Predigt

Konfirmationspredigt am 10.5.2015 in der
Nichts ungewöhnliches, oder? Aber jetzt:
Michaelskirche, Waiblingen
„Komm, wir essen Opa!“
Text: Jahreslosung Röm 15,7
Kleine Änderung, große Wirkung. Die beiden Sätze
„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu
kursieren unter der Überschrift „Zeichensetzung rettet
Gottes Lob.“
Leben!“ im Internet. Eure Deutschlehrer würden sich
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe
freuen.
Gemeinde,
Was aber hat das mit Eurer Konfirmation zu tun?
„Wie wichtig ist ein Komma?“ – Was für eine Frage, denkt
Ihr habt gerade die wichtigsten Grundlagen des Glaubens
Ihr Euch jetzt vielleicht. Darüber regt sich doch nur ein
für die Gemeinde gesprochen und damit uns alle daran
Deutschlehrer auf. Eins mehr oder eins weniger, was
erinnert, worin es beim Glauben geht.
schadet es.
Und ihr habt euch bei der Vorbereitung auf den heutigen
Manchmal wird aber auch ein Komma ganz besonders
Tag immer wieder mit der Jahreslosung befasst: „Nehmt
wichtig, und das sieht man an folgendem Beispiel:
einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes
Plakat hochhalten:
„Komm, wir essen, Opa!“
Lob.“
„Nehmt einander an!“, klar, das ist eine christliche Regel.
Wir Menschen sollen nett zu einander sein, einander
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unterstützen. Uns gegenseitig helfen wenn es klemmt. Und
gekommen, habt allen wie immer hallo gesagt – und dann
vor allem: wir sollen andere nicht ausgrenzen, dissen oder
war da so ein Stinkstiefel, der einfach nicht mitmachen
mobben. Jeder gehört dazu.
wollte. Jemand, der getestet hat, wie weit er gehen kann.
(Und so hat Roman sich im Anspiel vorhin auch schnell
überzeugen lassen, dass das nicht so gut war, Gwendolin
unfreundlich zu behandeln.)
„Nehmt einander an!“ – Ist das nun eine rein menschliche
Leistung? Etwas, wofür Ihr Konfirmanden euch im Leben
entscheidet oder auch nicht?
Ganz klar: wir Menschen sind daran beteiligt. Wenn wir
nicht bereit sind, uns zu öffnen, wenn wir partout jemanden
ausschließen wollen, dann hat dieser jemand keine Chance.
Das haben wir vorhin beim Anspiel gesehen.
Es braucht also unsere menschliche Bereitschaft, auf andere
zuzugehen.
Aber reicht das aus? Vielleicht ist es Euch auch schon
Einer, der die gute Laune der anderen abgeblockt und
schlechte Stimmung verbreitet hat.
In einer Gruppe kann so etwas ganz schnell gehen. Wenn
der Meinungsführer „schlechte Laune“ auf die
Tagesordnung setzt, dann ist es schwer, dagegen zu halten.
Das bedeutet: „Nehmt einander an“, kann nicht gelingen,
wenn sich nur einzelne dafür entscheiden. Dazu braucht es
viele einzelne. Ein Netzwerk, so stark, dass es auch
Stinkstiefel erträgt; ein Netzwerk so mit positiver Energie
geladen, dass es sich nicht so einfach umpolen lässt.
Und nun komme ich endlich wieder zu meinem Komma.
Denn in unserer Jahreslosung heißt es „Nehmt einander an,
wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“
einmal so ergangen: Ihr wart gut gelaunt, seid in die Klasse
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Als die Jahreslosung neu war, habe ich immer gehört:
die wir ehrlich mögen, und den Menschen, die wir aus
„nehmt einander an … zu Gottes Lob“. Ich habe gehört,
Anstand und guter Erziehung gerade noch so ertragen.
dass wir Menschen Gott loben sollen, indem wir fair und
solidarisch miteinander umgehen.
Aber das steht da nicht. Da ist nämlich nur ein Komma in
diesem Satz und das bedeutet: „zu Gottes Lob“ bezieht sich
nicht auf das, was wir Menschen tun, sondern auf das, was
Christus tut: Christus hat uns angenommen zu Gottes Lob.
So ein kleines Komma kann eben einen ziemlich großen
Unterscheid machen.
„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu
Gottes Lob“. Den Nebensatz überhören wir gerne, oder?
Aber der ist ganz entscheidend. Denn Paulus will uns sagen,
dass wir einander nicht nur nach Menschenart akzeptieren
sollen.
Klar können wir ein frommes Gebot befolgen und einen
Nachmittag lang nett sein. Aber darüber hinaus?
Hand aufs Herz, Konfis wie alle anderen: gelingt es uns
tatsächlich, andere, fremde Menschen zu akzeptieren, ihnen
mit derselben Offenheit zu begegnen wie denen, die uns am
Herzen liegen? Das tut es nur ganz selten.
Es ist ein hartes Stück Arbeit, das jeder von uns an sich
selber lebenslang leisten muss, diese Offenheit immer
wieder zu entwickeln.
Leichter wird es, wenn wir selbst gute Erfahrungen mit
Offenheit gemacht haben. Und richtig von Herzen
bekommen wir es vielleicht nur hin, wenn wir selbst die
Erfahrung kennen und selbst schon einmal ausgegrenzt
Nach Menschenart, das bedeutet nämlich: wir unterscheiden
waren. Wir Menschen sind so: nur wenn wir selbst unter
trotz aller hehren Ziele sehr wohl zwischen den Menschen,
einem Missstand gelitten haben, bleibt er uns wirklich im
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Gedächtnis. Sonst tendieren wir dazu, ihn
„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu
herunterzuspielen.
Gottes Lob.“
„Ist doch nicht schlimm, wenn in diesem Text keine
Da stellt sich die Frage, wie genau „Christus uns
weiblichen Formulierungen verwendet werden, oder? Die
angenommen hat“ und was das heißen soll: „zu Gottes Lob“
Frauen sind doch immer mitgemeint.“ Der das sagt, würde
Wie hat Christus uns angenommen?
sich wahrscheinlich sehr wundern, wenn er in der Zeitung in
Zukunft nur noch mit „Liebe Leserin“ angesprochen würde.
Als er auf der Erde lebte, hat Jesus uns vorgelebt, was es
heißt, die Ausgeschlossenen hereinzuholen: die Zöllner, die
Oder ein anderes Beispiel:
im Ruf standen, mit den Römern zu kollaborieren und sich
„Wer Mitglied in diesem Verein sein will, muss eben den
selbst zu bereichern; die Prostituierten, die zu allen Zeiten
Jahresbeitrag von 100 € aufbringen. 100 € sind doch nicht
von Bürgern besucht und zu allen Zeiten von bürgerlichen
viel.“ – Sicher nicht für jeden, offensichtlich nicht für den,
Kreisen verabscheut werden; die Sünder, die sich
der das sagt, aber für einen Hartz IV-Empfänger schon.
zurückziehen und mit sich selbst im Streit liegen, weil sie
Wir Menschen bauen unbewusst viele Zäune auf und
denken, zu viel falsch gemacht zu haben.
gruppieren uns um unseresgleichen. Das ist zutiefst
Jesus hat diese festen Bilder von den Ausgeschlossenen
menschlich, aber es verdeckt die Sicht darauf, was Paulus in
nicht akzeptiert. Er hat etwas Wichtiges getan, was alle tun,
Röm 15 meint.
die wirklich etwas Neues in die Welt bringen: Er hat die
Konventionen durchbrochen. Anstand, gute Sitten und guter
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Geschmack waren ihm egal. Er legte keinen Wert darauf, in
(D.h. ein einziges Mal hat er sich zunächst verschlossen, das
„guter“ Gesellschaft zu sein oder für seine Verdienste um
war, als die Samaritanische Frau ihn bat, ihr Kind zu heilen.
die Gemeinschaft von der Regierung geehrt zu werden.
Aber auch hier hat er sich geöffnet.)
Jesus war innerlich frei.
Ja, wenn uns Menschen das auch gelingen würde:
Ich denke, das ist die erste ganz wichtige Voraussetzung
Wegzukommen von der ewigen Frage „Was bringt das
dafür, dass wir andere annehmen können: Dass wir innerlich
mir?“ und der neidischen Abklopferei „Hast du das auch
frei und unabhängig sind; dass wir nicht danach schielen,
verdient?“ hin zu dem liebevollen: „Was brauchst du?“
wie A oder B das nun findet, was wir tun. Dass wir weder
Lohn noch Applaus erwarten.
Wenn ich selbst versuche, das umzusetzen, dann spüre ich
sehr schnell meine Grenzen: Irgendwann wird es mir zu viel
Wer auf diese Weise innerlich frei ist, kann besser
und dann kann ich eben nicht mehr richtig zuhören, was der
hinschauen und sich ohne Vorurteile einem anderen
andere braucht. Dann verstecke ich mich hinter meinen
zuwenden.
Schutzwällen, die da heißen: „Dafür gibt’s doch die Agentur
Das zweite, was Jesus getan hat: er hat einen Menschen, der
in Not zu ihm kam, nie gefragt: Hast du das auch verdient?
Er hat gefragt: Was brauchst Du?
für Arbeit!“ oder „Selbst schuld, dass Du schon wieder alles
vertrunken hast!“ und viele mehr. Vielleicht kennen Sie das
auch?
Uns Menschen gelingt es aus uns heraus anscheinend nicht,
einander so tief und vollständig anzunehmen, wie es fürs
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Zusammenleben notwendig ist. Deshalb ist ein zweiter,
Menschen die Chance haben, wirklich in Frieden unter
genauer Blick auf die Jahreslosung wichtig.
einander und im Frieden mit Gott zu leben.
Denn es heißt ja nicht „Nehmt einander an, wie Jesus euch
Auf den Punkt gebracht: Christus hat uns annehmbar
angenommen hat“, sondern: „wie Christus euch
gemacht, deshalb können wir gut zusammen leben, wenn
angenommen hat zu Gottes Lob.“ Paulus spricht also nicht
wir es nur wollen.
vom irdischen Jesus, sondern vom auferstandenen Christus.
Das, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, ist Euer
Was ist denn da der Unterschied, werden sich nun einige
eigentliches Geschenk an diesem besonderen Tag: Ihr seid
fragen: Ist der Auferstandene nicht derselbe wie der Jesus,
angenommen, schon immer, und ohne dass ihr etwas
der als Mensch gelebt hat, Menschen geheilt und Hungrigen
dazutun müsst.
zu essen gegeben hat?
Wer das in seinem Herzen weiß, geht gut ausgerüstet in die
Ja, er ist derselbe. Und doch hat er als Christus noch eine
Welt hinaus. Er muss sich im Leben nicht auf sich allein
entscheidende Erfahrung dazu gewonnen: Sein Tod am
verlassen. Und wer sich nicht nur auf sich selbst verlässt,
Kreuz war nicht einfach ein schlimmer Justizirrtum. Jesus
sucht und findet Freunde. Er kann mit seinen eigenen
hat sein Leben für uns Menschen gegeben. Er hat den
Fehlern leben – und verzeiht sie auch den anderen.
Teufelskreis von Gewalt, Angst und Rache durchbrochen
indem er sich einfach nicht auf die Machtspiele der
Wer sich nicht nur auf sich selbst verlässt, kann sich in
andere hineinfühlen und ihnen guttun.
Menschen eingelassen hat. Das hat er getan, damit wir
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Tja, liebe Konfirmanden, liebe Gemeinde – Zeichensetzung
rettet Leben:
Gott rettet unser Leben, indem er uns annimmt und liebt wie
wir sind. Als Zeichen dafür hat er das Kreuz gesetzt. Genau
an der richtigen Stelle.
Amen
Elternchor: Schalom, schalom.
(Pfarrerin Dr. Antje Fetzer, 10.5.2015)
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