mit lokalen Sensoren technisch oder auch wirtschaftlich nicht realisierbar. Viele Gefahrensituationen könnten aber
entschärft werden, wenn Informationen dazu zwischen den
Fahrzeugen und auch mit der Umgebung ausgetauscht w
­ erden
könnten. Solch ein Informationsaustausch hat sich auch in
der Biologie nach tausenden Jahren Evolution als tragfähiges
­Konzept zur Gefahrenminderung etabliert.
Auch die Vorstellung von autonom fahrenden Fahrzeugen, die
zurzeit durch die Medien geht und die Automotive-Branche
intensiv beschäftigt, setzt auf der Annahme auf, dass die
Fahrzeuge sich in Zukunft über ihre Umgebung, über Wahrnehmungen und Ereignisse austauschen können. Viele neue
Anwendungen in und mit Fahrzeugen werden erst durch die gemeinsam ausgewerteten Erkenntnisse benachbarter Fahrzeuge
möglich. Hierzu zählt auch der Bereich der Schwarmintelligenz,
der vollkommen neue Anwendungsbereiche erschließt. Weiterhin bietet die Nutzung der Sensorik der anderen Fahrzeuge in
der Umgebung eine gewisse Sicherheit: Störungen der eigenen
Sensoren – seien es Unzulänglichkeiten wie ­
eingeschränkte
Blickwinkel, versperrte Sicht, Störungen durch natürliche
Einflüsse oder böswillige ­Täuschungen von außen – könnten
schnell im Abgleich mit den Daten aus der Umgebung erkannt
und fehlerhafte Aktionen somit vermieden werden. Durch
die Kombination der Sensordaten mehrerer Fahrzeuge kann
­zudem die Zuverlässigkeit der Situationseinschätzung signifikant ­gesteigert werden. Mit Hilfe von anderen Fahrzeugen oder
Infrastrukturelementen kann das eigene Fahrzeug also praktisch
„um die Ecke sehen“.
Neben der Entlastung des Fahrers können autonom fahrende Fahrzeuge auch eine Verbesserung des Verkehrsflusses
mit sich bringen. Platooning, das elektronisch gesteuerte
­Kolonnenfahren, erlaubt eine optimale Nutzung unserer hochbelasteten Verkehrswege. Die Überwachung des Verkehrs und
die direkte Kommunikation zwischen den Fahrzeugen lassen
die Sicherheitsabstände massiv schrumpfen und die Kolonne
erreicht bei relativ hoher Geschwindigkeit einen sehr hohen
bis ­
maximalen Fahrzeugdurchsatz. Nicht zuletzt sinkt auch
der Kraftstoffverbrauch: Dank gleichmäßiger Geschwindigkeit
und kleiner ­Abstände zum Vorausfahrenden werden optimale
Betriebsbedingungen erreicht und der Luftwiderstand reduziert.
Ohne Car2X-Kommunikation ist das wirtschaftlich kaum
­erreichbar.
Markteinführung von Schwarmdiensten
Während die sogenannten „Schwarmdienste“, zu denen auch
die eingangs skizzierten Nutzungsszenarien zählen, e­inhellig
positiv diskutiert werden, ist deren Markteinführung eine
Herausforderung. Es gibt verschiedene Überlegungen, wie wir
zu diesen Szenarien kommen können, also wie ein Schwarm
initial entstehen kann. Der erfolgreiche Einsatz vernetzter
Fahrzeuge und der Nutzen für den Einzelnen setzen voraus,
dass andere Nutzer ebenfalls in diese Technik investiert haben.
­Umgangssprachlich formuliert stehen wir vor einem „HenneEi-Problem“: Die erfolgreiche Nutzung der Schwarmdienste
setzt viele Nutzer voraus, die mit ihren Informationen die anderen Verkehrsteilnehmer versorgen können, aber die ersten Nutzer müssen investieren und werden anfangs nur eingeschränkt
davon profitieren, da die Verbreitung der damit ausgerüsteten
Fahrzeuge noch gering ist.
Eine dazu passende Einführungsstrategie könnte b­ eispielsweise
sein, dass in dieser ersten Phase primär Dienste beworben
­werden, die schon bei relativ geringer Nutzerdichte erlebbar
sind und somit schnell einen Nutzen demonstrieren können.
Typische Vertreter solcher Dienste operieren mit ortsgebundenen Ereignissen, die mit statischen Karteninformationen nicht
abgedeckt werden können, etwa Gefahrenmeldungen von Unfallstellen, liegengebliebenen Fahrzeugen oder ­Wetterphänomenen
wie Glatteis und Platzregen, die eine besondere Aufmerksamkeit des Fahrers erfordern.
Soweit heute Diskussionen zur Einführung von Schwarmdiensten im großen Maßstab bekannt sind, begegnen wir einer
gesplitteten Strategie bei den großen Herstellern: Sicherheitskritische Anwendungen wie die Warnung vor Gefahren aller
Art sollen herstellerunabhängig kommuniziert und v­ erarbeitet
­werden können. Alle darüber hinausgehenden Applikationen,
zum Beispiel im Bereich der Komfortdienste und des Infotainments, sollen auf die eigene Herstellergruppe begrenzt
werden, da sich die Firmen dadurch einen Wettbewerbsvorteil
versprechen. Dieser Spagat beeinflusst natürlich auch die Überlegungen hinsichtlich der erforderlichen Infrastruktur, die für
diese Dienste aufzubauen und zu betreiben ist.
Die ersten Einsatzszenarien und damit Anforderungen entstehen im CAR 2 CAR Communication Consortium (C2C-CC),
einem Zusammenschluss von Automobilherstellern, Zulieferern
und Forschungseinrichtungen. Weiterführende Anwendungen
werden auch innerhalb der Intelligent Transport Systems (ITS)
Arbeitsgruppe bei ETSI intensiv diskutiert, welche zudem die
Standardisierung in Europa durchführt.
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Die Realisierung von Schwarmdiensten kann auf zwei unterschiedliche Arten erfolgen. Eine Variante setzt darauf, dass
Fahrzeuge ihre Erkenntnisse über aktuelle Besonderheiten und
Ereignisse im Straßenverkehr an ein zentrales Rechenzentrum
melden, ein sogenanntes Backend. Dort werden die eingehenden Daten verarbeitet und bewertet, bevor daraus etwa eine
Warnung generiert und diese an relevante Empfängerfahrzeuge
gesendet wird. Man kann hierbei von einer internetbasierten
Car2X-Cloud sprechen. Die andere, dezentrale Variante kommt
ohne Netzwerkinfrastruktur aus, indem Daten unmittelbar per
Funk mit Nachbarfahrzeugen ausgetauscht werden. Jedes Fahrzeug wertet die erhaltenen Informationen für sich aus und leitet
entsprechende Schlussfolgerungen ab, zum Beispiel eine Stauwarnung.
­ bhängig von den Anforderungen der zu realisierenden
A
Anwendung im Fahrzeug eignet sich die eine oder andere ­Variante besser. Neben der Bewältigung von technischen
­Herausforderungen sehen wir vor allem auch das jeweils damit
verknüpfte Geschäftsmodell als ausschlaggebend für Zeitpunkt
Abbildung 1: Mobilfunk
Internes Netz
des Mobilfunkbetreibers
Internetverbindung
optionale
Vernetzung
Backend
OEM A
Backend
OEM B
Externe Datenquelle
(z.B. Verkehrsüberwachung)
Quelle: Technische Hochschule Ingolstadt
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und Umfang der Markteinführung einer Anwendung. Während
einfache Dienste wie Stauwarnungen heute bereits in Form von
Smartphone Apps existieren, werden komplexe Funktionen,
die besonders in kritischen Verkehrssituationen den Fahrer
­unterstützen sollen, sowohl eine tiefergehende I­ ntegration in das
Fahrzeug benötigen als auch erheblich höhere ­Anforderungen
an das Kommunikationsmedium stellen.
Anforderungen an die Kommunikationstechnik
Das C2C-CC setzt auf IEEE 802.11p, einer neuen Variante
des bekannten WLAN Standards 802.11, zur ­Kommunikation
zwischen den Fahrzeugen. Auch Verkehrsinfrastruktur wie
Lichtsignalanlagen und Wechselverkehrszeichen können mit
dieser Technik in die Kommunikation eingebunden werden.
Fahrzeuge innerhalb einer gewissen Reichweite bilden dabei ein
sogenanntes Ad-Hoc-Netzwerk, in welchem sie untereinander Informationen und Nachrichten dezentral austauschen
und ­diese auch gerichtet weitergeben können. Dafür soll ein
lizenzfreies Frequenzband bei 5,9 GHz in der EU und den USA
genutzt werden. Da die Reichweite der Funksignale auf diesen
relativ hohen Frequenzen schnell durch das Gelände begrenzt
wird, werten alle Fahrzeuge empfangene Nachrichten orts- und
richtungsabhängig aus und leiten sie kooperativ weiter. Es ist
leicht einzusehen, dass dieses Konzept eine ausreichende ­Dichte
von Fahrzeugen mit Automotive WLAN-Kommunikation
voraussetzt. In etwas erweiterter Sichtweite (50 bis 1000 m)
braucht es einen weiteren Kommunikationspartner, damit eine
Nachricht weitergegeben werden kann. Gegebenenfalls können
Nachrichten auch im Fahrzeug kurz gepuffert werden, bis ein
weiterer Empfänger in Reichweite kommt. Allerdings ist die kurze
Latenzzeit durch die direkte Kommunikation ein nicht zu unterschätzender Vorteil bei sicherheitskritischen ­Anwendungen,
die oft sehr zeitkritisch sind und somit einer Pufferung entgegenstehen. Die Leistungsfähigkeit der WLAN-Technik in
verschiedensten Netzkonstellationen ist daher Gegenstand
von wissenschaftlichen Untersuchungen im Car2X-Kommunikationslabor des Forschungszentrums für Fahrzeugsicherheit
CARISSMA an der Technischen ­Hochschule Ingolstadt.
Speziell in der Einführungsphase dieser Fahrzeugdienste, die
wesentlich von der langsamen Marktdurchdringung durch
Neufahrzeuge bestimmt wird, wird man daher auf die ­normalen
Mobilfunknetze zurückgreifen müssen, um zuverlässig g­ rößere
Distanzen zu überbrücken. Die modernen LTE-Netze, die
schon heute wesentliche Teile der Länder gut abdecken und
bis in wenigen Jahren eine umfassende Versorgung mit Breitband-Datendiensten sicherstellen, bieten sich zumindest in
der Einführungsphase an. Moderne Fahrzeuge haben schon
­heute für ihre Infotainment-Anwendungen eine Anbindung an
Mobilfunknetze, die dann auch für die Car2X-Kommunikation
genutzt werden könnte. Die absehbare Weiterentwicklung der
Mobilfunktechnik zu 5G enthält auch interessante Funktionen,
die Einsatzfälle rund ums Fahrzeug abdecken können, zum
­Beispiel die geplante Device-to-Device-Kommunikation oder
die Nutzung des kommenden Multicasts in LTE.
Allerdings muss sich die schnelllebige ­Kommunikationsindustrie
auf Endgeräte einstellen, in diesem Fall Fahrzeuge, die 15
und mehr Jahre im Netz unterstützt werden müssen. Moderne ­
Handys werden häufig nach anderthalb bis zwei Jahren
aussortiert und durch ein besseres Nachfolgemodell ersetzt.
­
Damit einher geht dann auch die Unterstützung der neuesten
Mobilfunkstandards und Frequenzen. Ein derartiges Upgrade
verbauter Technik im Fahrzeug ist jedoch unwahrscheinlich. Dennoch werden Fahrzeugbesitzer auf liebgewonnene
Schwarmdienste nicht mehr verzichten wollen.
Frequenzen genutzt werden, fallen für deren Nutzung und den
Betrieb der Netze Gebühren an. Dienste wie die k­ ooperative
Umfeldwahrnehmung, welche wegen der Dynamik des
Umfelds fortlaufend Daten austauschen müssen, würden die
Mobilfunknetze übermäßig belasten und wären entsprechend
teuer. Folglich wird man sich bei Mobilfunk auf Dienste mit
geringerem Datenvolumen beschränken, die beispielsweise nur
in besonderen Situationen wie einer Panne Daten senden.
Selbst mit dieser Einschränkung bleibt die Frage nach möglichen Gebührenmodellen im Raum, die Car2X-Diensten
­einen einfachen Start ermöglichen. Zudem arbeiten die Automobilhersteller mit unterschiedlichen Netzbetreibern zusammen. Wird hier ein nationales Roaming möglich sein, wenn im
Interesse der Fahrzeugsicherheit eine garantierte Netzverfügbarkeit notwendig ist? Wird der Fahrer künftig regelmäßig zur
Kasse gebeten, wenn er Sicherheitsfunktionen nutzen möchte?
Außerdem erwarten Kunden, dass die Technik ihres Fahrzeugs
grenzüberschreitend und somit international funktioniert.
Folglich ist nicht nur nationales, sondern auch internationales
Roaming aufgrund der Kosten ein kritischer Punkt. Zudem ist
Abbildung 2: pWLAN
Beide Technologien – WLAN und Mobilfunk – schließen sich
keinesfalls gegenseitig aus. Vielmehr spielen die infrastrukturunabhängige, unmittelbare Ad-Hoc-Kommunikation sowie
breitbandige Datennetze mit nachgelagerten Backends in komplementären Szenarien ihre Stärken aus.
Betreibermodelle der Zukunft
Road Side Unit
Netzwerk
Mobilfunk
Während die Mobilfunknetze bereits heute schon einen ­nahezu
flächendeckenden Dienst anbieten können, sind auch hier
einige Aspekte zu berücksichtigen. Da für Mobilfunk lizenzierte
Backends
Quelle: Technische Hochschule Ingolstadt
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LTE-Mobilfunk:
Automotive WLAN:
LTE ist international die aktuelle (4.) Generation der
Mobilfunknetze. LTE („Long Term Evolution“) ist die
erste Mobilfunktechnik, die vollständig auf der Datentechnologie des Internets (IP) basiert. LTE-Netze sind
für die schnelle, mobile Datenkommunikation entwickelt
worden („Datenturbo“ mit hohen Übertragungsraten und
sehr kurzen Verzögerungen).
Die Car2X-Kommunikation mittels Automotive WLAN
ist als Ad-Hoc-Netzwerk (Vehicular Ad-Hoc Network
VANET) organisiert, sodass Fahrzeuge unmittelbar
Daten austauschen können, ohne auf weitere Netzwerkinfrastruktur angewiesen zu sein, und somit keine weiteren
Kosten entstehen.
LTE wird von den Mobilfunkbetreibern auf unterschiedlichen Frequenzbändern angeboten; im ländlichen Bereich
bei 800 MHz, um große Gebiete mit schnellem Internet zu versorgen, und bei 1800 und 2600 MHz, um in
Ballungsräumen vielen Nutzern einen schnellen
Internetzugang zu ermöglichen. Somit ist kurzfristig
­
eine sehr gute, leistungsfähige wie auch flächendeckende
Versorgung zu erwarten. Wie in modernen Smartphones
können die LTE-Empfangsmodule auch die anderen Mobilfunktechnologien benutzen, zum Beispiel 3G (UMTS /
HSPA) in Gebieten ohne LTE-Abdeckung.
Car2X-Anwendungen verschiedener Fahrzeuge kommunizieren vorerst nur über das Mobilfunknetz miteinander,
eine direkte Car2Car-Kommunikation ist aber mit den
geplanten Erweiterungen der LTE-Technik (Device-toDevice Communication, Proximity Services) in der 5.
Mobilfunkgeneration zu erwarten.
Für die Nutzung in Car2X-Anwendungen müssen mit
den Mobilfunkbetreibern entsprechende Abkommen
getroffen werden. Wichtig sind dabei anbieter- und netzübergreifende Betreibermodelle, auch im internationalen
Umfeld, da die Nutzung der Car2X-Anwendungen nicht
auf ein einzelnes Netz begrenzt werden kann. Generell
wird für die Nutzung von LTE aber eine Berechnung
durch den Betreiber erfolgen.
In vielen modernen Fahrzeugen ist standardmäßig ein
Mobilfunkmodul (mit LTE) verbaut, um während der
Fahrt den Zugang zum Internet für die bekannten Infotainment-Dienste zu ermöglichen. Auf dieser Infrastruktur des Fahrzeugs könnten aus technischer Sicht auch
Car2X-Anwendungen aufsetzen.
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Sowohl in den USA als auch in Europa sind exklusiv
Frequenzen im 5,9 GHz Band für die Ad-Hoc Kommunikation reserviert. Da auf beiden Seiten des Atlantiks die
Modulations- und Kanalzugriffsmechanismen einheitlich
durch den Standard IEEE 802.11p geregelt sind, kann
identische Hardware in den Fahrzeugen für beide Märkte
verbaut werden. Hinsichtlich der Software unterscheiden
sich beide Systeme jedoch. So sind weder die Nachrichtenformate noch die Mechanismen zum Verteilen dieser
Nachrichten im Netzwerk identisch. Die Standardisierung
der Nachrichten und Protokolle erfolgt in Europa durch
das European Telecommunications Standards Institute
(ETSI) unter Mitwirkung von Organisationen wie dem
CAR 2 CAR Communication Consortium.
Während für die Nutzung der Funkkanäle im 5,9 GHz
Band keine Kosten anfallen, sind die Hardwarekosten
und nicht zuletzt die Entwicklungskosten für ein solches
VANET im Vergleich zu etablierter Mobilfunktechnik
höher. Mit steigender Verbreitung dieser Technik ist allerdings auch mit fallenden Preisen für die WLAN-Hardware
zu rechnen. Da ein lizenzfreies Frequenzband verwendet
wird und keine Netzbetreiber involviert sind, fallen auch
wesentlich geringere Kosten im laufenden Betrieb an.
Besonders für den Einsatz in der Fahrzeugsicherheit ist
nach aktuellem Stand der Technik Automotive WLAN
mit seinem direkten Kommunikationsweg zwischen Fahrzeugen und den kurzen Latenzzeiten im Vorteil gegenüber
Mobilfunk.
die Frequenznutzung im Mobilfunk länderspezifisch. Heutige
Smartphones unterstützen weitgehend diese verschiedenen
Frequenzbänder, dennoch sind lokale Einschränkungen zu
­
­finden und geeignete Mobilfunkchips teurer als ihre Pendants,
die nur weniger Bänder unterstützen.
sicht umgehend angegangen werden. Bei der Bedeutung
der Automotive-Industrie in Deutschland einerseits und der
Sicherheit im Straßenverkehr andererseits wären öffentliche
Programme zur Unterstützung der Einführung ein volkswirtschaftlich kluger Weg.
Viele dieser Probleme erfordern eine gemeinsame, konzertierte
Aktion von den Mobilfunkbetreibern, den Herstellern der
Fahrzeugindustrie sowie den Regierungsvertretern und Regulierungsbehörden. Dies ist aktuell noch nicht erkennbar. Mit geeigneten Betreibermodellen muss der Komplexität der heutigen
­Mobilkommunikation und den zum Teil erheblichen Gebühren
bei der Nutzung fremder Netze begegnet werden. I­ nternationale
Absprachen sind notwendig, damit die Dienste auch bei Fahrten
ins Ausland nahtlos verfügbar sind. Für die Nutzer stellt sich
dann die Frage, mit welchen Kosten die Kommunikation ­seines
Fahrzeugs das eigene Budget belastet. Da beide ­Technologien
orthogonale Vorteile besitzen, könnte die Ausstattung der
Fahrzeuge sowohl mit 802.11p WLAN-Techniken als auch
mit Mobilfunk vorgeschlagen werden. Damit profitiert man
­sowohl vom einfacheren Betreibermodell und freien Ressourcen
als auch von der Verwendung der vorhandenen Kommunikationsinfrastruktur zur Behebung des geringen Nutzens für Early
Adopters. Allerdings summieren sich dabei die Einbaukosten
beider Komponenten und die Kosten der Betreibermodelle.
Wenn auch diese Hürde genommen ist, wird sich eine Vielzahl von technisch neuen Lösungen ergeben. Im Bereich Fahrzeugsicherheit und auch Fahreffizienz ist enormes Potenzial zu
erwarten. Trotz aller bisher gelösten Probleme kann im Fahrzeugsicherheitsbereich mit spannenden neuen Anwendungen
und Forschungsthemen gerechnet werden, denen an der Technischen Hochschule Ingolstadt im Forschungsbau CARISSMA,
dem Forschungszentrum für Fahrzeugsicherheit, nachgegangen
wird (www.carissma.eu).
Spannende neue Anwendungen in der Zukunft
Das autonome Fahren bestimmt die Medien auf der ganzen Welt,
vor allem in Zeiten der prestigeträchtigen Automotive Shows.
Die CEOs namhafter Automobilkonzerne sind Stargäste auf den
großen Elektronikmessen und begeistern das Publikum und die
Fachpresse mit selbstfahrenden Autos. Die Realisierung dieser
Vision und der konstant wachsende Individualverkehr verlangen eine intelligente und effiziente Kommunikation der Fahrzeuge untereinander wie auch mit der Infrastruktur, der Cloud,
um die einzelnen Erlebnisse kompetent zu bewerten und a­ ndere
Verkehrsteilnehmer zu informieren und zu lenken. Während
die Technik in vielen Komponenten und Konzepten greifbar ist,
sind noch große Anstrengungen bei allen Beteiligten erforderlich, um weltweit geeignete Betreiber- und Betriebsmodelle zu
finden und zu etablieren. Kreative Ideen sind gefragt, um die
Verbreitung und Nutzung der vielversprechenden Kommunikation von Fahrzeugen zum Wohl aller in die Breite des Markts
zu bringen. Typische Einführungshürden – wenige Nutzer und
teure Technik führen zu geringer Verbreitung und ­resultierend
geringem Kundenmehrwert – müssen mit strategischer Weit-
Prof. Dr. rer. nat. Christian Facchi ist seit 2004 Forschungsprofessor für
­eingebettete und vernetzte Systeme an der Technischen Hochschule Ingolstadt.
2011 übernahm er die wissenschaftliche Leitung des zentralen Forschungsinstituts
der Hochschule Ingolstadt (ZAF). Er forscht im Bereich Fahrzeugsicherheit an
Themen der Car2X-Kommunikation. Zuvor war er in der Entwicklungsabteilung für Mobiltelefone bei Siemens tätig.
Prof. Dr.-Ing. Ernst-H. Göldner hat die Entwicklung der Breitbandkommunikation bei Siemens und später Nokia über viele Jahre intensiv begleitet. Seit
2013 arbeitet er an der Technischen Hochschule Ingolstadt als Professor für
technische Informatik und Kommunikationsnetze.
Raphael Riebl forscht an der Technischen Hochschule Ingolstadt seit Oktober
2013 im Bereich vernetzter Fahrzeuge. Sein Schwerpunkt liegt auf Leistungsbewertungen und Tests für Car2X-Kommunikation auf Basis von Automotive
WLAN/IEEE 802.11p.
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