Neun Wochen als Volontier im Jerusalemer Hospiz

Vom Hospiz-Haus nach Israel:
Neun Wochen als Freiwillige im
Jerusalemer Hospiz
von Andrea Windmeier
Als mich meine Freundin Isabella vor gut einem Jahr fragte, ob ich mir vorstellen
könne, mit ihr für neun Wochen nach Israel zu gehen, um in einem Hospiz in Jerusalem
zu arbeiten, sagte ich spontan „Ja“. Die Idee begeisterte mich. Auch deshalb, weil wir als
junge Frauen – beide Anfang 20 – schon einmal gemeinsam das Heilige Land erkundet
hatten. Damals standen wir am Anfang unserer Laufbahn als Krankenschwestern. Die
Reise war ein reines Ferienvergnügen und unvergesslich. Genau 30 Jahre später wollten
wir uns noch einmal zusammen auf den Weg machen. Diesmal unter ganz anderen
Voraussetzungen. Der Aufenthalt in Israel würde diesmal auch eine persönliche
Herausforderung sein, das war uns von vornherein klar. Mit großer Freude und offen
für alles Neue sind wir Ende Februar in unser Abenteuer gestartet. Und wir wussten
nicht wirklich, was uns erwartet, als wir in München in den Flieger stiegen....
Das French Hospital in Jerusalem
Fast drei Monate Israel – eine Reise der anderen Art. Wir gaben fast unseren gesamten
Jahresurlaub und freie Tage dazu, um fern der Heimat zu arbeiten. Unsere Familien standen
hinter uns, ermutigten uns zu der Reise. Für einige Freunde blieb unsere Entscheidung indes
unverständlich: In den Ferien das zu tun, was man sonst schon im Alltag tut, erstaunte viele.
Uns schreckte es keineswegs, in Jerusalem für ein Taschengeld zu arbeiten, es reizte uns
vielmehr, in einem anderen Land, einem fremden Kulturkreis, unter völlig anderen
Bedingungen als Zuhause, einen Freiwilligendienst zu leisten. Im Gepäck hatten wir unsere
Lust auf Neues, unsere berufliche Erfahrung und unsere Lebenserfahrung.
Das St. Louis Hospital - auch French Hospital genannt - liegt in unmittelbarer Nähe der
Mauer zur Jerusalemer Altstadt. Von außen ein altehrwürdiges, imposantes Gebäude. Im 19.
Jahrhundert war hier ein Krankenhaus untergebracht - gegründet von einem französischen
Orden. Das Haus war zugleich Kloster, wie heute noch. Einige wenige Nonnen bewohnen das
obere Stockwerk. Das St- Louis Hospital ist ein christliches Haus, das in das
Gesundheitssystem Jerusalems eingebunden ist. Es verfügt über 50 Betten und betreut
Krebskranke im fortgeschrittenen Stadium, Wachkomapatienten, HIV-Infizierte in der letzten
Lebensphase und schwerstpflegebedürftige Menschen. Hier sind alle gleich und willkommen:
Palästinenser, Israelis, Juden, Christen und Moslems. Geleitet wird das Hospiz seit vielen
Jahren von Ordensschwester Monika - sie ist die gute Seele des Hauses, der Dienst am
Menschen ist ihre Berufung, ihr Leben.
So hochherrschaftlich das alte Haus von außen auch aussieht, ist es im Inneren bei weitem
nicht. Im Gegenteil! Sanierungsbedarf an allen Ecken und Enden, eine spartanische
Einrichtung, veraltetes Mobiliar, nichts entspricht unserem gewohnten Standard. Es gibt fast
ausschließlich 3-Bett-Zimmer, eine Toilette und eine Dusche pro Station müssen ausreichen.
Geld fehlt und das merkt man. Auch die Unterbringung der Freiwilligen – zumeist junge
Leute zwischen 18 und 25 – ist gewöhnungsbedürftig. Isabella und ich hatten das Glück, jeder
ein winziges, äußerst schlichtes Zimmer für sich zu haben. Wir waren übrigens die einzigen,
die diesen „Luxus“ genießen konnten – wahrscheinlich wegen unseres fortgeschrittenen
Alters ... :) Dusche und Toilette teilten wir wie die anderen jeweils mit zehn weiteren
Männern und Frauen. Sehr gewöhnungsbedürftig!
Andrea Windmeier mit krankem Hospizgast
Unsere Einsätze hatten wir sowohl auf der Station der Wachkomapatienten als auch in der
Palliativ-Abteilung. Pro Schicht ist eine Pflegekraft mit „staatlich geprüftem israelischen
Krankenschwester-Examen“ im Einsatz, zwei Freiwillige sind ihr jeweils zur Seite gestellt.
Unsere Aufgaben waren die tägliche Pflege der Patienten und Hilfestellung beim Essen. Was
wir in Deutschland völlig unterschätzt hatten, wurde zu der größten Herausforderung für uns:
die sprachlichen Barrieren. Mit Englisch kommt man im Umgang mit den Patienten nicht
weit! Wer hebräisch, arabisch, russisch oder vielleicht jiddisch spricht, ist eindeutig im
Vorteil. In dieser Hinsicht waren wir – wie viele andere freiwillige Helfer, die aus aller Welt
nach Jerusalem kommen, um für ein Jahr im Hospiz Dienst zu tun - oft sprachlos.
Aber: Not macht erfinderisch. Wir redeten mit Blicken, Händen und Füßen sowie einzelnen
Worten in verschiedenen Sprachen. So ist es am Ende glücklicherweise doch gelungen, nähere
Beziehungen zu den uns anvertrauten Menschen aufzubauen. Bella und ich haben in den
Wochen in Israel festgestellt, wie wichtig es doch ist, miteinander sprechen, sich mitteilen zu
können, Gefühle zu äußern, auf Emotionen zu reagieren. Insbesondere, wenn man es mit
Menschen zu tun hat, die am Ende ihres Lebens stehen, Schmerzen haben, hilflos sind.
Der Hospiz-Gedanke in Israel ist dem in Deutschland noch um viele Jahre hinterher, das ist
eine Erkenntnis, die wir ebenfalls mitgenommen haben. Natürlich wird auch dort palliative
Pflege betrieben, allerdings: sie wird nicht immer gelebt. Oftmals bekommen Patienten
Nasen-Magen-Sonden, um sie am Ende ihres Lebens mit Flüssigkeit und /oder Nahrung zu
versorgen. Morphine werden eher als Bedarfsmedikation eingesetzt, weniger als
Behandlungsmedikation.
Die Arbeit war für uns auf der einen Seite vertraut und auf der anderen Seite wieder völlig
anders als in Deutschland. Dass Angehörige bis zum Ende oftmals eine maximale Therapie
einfordern, ist dort die Regel. Etwas befremdlich für uns eine Äußerlichkeit: die Patienten im
St. Louis Hospital haben - bis auf Kleinigkeiten - keine persönlichen Sachen bei sich. So
kommt es vor, dass Frauen und Männer, die weit über 80 sind, aus der Hospizkleiderkammer
lustig bedruckte T-Shirts in Knallfarben angezogen bekommen. Toll und nachahmenswert
fanden wir hingegen, dass es einmal in der Woche eine feste Einrichtung im Hospital gibt: ein
Cafe für Angehörige. Bei Kaffee und Tee kommen Menschen zusammen, um miteinander zu
sprechen, zu weinen, sich gegenseitig zu stärken.
Für Isabella und mich war wichtig: die Begegnungen mit den Patienten wurden im Laufe der
zwei Monate intensiver, vertrauensvoller, näher. Auch das Zusammensein mit Schwester
Monika und den vielen jungen Leuten aus aller Welt möchten wir nicht missen. Das waren
ebenfalls ganz besondere Erfahrungen. Und nicht zu vergessen: die „Feierabende“ und unsere
freien Tage haben wir dazu genutzt, die Stadt und das Land zu erkunden. Und – das steht fest
- wir sind weit gekommen...
Neun Wochen Israel. Eine intensive, eine gute Zeit. Eine, die wir nicht vergessen werden. Es
war ein Geschenk, all das zu erleben, was wir erlebt haben.
Blick von der Dachterrasse des Hospizes auf den Ölberg