Predigt vom 25. Oktober 2015, Thomas Eberhardt, Chrischona Thun Predigt: Liebe, weil Du geliebt bist! (Matthäus 5,38-48) Wir sind uns Gerechtigkeit gewohnt. Etwa dort, wo zwei Arbeiter für dieselbe Arbeit denselben Lohn erhalten. Oder auch dort, wo jemand für ein Vergehen gerecht bestraft wird. Z.B. im Fussball: Ein Offside-Tor zählt nicht, alles andere wäre ungerecht. Von hinten mit gestrecktem Bein in den Gegenspieler hineingrätschen gibt nun mal rot. Oder auch im Fussball: Korruption muss bestraft werden, und zwar gerecht! Wer andere betrügt, muss dafür büssen. So sagt es unser Gesetz. Dieses legt auch fest, wie hoch die Busse für zu schnelles Autofahren oder Falschparkieren ist. Oder welche Strafe auf Diebstahl liegt, auf Körperverletzung oder gar Mord. Ja, dieses Gesetz gilt und soll auch angewandt werden, ohne Ansehen der Person. Ein Geschädigter will, dass sein Schaden gerecht ausgeglichen wird. Unrecht soll aufgewogen werden, es soll am Schluss wieder ein Gleichgewicht herrschen zwischen dem Geschädigten und dem Schädigenden. Manchmal ist das nicht möglich. Dann soll Schädigende aber seine gerechte und angemessene Strafe dafür erhalten. Der Geschädigte erhält dann manchmal Schadenersatz. Bei nicht materiellem Schaden (so würde ich es als juristisch Unkundiger sagen) kommen Begriffe wie Schmerzensgeld oder Genugtuung ins Spiel. Der erlittene Schaden soll durch Geld ausgeglichen werden. Das ist angemessen, das ist gerecht. Wir sind uns Gerechtigkeit gewohnt, wir sind von diesem Denken geprägt. Unsere Gesetze regeln unser Zusammenleben. Es soll darum gehen, dass es funktioniert im Alltag, den wir gemeinsam mit unseren Mitmenschen leben. Gemeinsames Leben braucht gewisse Regeln. Das ist gut so. Wenn wir Kinder beim Streiten beobachten oder sie fragen: „Warum hast du ihn geschlagen?“, dann lautet die Antwort meist: „Er hat auch!“ Sie handeln nach dem Grundsatz: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Sie wenden eine alttestamentliche Regel an. Und wir Erwachsenen? Wie machen wir das? Sind wir ehrlich: Handeln wir nicht oft nach derselben Regel? Euch kommen bestimmt auch Auge-umAuge-Beispiele von Erwachsenen in den Sinn: sie vergolten Böses mit Bösem. Ich möchte nun nach diesen vielen negativen Beispielen aber einmal positive Beispiele machen: „Wir sollten doch zum Besuch auch ein Geschenk mitbringen. Sie haben uns doch beim letzten Mal so einen teuren Wein gebracht!“ Oder: „Sie hat mir immer Zutaten zum Backen ausgeliehen. Es ist doch selbstverständlich, dass ich ihr nun auch gebe, was sie braucht.“ Auch da geht es doch um Gerechtigkeit und nach der Regel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Neue Regeln 1. Vergelten Jesus spricht in seiner Bergpredigt auch über diese Regel. Matthäus hat das in seinem Evangelium für uns festgehalten. Da steht: NGÜ Matthäus 5:38-42 38 Ihr wisst, dass es heisst: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn.‹ Diese Regel finden wir an mehreren Stellen im Alten Testament. Es wird damit geregelt, wie man im Streit miteinander umgehen soll. Mit anderen Worten: „Wenn dir jemand auf das eine Auge haut, darfst du zurückschlagen, aber nur so, dass er auch ein Veilchen kriegt.“ Gerechte Vergeltung! Jesus stellt nun aber eine neue Vergeltungsregel auf: Matthäus 5:39-42 39 Ich aber sage euch: Setzt euch nicht zur Wehr gegen den, der euch etwas Böses antut. Im Gegenteil: Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halt ihm auch die linke hin. 40 Wenn einer mit dir vor Gericht gehen will, um zu erreichen, dass er dein Hemd bekommt, dann lass ihm auch den Mantel. 41 Und wenn jemand von dir verlangt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. 42 Gib dem, der dich bittet, und weise den nicht ab, der etwas von dir ausleihen möchte. NGÜ Auf sein Recht verzichten und sich freiwillig ein zweites Mal schlagen lassen? Mehr hergeben, als man vom Gesetz her muss? Jemand eine weitere Strecke begleiten, als er bittet? Jemandem einfach so geben, wenn er mich bittet? Email: [email protected] 1 Predigt vom 25. Oktober 2015, Thomas Eberhardt, Chrischona Thun Wer würde das denn machen?? Naja, ich könnte da ja noch unterscheiden, ob es ein Freund ist oder nicht, den ich begleiten soll. Oder ob es ein Bekannter oder ein Fremder, der klingelt und Backzutaten für sein Brot oder gar Geld erbittet. Aber nein: Jesus sagt es ganz deutlich! Unterscheide nicht zwischen Würdigen und Unwürdigen! Behandle jeden gleich, und so schlag nicht zurück, gib mehr als gefordert, begleite weiter als nötig und gib oder leihe, worum du gebeten wirst. In diesen Beispielen geht es immer auch um den eigenen Nach- oder Vorteil. Wenn wir nach Jesu Forderung handeln, ist klar, dass wir Nachteile in Kauf nehmen sollen. Dies ist leichter gesagt als tatsächlich gelebt. Wenn es Jesus so von mir will: Was braucht es denn, dass ich es auch schaffe? 2. Feinde lieben Bevor ich diese Frage zu beantworten versuche, möchte ich Euch den nächsten Teil seiner Rede zeigen: Matthäus 5:43-48 43 »Ihr wisst, dass es heisst: ›Du sollst deine Mitmenschen lieben, und du sollst deine Feinde hassen.‹ 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen. 45 Damit erweist ihr euch als Söhne eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne über Bösen und Guten aufgehen und lässt es regnen für Gerechte und Ungerechte. 46 Wenn ihr ´nur` die liebt, die euch Liebe erweisen, was für einen Lohn habt ihr dafür zu erwarten? Tun das nicht sogar ´Leute wie` die Zolleinnehmer? 47 Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht sogar die Heiden, ´die Gott nicht kennen`? 48 Ihr aber sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.« NGÜ Jesus setzt hier eigentlich noch einen obendrauf. Der Anfang – den Nächsten lieben und den Feind hassen – passt gut zu unserem Gerechtigkeitsdenken. Menschlich gesehen ist das doch total in Ordnung! Aber Jesus stellt auch hier eine neue Regel auf! Ein starkes Stück! Ich finde das noch schwieriger als das, was Jesus vorhin zum Vergelten gesagt hat. Da möchte ich die Frage wiederholen? Was braucht es denn, dass ich dies schaffe? Wer vermag denn diesen neuen Regeln, die Jesus da aufstellt, zu folgen? Was ist dazu nötig? Grundlage der neuen Regeln: Freiheit Beim Vergelten ging es darum, nicht am eigenen Vorteil festzuhalten, sondern: den Vorteil loszulassen und dafür den Nachteil in Kauf zu nehmen. Etwas Loslassen kannst Du nur dann, wenn Du Dich nicht mehr daran bindest. Wenn Du Dich davon frei machst. Die Grundlage der neuen Regeln ist Freiheit! Sich am eigenen Vorteil halten hat immer mit Selbstsucht, mit der Ich-Sucht zu tun. Mit der Angst, zu kurz zu kommen. Danach zu wenig zu haben. Leiden zu müssen. Ich und ich, wir beide stehen da im Mittelpunkt. Ich bin gefangen von der Ich-Sucht. Unfrei. Jesus will uns jedoch zur Freiheit verhelfen. Wie macht Jesus das? Indem er uns erklärt, was echte Liebe ist. Menschlich gesehen beruht ja auch die Liebe auf Gegenseitigkeit: Um Liebe zu erweisen, warte ich darauf, dass mir zuerst Liebe erwiesen wird. Ich werde erst dann willig, jemandem etwas zu geben, wenn ich selbst etwas erhalten habe. Wenn andere mich freundlich behandeln, bin ich ebenfalls freundlich. Aber so läuft alles noch nach der alten Regel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Meine Liebe dreht sich um mich selbst und sie ist letztlich so gross, wie ich selbst glücklich bin. Jesu Liebe ist anders. Er schaut nicht darauf, wie andere ihn behandeln, und liebt sie entsprechend. Sondern er liebt sie, weil er das Beste für sie alle will! Er will das Beste für den, der ihn geschlagen hat. Er will das Beste für den, der ihm vor Gericht sogar das Recht auf seine Kleider geltend macht. Er will das Beste für den, der ihn um Begleitung bittet. Er will das Beste für den, der von ihm etwas ausleihen möchte. Und er will sogar das Beste für seinen Feind! Jesus hat das gelebt und hat dafür sogar in Kauf genommen, am Kreuz zu sterben. Denn das war das Beste für seine Feinde: Dadurch hat er ermöglicht, dass sie für ihre schrecklichen Taten Vergebung empfangen konnten und noch immer können. Er hat nie auf sich selbst und seine Vorteile geschaut, sondern war vollkommen frei. Wieso? Er hat gewusst, dass sein Vater im Himmel sich um alles kümmern wird. Er wusste: Er, sein Sohn, wird keinen Mangel haben, sondern für ihn ist und bleibt gesorgt! Er hat von seinem Vater diese unfassbar grosse Liebe empfangen. Eine Liebe, die ihn frei gemacht hat davon, sich vor Nachteilen Email: [email protected] 2 Predigt vom 25. Oktober 2015, Thomas Eberhardt, Chrischona Thun zu fürchten und sich gegen sie zu wehren. Diese Liebe gibt sein Vater auch uns. Wie begründet Jesus das? Man könnte erwarten, dass er dafür auf das ewige Leben hinweist, welches Gott uns in seiner Liebe schenkt, oder auf die göttliche Vergebung, die alle Schuld tilgt. Jesus aber verweist auf den Sonnenschein und Regen und denkt dabei an den Acker, auf dem das Getreide für unser Brot wächst. Darin kommt Gottes Güte und Liebe zum Ausdruck: Er sorgt für seine Menschenkinder. Und weil Gott für uns sorgt, müssen wir uns nicht vor Nachteilen fürchten, sondern können ruhig bleiben, denn Gott wird in seiner Liebe für uns sorgen. Jesus möchte also (auch wenn er das hier nicht konkret ausspricht), dass wir es ihm gleichtun, auch im Vergelten und in der Feindesliebe. Jemand hat hier einmal eingewandt, er fände es gar nicht so leicht oder sogar problematisch, wenn wir uns immer Jesus als Vorbild nähmen, denn er gehöre als Gottessohn und perfekter Mensch einfach zu einer anderen Kategorie als wir. Wenn ich das nun auf unseren Bibeltext beziehe, wäre es für uns viel schwieriger, Nachteile in Kauf zu nehmen oder den Feind zu lieben, als es für Jesus war. Diesen Einwand kann ich ein Stück weit nachvollziehen. Doch Jesus hat ja gesagt, dass wir ihm nachfolgen sollen. Dennoch möchte ich ein menschliches Beispiel nennen, das uns im Vorhaben stärkt, Jesus auch hier nachzufolgen. Saul, der erste König Israels, war Gott ungehorsam. Deshalb erwählte Gott David als neuen König. Saul, noch immer im Amt, merkte dies und wollte David umbringen. Das war für David eine sehr schwierige Zeit: Er war immer auf der Flucht und musste um sein Leben fürchten. Doch Gott war mit ihm. Er bewahrte ihn vor dem Tod. Er gab ihm sogar seinen Feind in seine Hand: David hätte Saul zweimal töten können, aber er tat es nicht. Vielmehr trauerte er um Feind Saul, als dieser später im Krieg sein Leben verlor. Ich staune, wie David das kann. Ich hätte gejubelt, dass mein Feind endlich weg ist, er aber trauert. Feindesliebe pur! David gibt mir Mut. Er zeigt mir, dass Feindesliebe praktikabel ist, weil er so ganz Mensch ist wie Du und ich. Sein Beispiel gibt Kraft, Jesus nachzufolgen und nach seinen neuen Regeln zu leben. Standesgemäss handeln Jesus zeigt uns in seinen Worten einen ganz wichtigen Zusammenhang auf: Wir sollen unsere Feinde lieben, damit wir Kinder Gottes sind. Ich möchte es so sagen: Es entspricht uns als Gotteskindern, dass wir unsere Feinde lieben. Das gilt auch für den ersten Teil der neuen Regeln (Vergelten). Ein Kind gleicht immer seinen Eltern. Und so gleichen Gotteskinder auch ihrem Vater im Himmel. Er ist einer, der liebt und der gibt, unabhängig von der Person, sondern den Bösen und den Guten. So sollen auch wir unserem Stand gemäss, d.h. als Gotteskinder, handeln wie er. Vollkommen wie Gott Jesus schliesst diesen Teil seiner Rede mit einem kraftvollen Satz ab: Wir sollen vollkommen sein, wie unser Vater im Himmel vollkommen ist. So steht es jedenfalls in den meisten Übersetzungen. Das ist ein hoher Anspruch, den Jesus an uns stellt: vollkommen sein wie Gott! Ich bin schon einige Male über diese Aussage Jesu gestolpert. Wir sollen vollkommen sein – das geht doch nie! Wie kann er nur so etwas verlangen? Da müssen wir wissen: In diesen Worten liegt beides: Ein Anspruch und ein Zuspruch! Im Griechischen steht es nämlich im Futur: Ihr werdet vollkommen sein! Dass wir nach Gottes ganzer, vollkommener, reiner Liebe streben, das ist Jesu Gebot, der Anspruch. Aber gleichzeitig sagt Jesus: Ihr werdet diese vollkommene Liebe empfangen. Wie: Indem Gott uns verzeiht, kommen auch wir zum Verzeihen. Und indem wir in der Vergebung Gottes Gnade erfahren und erkennen, geben wir diese Gnade an andere weiter, indem wir ihnen wohltun. Jesus hat es vollbracht, dass wir mit Gott Gemeinschaft haben können. Er hat uns zu Gottes Kindern gemacht. Dieser Stand ist fix, unverlierbar. Wir gehören zu Gottes Reich. Weil wir alles haben und darin diese vollkommene Liebe Gottes erfahren haben, können wir nun auch dann lieben, wenn es – menschlich gesehen – ungerecht ist. Wenn wir – menschlich gesehen – einen Nachteil haben. Vor ein paar Wochen haben wir für einen jungen Somali Geld zusammengelegt. Wir haben ihm dadurch unsere Liebe gezeigt, die wir selbst von Jesus erfahren haben. Er schien mir damals ehrlich zu sein, und das nehme ich weiterhin an, auch wenn ich es bis heute nicht geschafft habe, den Kontakt Email: [email protected] 3 Predigt vom 25. Oktober 2015, Thomas Eberhardt, Chrischona Thun zu ihm wiederherzustellen. Aber selbst wenn er schlussendlich doch nicht die Wahrheit gesagt hätte: Er hat unsere Liebe, ja: letztlich Gottes Liebe erfahren. Somit war er ein Mensch auf unserem Übungsfeld der Liebe, auf welchen wohl noch viele weitere Menschen folgen werden. Wir sind durch unsere Gabe der Liebe ein Stück weit gewachsen hin zu dieser vollkommenen Liebe Gottes. Wir haben nicht auf unseren möglichen Nachteil gesehen, sondern haben gegeben, weil er uns gebeten hat. Es war eine Tat der Liebe, die wir getan haben, weil wir selbst geliebt sind, Geliebte Gottes, unseres Vaters im Himmel. Amen. Einige ergänzende Bibeltexte zum selber nachlesen: Matthäus 5:4-12 Matthäus 7:12 Lukas 23:34 Johannes 18:22-23 Römer 12:14.17-21 2. Korinther 13:11 Epheser 5:1-2 1. Petrus 2:20-23 Klagelieder 3:25-36 3. Mose 19:18 3. Mose 19:2 Psalm 34; 52; 56; 62 Einige Fragen, z.B. für den Hauskreis: Bist Du jemand, der zugunsten des Anderen Nachteile in Kauf nimmt? Weshalb ja, weshalb nein? Falls Du Nachteile in Kauf nimmst: Was ist Dein wahres Motiv? Welche Situationen fallen Dir ein, in welchen Du auf ungerechte Weise benachteiligt wurdest? Wie hast Du Dich darin gefühlt? Wie geht es Dir, wenn Dich jemand um etwas bittet? Macht es einen Unterschied, ob Du schenken oder leihen sollst? Und kommt es darauf an, wer Dich bittet? „Liebt eure Feinde.“ Gibt es eine Situation oder eine Person, auf welche bezogen Dich dieses Gebot Jesu herausfordert? Weshalb? Email: [email protected] 4
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