Nur gute Ausbildung reicht nicht

BChemische IndustrieV
Nur gute Ausbildung reicht nicht
Wieland Wolf, Holger Bengs
Traut man den Zahlen, dann laufen Biologika chemischen Wirkstoffen den Rang ab. Für unsere
Gesundheit ist das gut. Doch läuft alles reibungslos?
b Seit dem Jahr 1980 führten Unternehmen weltweit etwa 260 neue
Medikamente mit biotechnisch erzeugten Wirkstoffen ein. Diese Biologika richten sich gegen 230 Erkrankungen, gegen die es vorher
keine Behandlung gab: rheumatoide Arthritis, verschiedene Krebsoder seltene Stoffwechselkrankheiten. Im Jahr 2013 ergaben sich aus
Biologika Umsätze von mehr als
175 Mrd. US-Dollar (USD).1,2) Bereits 47 % aller Blockbuster – Medikamente mit mehr als 1 Mrd. USD
Umsatz pro Jahr – sind Biologika.
Wo steht Deutschland?
b Kürzlich ließen drei Meldungen
aus der medizinischen Biotechnik
aufhorchen: Der US-amerikanische
Pharmakonzern Baxter übernahm
für 200 Mio. Euro das Münchner
Unternehmen Suppremol.3) Es hat
für schwere Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematosus
erste Wirksamkeitsdaten aus der
klinischen Phase IIa. Das Tübinger
Unternehmen Curevac erhielt
46 Mio. Euro von der Gates Foundation für die Entwicklung von
Therapien viraler, bakterieller und
parasitärer Infektionskrankheiten,
von denen besonders Patienten
einkommensschwacher Länder betroffen sind.4) Und der Heidelberger Phenex Pharmaceuticals gelang
der Verkauf des Entwicklungsprogramms für Lebererkrankungen an
das US-amerikanische Pharmaund Biotechunternehmen Gilead
für bis zu 440 Mio. Euro.5)
Doch es fehlt die Breite: In
Deutschland stellen die Entwickler
neuer, biotechbasierter Arzneimittel mit 48 Unternehmen nur 17 %
der in der medizinischen Biotechnik aktiven Unternehmen. Im Jahr
2013 befanden sich 91 Präparate in
unterschiedlichen Stadien der klinischen Prüfung – ein leichtes Minus gegenüber dem Jahr 2012 (93),
ein deutliches gegenüber dem Jahr
2011 (109).6) Deutschland ist in
Europa nur noch die Nummer Drei
nach Großbritannien und der
Schweiz.7)
Der US-Pharmaverband PhRMA
zählt für US-amerikanische Unternehmen im Jahr 2013 insgesamt
907 biopharmazeutische Arzneimittel und Vakzine,8) die sich in
der Erprobung befinden, darunter
338 gegen Krebs, 176 gegen Infektionskrankheiten, 71 gegen Autoimmunerkrankungen und 58 gegen Herzkreislauferkrankungen.
Mangel an Eigenkapital
b Wie sieht es mit der Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland
aus? Dass in den USA etwa zehn
Mal mehr biologische Arzneimittel
entwickelt werden als in Deutschland, liegt immer noch an fehlendem Eigenkapital. In den USA
fließt mit mehr als 2 Mio. US-Dollar durchschnittlich vier Mal mehr
Venture Capital in ein Biotechunternehmen.6) Und während die
Zahl der US-Börsengänge auf Rekordniveau ist – 63 waren es im
Jahr 2014 –9) schleicht sich mit
Nachrichten aus der Chemie| 2015 | Juni 2015 | www.gdch.de/nachrichten
Zellfermentation in der Biopharmazeutischen Herstellung.
Foto: Boehringer Ingelheim
dem Unternehmen Probiodrug aus
Halle, spezialisiert auf die Alzheimer-Krankheit, ein einziges deutsches Biotechunternehmen an die
Euronext-Börse in Amsterdam.10)
In den USA betrug der durchschnittliche Aktien-Emissionserlös
umgerechnet mehr als 60 Mio.
Euro pro Unternehmen, Probiodrug erlöste 22,5 Mio. Euro.11
Das ist nicht gesund für einen
Hochtechnologie-Standort. Für die
Zukunftssicherung drängen seit
Jahren Unternehmer und Verbände
wie Bio Deutschland darauf, mehr
steuerliche Anreize für risikobehaftete Entwicklungsinvestitionen zu
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schaffen. Während der Markt für
Biologika global wächst, besteht
die Gefahr, dass Deutschland zurückfällt.
Hochwertige Produktion
b Besser läuft es in der Produktion. Das globale jährliche Wachstum des Marktes für Biologika beträgt 10 %.12) Bis zum Jahr 2019
könnte er auf 387 Mrd. US-Dollar
Jahresumsatz steigen. Dabei werden neue Technologien wie Antikörper-Konjugate, pegylierte Antikörper, gentechnisch optimierte
Wirkstoffproteine und neue Vakzine die Treiber sein. Trotz des
Wachstums gibt es inzwischen ein
Überangebot an Produktionskapazitäten.13) Dabei liegt die durchschnittliche Auslastung der Anlagen für Produkte aus Säugerzellen
bei 68 % und bei mikrobiellen Verfahren sogar bei 84 %. Der Auftragsmarkt wächst jährlich bis zu
10 %.
Grundsätzlich ist es für kleine
und mittlere Unternehmen unwirtschaftlich, ein eigenes Entwicklungs- und Produktionsteam sowie
die erforderlichen Anlagen aufzubauen. In Deutschland haben einige Auftragsentwickler und -produzenten einen international sehr guten Ruf, darunter Boehringer Ingelheim, Rentschler, Probiogen, Glycotope und Nordmark. Die Attraktivität Deutschlands als Entwicklungs- und Produktionsstandort ist
gegeben, auch mit angekündigten
und jüngst getätigten Investitionen, etwa von Roche in Penzberg,
von Boehringer in Biberach, Rentschler in Laupheim und Probiogen
in Berlin.
Aufgrund seiner zentralen Lage,
einer exzellenten Infrastruktur, der
hervorragenden Ausbildung und
Zuverlässigkeit des Personals sowie seiner politischen Stabilität ist
Deutschland bevorzugt. Durch die
Automatisierung bei der Produktion sind auch die höheren Lohnkosten noch verträglich. Hier
kommt es auf Zuverlässigkeit und
im Störungsfall auf schnelle und
qualifizierte Intervention an. Gut
ausgebildetes Personal, eine hohe
Arbeitsethik, ein schneller Service
und eine perfekte Ersatzteilversorgung sind die kritischen Erfolgsparameter. Bei der personalintensiven Prozessentwicklung wird es
dagegen schwieriger, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten.
Intensiver Technologietransfer
b Noch einen Schritt früher in der
Wertschöpfung geht es um Optimierung des Wissenstransfers aus
den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in die Unternehmen.
Die Intensität des Austausches zwischen Forschern und potenziellen
Anwendern muss daher weiter gefördert und gegenseitiges Verständnis muss entwickelt werden. Die
Technologietransferstellen an Universitäten und Forschungseinrichtungen sind ein erster und vielerorts erfolgreicher Schritt. Dennoch
verbleibt Potenzial, die Situation zu
verbessern.
So wird verschiedentlich der
Austausch zwischen Wissenschaftlern aus den Hochschulen und denen aus der Industrie gefördert –
und dabei werden die Kaufleute
eingebunden. Eine der ersten Aktivitäten war hier die im Jahr 2008
erstmals durchgeführte Science to
Market Conference der Europäischen Arbeitsgemeinschaft für
Pharmazeutische Biotechnologie
(EAPB).14) Regionale Börsen wie
der m4 Technology Transfer Summit2) und die Biovaria15) liefern Impulse, und neue Formate im Technologietransfer
machen
erste
Schritte: Mit der products2come
startete eine Online-Messe.16)
bundesweit koordinierte Technologie-Transferplattform, die nach
standardisierten Formaten agiert,
wäre am Anfang der Wertschöpfung wertvoll. Am Ende, in der Vermarktung, sollten wir mehr zutrauen in unsere Technologien haben.
Auch angesichts der Niedrigzinsphase ist der Vorschlag, 1 % unseres Volksvermögens in Hightech zu
investieren, ein wertvoller Denkansatz.7) Die Schweizer machen es
uns vor.17)
Quellen
1) R. Evans, K. Kaitin, Health Affairs 2015,
34, 210.
4
2) m Technology Transfer Summit, München, 23. März 2015, Vortrag H. Domdey.
3) www.suppremol.com, 4. März 2015.
4) www.curevac.com, 5. März 2015.
5) www.phenex-pharma.com, 6. Januar
2015.
6) Die deutsche Biotechnologie-Branche
2014, www.biotechnologie.de.
7) Deutscher Biotechnologie-Report 2014,
EY.
8) Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (PhRMA), Biologics,
2013 Report, www.phrma.org.
9) www.biotechnologie.de, 20.1.2015.
10) www.probiodrug.com, 23.10.2014.
11) Im Jahr 2014 gingen auch die deutschen
Biotech-Unternehmen Affimed und Pieris
an US-amerikanische Börsen.
12) www.bccresearch.com.
13) Biopharmaceutical Contract Manufacturing 2014: Improving Markets, Services,
and Technologies, High Tech Business
Decisions (USA).
14) 7th Science to Market – Leveraging Synergies, 7. und 8. September 2015, Frankfurt, www.eapb.org.
15) www.biovaria.org, 11. Mai 2015.
16) Dechema, www.products2come.org.
17) Deutscher Biotechnologie-Report 2015,
EY.
Wieland Wolf ist CEO des
Berliner Biotechunternehmens Probiogen. Der promovierte Biologe ist zudem
Fazit für Deutschland
Präsident
der
European
Association Pharma Bio-
Personal.
b Hochqualifiziertes
Ausbaufähiger Technologietransfer.
Kein Kapital.
Die Biotechnologie hat sich über
die letzten 20 Jahre gut entwickelt.
Um international nicht den Anschluss zu verpassen, müssen wir
jedoch in der Breite mehr aus unseren Möglichkeiten machen. Eine
technology (EAPB) und Mitglied des Executive
Committee der EAPB.
www.eapb.org
Holger Bengs, Geschäftsführer von BCNP Consultants
in
Frankfurt
am
Main,
ist
Mitglied
des
Extended Board der EAPB.
Er ist Kaufmann und promovierte in Chemie.
Nachrichten aus der Chemie| 2015 | Juni 2015 | www.gdch.de/nachrichten