Predigt über Mt 6,1921 Der Predigttext für diesen Kirchentagsonntag ist zugleich die Losung des Kirchentages im Juni in Dresden und steht bei Matthäus im 6. Kapitel: Häuft nicht auf der Erde Schätze für euch an, wo Motten und Rost sie vernichten, wo eingebrochen und gestohlen wird. Häuft vielmehr im Himmel Schätze für euch an, wo weder Motten noch Rost sie vernichten, wo weder eingebrochen noch gestohlen wird. Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein. Vor einiger Zeit habe ich an einem Kleidungsstück meiner Tochter ein kleines Loch entdeckt. Ich habe mir nichts Böses dabei gedacht‐ vielleicht ist sie beim Spielen irgendwo hängengeblieben? Bei der nächsten Wäsche: schon wieder ein Loch und hier noch eins. Ich hatte einen Verdacht: den Korb mit der restlichen nassen Wäsche stehenlassend begab ich mich ins Kinderzimmer an den Schrank mit den Kleidern. Fach für Fach räumte ich aus, machte sogar eine helle Lampe an, damit ich sie ja alle erwische: Motten! Im untersten, von mir bislang wenig beachteten Fach des Schrankes entdeckte ich tatsächlich kleine eklige Maden: Das sind sie, die kleinen Zerstörer, die in aller Heimlichkeit die schönsten Wollpullover, die Oma liebevoll für ihr Enkelkind gestrickt hat, zerfressen wollen. Ertappt bei der Arbeit! Woran werden sie sich als nächstes machen? An den Teppich? Meine Kleider? Ekelhaft! Ja, mir jagte es einen Schauer des Entsetzens über den Rücken‐ Was mache ich denn jetzt? Mottenpapier!? Das hilft vorbeugend aber doch nicht, wenn die Motten schon da sind, Kochen? Geht bei Wolle nicht, Einfrieren? Gift? Ich gebe „Motten“ bei Google ein: Man bietet mir sogar Parasiten an, die man gegen die lästigen Viecher einsetzen könnte. Ein Kleinkrieg der kleinen Tierchen in meinem Kleiderschank? Wo bin ich nur hingeraten?! Nein! Sie haben mir einigen Respekt eingejagt, diese kleinen Insekten und ich verstehe jetzt sehr gut, dass Jesus von Motten spricht, wenn er ein bedrohliches Bild von Zerstörung beschreiben will. Motten und Rost sind beide hartnäckig und schwer zu bekämpfen, wenn sie einmal ihre Arbeit aufgenommen, wenn sie sich einmal festgesetzt haben. 1 Genau wie Diebe und Einbrecher verrichten Sie ihr Werk im Stillen, an Dingen, die einem lieb und teuer sind und wenn man den Schaden entdeckt, ist es oft schon zu spät. Was ist es, was von Zerstörung bedroht ist, was vernichtet und gestohlen werden kann? Für den Autor unseres Predigttextes sind es die Schätze der Erde, an die wir unser Herz hängen. Die Bezeichnung Schätze der Erde spricht dafür, dass es andere Dinge sind, als die, die er etwas später als Schätze des Himmels bezeichnet. Unsere Schätze hier auf Erden: Schatz nennt man Dinge, die einem sehr wertvoll sind. Zuerst fallen mir materielle Dinge ein: teurer Schmuck, Möbel, ein Haus, ein teures Auto. Schaue ich mir die materiellen Dinge an, dann sehe ich, das mein Herz nicht nur an Luxusgütern hängt. Das ist eher die Ausnahme. Es gibt Vieles, was mir zu besitzen im Alltag unabdingbar scheint: Ich möchte nicht meine Wohnung vermissen, meine Kleidung oder mein Gehalt für meine Arbeit. Ich möchte mir auch gern ab und zu etwas gönnen oder mal zuviel ausgeben dürfen für eine Sache, die ich gern besitzen will. Ich möchte Geld haben fürs Kino, für Unternehmungen mit den Kindern, für den Urlaub. Ist es das, was der Evangelist Matthäus meint? Begriffen wir die Schätze der Erde nur als materielle Dinge, griffen wir zu kurz: Es sind alle Dinge, nicht nur materielle, an die wir unser Herz hängen: Es ist das, was uns umtreibt und unsere Gedanken bindet. Spätestens in der Schule fängt es an, dass sich die Aufmerksamkeit der Kinder konzentrieren soll auf die Leistung, die dort zu vollbringen ist, auf gute Noten, auf zahlreiche Anforderungen, die von außen an sie gestellt werden. Später als Erwachsene können es Anforderungen im Beruf sein, die alles abfordern. Man will gut versorgt sein, weil man, wenigstens wenn man eine Familie hat, auch andere versorgen muss. Man will gut versichert sein, denn im Krankheitsfall, oder wenn man seine Arbeit verliert, möchte man nicht mit leeren Händen dastehen. Manchmal werden auch Überzeugungen, z.B. politische oder Lebensmaximen das, woran man sein Herz hängt. Lieb und teuer sind vielen auch Rituale in der Familie, gemeinsames Feiern z.B. oder Beziehungen zu Freunden. Und natürlich ‐meistens stehen sie an erster Stelle‐: die Menschen, die uns am nächsten sind, die wir lieben. Hier spricht man ja auch davon, dass man sein Herz an sie verschenkt hätte, oder es sogar an sie verloren hat, oder dass sie das Herz gefangen genommen haben. Diese starken Metaphern zeigen, welche Kraft von diesen Herzensbindungen ausgeht. Und vielleicht ist diese Kraft deshalb so stark, weil uns das, wovon wir nicht lassen können, 2 auch in besonderer Weise am Leben hält. Der Mensch, den ich liebe, meine Kinder, Eltern, Freunde. Ich kann nicht von ihnen lassen, weil erst sie mir mein Leben geben, weil ich in der Gemeinschaft mit ihnen erfahren darf, wer ich bin und dass dieses Ich wächst und sich verändert. Unsere heutigen Herzenssymbole können das nur unzureichend zeigen: Luftballons in Herzform, Kekse als Herz, der Kakao auf dem Cappuccino als Herz gestreuselt, Glückwunschkarten mit Herzen, oder der Anhänger an der Kette als goldenes Herz. Fast schon inflationär wird mit diesem Symbol umgegangen, das doch so wichtig ist, weil es zeigt, wo unsere Gefühle sind, wo mehr ist, als unsere romantischsten Vorstellungen ausdrücken können. Soll das alles aufgegeben werden, weil es vergänglich ist, sind es die falschen Dinge, diese Erdenschätze, an denen mein Herz hängt? Im Neuen Testament heißt Herz kardia. Ärzte machen manchmal ein Kardiogramm, um zu prüfen, ob eines unserer wichtigsten Organe, das Herz, noch richtig schlägt. Vom Schlagen des Herzens hängt für unseren Organismus alles ab. Manche definieren den Beginn des Lebens mit dem Schlagen des Herzens beim Embryo. Der Rhythmus des Herzens begleitet den Menschen bis zur letzten Sekunde. Die Bedeutung, die das Herz als Organ des Körpers hat, bestimmte auch seine übertragene Bedeutung in der Antike und somit in den biblischen Texten. Im Gegensatz zu unseren heutigen eher romantischen Vorstellungen des Herzens, die es meist ausschließlich auf den Sitz des Gefühls, vor allem des Liebesgefühls reduzieren, ist das Herz, kardia, in den neutestamentlichen Texten weniger für Gefühle und Emotionen zuständig, sondern vielmehr der Sitz der Erkenntnis und des Willens. Es ist das Zentrum des Denkens und Planens. Das Herz ist das Ich des Menschen, denn bereits in den alttestamentlichen Texten steht es für die treibende Kraft menschlichen Verhaltens. In diesem Sinne begegnet es vor allem dort, wo es um die Gottesbeziehung geht. Dann, wenn Menschen sich Gott verweigern und dann, wenn sie sich erfüllt fühlen vom Heiligen Geist. So sind in den Seligpreisungen, diejenigen selig, die ein reines Herz haben oder im Gleichnis vom Sämann, wird das Herz als der Ort benannt, in den die Botschaft vom Himmelreich gesät wird. Es wird aber auch vom verstockten Herzen erzählt, das sich dem Wirken Jesu verweigert. Das Herz des Menschen entscheidet im Verständnis des Neuen Testaments über seinen Lebenswandel und über seine Beziehung zu Gott. 3 Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein. Der Predigttext vom Schatz und vom Herzen steht in der Bergpredigt. Sie ist das Zentrum des Matthäusevangeliums. Mit einfachen und deutlichen Worten, oft in radikal anmutenden Wendungen predigt Jesus in diesen Texten vom Reich Gottes. Dort ist auf den Punkt gebracht, wie der derjenige handeln soll, der Jesus nachfolgen will. Kompromisse in der Hinwendung zu Gott, scheint es keine zu geben. Das zeigen die Texte der Bergpredigt dann, wenn sie Dinge fordern, die unmöglich erscheinen und sicherlich damals schon provoziert haben: Mir fällt sofort die linke Backe ein, die man hinhalten soll, wenn jemand einem auf die rechte schlägt, oder der Mann, der bereits seine Ehe gebrochen hat, wenn er eine Frau nur begehrlich anschaut. Streng scheint es bei Jesus zuzugehen. Auch im heutigen Evangelientext ist diese Konsequenz spürbar: Der Reiche, der schon so vieles getan hat, um das ewige Leben zu haben, der sich immer an alle Gebote hält, der soll, will er wirklich einen Schatz im Himmel haben, alles verkaufen, was er hat und es den Armen geben. Das kann er nicht und geht traurig weg. Aber nicht nur materielle Dinge sollen aufgegeben werden, sondern die Jünger sollen auch ihre Familien verlassen und Jesus nachfolgen. Ich muss ehrlich sagen: Das gefällt mir nicht. Ich bin zwar nicht reich, würde mich aber bestimmt auch wie der reiche Mann verhalten. Denn es gibt doch nun eben die Dinge und die Menschen, die mir lieb und teuer sind. Und was ist mit der anderen Seite, der unbedingten Zusage Gottes an die Menschen, der unbeirrbaren Hoffnung, die wir darauf setzen können, mit unseren Fehlern angenommen zu sein und Gottes Kind heißen zu dürfen? Diese andere Seite ist auch da: Im selben Kapitel wie der heutige Predigttext, steht auch das Vater Unser. Der Text, mit dem wir uns vertrauensvoll an Gott wenden können, der die Hoffnung ausdrückt, dass das Reich Gottes auch für uns da ist. Diese andere Seite, die des Zuspruchs Gottes an die Menschen führt dazu, dass die auf den ersten Blick strengen Texte der Evangelien, die harten Forderungen Jesu eine andere Dimension gewinnen. ‐ Ach so? Wird nun also alles doch noch im Nachhinein aufgeweicht und sollte nicht so ernst genommen werden? Die Forderungen Jesu gelten für uns also gar nicht, oder nur eingeschränkt? 4 Nein, so einfach wird es denen, die das Reich Gottes, oder einen Schatz im Himmel suchen, nicht gemacht. Der Anspruch, das zu tun, was Jesus vorgelebt und gefordert hat, ist da. Und seine Zusage an uns, seine Hinwendung gerade zu den Schwächsten der Menschen und denen, die auch in ihrem Glauben Schwächen zeigen, ist auch da. Wir haben die schwere Aufgabe, dazwischen zu sein, man könnte sagen, im Zwiespalt zu sein, aber man könnte auch sagen, dass man sich zwischen diesen beiden Polen aufgehoben wissen darf ‐ als wäre uns damit ein besonderes Netz gespannt, das uns tragen kann. Und vielleicht kommt es in besonderem Maße auf die Blickrichtung an?, eben auf unser Zentrum, unser Herz, dem besonderen Kompass, der in uns ist? Die Worte vom Sorgen, die im Matthäusevangelium im Zusammenhang mit unserem Text von den Schätzen stehen, zeigen dies deutlich. Jesus weiß sehr wohl, dass wir uns um alles mögliche Sorgen, um Nahrung und Kleidung, um Geld. Er zeigt uns aber auch, dass die ausschließliche Orientierung auf diese Schätze der Erde unser Leben fesseln und uns unfrei werden lassen. Er möchte gerade nicht, dass wir wie Hamster im Rad nur den Alltäglichkeiten hinterherjagen. Und ich denke, dass er auch nicht möchte, dass wir unser Glück ausschließlich in unseren menschlichen Bindungen finden, weil eben alles, was uns hier auf Erden umgibt, auch zerstört werden kann und vergänglich ist. Dass wir uns nicht sorgen sollen, sondern dass Gott für uns sorgt, ist dagegen eine Zusage ohne Abstriche und ohne Kompromisse. Wenn wir es zulassen könnten uns von dem ständigen Kreisen um diese Dinge zu befreien, dann würden wir echte Freiheit erlangen. Wir erfahren in der Liebe zu anderen Menschen, denen wir unser Herz schenken, Erfüllung. Geschieht diese Hinwendung zum Nächsten aber in Orientierung auf Gott, können wir noch reicher werden. Und auch mit den materiellen Dingen ist es so. Das Maß der Dinge hier auf Erden, dürfen nicht die Dinge selbst werden. Es ist unbestreitbar, dass wir vieles brauchen, organisieren und uns um vieles sorgen müssen, sonst kommen wir in unserem Alltag einfach nicht über die Runden. Die ausschließliche Orientierung daran bewirkt aber Unsicherheit, Motten und Rost; Gefährdungen aller Art machen uns anfällig. Der Text von den Schätzen spricht den Hörer direkt und als Aufforderung an: Häuft nicht auf der Erde Schätze für euch an! Und dann, ganz parallel: Häuft vielmehr im Himmel Schätze für euch an! Klingt das nicht schon nach Werkgerechtigkeit? 5 Ja, es geht in vielen Texten des Neuen Testaments um gute Taten und um konkretes Handeln. Ohne dass sich der Wille Jesu im Handeln der Menschen, die an ihn glauben zeigt, bleibt er unerfüllt. Und genauso wir jeder einzelne davon angesprochen ist, so ist es auch die Gemeinschaft der Menschen. Wir werden ja in unserem Predigttext im Plural angesprochen, also gibt es auch zu bedenken, worauf sich das Herz unserer Gesellschaft richtet. Was steht bei aller Globalisierung und Wirtschafts‐ und Profitorientierung im Mittelpunkt und bestimmt das Denken und Handeln unserer Gesellschaft? Als Christ darf man durchaus nach der Orientierung fragen, die das Handeln der Politiker bestimmt. Und genauso muss man sich natürlich auch selbst fragen. Wer in der Nachfolge Jesu leben möchte, der weiß, dass das Handeln der Gesellschaft getragen sein sollte vom Hunger und Durst nach Gerechtigkeit. Einer Gerechtigkeit, die vor allem die am Rande stehenden in den Blick nimmt und sich mit festgefahrenen Strukturen der Zweckoptimierung nicht abfindet. Die Blickrichtung gibt uns der Kompass vor, der in unserem Herzen wohnt, denn wo unser Schatz ist, da ist auch unser Herz. Was habe ich nun getan gegen die Motten? Ich habe alles ausgeräumt und umsortiert. Ich wusch, fror die Sachen ein und stellte totsichere Mottenfallen auf. Und dabei habe ich festgestellt, dass die Motten natürlich vor allem in der Kleidung saßen, die lange nicht angerührt wurde. Ziemlich froh konnte ich feststelle, dass meine Tochter einfach zu viele Klamotten hat und dass es zwar schön ist, wenn Oma viel strickt, dass sie aber nun einige Monate eine Pause einlegen kann, denn der Schrank quillt über. Wir brauchen diese Sachen nicht und können sie weggeben an andere, die nach Kindersachen suchen. Aber natürlich nicht alles, denn Ende Mai bekomme ich ja noch ein Kind und: Moment mal: Ich mache mir schon wieder Sorgen: Habe ich eigentlich genug Babysachen? ‐‐ 6
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