Predigt 2. Mose 16: „Schmecket und sehet …“ Pfarrer Florian Kunz Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst. Und der HERR sprach zu Mose: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin. Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. Das ist's aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. Und die Israeliten taten's und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man's nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte. Und Mose sprach zu ihnen: Niemand lasse etwas davon übrig bis zum nächsten Morgen. Aber sie gehorchten Mose nicht. Und etliche ließen davon übrig bis zum nächsten Morgen; da wurde es voller Würmer und stinkend. Und Mose wurde zornig auf sie. Sie sammelten aber alle Morgen, soviel ein jeder zum Essen brauchte. Wenn aber die Sonne heiß schien, zerschmolz es. Und das Haus Israel nannte es Manna. Und es war wie weißer Koriandersamen und hatte einen Geschmack wie Semmel mit Honig. Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist. Doch vor dem Schmecken und Sehen kommt das Murren. Das Murren und das Knurren leerer Bäuche, das Scharren wundgelaufener Füße, das Fäusteballen müder Hände. Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst. Vor dem Schmecken und Sehen kommt das Murren. Und mit dem Murren, der verklärte Blick zurück. „Früher war alles besser!“ Diesen gefährlichnostalgischen Schlager stimmen sie an: „Früher beim Pharao war alles besser!“ Ja gut - Diktatur, Sklaverei, Steine schleppen bis zum Umfallen, Peitschenhiebe in der Mittagshitze. Ja gut. Aber wir hatten immer genug zu essen, wir hatten Sicherheit, wir wussten was der morgige Tag bringt. Alles besser als hier in der Wüste zu sein!“ Vor dem Schmecken und Sehen kommt das Murren. Und das Murren wird erhört: Wachteln am Abend und Brot am Morgen - klein und rund, wächst aus frischem Tau, süß ist es, ein Geschmack wie Semmel mit Honig. So ein Brot haben sie noch nie gesehen. „Man hu?“ fragen die Israeliten. „Was ist das?“ So kommt das Brot zu seinem Namen: „Manna“. Ein Wunder? Zumindest eines, das den Naturgesetzen folgt. Schon dem antiken Historiker Flavius Josephus war diese Naturerscheinung vertraut. Heutige Forscher haben sie untersucht. In der südlichen Wüste Israels wächst ein Baum, die Manna-Tamariske. Schildläuse besiedeln ihn. Saugen Pflanzensaft und wandeln ihn in ein Harz um, das sie ausscheiden. Zu weiß-gelblichen Kügelchen verhärtet fällt es zu Boden und wird von Ameisen zusammen getragen. Die Beduinen verwenden diesen Honigtau, den man nur in der morgendlichen Kühle einsammeln kann als Honigersatz. „Man hu? – Was ist das?“ Mose antwortet auf diese Frage nicht als Biologielehrer sondern als Zeuge der Güte Gottes. Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat. Es ist das tägliche Brot, genau hier in dieser Situation. Gottes Güte ist jeden Morgen neu, liegt bereit wie Morgentau: Manna, honigsüße Himmelsspeise. Sie sammeln sie ein und es reicht für jeden. Keiner kommt zu kurz. Gott gibt jedem was er braucht. Süß - so schmeckt das Leben. Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist. Aus einer Erzählung von Heinrich Böll. Der Protagonist Walter Fendrich erinnert sich an seine Lehrlingszeit kurz nach Kriegsende. Brot ist knapp geworden unter den Menschen und Liebe und Zuneigung auch. „Wenn Vaters Geld kam, ging ich zum Schwarzmarkt, kaufte mir ein ganzes Zwei- oder Dreipfundbrot, frisch aus der Bäckerei, setzte mich damit auf eine Bank oder irgendwo in die Trümmer, brach das Brot in der Mitte durch und aß es mit meinen schmutzigen Händen, indem ich Stücke davon abriss und in den Mund steckte; manchmal dampfte es noch, war innen ganz warm, und ich hatte für Augenblicke das Gefühl, ein lebendes Wesen in den Händen zu haben. Oft wickelte ich einen Teil des Brotes in Zeitungspapier, steckte es in meine Werkzeugtasche, aber wenn ich dann hundert Schritte gegangen war, blieb ich stehen, packte es wieder aus und verschlang den Rest auf der Straße stehend. Wenn es ein Dreipfundbrot gewesen war, war ich so satt, dass ich im Lehrlingsheim mein Abendbrot an einen anderen abtrat und mich gleich ins Bett legte; und ich lag, in meine Decken gewickelt, allein oben im Schlafsaal, den Magen voll süßen, frischen Brotes, fast stumpfsinnig vor Sättigung.“ Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist. „Liebe geht durch den Magen“ heißt es. Für Mutterliebe gilt das besonders. Die Mutter ist es, die ein kleines Menschenwesen vor und nach seiner Geburt ernährt. Und zumindest früher waren es vor allem die Mütter die das Essen gekocht, Kuchen gebacken oder Pausenbrote geschmiert haben. Wer an seine Kindheit denkt, der sieht auch vor sich was Zuhause so auf den Tisch kam, hat noch Geschmäcker im Gedächtnis und manch köstliche Erinnerung auf der Zunge. Der weiß, es gab diese Kartoffelsuppe oder diesen Käsekuchen – die konnte keiner so machen wie sie. Als ob sie etwas von sich da hineingelegt hätte, als ob man Liebe löffeln könnte. Wer zurückdenkt, der weiß auch, es gab diese Tage, an denen die Welt unterzugehen schien. Doch Zuhause wartete ein dampfender Teller auf einen und es wurden Scheiben dunklen Brotes abgeschnitten. Da brauchte es keine Worte, damit war alles gesagt und alles klar und die Welt erstmal wieder gerettet. Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist. Einer kennt unseren Hunger nach Leben, nach Liebe, nach Ganzheit, nach Sinn. In Wüstenzeiten oder auf grünen Auen, im Freudenjubel und in der tiefsten Traurigkeit – auch dann wenn die Welt unterzugehen scheint – einer bereitet einen Tisch für uns, lädt uns ein zum Mahl. Wachteln und Manna, Fische, Brot und Wein, Bitteres und Honigsüßes, Magentrost und Seelenspeise. Manchmal ist es nur ein Wort, das unseren Hunger stillt und wir verkosten es in unseren Herzen. Ich bin das Brot des Lebens sagt der, der den Tisch bereitet, uns zum Mahl einlädt. „Ich bin das Brot – das elementare Lebensmittel. Mittel zum Leben, ja das Leben selbst. Und was ich euch gebe – darin gebe ich mich, lege mich selbst hinein. Liebe geht durch den Magen. Kommt denn es ist alles bereit!“ Und wir kommen und essen, teilen miteinander, Manna, Fische, Brot und Wein, Worte und Taten, Trost und Zuneigung. Und verwundert stellen wir fest: „Es reicht! Es reicht für jeden. Keiner kommt zu kurz. Müsste so nicht die Welt sein?“ An dieser Frage haben wir zu knabbern. Beim Mahl nehmen wir nur so viel wie wir jetzt brauchen, Vorräte anlegen funktioniert nicht. Mit Gottes Güte, seinem Wort, ist es wie mit dem Manna in der Wüste. Es lässt sich nicht konservieren. Wenn man es für sich hortet und alleinbeansprucht verdirbt es. Jeden Tag neu muss man es entdecken, wie frischen Morgentau, muss es sich immer wieder schenken und sagen lassen. Und vor allem: Es weitergeben, damit auch andere auf den Geschmack kommen. Und zuletzt: Satt sein, glücklich, erfüllt von Gott. Den Geschmack noch auf der Zunge spüren. Die Freude verkosten. Süß – so schmeckt das Leben. Amen.
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