Louise Hermanová berichtet über ihre - NS

Louise Hermanová:
Meine Begegnungen mit Fredy Hirsch
Fredy
Hirsch
kannte
ich
schon
aus
Prag
vom
Hagibor-
Kinderspielplatz am jüdischen Friedhof. Da ich zu den früher
Geborenen gehöre, hatte ich schon in Theresienstadt das Glück,
dass ich meine fachliche Ausbildung und Praxis hatte und von Fredy
Hirsch gleich zu den Vorschulkindern in ein Heim zugeteilt wurde.
Fredy Hirsch war ein junger Deutscher, welcher in Aachen geboren
war und die Hochschule für Körperkultur absolviert hatte und schon in
Prag und später sich der Kleinkinder und Kinder annahm und
aufopferte. Er widmete sich den Kindern mit großer Begeisterung und
wurde im Laufe der Zeit das Vorbild für sie. Er wurde mit Egon
Redlich (Gonki) als Jugendleiter eingesetzt. Er imponierte den
Deutschen durch sein typisch strammes, deutsches Auftreten, er war
immer tadellos sauber angezogen, ein geschniegeltes Äußeres, er
sah gut aus, hatte die typische preußische Disziplin. Den Eindruck,
den er auf die Lagerführung machte, nutzte Fredy Hirsch zu jeder
Zeit. Schon in Theresienstadt waren dank ihm und seinen
Mitarbeitern ein Säuglingsheim, ein Kriechlingsheim, ein Heim für
Vorschulerziehung, Kinderheime für Knaben und Mädchen und einige
Jugendheime erzielt worden. Sodass die Kinder – die Jugend vor
allem beschäftigt war und mit Gleichaltrigen lebte und nicht mit alten
und kranken Menschen zusammengepfercht war. Nur dies allein war
schon viel. Wir mussten uns natürlich viel einfallen lassen, um uns
eine harmlose Beschäftigung auszudenken, unterrichten war ja
verboten. Trotzdem gelang es mit selbst angefertigten Behelfen,
eingeschmuggelten Lehrbüchern, den Kindern Vieles beizubringen,
sogar die Jugendlichen für die Reifeprüfung vorzubereiten, sodass
einige der Überlebenden später nach Kriegsende, gleich weiter an die
Hochschule studieren gehen konnten.
Als ich dann nach Auschwitz weiter deportiert wurde, war es
abermals Fredy Hirsch, der einige junge Leute, unter ihnen auch
mich, sofort nach der Ankunft aus der Baracke herausholte, vor allem
diejenigen, welche schon in Theresienstadt in der Erziehungsarbeit
tätig waren. Mit deren Hilfe fasste er die 700 Kinder, die bisher auch
nur Nummern waren, nach Alter und Sprache zusammen. Er erwirkte
für die Kinder ein besseres Essen, das aus dem Zigeunerlager zu uns
gebracht wurde. Dank seiner guten Beziehungen gelang es ihm auch,
einen Teil der Pakete, die ins KZ kamen und den Empfängern nicht
zugestellt wurden (wenn diese zum Beispiel bereits gestorben waren)
fürs Kinderheim zu bekommen.
Nachdem Fredy die Lagerführung davon überzeugen konnte,
dass es wichtig sei, wenn die Kinder die deutsche Sprache lernen,
durfte eine Art Schule eingerichtet werden. Natürlich wurde alles
andere eher unterrichtet und den Kindern wurden nur einige deutsche
Sätze eingedrillt, für den Fall, dass ein deutscher Besuch ins Heim
kommt. Wir mussten immer auf der Hut sein. Die SS kam uns oft
besuchen, um zu sehen, wie es den Kindern geht und wie sie lernen.
Dem „Besuch“ mussten dann die Kinder in „Habt Acht“ deutsche
Gedichte herunterleiern. Der musterhaften Ordnung im Heim unter
Fredys Leitung war es zu verdanken, dass die SS Gefallen am
Kinderblock fand, ihn den Leitern anderer Lager oft als Kuriosität
vorführte.
Es standen unter den Birkenauer Verhältnissen dem Unterricht große
Schwierigkeiten im Wege: nicht nur die räumliche Enge, Mangel an
Büchern, Papier und Bleistiften, manche Kinder hatten nie einen
geregelten Unterricht genossen. Sie waren an Erfahrungen so alt wie
wir und darüber hinaus, viel skeptischer und sogar zynisch, denn in
ihrem kurzen Leben hatten sie wenig Gelegenheit, Gutes und
Schönes zu sehen. Glauben konnten sie gar nichts – doch an etwas
glaubten sie noch: an die Allgewalt des Kamins, der vor ihren Augen
rauchte.
Eine Ausstellung von Spielsachen und Bildern, welche die Kinder
selbst angefertigt hatten, fanden bei der SS „Bewunderung“. Dies und
andere Schwierigkeiten, welche wir überwinden mussten, brachten
aber doch Erfolg und so wurde ein zweiter Block als Tagesheim, von
der SS für die Kinder frei gegeben, sodass Mütter mit Kindern von
drei bis acht Jahren und die Betreuerinnen auf einem separaten
Block waren. Das erleichterte wesentlich unsere Arbeit. Die Kinder
bekamen täglich eine wirklich gute Suppe, mussten nicht draußen vor
dem Block, in Regen und Kälte stundenlang Appell stehen, wir
durften die Kinder drinnen im Block aufreihen und wurden gezählt,
außerdem war der Kinderblock der einzige, wo im Kamin geheizt
werden durfte.
Diese gespenstische Idylle im wilden Meer von Birkenau, wurde
grausam
zerstört,
nachdem
die
sechsmonatige
Frist
des
Theresienstädter Transports abgelaufen war. Trotzdem von der
Lagerführung verbreitet wurde, dass die Angehörigen dieses
Transports in ein Arbeitslager verlegt werden, wurden wilde, aber
auch optimistische Gerüchte verbreitet, man hoffte auf ein baldiges
Kriegsende. Wir wurden nur stutzig, dass Fredy, der zu den
Bestinformierten gehörte, mit finsterer Miene herumging, aber es war
nichts von ihm zu erfahren. Informationen über die bevorstehende
Vernichtung sickerten durch und weckten das Verlangen, sich zu
wehren. Wenn auch keine reale Hoffnung auf eine erfolgreiche
Abwehr der Vernichtung aufkommen konnte, so wollten wir doch nicht
unbemerkt bleiben und für diesen Fall wollten wir Birkenau in
Flammen setzen und eventuell nur dadurch das Vernichtungswerk
verzögern. Diejenigen, die sich mit diesen Plänen befassten,
vertrauten Fredy Hirsch die Leitung dieser Aktion an, denn er verfügte
über die nötige Autorität. Als er von der Widerstandsbewegung am 6.
März informiert wurde, dass die Krematorien zur Aufnahme
der
Insassen des Familienlagers vorbereitet werden, erwiderte er, er
kenne seine Pflicht. Doch er gab nicht das Zeichen zum Aufstand.
Am späten Abend dieses Tages vergiftete er sich. Mit 3791 anderen
wurde er auf Lastautos in die Gaskammer gebracht. Die Gründe für
seine letzte Entscheidung hat er bei sich behalten – angeblich weil er
um das Vertrauen an ihn, den Anderen gegenüber nicht zu zerstören,
denn er sagte stets: „Ich bleib bei euch – ich verlasse euch nicht.“,
trotzdem er die Möglichkeit zu bleiben.
In Auschwitz war auch noch ein späterer Transport, der vom
Dezember, dessen Mitglieder damals nicht ermordet wurden, weil
ihre sechsmonatige Frist noch nicht abgelaufen war. Fredy Hirsch hat
die Leitung des Heimes den Mitarbeitern aus diesem Transport
übergeben und Grüße an Freunde in Israel aufgetragen hatte mit den
Worten: Er sei mit den Deutschen gut ausgekommen, getraut habe er
ihnen aber nie. Sie haben ihm vorgeschlagen, mit uns (also mit den
Angehörigen des 2. Transportes) im Lager zu bleiben. Fredy Hirsch
lehnte es ab. Er wollte mit „seinen Kindern“ aus dem ersten Transport
gehen.
Fredy Hirsch ist es zu verdanken, dass schließlich eine Gruppe von
Jugendlichen der allgemeinen Vernichtung entkam.
Auch ich persönlich habe nur ihm mein gerettetes Leben zu
verdanken, anders hätte ich überhaupt keine Chance gehabt zu
überleben.