HÖFERUNDTAUSCH

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DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN
Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Wir stellen im Arbeitsleben immer wieder fest, dass Kollegen, Chefs oder Mitarbeiter Dinge
tun, die uns ausgesprochen kontraproduktiv vorkommen.
•
Kollegen halten verbissen an Meinungen fest, mit denen sie dem Arbeitsergebnis und
sich selbst schaden
•
Führungskräfte demotivieren ihre fähigsten Mitarbeiter
•
Mitarbeiter verharren in einer Dienst-nach-Vorschrift-Haltung, in der sie dauerhaft
gereizt und unzufrieden sind
•
Arbeitsteams zerreiben sich auf Nebenkriegsschauplätzen und verlieren Stück für
Stück ihr Ziel aus den Augen
Die erste Aufgabe für jeden, der soziale Prozesse effizient steuern will heißt, sie zu
verstehen.
Wenn Sie mögen, lassen Sie uns sechs Gründe ansehen, warum sich Menschen irrational
verhalten.
Grund 1 – Menschen verhalten sich irrational, weil sie nie sicher sein können, was am
Gesagten das Gemeinte ist.
Lassen Sie uns gemeinsam eine einfache Gesprächssituation anschauen.
Frau Gerber ist Produktionsleiterin und für 21 Mitarbeiter fachliche Vorgesetzte und
Ansprechpartnerin. Frau Gerber ist ausgesprochen engagiert. Gerade im letzten Jahr gab es
viele Situationen, in denen sie noch nach Feierabend in die Firma gefahren ist, weil
Mitarbeiter mit kniffligen Einstellungen der Anlagen nicht zu recht kamen.
Es ist kurz vor Weihnachten und der Chef von Frau Gerber sagt:
•
„Schöne Feiertage Frau Gerber – erholen sie sich gut.“
Frau Gerber daraufhin:
•
„Naja, ich muss ja zwischen Weihnachten und Silvester arbeiten.“
Daraufhin der Chef:
•
„Naja, das ist eine ruhige Zeit – da kommt man ja wenigstens mal dazu, ein bisschen
aufzuräumen und das Dringendste wegzuarbeiten.“
Sie treffen Frau Gerber an ihrem Arbeitsplatz in einer Mischung aus Wut und Resignation an.
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Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Was kann man aus verschiedenen Perspektiven über diese Situation sagen.
Aus der sachlich-inhaltlichen Perspektive ist an dem Wortwechsel nichts auszusetzen. Alle
ausgetauschten Informationen sind korrekt. Frau Gerber sagt, dass sie zwischen
Weihnachten und Silvester arbeiten muss und ihr Chef sagt, dass das eine ruhige Zeit ist, in
der man Liegengebliebenes aufarbeiten kann.
Auf der menschlichen Ebene ist Frau Gerber tief getroffen. Wahrscheinlich hat sie die Worte
des Chefs als Kritik verstanden.
„Naja, das ist eine ruhige Zeit – da kommt man ja wenigstens mal dazu, ein bisschen
aufzuräumen und das Dringendste wegzuarbeiten.“
hat Frau Gerber umgewandelt in:
„Das geschieht ihnen ganz recht. Sie schaffen ja ihre Arbeit nicht.“
So ist ihre Entrüstung gut zu verstehen.
Hat das der Chef so gemeint?
Wir könnten ihn fragen.
Frage: Lieber Chef, Frau Gerber war nach der Weihnachtsverabschiedung ziemlich
echauffiert. Sie fühlte sich von ihnen so ganz nebenbei schwer angegriffen. Wollten Sie Frau
Gerber kritisieren? Wie haben sie das gemeint?
Lassen Sie mich mehrere mögliche Antworten formulieren:
Chefantwort 1:
So …, das habe ich aber nicht so gesehen. Eigentlich wollte ich gar
nichts Konkretes sagen. Naja, vielleicht ist Frau Gerber ja etwas
dünnhäutig zur Zeit. Warum fängt sie auch noch einmal mit diesem „Ich
muss ja zwischen den Jahren arbeiten.“ an. Das hatten wir doch im
Vorfeld schon ausdiskutiert.
Chefantwort 2:
Das tut mir leid. Das hat sie in den falschen Hals bekommen. Ich
denke, dass sie nach dieser Belastung im letzten Jahr die ruhigen
Tage ausnutzen soll. Ich bin mit ihr sehr zufrieden. So viel, wie sie in
der letzten Zeit zu tun hatte, da bleibt natürlich eine Menge liegen. Aber
sie ist nun einmal sehr wichtig für uns und macht ihre Sache wirklich
gut – ich hoffte, das hätte sie auch so verstanden.
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Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Chefantwort 3:
Vielleicht war es ja nicht der beste Zeitpunkt, aber wenn sie schon fragt
… sie sollte sich tatsächlich einmal überlegen, wie sie ihre Arbeit
besser bewältigen kann und ein paar ruhige Tage werden ihr sicher
Gelegenheit geben, ihr Chaos einmal zu ordnen. Warum fängt sie auch
noch einmal mit diesem „Ich muss ja zwischen den Jahren arbeiten.“
an. Das hatten wir doch im Vorfeld schon ausdiskutiert.
Alle drei Varianten sind denkbar. Der Chef hat nichts Wesentliches sagen wollen und schiebt
die „Schuld“ am Missverständnis im Nachhinein auf Frau Gerber, er wollte sie loben, oder er
wollte sie kritisieren.
In unserem Beispiel, weiß Frau Gerber nicht, was der Chef gemeint hat. Das ist
grundsätzlich typisch für unseren Umgang miteinander. Sachliches kann immer auch
persönlich verstanden werden, muss aber nicht so gemeint gewesen sein. Wir filtern aus
dem Gesagten immer etwas heraus, von dem wir dann annehmen, dass es auch so gemeint
war und das häufig zu Unrecht. Frau Gerber hat die Kritik herausgefiltert.
Warum? Dazu fünf Antworten
Erstens: Weil es möglich ist.
Eigentlich sagt der Chef ja etwas sachlich Richtiges. Frau Gerber versteht etwas
Persönliches.
sachliche Aussage
Das ist eine ruhig Zeit, man kommt
dazu aufzuräumen
Das ist eine ruhig Zeit in der man
Liegengebliebenes aufarbeiten kann
persönliches Verständnis
à
à
Sie sind unordentlich.
Sie schaffen ihre Arbeit nicht.
Diese persönlichen Aussagen können in eigentlich sachlichen Aussagen enthalten sein. Da
wir wissen, dass das Gesagte nicht das Gemeinte sein muss und gerade im Arbeitsleben
persönliche Ansprachen in Sachinhalten „untergebracht“ werden, verstehen wir die
persönliche Seite einer Aussage, einfach nur, weil sie enthalten sein könnte. Das
Persönliche ist nicht zu verwechseln mit dem Privaten. Persönlich ist die Ansprache an die
Person (Sie sind …) – privat ist der Ärger mit der Familie. Persönliche Botschaften sind
außerhalb von engen – häufig privaten Beziehungen in der Regel „zwischen den Zeilen zu
hören“. Wenn ein Kollege zu einem anderen sagen will: Ich bin froh, dass ich mit ihnen im
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Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Zimmer sitze. Sie sind ein durch und durch kollegialer und angenehmer Mensch, dann wird
das selten so gesagt. Auch die gegenteilige Aussage würde eher nicht direkt ausgesprochen
werden. Im ersten Fall müssten wir uns die Botschaft aus einem: „Das haben wir mal wieder
gut hinbekommen, was?“ heraushören. Im zweiten Fall wäre sie vielleicht im Satz: „Die
neuen Büros sind doch ganz schön beengt.“ versteckt. Typisch ist, dass der, der etwas sagt
immer davon ausgeht, dass der Hörer, das Gesagte so versteht, wie er es gemeint hat – was
überhaupt nicht sicher ist. Typisch ist auch, dass Menschen in der Regel annehmen, dass
das von ihnen Verstandene auch das Gemeinte war – was ebenfalls überhaupt nicht sicher
ist.
Zweitens: Weil das Persönliche Vorrang hat.
Wir sind als Menschen grundsätzlich daran interessiert zu erfahren,
•
was andere von uns halten
•
wie gut oder schlecht wir mit anderen stehen
•
was andere von uns wollen.
Das Menschen diesen Fragen mehr oder weniger Wert beimessen, darf nicht über die
Grundsätzlichkeit dieser Interessen hinwegtäuschen. An sachlichen Aussagen sind wir
niemals in dieser Stetigkeit interessiert. Wie unser Chef den Arbeitsanfall in einer bestimmten
Zeit einschätzt ist uns häufiger gleichgültig – wie er uns einschätzt, ist uns niemals völlig
gleich. Im Deutschen sagt man: Die Jacke ist einem näher als die Hose. Die Persönliche
Ebene ist in der Kommunikation die Jacke.
Drittens: Weil alles eine Vorgeschichte hat.
Fragen wir Frau Gerber zu der Vorgeschichte.
•
Frau Gerber, warum glauben Sie denn, wollte Sie Ihr Chef kritisieren?
•
Weil er das immer so ist. Man weiß nie so recht, was er von einem hält. Anerkennung
bekommt man so gut, wie gar nicht, aber zum Beispiel im Mitarbeitergespräch, da hat
er dann gleich eine ganze Mängelliste. Und er ist sogar der Meinung, dass er einem
das ja alles gesagt hat. Und das sind dann genau solche Bemerkungen, wie die
heute.
Frau Gerber hört die Kritik also, weil sie sich nicht sicher ist, wie ihr Chef sie einschätzt, und
sie häufiger kritisiert, als lobt.
Viertens: Weil es Frau Gerber nicht gut geht.
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Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Frau Gerber ist vor Weihnachten sehr gestresst. Dadurch ist sie dünnhäutig und neigt dazu,
vieles auf sich zu beziehen und negativ zu deuten.
Fünftens: Weil ärgerliche Verteidigungen häufig als Angriff missverstanden werden.
Der Chef hat sich als erstes über das „Aufwärmen“ des Themas durch Frau Gerber geärgert.
Hat ihn dieser Ärger beeinflusst?
Hat ihn Frau Gerber wahrgenommen?
Beides ist wahrscheinlich. Es sind im wahrsten Sinne des Wortes winzigste Änderungen in
unserer Körpersprache und in unserem Tonfall, die durch Ärger hervorgerufen werden. Eine
leichte Veränderung in der Tonhöhe. Ein fast unmerkliches Absacken der Intonation am
Satzende, ein leichter Blick zum Boden, eine hochgezogene Augenbraue – jedes für sich
eher unbedeutend, aber in der Summe bemerken wir es. Dass über die Körpersprache im
Gespräch kaum bewusst reflektiert wird, schmälert ihre Bedeutung nicht. Im Gegenteil,
dadurch werden Körpersignale ungefiltert wirksam.
Durch Ärger neigen wir dazu uns zu verteidigen. Durch diese Verteidigungen fühlen sich
Gesprächspartner wiederum angegriffen und ärgern sich ihrerseits. Ein Teufelskreis ist in
Gang gesetzt worden.
Wenn Sie noch einmal den Dialog ganz genau betrachten, dann werden sie feststellen, dass
der Teufelskreis wahrscheinlich schon mit den Chef-Worten: „…erholen sie sich gut“ in Gang
gesetzt wurde.
Wie hätte Frau Gerber die Aussage des Chefs noch verstehen können?
Eine Reihe unterschiedliche Verständnisweisen haben wir schon genannt:
inhaltlich-sachlich:
Es ist eine ruhige Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Man wird
kaum gestört und kann dementsprechend viel erledigen.
persönlich:
Nutzen sie die Zeit Frau Gerber. Räumen sie auf und erledigen sie
Liegengebliebenes. (Handlungsappell)
Sie haben so gut gearbeitet und sind so belastet gewesen, dass
natürlich auch etwas leigengeblieben ist. Sehen sie es nicht so
tragisch. Nutzen sie die Zeit um reinen Tisch zu machen. (Lob,
Beschwichtigung mit Appell verbunden)
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Interessant ist hier, dass sich persönlich in dieser Aussage sowohl Lob als auch die von Frau
Gerber verstandene Kritik verbergen. Das ist für die Person-Ebene typisch. Sie ist viel
unbestimmter, als die Inhaltsebene. Der Volksmund sagt: Der Ton macht die Musik. Der Ton
ist in der beruflichen Kommunikation selten eindeutig. Er ist häufig nüchtern-höflich. Wir
können daher aus dem Ton nicht einmal eine Tendenz in Richtung Lob oder Kritik
entnehmen.
Eine Möglichkeit haben wir noch nicht besprochen. Der Chef könnte auch folgendes gemeint
haben:
persönlich:
„Ich wäre froh, wenn ich diese ungestörte Zeit hätte. Ich muss
zwischen den Jahren wieder die ganze Familie „abklappern“ und weiß
im Hinterkopf immer, wie viel unerledigte Arbeit auf meinem
chaotischen Schreibtisch noch liegt.“
Was hat die Situation zwischen Frau Gerber und ihrem Chef verdeutlicht?
§1
Kommunikation hat grundsätzlich 2 Ebenen – eine inhaltliche und eine persönliche.
Jede inhaltliche Äußerung beinhaltet auch eine persönliche Aussage.
Die Inhaltsebene beschäftigt sich in der Regel mit objektiven (äußeren) Tatsachen. Die
persönliche Ebene ist die Ansprache aneinander. Auf der persönlichen Ebene schätzen wir
einander ein, sagen, wie wir zueinander stehen und was wir voneinander wollen, was wir
übereinander denken und miteinander fühlen. Sie betrifft unsere Einstellungen und
Werthaltungen, unsere Motivationen und die Qualität unserer Zusammenarbeit.
Jede inhaltliche Äußerung (Nennen eines objektiv beobachtbaren Sachverhaltes) kann auch
als persönliche Äußerung verstanden werden.
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Inhaltliche
Äußerung=
Sachverhalte,
objek8v
beobachtbar
Persönliche
Äußerung=ich
sageetwasüber
mich,überuns,
oderüberdich
Die persönliche Ebene ist dreigeteilt.
1. … kann der Sprecher etwas über sich selbst sagen (Selbstkundgabe)
2. … kann etwas darüber ausgesagt werden, wie der Sprecher zum Gesprächspartner
steht – Wir-Aspekt (Beziehungsbotschaft)
3. … kann eine Handlungsaufforderung gemeint sein. (Appell).
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Zwischendem27.
und30.12.sind
wenigeStörungen
durchKundenzu
erwarten.
1.Ichbräuchtesoeineruhige
ungestörteZeit.
2.Ichbinsehrzufrieden/unzufrieden
mitihnen.
3.RäumensieihrenSchreib8schauf!
Die wichtige Erkenntnis an der Vielschichtigkeit von Äußerungen sind nicht die zerlegten
Äußerungen. Diese sind nachrangig. Die zentrale Erkenntnis ist die Vielschichtigkeit selbst.
Wichtig an der Entdeckung der Zellstruktur von Pflanzen ist auch nicht die einzelne Zelle,
sondern die prinzipielle Struktur. Diese Erkenntnis kann uns dazu bringen, dass wir die Dinge
nicht unzulässig vereinfachen. Vielleicht werden wir in Diskussionen einmal weniger
behaupten: Das, was der andere auf der Beziehungsebene verstanden hat, hätten wir gar
nicht gesagt. Wir können uns niemals darauf zurückziehen, was wir gemeint haben – wir
müssen damit umgehen, was der andere verstanden hat. Es ist sogar möglich, dass die
wesentliche Botschaft aus dem Nicht-Gesagten gezogen wird.
Zum Beispiel: Ein Mitarbeiter hat ein Projekt sehr erfolgreich abgeschlossen und den
Abschlussbericht seinem Chef gegeben. Am nächsten Tag kommt der Chef ins Büro des
Mitarbeiters und sagt: „Können sie bitte bis heute Nachmittag die Vorlage für die
Besprechung mit Müller morgen durchsehen. Es ist sehr wichtig.“. Jetzt kann man die
Botschaft in Inhalts- und die drei Aspekte der Person-Ebene sezieren. Schauen wir uns nur
die Beziehungs-Ebene an. Hier wird Wertschätzung vermittelt:
Es ist wichtig und sie sollen das erledigen. Ich vertraue ihnen.
Als der Chef das Zimmer verlässt, sagt der Mitarbeiter zu seinem anwesenden Kollegen
jedoch:
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
„Das ist mal wieder typisch. Hier kannst du machen was du willst. Anerkennung
kriegst du hier nie.“
Der Mitarbeiter reagiert hier ausschließlich auf das Nicht-Gesagte. Er erwartet, dass der Chef
das abgeschlossene Projekt würdigt. Als er das nicht tut, reagiert er verärgert.“
Auf der anderen Seite werden wir erkennen, dass wir nicht sicher sein können, dass das,
was wir verstanden haben auch das Gemeinte ist. Wir hören die Worte. Was der andere uns
wirklich sagen will, können wir ausschließlich im Gespräch erfahren.
Die zentrale Erkenntnis der Vielschichtigkeit von Äußerungen soll uns im Kontakt mit
anderen bedachter machen.
Schopenhauer fasst das sehr gut in seinem Satz
Wer klug ist im Gespräch, wird weniger auf das achten, was er sagen will, als auf den, mit
dem er spricht.
zusammen.
§2
Die Person-Ebene ist die emotionale.
Unterschiedlicher Meinung kann man kühlen Herzens sein. Emotional wird es immer dann,
wenn wir als Person angesprochen werden.
Das passiert, wenn:
•
uns jemand nicht leiden kann, an dem uns liegt, d.h. wenn zwei Menschen ihre
Beziehung unterschiedlich definieren
•
uns jemand bewertet – Sie sind faul, fleißig, hübsch, hässlich …
•
unsere Einstellungen und Wertvorstellungen berührt werden
Einstellungen haben im Gegensatz zu Meinungen eine gruppenbildende und
selbstdefinierende Funktion. Meinungen sind das, was jemand rational für wahr hält.
Einstellungen sind persönlich verwurzelt. Werden Einstellungen angesprochen, kann das
Gespräch emotionalisieren, trotzdem (scheinbar) ausschließlich Sachthemen besprochen
werden.
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Meinung
Einstellung
Frau Meiner findet, dass die Entscheidung
zur Einführung einer neuen
Kundendatensoftware mehr Kosten als
Nutzen verursacht. Sie hält die Entscheidung
dementsprechend für falsch.
Frau Steller findet, dass die Entscheidung
zur Einführung einer neuen
Kundendatensoftware typisch für den
Führungsstil des neuen Geschäftsführers ist.
Hauptsache alles neu und chic –
Althergebrachtes wird nicht gewürdigt
sondern im Handstreich vom Tisch gewischt.
Erfahrung hat hier keine Stimme mehr …
In einer Diskussion werden sowohl Frau Meiner, als auch Frau Steller gegen die Software
argumentieren. Bei Frau Steller wird aber immer Wut und Enttäuschung in den Argumenten
mitklingen.
Anfällig für eine schnelle (negative) Emotionalisierung ist die Zusammenarbeit, wenn:
§4
•
mindestens einer der Beteiligten gravierend im Unklaren ist, was der/die Andere/n
von ihm halten
•
häufig negativ-persönliche Äußerungen gemacht werden1
•
es schwelende Konflikte aus der Vergangenheit gibt
•
mindestens einer der Beteiligten einen geringen Selbstwert hat
•
ein hoher Stresspegel herrscht
Die Person-Ebene ist im Ausdruck viel weniger präzise, als die Inhaltsebene
Im Deutschen sagt man: Der Ton macht die Musik wenn man ausdrücken will, dass das wie
mindestens genauso wichtig ist, wie das was in der Kommunikation. Das „Trägermedium“
der Inhaltsebene ist das Wort, das der persönlichen Ebene die Körpersprache und
Stimmführung. Die meisten Mimiken und Gesten haben einen breiten Bedeutungsraum und
sind einzeln schlecht deutbar. So kann man ein Fassen an die Nase als Betroffenheit deuten
(da fasst sich jemand an die eigene Nase), andererseits kann es ihn auch gerade an der
1
Hier ist es egal, ob die Äußerungen direkt zum Betroffenen gemacht werden. Wenn A
gegenüber C über B herzieht, weiß C, dass A im Konflikt mit C dasselbe täte – über ihn
herziehen. Kommunikation im Beruf ist auch immer ein Beispiel, aus dem wir den anderen
kennenlernen.
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Nase kitzeln oder es handelt sich um eine Marotte, oder Verlegenheit, oder es hat gar nichts
zu bedeuten. Körpersprache ist nur in der Summe der Signale deutbar.
Im beruflichen Alltag bemühen sich viele Menschen, möglichst sachlich und wenig emotional
zu kommunizieren. Sie reduzieren ihre Körpersprache bewusst oder unbewusst. Unser
Gegenüber hat so unter dem Strich sehr wenige Anhaltspunkte auf die „sich seinen Reim
machen“ muss. Das führt zwangsläufig immer wieder zu Fehldeutungen und
Missverständnissen.
§5
Die Person-Ebene kann die Inhaltsebene überlagern, umgekehrt nicht. Die PersonEbene ist die fundamentalere der Kommunikation.
Wir wollen im beruflichen Alltag über Sachverhalte sprechen, Informationen austauschen und
inhaltliche Lösungen finden. Eine Regel, nach der eine gestörte Person-Ebene den
Austausch von Informationen unmöglich macht, kann uns beruflich alles andere als Recht
sein.
Wenn §5 richtig ist – warum?
Erstens, weil es unsere Erfahrung sagt:
Situationen wie die mit Frau Gerber kennen wir zu Hauf. Zwar handelte es sich hier um ein
Gespräch ohne nennenswerte inhaltliche Bedeutung, aber diese können wir schnell
hinzusetzen:
Martina Harre kommt zu Franziska Schnell mit einem Stapel Papier in der Hand. Sie sagt:
Franziska, kannst du mir das bitte schnell durchsehen. Ich brauche die Dinge für die
Besprechung mit der Geschäftsleitung morgen. Das ist wichtig für die Finanzierung unseres
Personalentwicklungsprojekts.
Franziska Schnell erledigt die Arbeit mit wenig Elan und sehr oberflächlich. Das Ergebnis
bleibt weit unter den Erwartungen.
Warum?
Franziska Schnell hält Martina Harre für eine Karrieristin, die in erster Linie ihren eigenen
Vorteil verfolgt. Außerdem: Seit zwei Wochen predigt Franziska, dass man sich auf die
Besprechung mit der Geschäftsleitung vorbereiten müsse. Aber wenn es dann Frollein Harre
auch mal auffällt – dann muss plötzlich alles flott, flott gehen und alle müssen springen. Nicht
mit mir! – denkt sich Franziska.
Weiß sie, dass von der Besprechung für das gemeinsame Projekt viel abhängt?
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Natürlich.
Zweitens, weil wir selektiv wahrnehmen:
Nehmen sie an, sie kaufen sich ein Auto einer Marke, die sie bisher nicht gefahren haben.
Was passiert dann mit ihrer Wahrnehmung im Straßenverkehr? Sie sehen eine Zeit lang
überall die Autos dieses Typs. Sie haben vielleicht das Gefühl, dass just, als sie sich dieses
Autos kauften, sich viele, viele Andere ein ebensolches Auto gekauft haben müssen, so
häufig taucht es plötzlich im Straßenverkehr auf. Eigentlich spielt ihnen ihre Wahrnehmung
hier einen Streich. Der Autotyp ist nicht häufiger auf der Straße, als zu der Zeit, bevor sie
sich zum Kauf entschlossen haben. Sie haben im Auge, was sie im Kopf haben. Dieses
Prinzip nennt sich selektive Wahrnehmung. Wir nehmen nicht, wie wir vielleicht annehmen,
die Gesamtheit der uns umgebenden Dinge wahr, sondern vorrangig das, was wir denken.
Das können wir auch nicht abschalten. Versuchen sie einmal im oben genannten Beispiel die
vielen Autos „ihres“ Typs nicht mehr zu sehen.
Diese selektive Wahrnehmung gibt es auch im Sozialen.
Nehmen wir einmal an, ein neuer Chef (Dr. habil. Dietmar Denkinger) hält eine Antrittsrede.
Er beginnt mit den Worten:
Liebe Mitarbeiterinnen (Pause), liebe Mitarbeiter. Mein Name ist Doktor Doktor Denkinger
und ich freue mich (Pause) an dieser Stelle (Pause) ihnen die Grundzüge unserer
gemeinsamen, zukünftigen Arbeit erläutern zu dürfen. Seien sie versichert meine Damen
und Herren – wir haben Großes vor.
Bei diesen Worten geht Herr Dr. Denkinger, die Hände auf dem Rücken, an die Decke
blickend auf und ab.
Dr. Denkinger stellt sich arrogant und selbstverliebt dar2. Er hat in seiner nachfolgenden
zwanzig minütigen Rede eine Reihe von Punkten, die das bestätigen. So referiert er
minutenlang über seine Erfolge der Vergangenheit. Es gibt mindestens ebenso viele
Anhaltspunkte eines guten fachlichen Konzepts und ein paar wirklich gute Ideen zur
Umgestaltung verschiedener Prozesse zu verfolgen.
Was passiert bei den Zuhörern?
Die Mehrzahl aller Zuhörer hat nach den ersten Worten Dr. Denkingers das Negative an
dessen Vortrag verstärkt wahrgenommen und das Positive weitgehend „überhört“. Der
2
Vielleicht erscheint Ihnen das Beispiel überzeichnet – es soll aber ein Grundprinzip unseres
Funktionierens ans Licht holen, das ansonsten eher untergründig abläuft.
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„Neue“ gilt nach seinem ersten Auftritt als schnöseliger Narzist, der es fachlich nicht bringe,
sondern nur geschwollen daherrede.
Wir glauben irrtümlich, dass wir das, was andere Menschen sagen oder tun, objektiv
wahrnähmen. Da wir aber verstärkt wahrnehmen, was wir denken, konfrontieren wir unseren
Kommunikationspartner in unseren Äußerungen und Handlungen mit diesen Bildern auf die
er wiederum selektiv wahrnimmt und auf die gleiche Weise reagiert wie wir. Damit wird eine
gemeinsame soziale Realität konstruiert, die beide Kommunikationspartner fälschlicherweise
für objektiv real halten. In unserem Beispiel wäre eine typische Reaktion gegenüber einem
für schnöselig und arrogant befundenen Neuchef Kontaktvermeidung und Misstrauen. Dieses
wird Dr. Denkinger als Abwehr und Machtprobe deuten. Da der neue Chef damit quasi „am
ausgestreckten Arm der Alteingesessenen verhungert“ und sich in seiner Position bedroht
fühlt, wird er, wenn er eher autoritär führt viele einsame Entscheidungen treffen oder, wenn
er eher kooperativ eingestellt ist, ganz wenig entscheiden. Im ersten Fall produziert er viele
Fehler (Einzelentscheidungen sind fachlich denen nach fachlicher Beratung in der Regel
unterlegen) und im zweiten Fall gilt: wer nichts entscheidet, hat fachlich nichts drauf. Dr.
Denkinger erscheint in beiden Fällen fachlich schwach. Die Mitarbeiter nehmen das
irgendwann als Realität wahr, obwohl es sich eigentlich um eine soziale Konstruktion
handelt.
Wir machen uns vom Anderen ein Bild, ohne ihn genau zu kennen. Dieses Bild sagt uns, wie
jemand ist (Beziehungsebene) und bestimmt in der Folgezeit, was wir wahrnehmen (Inhaltsund Beziehungsebene).
Drittens, weil der Körper schneller ist:
In einer Untersuchung zur zeitlichen Abfolge von Wort- und Körpersprache3 war
festzustellen, dass die zum Wort gehörige Geste in der Mehrzahl der Fälle vor dem
gesprochenen Wort gemacht wird. Also ist es nicht so, wie wir wahrnehmen, dass die Geste
das Wort unterstreicht, sondern eigentlich unterstreicht das Wort die Geste – diese ist der
primäre Kommunikationsakt, die eigentliche Botschaft. Und da die Geste die
Beziehungsbotschaft transportiert, ist diese primär. Unsere Körpersprache ist evolutionär
wesentlich älter und über einen viel längeren Zeitraum überlebensnotwendig gewesen. Die
Absichten von anderen einzuschätzen, inwieweit sie eine Bedrohung für uns sind, war über
viele tausend Generationen für das Überleben wichtiger, als ein inhaltlicher Austausch.
3
McNeill, D. (1992). Hand and Mind: What Gestures Reveal About Thought
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Ich möchte an dieser Stelle ein Experiment beschreiben, dass für eine große Diskussion
gesorgt hat, inwieweit wir unsere Handlungen rational beeinflussen.
Grundlage des Experiments von Benjamin Libet4 war die Entdeckung der deutschen
Hirnforscher Hans Helmut Kornhuber und Lüder Deecke, die in physiologischen
Experimenten feststellten, dass vor willkürlichen Bewegungen in der Großhirnrinde eine
elektrophysische Aktivität – ein sogenanntes Bereitschaftspotential messbar ist, dass diesen
Bewegungen immer vorausgeht5. Libet bat in seinem Experiment Versuchspersonen zu
einem beliebigen Zeitpunkt die rechte Hand zu bewegen und sich den Zeitpunkt auf einer
Uhr exakt einzuprägen. Gleichzeitig wurde gemessen, wann das Bereitschaftspotential im
der Großhirnrinde aufgebaut wird. Verwirrenderweise fand Libet, dass das
Bereitschaftspotential vor der Entscheidung zu einer spontanen Bewegung aufgebaut wird.
Eine mögliche Interpretation dafür ist, dass wir nicht tun, was wir wollen, sondern wollen, was
wir tun und wir uns die bewusste, rationale Entscheidung vorgaukeln.
Das Kapitel befasste sich bisher mit der Vorrangigkeit der Beziehungsebene in der
Kommunikation. Auf das Arbeitsleben übersetzt heißt das:
Die Güte unserer Zusammenarbeit ist die Basis inhaltlichen Vorankommens.
Inhaltliche Differenzen haben in vielen Fällen persönliche Ursachen.
Wenn wir:
•
•
4
unsere Kollegen, Chefs und Mitarbeiter persönlich als:
o
wenig vertrauenswürdig
o
undurchsichtig
o
inkompetent
die Zusammenarbeit als:
o
konfliktbelastet
o
wenig erfolgreich
Libet, Benjamin. Haben wir einen freien Willen? In: Christian Geyer (Hrsg.): Hirnforschung und
Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente. Suhrkamp, 2004, S. 268ff
5
Hans Helmut Kornhuber, Lüder Deecke: Readiness for movement – The
Bereitschaftspotential-Story. Current Contents Life Sciences (1990) 33, 4 Citation Classics
January 22: 14.
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•
uns selbst als:
o
wenig selbstbewusst
o
stark gestresst
erleben, dann wird unser Verhalten schnell irrational. Arbeitszeit wird für das Austragen von
Rivalitäten und das Schimpfen über die Verhältnisse verschwendet und inhaltliche
Ergebnisse werden durch eine geringe sachliche Motivation geschmälert. Das Kapitel
versuchte zu zeigen, dass wir es hier mit einer Besonderheit im „Bauplan des Menschen“ zu
tun haben.
Kann es andersherum nicht aber auch Missverständnisse ausschließlich auf der inhaltlichen
Ebene geben, ohne das die persönliche Ebene berührt wird? Sind diese dann ebenso
folgenschwer?
Ja und Nein.
Lassen Sie uns erst einmal ein Beispiel ansehen.
Ein Projektleiter sagt zu seinem Projektteam.
Ich brauche für das Meilensteingespräch mit der Geschäftsführung belastbare Zahlen,
ansonsten können wir die angepeilte Erhöhung des Budgets um 20 Prozent vergessen.
Vorgeschichte des Konfliktes ist, dass der Projektleiter von der Geschäftsführung eine Rüge
bekommen hat, dass die Zahlen seines Projektes unverständlich seien.
Aus dem Projektteam kommen verschiedene Einwände. Der Bedeutendste ist der eines
Controlling-Mitarbeiters, dass die Zahlen derzeit alle vorläufige sind, und von den
Kalkulationen zweier externer Firmen abhingen. Ohne deren Aussagen sind es aktuell
bestenfalls qualifizierte Schätzungen – mehr nicht.
Der Projektleiter reagiert daraufhin unwirsch und sagt, dass er langsam von dem
Negativdenken des Controllers die Nase voll habe und dass die Geschäftsleitung keine
Schätzungen sondern Ergebnisse wolle und dann müssten sie sich eben auf den
Hosenboden setzen und den Externen Druck machen.
Daraufhin erarbeiten drei Mitarbeiter des Projektes in insgesamt 18 Stunden ein Zahlenwerk,
dass auf beinahe alle Eventualitäten Rücksicht nimmt, der Projektleiter präsentiert dies und
die Geschäftsführung ist ausgesprochen zufrieden.
Auf den ersten Blick ein positives Ergebnis.
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Schaut man sich die Lage jedoch etwas genauer an, werden einige Irrationalitäten offenbar.
Fragt man die Geschäftsleitung nach der Präsentation des Projektstandes, dann sagt diese:
Mit so einer ausführlichen Präsentation und der Ausarbeitung verschiedener Szenarien
haben wir gar nicht gerechnet, fanden sie aber sehr gut. Eigentlich wollten wir nur eine
Darstellung des aktuellen Standes und eine kurze Risikobewertung.
Der Projektleiter würde auf die Frage, wie er die Lage einschätzt sagen:
Insgesamt ist es sehr gut gelaufen. Der Aufwand war aber immens. Wir haben aber
eigentlich anderes zu tun, als der Geschäftsleitung mit riesigem Aufwand Zahlen
zuzuarbeiten. Wenn die kein Vertrauen zu uns haben und selbst keine Ahnung, das ist schon
anstrengend. Hoffentlich kann ich meine Leute noch eine Weile bei der Stange halten. Ich
sollte ihnen wirklich danken und erklären, dass das alles die Geschäftsleitung so will.
Das Projektteam würde sagen:
Unser Projektleiter ist ja nicht erst seit Gestern für seine Speichelleckerei gegenüber der
Geschäftsführung bekannt. Nach oben buckeln und nach unten treten, das hat er wirklich
drauf … und auf unserem Rücken wird’s dann ausgetragen.
Das primäre Missverständnis, war tatsächlich ein rein inhaltliches. Wie ausführlich die
Darstellung des Projektstandes erfolgen sollte, war missverständlich abgesprochen. Der
Projektleiter hatte überhaupt nicht oder nicht direkt genug nachgefragt. Das Missverständnis
war finanziell folgenschwer. Es stehen Arbeitskosten von 18 Stunden denen von geschätzten
4 Stunden für die von der Geschäftsführung eigentlich gewünschte Vorbereitung gegenüber.
Die Abgleichung der Ziele hätte höchstens zusätzliche 60 Minuten in Anspruch genommen.
Bleiben die Kosten von 13 Stunden Arbeitszeit, die durch das Missverständnis entstanden
sind.
Innerhalb des Konfliktes ist dieser sehr schnell auf die Beziehungsebene umgeschlagen, was
den sinnlosen Aufwand befördert hat. Als erstes machte der Projektleiter dem Controller den
Vorwurf „ständigen Negativdenkens“. An solch einer Stelle sind inhaltliche Diskussionen
stark erschwert. Der Vorwurf des Projektleiters, die Geschäftsführung habe keine Ahnung
wurde durch das Projektteam umgemünzt auf den Vorwurf, der Projektleiter sei ein
Speichellecker und handele damit inhaltlich falsch. Entweder es entsteht damit Spannung im
Projektteam oder der Projektleiter verlagert die Spannung (wie er es vorhat) auf die
Zusammenarbeit des Teams zur Geschäftsleitung.
Das ist eine Beobachtung, die ich häufig mache – eigentlich inhaltliche Differenzen schlagen
im Konfliktfall sehr schnell auf die persönliche Ebene (Inkompetenz, mangelnde Motivation,
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DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN
Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Karrierismus usw.) um. Ausführlich wird dazu noch einmal ab der Seite (Grund 6)
eingegangen. Aus meiner Erfahrung wird dadurch in der Regel die Lösung der inhaltlichen
Differenzen unmöglich bis hin zum Flurschaden – einer Verschlechterung der
Zusammenarbeit.
MiOel
Weg
Ziel
Zusammenarbeit=
persönlicheEbene
Konflikte haben eine Hierarchie und können nur auf der Ebene gelöst werden, wo sie
stattfinden. Sprich nicht über den Weg, wenn das Ziel nicht klar ist und sprich nicht über das
Ziel, wenn die Zusammenarbeit schlecht ist.
Grund 2 – Menschen verhalten sich irrational, weil sie in der Kommunikation häufig
versuchen mit einer alten Zeitung einen Nagel in die Wand zu schlagen
Stellen sie sich vor, sie wollen ein Bild aufhängen und haben einen Nagel, aber keinen
Hammer. Da sie keinen Hammer finden können, überlegen sie sich, womit sie den Nagel
noch in die Wand bekommen könnten. Sie sehen eine alte Zeitung und denken sich –
versuchen kann ich es ja mal.
Sie beginnen mit der Zeitung auf den Nagel einzuschlagen – natürlich ohne Erfolg.
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Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Stellen sie sich jetzt vor, sie würden annehmen, der Grund für den Misserfolg liegt darin,
dass sie es noch nicht lange und kräftig genug versucht haben.
Sie werden immer kräftiger mit der Zeitung auf den Nagel einschlagen und nicht davon
ablassen – wenn sie diese Annahme nicht ändern.
Was würde ein Beobachter jetzt wohl über Sie denken?
Ich behaupte, dass wir uns bei Konflikten häufig so verhalten – als würden wir mit einer
Zeitung tatsächlich einen Nagel in die Wand schlagen können.
Lassen sie uns zwei Beispiele anschauen:
Ein neugebildetes Team aus vier Mitarbeitern stellt nach wenigen Arbeitstagen fest, dass alle
aus dem Team schon einmal erhebliche Konflikte mit der Abteilungschefin hatten. Sie
vermuten, dass das ein Beweggrund war, genau aus diesen vier ein Team zu bilden.
Wahrscheinlich möchte die Chefin sie besonders beobachten und unter Kontrolle haben –
die vier Teammitglieder glauben, die Chefin habe sie „auf dem Kieker“.
Die Teammitglieder wollen gern in Ruhe ihre Arbeit machen und das Misstrauen der Chefin
über kurz oder lang zerstreuen. Als Mittel (Werkzeuge) wählen sie Abschottungsstrategien.
Sie versuchen alles besonders gut zu machen, interne Konflikte nicht nach außen zu tragen
(sonst würden sie der Chefin ja Öl ins Feuer gießen), nur gute Nachrichten zu verbreiten und
ansonsten der Chefin wenig zu begegnen. Dabei handelt es sich um keine
niedergeschriebene Strategie, sondern um eine sukzessive Verständigung auf bestimmtes
Verhalten.
Wie reagiert die Chefin auf ein Team, aus dem sie nur gute Nachrichten hört, das nichts
Problematisches nach außen dringen lassen will und dessen Mitglieder Kontakt vermeiden?
Sie wird misstrauisch. Sie überlegt sich, wie sie ihr Misstrauen am besten zerstreuen kann –
durch Information. Das heißt, sie lässt sich aus dem Team die Projektstände vorlegen,
Entscheidungen begründen und lädt sich selbst zu Teammeetings ein.
Wie reagiert das Team? Es sieht, dass die Befürchtungen berechtigt waren und versucht
nach außen hin noch perfekter und problemloser zu erscheinen. Am besten der Chefin gar
nicht mehr begegnen, weil die bei jedem Treffen so schwierige Fragen stellt.
Wie reagiert die Chefin? Sie wird noch misstrauischer und lässt sich alle Projektunterlagen
bringen, was ausgesprochen unüblich ist.
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Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Was sagt das dem Team? Sie hat uns wirklich auf dem Kieker – wir müssen die Unterlagen
schnellstens durchsehen und alles Problematische „bereinigen“.
usw. usf.
Sowohl die Werkzeuge der Chefin, als auch die des Teams funktionieren offensichtlich nicht.
Beide bemerken den Misserfolg. Trotzdem intensivieren sie ihre Anstrengungen, mit dem
untauglichen Werkzeug doch noch erfolgreich zu sein.
Vielleicht können sie noch einwenden, dass der Versuch mit einer Zeitung auf einen Nagel
einzuschlagen von vornherein idiotischer ist, als zum Beispiel der der Chefin, Misstrauen
durch Information zu zerstreuen. Im vorliegenden Beispiel haben sie Recht.
Deswegen Beispiel Nr. 2.
Zwei Kollegen teilen sich ein Arbeitszimmer. Der eine (Herr Fröhlich) ist ein extrovertierter
Typ, der gern und viel redet. Herr Stiller dagegen ist eher wortkarg und zurückhaltend. Herr
Fröhlich möchte gern ein gutes Klima im Zimmer. Deswegen versucht er, mit Herrn Stiller
auch über persönliche und private Themen ins Gespräch zu kommen. Herr Fröhlich ist der
Meinung – wenn Kollegen gut miteinander stehen, dann kann man sich auch mal über
Privates unterhalten. Herr Stiller möchte auch ein gutes Klima im Zimmer. Für ihn heißt das,
dass man sich freundlich begegnet, jeder seine Arbeit macht und man sich ansonsten in
Ruhe lässt.
Herr Stiller ist von den Versuchen Herrn Fröhlich, über Privates zu sprechen genervt. Er will
das nicht. Er demonstriert das deutlich, so deutlich, dass es Herr Fröhlich doch verstehen
muss. Auf Fragen brummt er nur, vermeidet Blickkontakt und wendet sich ostentativ seiner
Arbeit zu. Herr Fröhlich ist von diesem abweisenden Verhalten etwas genervt, aber vielleicht
hat er ja nur noch nicht das richtige Thema gefunden. Er ist weiterhin freundlich und versucht
es mit anderen Themen. Herr Stiller ist weiter genervt.
Jetzt ist es für Herrn Stiller nicht sonderlich schwer festzustellen, dass sein abweisendes
Verhalten für Herrn Fröhlich „ein am ausgestreckten Arm verhungern“ bedeutet und der
versucht, „sich etwas zu essen zu besorgen“ – d. h. versucht ihm wenigstens irgendetwas zu
entlocken, irgendeinen Anknüpfungspunkt zu finden.
Auch für Herrn Fröhlich könnte klar sein, dass seine Versuche bei Herrn Stiller „das Fass
schnell zum überlaufen bringen“ und er deswegen versucht „dichtzumachen“.
In der Praxis ist es für uns alle häufig ein großes Problem, diese Teufelskreise zu
unterbrechen. Häufig genug ändern wir nicht unsere Strategie, sondern intensivieren die
erfolglose. Warum – dazu einige Gedanken nach einer Zusammenfassung.
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Teufelskreise der Kommunikation bestehen aus vier Stufen:
Person A tut X, dass bei Person B etwas Bestimmtes auslöst und sie mit Y reagieren lässt. Y
löst bei Person A etwas aus. Wenn das zur Reaktion X führt ist der Teufelskreis
geschlossen.
Die klassischen Teufelskreise im Arbeitsleben sind:
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Der Nähe-Distanz-Teufelskreis:
PersonAwill
Kontaktundspricht
PersonBist
genervtundwill
inRuhegelassen
werden
PersonAist
frustriert,dasssich
Bzurückzieht
PersonBzieht
sichzurück
Der Misstrauen-Verschlossenheits-Teufelskreis:
PersonAwillnach
außenhinmöglichst
perfekterscheinen
PersonAistwegen
derAufmerksamkeit
vonBverunsichert
PersonBschaut
beiAgenauer
hin"damuss
etwasimBusch
sein"
PersonBwird
darauUin
misstrauisch
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Der Aggression-Opfer-Teufelskreis:
PersonAgreiW
PersonB(inhaltlich)
an
PersonAist
frustriert(...wiein
WaOeboxen)
PersonBist
schockiertund
verunsichert
PersonBreagiert
starr(Kaninchen
vorderSchlange)oderüberfreundlich
Der Ich hab Recht!-Teufelskreis:
PersonAvertriO
MeinungX
PersonBist
andererMeinung
undmöchteA
überzeugen
PersonAistanderer
Meinungundmöchte
Büberzeugen
PersonBvertriO
MeinungY
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Der „… ich hab aber Recht“ – Teufelskreis hat noch eine darunter liegende Logik, die dessen
Durchbrechen so schwer macht.
Zu Beginn von Diskussionen sind die Aussagen der Kontrahenten häufig noch recht
differenziert.
Meinung A
Meinung B
Wenn wir in der Diskussion scheinbar nicht verstanden werden, versuchen wir (nachdem
viele von uns paradoxerweise etwas lauter gesprochen haben) unsere Meinung besser auf
den Punkt zu bringen – d. h. die zentralen Argumente zu verwenden. Wir wollen eigentlich
den inhaltlichen Abstand verringern. Tatsächlich vergrößern wir ihn aber.
Durch eine besonders pointierte Argumentation nehmen wir uns Verständnis- und
Kompromissfelder in Diskussionen.
Warum können wir Teufelskreise schwer erkennen und durchbrechen? Hier gibt es keine
abschließenden Antworten. Es scheint, dass wir bei der Lösung komplexer Probleme häufig6
6
•
irrtümlich Monokausalitäten annehmen
•
mit Regelkreisen überfordert sind
Dörner, D. (2006). Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen
Situationen
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
•
komplexe Systeme intuitiv steuern wollen
•
die Folgen unseres Handeln schlecht übersehen
Wir scheinen uns die Komplexität der Welt in einfachste Ursache - Wirkungs - Gefüge
„zurechtzudenken“7. In Teufelskreisen müssten wir erkennen, dass Ursache und Wirkung
übereinanderliegen. Wir glauben irrtümlich, dass die Ursache für unser Handeln
ausschließlich im Handeln des Anderen liegt und wir lediglich reagieren. Wenn der andere
seine Strategie verändern würde, könnten wir auch anders handeln. Das ist jedoch nur ein
Teil der Wahrheit und dazu noch der wenig hilfreiche. Die Sichtweise, dass unser Handeln
letztlich unsere Reaktion hervorruft, die wiederum das gleiche Handeln in Gang setzt, ist
ebenso schlüssig und produktiver. Wir könnten unser Handeln überdenken.
Ein zweiter, korrespondierender Erklärungsansatz wäre ein grundsätzlicher Egozentrismus
des Menschen, bzw. eine grundsätzliche Schwierigkeit über den eigenen Horizont hinaus zu
blicken. Die meisten unserer Handlungen folgen8
•
•
•
egozentrischen Nutzenerwägungen
der „goldenen Regel“: Was du nicht willst, das man dir tu`, das füg` auch
keinem anderen zu
der Beachtung allgemeingültiger Regeln (Gesetze, Umgangsregeln usw.)
In allen drei Fällen muss ich über meinen persönlichen Horizont nicht hinausblicken. Es ist
anzunehmen, dass Menschen in ihren Handlungsüberlegungen in den allermeisten Fällen
„von sich ausgehen“ und darüber auch selten hinausdenken. Ein „drüber rauschauen“, ein
Betrachtung der eigenen Kommunikation von oben, ist die Voraussetzung für das
Durchschauen von Teufelskreisen.
Teufelskreise sind letztlich, die Beschreibung eines Dilemmas auf der Verlaufsebene der
Kommunikation, die eine zusätzliche zur Inhalts- und persönlichen Ebene ist. Die
Verlaufsebene ist eine kommunikative Metaebene.
7
Nehmen sie die üblichen Börsenmeldungen, die mit „Die Stimmung an der Börse ist …“
beginnen. In vielen Beiträgen werden dann die Ergebnisse des Handels auch von Experten mit
den Emotionen der Händler begründet (sind verunsichert, optimistisch, usw.). Hier wird das
Dilemma deutlich. Wenn wir etwas in seiner Komplexität nicht verstehen, greifen wir schnell
zu einfachen (monokausalen) Erklärungen.
8
in: Peltzer, U.(1986). Lawrence Kohlbergs Theorie des moralischen Urteilens
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Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
V er la u fse be n e
Wie ist die
Kommunikation der
beiden Personen?
Inha ltse bene
!
Was wird sachlich
gesagt?
p er s ön l ic h e E be ne
Was sagen die
Personen über sich
selbst?
Wie ist die Beziehung?
Was wollen sie
voneinander?
Eine besonders eindrucksvolle Form von Teufelskreisen finden wir im „Pygmalion-Effekt“ –
benannt nach einer griechischen Mythologie, in der sich ein frauenfeindlicher Künstler in eine
seiner Statuen verliebt und diese schließlich lebendig wird.
Der Pygmalion-Effekt in der Kommunikation sagt kurz gefasst Folgendes:
Person A hat ein bestimmtes Bild von Person B. Unabhängig davon, ob das Bild zutreffend
ist, wird B sich im Kontakt mit A den Erwartungen annähern.
Das Bild, das wir uns von jemand machen wird irgendwann lebendig und bleibt trotzdem
immer ein Bild. Einen nachhaltigen Nutzen ziehen wir aus dieser Konstellation nicht.
Zwei Beispiele:
Frau Herber hält Herrn Scheu für arrogant. Gefragt warum, kann sie es nicht genau sagen.
Irgendwie verhalte der sich so, sagt sie. Würde man nachbohren, so sind die Grundlage der
Einschätzung unter anderem folgende Verhaltensweisen Scheus:
•
Er sitzt in Besprechungen in der Regel zurückgelehnt und lächelt.
!
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Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
•
Er sitzt beim Mittagessen häufig allein und liest Zeitung.
•
Er nimmt an Betriebsfesten entweder gar nicht teil oder geht sehr früh.
In einer Besprechung, in der Herr Scheu wieder sehr viel lächelt, wird es Frau Herber zu
bunt und sie sagt zu ihm: Lieber Kollege Scheu, vielleicht sagen sie auch mal etwas, anstatt
die ganze Zeit nur so blöd zu grinsen.
Her Scheu sagt daraufhin lächelnd: Bisher war es doch gut, was sie zu sagen hatten Frau
Herber. Machen sie ruhig weiter.
Frau Herber kocht innerlich und fühlt sich in ihrer Einschätzung über Herrn Scheu bestätigt
und als sie nach der Besprechung zwei Kolleginnen fragt, wie sie die Bemerkung von Scheu
gefunden hätten, wird sie auch von diesen bestätigt.
Tatsächlich ist Herr Scheu nicht arrogant.
Zweites Beispiel:
Frau Gerstenkorn wird in einer Firma als ausgesprochen fähige Beraterin angekündigt. Sie
sei trotz ihres „jugendlichen Alters von 33 Jahren“ erfahren, intelligent und
durchsetzungsstark. Die in der Firma zuständige Abteilungsleiterin ist froh über diese
kompetente Unterstützung und nach dem Beratungszeitraum von vier Monaten mit den
Ergebnissen auch ausgesprochen zufrieden und schätzt die Arbeit der Beraterin als fachlich,
menschlich und methodisch hervorragend ein.
Tatsächlich ist Frau Gerstenkorn weder erfahren noch besonders durchsetzungsstark. und
auch das Beratungsergebnis ist nicht überdurchschnittlich gut.
Was ist passiert:
Würde man sich die Kommunikation „unter einer Lupe“ betrachten, dann hat:
•
im ersten Fall Frau Herber in vielen kleinen Dingen des Alltags auf Herrn Scheu
distanziert und ablehnend reagiert. Das ist nicht verwunderlich, da sie diesen ja für
arrogant hielt. Scheus Reaktion darauf war ein innerer Widerwillen gepaart mit
bemühter äußerer Freundlichkeit. Das deutete Frau Herber als Arroganz. Die
beschriebene Konfrontation ist nur die Spitze eines Eisbergs.
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
•
im zweiten Fall die Abteilungsleiterin Frau Gerstenkorn besonders freundlich und
wertschätzend begrüßt und in die Abteilung eingeführt. Sie hat sehr häufig gelächelt,
interessiert nachgefragt und bei der Vorstellung der Beraterin im Team viele kleine
und kleinste Respektsbezeugungen gegenüber Frau Gerstenkorn gezeigt. Das hat
Frau Gerstenkorn einerseits unter Erfolgsdruck gesetzt und ihren Ehrgeiz
angestachelt, andererseits dem Team gesagt, dass ein Widerspruch gegen die
Beraterin durch die Chefin nicht gern gesehen ist. Frau Gerstenkorn wurde deswegen
zum Teil „nach dem Munde geredet“. Der wenige Widerspruch hat das
Selbstbewusstsein von Frau Gerstenkorn zusätzlich verstärkt. Insgesamt verlief der
Beratungsprozess (zu) reibungslos. Die Abteilungsleiterin ist insgesamt zufrieden. Die
außerordentlich positive Einschätzung nach außen ist den Vorschusslorbeeren Frau
Gerstenkorns geschuldet. Jede andere Einschätzung würde bei einem guten
Ergebnis wahrscheinlich hinterfragt werden, was für die Abteilungsleiterin unnötige
Arbeit und Konflikte bedeuten würde.
Was sagt uns der Pygmalion-Effekt in der Kommunikation:
1. Die „Summe der kommunikativen Kleinigkeiten“ kann das Ergebnis der
Zusammenarbeit deutlicher beeinflussen, als die rationale Strategie.
und daraus abgeleitet:
2. Eine rationale Kommunikationsstrategie sollte von einer gleichartigen inneren Haltung
(als Quelle der „Kleinigkeiten“) getragen werden.
sowie zusätzlich:
3. Soziale Wirklichkeit kann nicht als statische Realität verstanden werden. Sie ist eine
ständige Konstruktion unserer durch Erwartungen geprägten Handlungen.
Grund 3 – Menschen verhalten sich irrational, weil sie Rollenerwartungen erfüllen
Der Pygmalioneffekt führt uns direkt zur Frage, inwieweit uns soziale Erwartungen noch in
unserem Handeln beeinflussen.
Auch hier zu Beginn ein Beispiel:
Eine Projektgruppe einer IT-Firma soll einen ersten Vorschlag für einen technischen Ablauf
machen, der für das Beispiel unerheblich ist. Deswegen verzichte ich auf die Erläuterung.
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Nach drei Wochen ist ein erstes Meilensteingespräch, aus dem der Projektleiter vollkommen
verstört zurückkommt. Der erste Vorschlag der Projektgruppe ist von der Abteilungsleitung
als viel zu aufwändig und damit zu teuer in der Luft zerrissen worden. Es war ein
Kostenkorridor vorgegeben. Der Vorschlag der Gruppe war am oberen Ende.
Die Besprechung fand in einer sehr unangenehmen Atmosphäre statt. Die Abteilungsleitung
machte zum Schluss eine Kostenvorgabe in Höhe von 50% der von der Gruppe angesetzten
Kosten.
Im nächsten Projekttreffen moserte die Gruppe sehr stark. Es kamen viele abfällige
Bemerkungen über „die Chefetage“ zu der sich der Projektleiter schon mitzählte und
deswegen recht gereizt war und reagierte (siehe Grund 1). Er versuchte „auf Teufel komm
raus“ die Bedenken der Abteilungsleitung zu erklären und zu rechtfertigen, was in
regelrechten Streit führte (siehe Grund 2). Besonders hervor tat sich dabei der Kollege Fach,
der sonst eigentlich eher still und rational ist. Fach ist ein hervorragender Experte in den
technischen Inhalten des Projektes. In der Projektbesprechung fielen von Fach Sätze wie:
Wenn wir uns wieder über Rauchzeichen und Rohrpost verständigen, werden unsere
Projekte insgesamt billiger. Wir können dann so billig Projekte machen, dass wir die Firma
gleich auflösen damit.
oder
Warum versuchen wir es nicht gleich zu 10% der vereinbarten Kosten. Wir könnten ja zum
Beispiel heiße Luft statt unseres Projektes produzieren, wie unsere Chefetage den lieben
langen Tag. Das ist schön billig.
Die anderen Teammitglieder amüsierten sich zusehends und der Projektleiter brach die
Besprechung nach einer Stunde ergebnislos ab.
Die nächsten zwei Besprechungen verliefen in ähnlich unkonstruktiver Art und Weise. Das
Team manövriert sich immer mehr in eine „Dienst nach Vorschrift-Haltung“, indem es immer
wieder Vorschläge vom Projektleiter in dieser schwierigen Situation forderte, die aber
postwendend in der Luft zerriss. Nach wie vor spielte Herr Fach dabei eine sehr unrühmliche
Rolle. Er war ironisch und nutzte seine gesamte Fachkenntnis zum Kritisieren aller
Lösungsansätze.
Komisch kam dem Projektleiter dabei vor, dass er mit Herrn Fach mehrfach im
Einzelgespräch viel besser hatte reden können und er diese zynische Art auch bisher von
Herrn Fach nicht kannte.
Wahrscheinlich hatte er Fach immer unterschätzt und der entpuppte sich gerade …
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Alexander Höfer
Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Hat der Projektleiter recht damit?
Schauen wir uns die Situation mal aus der Sicht des Teams an. Am besten belauschen wir
einmal ein Gespräch, bei dem Herr Fach dabei ist. Weiterhin anwesend sind Kollege X und
Kollegin Y.
Kollege X:
Das ist mal wieder typisch. Da sitzt man noch zwei Nächte vor der
Präsentation und macht alles fertig und die da oben wischen wieder alles vom
Tisch. Das die sich mal vorher überlegen, was sie wollen …
Kollegin Y:
Na mit unserem Projektleiter haben wir da auch das große Los gezogen. Der
macht doch alles, was die Abteilungsleitung will.
Herr Fach:
Na ich weiß nicht …
Kollegin Y:
Na du musst reden. Du hast doch in der Besprechung letzte Woche endlich
mal die Klappe aufgekriegt. Das war auch mal notwendig – ich meine, du bist
doch der, der hier echt Überblick hat. Den Projektleiter steckst du allemal in
den Sack.
Kollege X:
Da hast du schon recht, aber seit wann werden hier Fachleute etwas (lacht).
Kollegin Y:
Da hast du auch wieder recht – sollen die doch machen, was sie wollen …
Herr Fach:
Naja aber irgendwie müssen wir doch auch jetzt weitermachen …
Kollege X:
… aber das denken die doch immer – die da unten werden es schon richten.
Kollegin Y:
So`n bisschen zappeln lassen sollten wir die schon … und außerdem ist die
aktuelle Vorgabe sowieso unrealistisch, darüber müssen die Chefs sowieso
noch mal mit sich reden lassen, ob sie wollen oder nicht …
Herr Fach:
Naja, da habt ihr schon nicht unrecht ...
In diesem Gespräch vermittelt Herr Fach wieder das Bild des oben beschriebenen eher
zurückhaltend, rationalen Kollegen.
Lassen Sie uns die Lage im Zusammenhang ansehen:
Das Team ist in einer sehr schwierigen Situation. Es fühlt sich fachlich und in seiner
Motivation von seiner Führung im Stich gelassen. Die Mitarbeiter haben sich anscheinend
angestrengt und das Ergebnis wurde „vom Tisch gewischt“. Die Verärgerung darüber ist gut
verständlich (Grund 1). Jetzt befürchten sie zusätzlich, dass sie mit konstruktiver Weiterarbeit
in der Zukunft ein ähnliches Führungsverhalten befördern und sie sich den notwendigen
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Spielraum, den sie fachlich brauchen, erzwingen müssen. In Wirklichkeit ist es viel häufiger,
dass Führungskräfte Mitarbeiter unter Druck setzen, die sich verweigern und beim
Aufrechterhalten der Verweigerung den Druck erhöhen. Das Projektteam riskiert
wahrscheinlich mit der Verweigerung eher eine Verengung von Spielräumen und kann sich
damit in einen Teufelskreis manövrieren.
Welche Rolle spielt Herr Fach dabei? Er hat in der ersten Besprechung nach der Ablehnung
seinem Ärger sehr deutlich Luft gemacht. Sein Ärger stimmte mit dem des Teams
weitestgehend überein. Damit hat er sich als Gruppensprecher – als Alpha-Figur angeboten.
Er ist fachlich im Projekt Spezialist und hat damit eine bessere Kritikerposition, als andere
Projektmitglieder. Er kann dem Team gegenüber die Alpha-Position offen ablehnen („Wenn
ihr das Projekt blockieren wollt, da mache ich nicht mit.“) oder verdeckt ablehnen, indem er in
den Projektsitzungen neutral auftritt. Wenn er weiterhin seinen Ärger, der auch der des
Teams ist, ausspricht, nimmt er die Alpha-Position an.
Die Alpha-Rolle (im Folgenden verkürzt Alpha genannt) ist die des informellen
Gruppenführers. Dieser hat in der Gruppe eine herausgehobene Position und mehr Einfluss
auf Gruppenentscheidungen als andere Gruppenmitglieder. Die Alpha-Rolle ist eine
Machtrolle. Wenn man sie auf Macht und Einfluss reduziert, übersieht man jedoch, wie und
warum sie entsteht.
Gruppen können ohne Führung sehr gut:
•
vielfältige Lösungsansätze diskutieren
•
Solidarität entwickeln und nach innen demonstrieren
Sie können ohne Führung schlecht:
•
Lösungen vereinbaren
•
emotionale Konflikte in der Gruppe lösen und sich gegen äußere Bedrohungen zur
Wehr setzen
Vereinfacht gesagt: Inhaltliche Breite und das Gefühl sozialer Harmonie entwickeln Gruppen
auch ohne Führung – für eine inhaltliche Verengung (Entscheidungen treffen) und soziale
Konfliktlösung benötigen sie eine solche. Da diese Defizite immer wieder zu frustrierenden
Erlebnissen für Gruppenmitglieder führen, sind Gruppen prinzipiell bereit, Führungspersonen
zu unterstützen. Daraus entwickelt sich eine informelle Machtstruktur, an deren Spitze sich
der Alpha befindet.
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Man könnte einwenden, Arbeitsgruppen haben einen solchen Führer in der Rolle des
Abteilungsleiters, Gruppenleiters, Projektleiters usw. Das ist richtig – trotzdem kann man
davon ausgehen, dass bei Gruppen ab etwa 6 Mitarbeitern sich immer noch ein informeller
Führer (Alpha) neben dem formellen herausbilden wird.
Je besser die formelle Führung die Interessen der Gruppe nach:
•
stringenten inhaltlichen Entscheidungen im Gruppeninteresse
•
Konfliktlösung nach innen
•
Vertretung der Gruppeninteressen nach außen
erfüllt, umso flacher die informelle Hierarchie der Gruppe.
Je weniger diese Interessen erfüllt werden, umso deutlicher werden diese von der Gruppe
selbst übernommen. Dass Teaminteressen in der Interessenabwägung der
Gesamtorganisation subjektiv „untergehen“, ist aus meiner Erfahrung die häufigste
Frustrationsquelle für Arbeitsteams. Den Ärger darüber zur Geltung zu bringen, und die
gemeinsamen Interessen auch gegen äußere Widerstände zu formulieren, dafür benötigen
Arbeitsteams ihren Alpha am häufigsten. In diesen Fällen erwächst die Macht des Alpha aus
einer Sprecherrolle. Das heißt, der Alpha ist hier in erster Linie Gruppensprecher und erst in
zweiter Instanz informeller Gruppenchef.
Braucht man für die Übernahme der Alpha-Rolle so etwas wie eine Führungspersönlichkeit.
Nein. Welche Persönlichkeit zum Alpha wird, hängt immer auch von der Gruppenzusammensetzung und der speziellen Situation ab und ist damit nicht gut vorhersagbar.
Vorhersagbar ist jedoch das Verhalten des Alpha.
Alphas werden in kritischen Situationen:
•
Frustration deutlich aussprechen
•
die Führung fachlich kritisieren
•
Stärke demonstrieren
Das heißt in Alltagssprache – ein typisches Alphaverhalten in Krisen ist:
•
Zynismus
•
öffentliche Kritik (statt unter vier Augen)
•
Verweigerung
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•
Palastrevolutionen
Dieses Verhalten kann dem üblichen Verhalten der Person völlig entgegengesetzt sein. Es
entsteht aus der Verpflichtung der eingenommenen Rolle gegenüber. Insofern hat der
Projektleiter mit seiner Vermutung, Herr Fach entpuppe sich gerade, nicht recht.
Es ist extrem schwierig, die Vielfalt sozialen Rollenverhaltens in eine Ordnung zu bringen.
Das bekannteste Gruppenrollenmodell ist das von Raoul Schindler9, einem österreichischen
Psychoanalytiker. Schindler nennt die Rollen:
Alpha-Rolle – informeller Gruppenführer und Gruppensprecher
•
wird von der Gruppe gestützt und bezieht von ihr Energie
•
schätzt die Möglichkeit, Position zu beziehen (nicht zwangsläufig die aus der
Rolle erwachsende Macht)
•
wird über alles informiert und bezieht daraus in Arbeitsgruppen einen Großteil
seiner Macht
•
kann nur punktuell gegen Gruppeninteressen handeln
Gamma-Rolle – Gruppenmitglied
•
ist das Pendent des Alphas, versorgt diesen mit Energie
•
schätzt die Sicherheit in der Gruppe
Beta-Rolle – Experte oder Berater
•
engagiert sich für Einzelthemen und möchte dort die Führung (ohne die
Gruppenführung anzustreben)
•
kann Alpha beeinflussen
Omega-Rolle – Sündenbock
9
•
vertritt tabuisierte Aspekte der Gruppe
•
ist Ziel von Aggressionen der Gruppe
siehe z.B. Oliver König/Karl Schattenhofer: Einführung in die Gruppendynamik. Heidelberg
2006.
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Die Beta-Rolle beschreibt Schindler als nicht zwingend notwendig. Bei allen anderen geht er
davon aus, dass sie in Gruppen immer besetzt sind.
Das Modell von Schindler ist ein grobes Raster.
Folgende Erkenntnisse sind daraus für das Arbeitsleben wichtig:
1. Der Alpha in einer Gruppe spricht Gruppeninteressen aus. Das heißt, wer mit dem
Alpha kämpft, kämpft mit der Gruppe. Formelle Gruppenführer (Abteilungsleiter,
Projektleiter usw.) sollten sich mit dem Alpha verbünden.
2. So wie ich als Gruppenchef mit einem Gamma spreche, fühlen sich alle
angesprochen. Wenn ich in der ersten Besprechung z.B. ein Gruppenmitglied schnell
„abbügele“, muss ich damit rechnen, dass auf weitere Fragen großes Schweigen
herrscht. Die Mehrheit der Gruppenmitglieder lernt aus dem, was für mich als
Einzelfall erscheint, wie ich mit ihnen allen umgehen werde. Letztlich werden die
Gruppenchefs vor allem von den Gammas in ihrer Rolle und weniger als Person
wahrgenommen. Gruppenleitern müssen lernen, jeden ihrer Schritte als
beispielgebend für ihre gewünschte Art und Weise der Kommunikation zu sehen. Ihr
Verhalten als Leiter ist immer konkret und symbolisch.
3. Betas können im besten Fall geschätzte Experten und im schlechtesten Fall
unnachgiebige Kritiker sein. Im zweiten Fall werden sie vor allem von Teams, die
sehr viel Wert auf Harmonie legen, als Störer und ewige Nörgler aufgefasst und
ausgegrenzt. Damit verlieren die Betas fachlich an Einfluss. Das schadet dem
Arbeitsergebnis und frustriert Betas langfristig. Teams und Teamleiter müssen
erreichen, auch scharfe Kritik (und damit den Kritiker) fachlich wertzuschätzen.
4. Sündenböcke scheinen häufig selbst schuld zu sein. Sie sind:
entweder extrem
oder extrem
aggressiv
duldsam
ordentlich
locker
egoistisch
harmoniebezogen
…
…
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Das extreme Verhalten entsteht dabei häufig durch einen Teufelskreis. Der wiederum
entsteht, wenn bestimmte ungeliebte und tabuisierte Aspekte des Teams von einem Mitglied
vertreten werden und das Team versucht, das Tabu aufrechtzuerhalten (zu vertuschen), was
dem Sündenbock nahelegt, sein „Deutlichmachen“ ebenfalls zu intensivieren. Beides sind
keine rational bewussten Strategien.
Da das reichlich abstrakt klingt, lassen sie uns ein Beispiel ansehen.
Ein Produktionsteam mit der Aufgabe, möglichst schnell ein bestimmtes
Herstellungsverfahren für einen Prototypen serienreif zu machen trifft sich jeden Dienstag zu
einer wöchentlichen Besprechung. Dabei stellen die einzelnen Arbeitsgruppen den Fortgang
ihrer Arbeiten dar und diskutieren ihn mit der Gruppe. Die Besprechungen sind vom
Teamleiter stringent moderiert und die Zeit von 1 ½ Stunden wird in der Regel eingehalten
oder sogar „unterboten“. Ein Mitarbeiter (Herr Wage) fällt immer wieder aus der Reihe, da er
im gut verstandenen Sinne visionäre, im eigentlichen Sinne aber sehr schwammige und
abseitige Technologieideen diskutieren will. Er schildert seine Ansätze sehr weitschweifig
und es wird selten klar, was er als nächsten Schritt plant. Daraufhin gefragt, reagiert er
irritiert bis aggressiv. Es kommt immer wieder zu Wortgefechten zwischen dem Teamleiter
und Mitgliedern des Teams und Herrn Wage. Diese eskalieren in letzter Zeit regelmäßig. In
der letzten Besprechung gab es folgenden Wortwechsel:
Teamleiter:
(ungeduldig) Was wollen sie uns nun eigentlich vorschlagen Herr Wage, wie
wir weitermachen sollen?
Herr Wage:
Das habe ich doch gerade erklärt. Ich glaube, dass wir nochmal schauen
sollten, ob die Maschineneinstellung der XY-Maschine nicht gänzlich
ungeeignet ist und vielleicht sollten wir den Zeitpunkt des Aufdampfens viel
weiter nach hinten legen, weil dann die Festigkeit und Haltbarkeit besser wird,
zumindest gibt es Beispiele, dass das schon was bringt.
Mitarbeiter:
Das wirft doch alles wieder über den Haufen, was wir die letzten Wochen
diskutiert haben. Haben sie da überhaupt zugehört.
Herr Wage:
Ich will doch bloß sagen, dass es vielleicht auch noch eine viel bessere
Lösung geben könnte …
Mitarbeiter:
Könnte, könnte – wissen sie was Herr Wage. Wir sind hier nicht im
Forschungslabor. Das hier ist Industrie. Da zählen Ergebnisse. Wenn Sie das
nicht begreifen, dann sind sie hier falsch.
Teamleiter:
Was schlagen sie nun vor, Herr Wage.
HÖFERUNDTAUSCH
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Alexander Höfer
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Herr Wage:
Die Einstellungen in Halle C nochmal zu checken.
Teamleiter:
Das haben wir bereits diskutiert. Haben sie sonst noch Vorschläge?
Herr Wage:
Nein, aber…
Teamleiter:
Dann zum nächsten Punkt …
Der Teamleiter hat vor, den Vertrag von Herrn Wage nicht zu verlängern.
Das Team steht unter Zeitdruck und der Teamleiter ist sehr strukturiert und
ergebnisbezogen. Die Aufgabe verlangt dem Team eine hohe Kreativität ab. Kreatives
Denken benötigt Originalität genauso wie den Blick auf die Durchführbarkeit von Lösungen,
Visionen ebenso wie Bodenhaftung. Unter dem hohen Handlungsdruck wird die Kreativität
des Teams eingeschränkt. Es müssen permanent abrechenbare Ergebnisse produziert
werden. Die meisten Mitglieder des Teams leiden mehr oder weniger unter dieser
Schnelligkeit und wissen auch, dass ein weniger schnelles Arbeiten qualitativ bessere
Ergebnisse verspräche. Herr Wage wird durch sein Herangehen und sein beharrliches
Weigern, sich diesen Beschränkungen zu unterwerfen quasi zum Überbringer der schlechten
Botschaft. Und dieser wird seit der Antike gehängt.
Sündenböcke entstehen z.B.:
•
wenn ein Team sehr locker und heiter kommuniziert und ein Teammitglied immer
wieder darauf hinweist, dass in Sachfragen Ernsthaftigkeit weiter bringt als Blödelei
•
wenn ein Team mit Leitungsentscheidungen sehr unzufrieden ist und ein
Teammitglied klar macht, dass es in einer Führungsposition kaum anders gehandelt
hätte
•
wenn es die Führungsetage eines mittelständischen Unternehmens mit der
Buchhaltung nicht so genau nehmen möchte, und einer von drei Buchhaltern immer
wieder fachliche Mängel anzeigt
•
wenn in einem Unternehmen viel übereinander und wenig miteinander geredet wird
und sich ein Mitarbeiter an gemeinsamen Mittagessen einer Abteilung und
Betriebsfeiern nicht teilnimmt – weil er, wie er sagt sich das bei diesem Klima auch
schenken kann
Sie können gern Beispiele aus ihrer Erfahrung hinzusetzen.
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Ein weiteres für berufliche Kommunikation relevantes Rollenmodell ist das Dramendreieck
von Stephen Karpman10.
Lassen sie mich zu dessen Erläuterung gleich mit einem Beispiel beginnen.
Für eine Arbeitsgruppe, die sich in einer fachlichen Sackgasse befindet, wird ein Experte
eingestellt. Dieser, so ist aus der Buchhaltung durchgedrungen, verdiene auch deutlich
besser, als die anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe. Da er jedoch sehr sympathisch ist, mit
den besten Referenzen kommt und sehr optimistisch ist, das Problem in kurzer Zeit lösen zu
können, macht ihm daraus niemand einen ernsthaften Vorwurf. Als jedoch – und sie ahnen
bereits, was kommt – das Problem weiterhin von Sachgasse zu Sachgasse verschoben wird
und der Durchbruch ausbleibt, wendet sich die Stimmung im Team. Der Experte wird erst
hinter vorgehaltener Hand und später auch offen scharf kritisiert. Er habe nichts
Substantielles zur Problemlösung beigetrage und außer heißer Luft nichts produziert. Der
Experte wiederum beklagt sich über die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Teams und
die insgesamt schlechte Organisation. Unter diesen Umständen könne das Problem nicht
gelöst werden.
Grundlage dieser typischen Entwicklung ist eine sogenannte Opfer-Retter-Beziehung. Eine
oder mehrere Personen (Opfer-Rolle) erwarten von einer anderen Person, dass eine
schwierige Notlage schnell behoben wird. Rein logisch kann das kaum jemand versprechen,
denn wenn die Notlage dramatisch ist, werden die Anstrengungen, diese zu vermeiden oder
zu beheben groß gewesen sein. Wenn das bisher aber nicht gelang, warum sollte es dann
jetzt gelingen. Absurd, aber menschentypisch ist jedoch, dass unsere Ansprüche an
Unterstützung umso mehr steigen, je schwieriger die Notlage ist. Findet sich nun jemand, der
die Überansprüche annimmt (das Einverständnis kann auch ein schweigendes sein),
übernimmt er im Dramendreieck die Retter-Rolle. Werden die Ansprüche nicht erfüllt, dann
kommt eine dritte Rolle ins Spiel, in die beide Seiten wechselseitig hinein pendeln – die
Verfolger-Rolle. Der Verfolger versucht die Verantwortung für den fehlgeschlagenen
Rettungsversuch dem jeweils anderen anzulasten. Viele wechselseitige Schuldzuweisungen
im Berufsleben haben eine Opfer-Retter-Konstellation zur Grundlage, die fast unweigerlich in
unkonstruktiven Schulddiskussionen endet, wie vernünftig die Beteiligten auch im
Allgemeinen sein mögen. Auch hier ist die Rollendynamik häufig stärker, als die
Persönlichkeit.
10
Hier nach Berne Eric (2007). Was sagen Sie nachdem Sie Guten Tag gesagt haben. Fischer
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Opfer
Verfolger
ReOer
Beginnend in den 1990er Jahren sind sogenannte Organisationsaufstellungen im
Arbeitsbereich als Beratungstechnik entwickelt worden. Da ein Rollenverhalten, wie weiter
oben schon beschrieben, schwer in eine allgemeingültige Form zu pressen ist, sollen die
Organisationsaufstellungen das spezielle Rollenverhalten in der ganz individuellen Situation
verdeutlichen. Verstrickungen und Teufelskreise werden allen Teammitgliedern deutlich und
können so besprochen und aufgelöst werden. Es wurde und wird immer wieder kritisiert,
dass diese Methode im Augenblick sehr plausible Erkenntnisse ohne langfristigen Wert für
die Organisation bringt – es sich auf deutsch eher um „Budenzauber“ als um eine fundierte
Problemanalyse und –lösung handelt. Wichtig erscheint mir zu erkennen, wie stark uns
soziale Rollen in unserem Verhalten beeinflussen können. Ebenso wichtig ist es
festzustellen, dass die soziale Rolle unser Verhalten nicht erklärt und nicht einmal wesentlich
bestimmen muss.
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Grund 4 – Menschen verhalten sich irrational, weil sie verschieden Sprachen spreche
In einem Modell der beiden Psychologen Riemann und Thomann werden vier menschliche
Grundstrebungen unterschieden.
Nähe
Dauer
!
Wechsel
Distanz
Für Menschen mit ausgeprägter Nähestrebung sind besonders wichtig:
•
•
Nähe zu anderen Menschen
Zuneigung bekommen und zeigen
•
Sympathie und positive Gefühle ausdrücken und erhalten
•
•
in Beziehungen mit anderen Menschen aufgehoben sein
Harmonie mit anderen herstellen und erhalten
•
Bestätigung von anderen erhalten
•
sich aufeinander einlassen
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Die Nähe-Menschen11 sind sehr gut kontaktfähig, ausgleichend, gute Teamspieler und
verständnisvoll-akzeptierend anderen Menschen gegenüber. Oft sind sie auch konfliktscheu,
aggressionsgehemmt und haben eine latente Opfermentalität.
Für Menschen mit einer ausgeprägten Distanzstrebung sind besonders wichtig:
•
eigenständig von Anderen sein
•
unverwechselbar sein
•
•
die eigene Position vertreten und die Position Anderer erfahren
von Anderen unabhängig sein und niemandem etwas schuldig sein
•
Vernunft anstatt (Bauch-)Gefühl als Ratgeber für das Handeln
•
•
große Sachlichkeit in zwischenmenschlichen Konflikten
Nähe ohne große wechselseitige Verpflichtungen
Distanz-Menschen sind insgesamt eigenständig, häufig verstandesbetont-intellektuell,
entscheidungs- und konfliktfähig und sachlich-fachlich ausgerichtet. Sie können gut
delegieren und Nein-sagen, sind aber auch kontaktscheu und emotional unbeholfen bis
sozial inkompetent.
Für Menschen mit einer ausgeprägten Dauerstrebung sind besonders wichtig:
•
Zuverlässigkeit bei Anderen
•
•
die konventionellen Werte des Arbeitslebens, wie: Pünktlichkeit, Pflicht,
klare Verantwortlichkeiten, Planung und Kontrolle
Hierarchien und das Einhalten dieser
•
•
Vorausdenken möglichst aller Wägbar- und Unwägbarkeiten
funktionierendes Selbstmanagement
Dauer-Menschen sind verlässlich, systematisch und ordentlich. Sie haben
Organisationstalent und sind häufig sehr prinzipientreu und eher konservativ. Sie neigen
aber auch zur Pedanterie, Starrheit und negativen Kontrolle.
11
Die Begriffe: Nähe-Menschen, Distanz-Menschen usw. sind eigentlich nicht korrekt, da es
sich bei dem Modell um ein überindividuelles Modell handelt – sie werden im Text der
einfachen Lesbarkeit halber verwendet
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Für Menschen mit einer ausgeprägten Wechselstrebung sind wichtig:
•
Spannung und Abwechslung
•
•
die Gelegenheit beim Schopfe packen
Spontanität und Kreativität
•
•
flexibel sein und sich den Gegebenheiten anpassen
Planung nur soweit, wie unbedingt nötig
Wechsel-Menschen sind insgesamt einfallsreich und haben ein großes
Improvisationstalent. Sie haben in Krisen häufig sehr überraschende Lösungen
vorzuschlagen. Auf der anderen Seite sind sie auch unzuverlässig, lax, chaotisch und
unsystematisch.
Nähe- und Distanzstrebung beschreiben hauptsächlich unser Kommunikationsverhalten und
Distanz- und Dauerstrebung unseren Arbeitsstil. Jeder Mensch hat dabei alle vier Tendenzen
in sich. Ein nach außen kämpferischer Mensch, der seine Meinung pointiert auf den Punkt
bringen kann, kann innerlich sehr verletzlich sein. Ebenso wie ein im Arbeitsleben
ausgesprochen strukturierter Mensch in seiner Freizeit ohne Probleme „alle Fünfe gerade“
sein lassen könnte. Das Modell von Riemann und Thomann ist kein „Typen-Modell“, sondern
beschreibt grundsätzliche Tendenzen menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns. In
unserem Verhalten sind im Beruf jedoch eine oder zwei Tendenzen besonders sichtbar, und
das relativ unabhängig von unserem „Seelenleben“. Ich möchte mir im Folgenden mit Ihnen
die Schwierigkeiten genauer ansehen, die ausschließlich daraus entstehen können, dass wir
unterschiedlich sind.
Menschen mit einer sehr starken Nähe-Tendenz im Arbeitsleben suchen bei Schwierigkeiten
häufig den Rat und die fachliche Unterstützung anderer Kollegen oder des gesamten Teams.
Sie reagieren auf kritische Situationen häufig mit einem: „Da müssen wir schleunigst drüber
reden“. Wenn sie um Rat gefragt werden sind sie in aller Regel geduldige Zuhörer. Eine gute
Kommunikation ist für sie die Basis jeder inhaltlichen Lösung. Sprachlich neigen NäheMenschen zu einer indirekten Sprache. Sie verwenden viele Füllwörter und Konjunktive.
Nähe-Menschen suchen in einer sehr frühen Phase eines Problems den Austausch mit
Anderen. Ganz anders Mitarbeiter und Kollegen mit einer ausgeprägten Distanz-Strebung.
Diese melden sich von Besprechungen häufig ab mit der Begründung: Sie haben zu viel zu
arbeiten. Das ist insofern entlarvend, als dass Distanz-Menschen Kommunikation tatsächlich
nicht als Arbeit sehen, sondern als etwas, dass man tut, wenn man sonst nichts zu tun hat.
Das „sonst“ ist die eigentliche Arbeit.
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Trifft ein Nähe-Mensch mit einem Problem auf einen Distanz-Menschen, so kann sich schnell
folgender Dialog entwickeln:
Herr Nah:
Ich müsste mal mit Ihnen über ein kleines Problem mit unserem Projekt
sprechen.
Frau Fern:
Was gibt es denn genau?
Herr Nah:
Wir hatten ja im Grunde schon alles besprochen, aber ein vielleicht nur kleines
Detail gäbe es doch noch – die Zuordnung der Steuerposten …
Frau Fern:
(leicht genervt) Sind Sie denn persönlich unzufrieden?
Herr Nah:
So will ich das nicht verstanden haben. Nur im Grunde ist doch eine
Teilung der Verantwortung vielleicht auch im Sinne aller. Ich meine wir haben
ja alle genug zu tun und jetzt hat Kollege Herber ja die ganze Arbeit …
Frau Fern:
(unterbricht Nah) Hat Herber ein Problem?
Herr Nah:
(etwas hilflos und leicht genervt wegen der Unterbrechung) Nein, also gesagt
hat er nichts, aber es ging ja auch ziemlich schnell …
Frau Fern:
(unterbricht Nah wieder mit schon deutlich gereizter Stimme) Naja, es hat ja
auch niemand etwas gesagt … Was ist nun eigentlich Ihr Problem Herr Nah?
Herr Nah:
(resignierend) Die Zuordnung der Steuerposten. Ich finde, das kann nicht gut
gehen …
Frau Fern:
Die Entscheidung ist getroffen. Sie können das ja meinetwegen in der
nächsten Beratung noch einmal ansprechen. Ich kann Sie nicht davon
abhalten. Jetzt lassen Sie mich aber bitte allein, ich habe noch zu arbeiten.
Das Gespräch scheitert nicht an den unterschiedlichen Positionen, soweit kommen die
Gesprächspartner gar nicht, sondern an der unterschiedlichen Sprache der beiden
Gesprächspartner.
Nimmt man die typische Kommunikation von Dauer-Menschen und von Wechsel-Menschen
noch hinzu, kann man vier grundsätzlich unterschiedliche Kommunikationsweisen
(Sprachen) unterscheiden.
Nähe
indirekt-beziehungsorientiert
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Dauer
ernsthafttiefgründig
indirekte Sprache,
langes „An-wärmen“,
plant mehrere
Gespräche ein,
behutsam, geduldig
witzig, unterhaltend,
herzlich, bildhafte
Aussagen, indirekte
und häufig schnelle
Sprache, geduldiger
Zuhörer
direkte Sprache,
überlegte Aussagen,
verbindlich aber
unterkühlt, strebt
Führung über
Fragen an
direkte Sprache,
pointierte und
schnelle Aussagen,
bildhafte Sprache,
neigt zu Ironie bis
Zy-nismus, strebt
Füh-rung über
Fragen an
Wechsel
heiter-oberflächlich
direkt-sachorientiert
Distanz
In den beiden Diagonalen sind Missverständnisse und Frustrationen am häufigsten zu
erwarten. Die Lösung, die wir instinktiv anstreben ist der der Teufelskreise ähnlich. Wir
glauben häufig: Wenn der Andere nur … … … und der Andere ändert sich nicht. Wir sind
von den Qualitäten unserer Art Probleme zu besprechen und zu lösen immer überzeugt. Die
Lösung für die oben beschriebenen Probleme liegt aber immer darin, dass wir uns auf die Art
und Weise der Problemlösung des Gegenübers – auf seine Sprache einlassen. Das fällt uns
besonders schwer, da wir ihm damit einen „Heimvorteil“ geben und auf einem Feld spielen,
auf dem wir uns nicht gut auskennen. Andersherum wäre es uns lieber, aber wie bei den
Teufelskreisen haben wir keine Wahl.
Grund 5 – Menschen verhalten sich irrational, weil sie irrationale Intensionen haben
Dies ist der einfachste Grund irrationalen Verhaltens. Irrational ist dabei nicht mit unsinnig
gleichzusetzen.
•
Rational möchte ich, dass wir mit der Arbeitsaufgabe vorankommen – aber Müller soll
die Lorbeeren für die Ergebnisse auf keinen Fall einheimsen. Um das zu verhindern
muss ich dann doch etwas bremsen.
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
•
Rational möchte ich, dass das Ansehen meines Teams groß ist, schließlich habe ich
ihm viel zu verdanken, aber wenn es um das Herausstreichen eigener Erfolge geht …
•
Rational ist das Verhandlungsergebnis sehr gut, aber kann man den Amerikanern
wirklich trauen? Die sind doch mit allen Wassern gewaschen.
Wir verfolgen immer allgemein geteilte (und als rational geltende) und (häufig versteckte)
persönliche Interessen und unterliegen immer Begrenzungen, die als rational gelten und
persönlichen Vorurteilen, Abneigungen o.ä.
allgemein
geteilte
ra8onnale
Interessen
häufig
versteckte
persönliche
Interessen
•  Kosten-Nutzen-Verhältnis
•  Funk8onalitätvonLösungen
•  WeObewerbsvorteile
•  Produkt-/Lösungsqualität
•  eigenesAnsehen
•  Beliebtheit
•  Macht
•  Sicherheit
allgemein
geteilte
ra8onale
Begrenzungen
•  Hierarchien
•  Entscheidungswege
•  Arbeitsvorgaben
•  Prioritäten
häufig
versteckte
persönliche
Begrenzungen
•  Vorurteile
•  BeziehungenundVerpflechtungen
•  Rollenverständnis
•  schlechteErfahrungen
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Grund 6 – Menschen verhalten sich gar nicht irrational, es sieht manchmal nur so aus.
Der letzte Grund, der den Kreis zur Dominanz der Person-Ebene wieder schließt, beschäftigt
sich mit einer häufigen Fehlwahrnehmung des Menschen. In der Sozialpsychologie wurde
untersucht, wann Menschen die Ursachen für ein bestimmtes Verhalten eher der
Persönlichkeit und wann eher äußeren Faktoren zuschreiben. Das Ergebnis war, dass wir
Persönlichkeit als Verursacher für Ergebnisse grundsätzlich überschätzen und die äußeren
Umstände grundsätzlich zu gering bewerten, d.h. wir denken in aller Regel, dass der dem
das Missgeschick passiert auch daran schuld ist.
Ein einfaches Beispiel: Stellen sie sich vor, ein Kind geht aus der Tür, tritt auf frisch
gefallenen Schnee und fällt auf die Nase. Die meisten Menschen sagen dazu, das Kind hätte
besser aufpassen müssen, dann wäre es nicht hingefallen. Nun könnte man entgegenhalten,
dass unter dem Schnee genau vor der Tür eine Eisschicht ist, die das Kind nicht habe sehen
können und deshalb sei es auch hingefallen. Ein Teil unserer „selbst-schuld-Sager“ wird nun
einwenden, das haben sie nicht gewusst. Nicht gewusst heißt aber auch – ohne
Sachkenntnis automatisch auf „selbst schuld“ geschlossen. Der größere Teil von Menschen
bleibt erstaunlicherweise aber auch bei der „selbst-schuld-Annahme“, wenn diese wenig
plausibel ist.
Diese Bewertungstendenz bekam den Namen – fundamentaler Attributionsfehler12.
Im beruflichen Alltag taucht der fundamentale Attributionsfehler häufig als „die Suche nach
dem Schuldigen“ auf, obwohl die Mehrzahl der betrieblichen Fehler in organisatorischen
Abläufen mitbegründet sind.
Ein Beispiel:
Herr Gutmann ist ein fähiger Ingenieur und für seine freundliche und vermittelnde Art in
seinem Unternehmen allgemein geschätzt. Herr Gutmann bekam im Zuge eines neuen
Projektes die Aufgabe ein Angebot von einer Telekommunikationsfirma für eine bestimmte
Dienstleistung einzuholen. Er schickte alle angeforderten Unterlagen an die
Telekommunikationsfirma, bekam von dieser eine E-Mail, dass jetzt alles in Butter sein und
das Angebot erstellt werde. Nach zehn Tage rief er bei der Firma an und erhielt die Auskunft,
12
Gilbert, D. T. & Malone, P. S. (1995). The correspondence bias. Psychological Bulletin, 117,
21-38.
HÖFERUNDTAUSCH
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dass das Angebot „raus sei“. Nachdem nach zwei Tagen das Angebot nicht eingetroffen war,
rief er nochmal an und bekam die Auskunft, das Angebot sei noch „nicht raus“ (die Frau am
anderen Ende konnte sich die Auskunft ihrer Kollegin gar nicht erklären), dass es aber nicht
mehr lange dauern könne. Auf seine Bitte, ihm einen Ansprechpartner in der
Angebotsabteilung zu nennen, reagierte die Frau am anderen Ende leicht genervt. Das sei
leider nicht möglich, die Angebotsabteilung sei für Außenstehende telefonisch nicht zu
erreichen. Inzwischen weitere zehn Tage und fünf oder sechs Anrufe mit den
verschiedensten freundlichen Auskünften ins Land gegangen und Herrn Gutmann wird
langsam mulmig. Der interne Termin ist schon zwölf Tage verstrichen und so langsam kann
er nicht mehr rechtfertigen, dass das Angebot noch nicht da ist. Aber es wird bestimmt jeden
Tag kommen. Nach zwei weiteren Tagen knöpft sich der Projektleiter Herrn Gutmann vor und
verlangt eine Erklärung für die zweiwöchige Verspätung eines simplen Angebots. Der
Projektleiter macht seinem Ärger über so viel Unfähigkeit deutlich Luft. Herr Gutmann druckst
herum.
Wie viel Verantwortung trägt Herr Gutmann?
Zwei Dinge sollten dem Projektleiter zu denken geben.
Herr Gutmann ist ein freundlicher und gutmütiger Zeitgenosse, der offensichtlich für das
Überwinden des Call-Center-Bollwerks der Telekommunikationsfirma zu schlecht schreien
und drohen kann. Insofern war er nicht der Richtige für diese zwar einfach scheinende, aber
sich als komplizierter entpuppende Aufgabe. Für die Auswahl ist der Projektleiter
verantwortlich – also auch sein Fehler.
Es gab sichtlich keine Vorstellung im Prozess, wann das Nichteintreffen des Angebots an
wen „zu eskalieren“ ist. Ein deutlicher Prozessmangel.
Das soll nicht heißen, dass sich Herr Gutmann hervorragend verhalten hat und der Fehler
beim Leiter und im Rückmeldeprozess liegt. Es soll heißen, dass der Anpfiff des
Projektleiters zu kurz greift und damit auch Ressourcen zur Verbesserung des
Führungsverhaltens und der Informationsprozesse im Projekt vergeben werden.
Immer, wenn sie im Arbeitsleben den Satz hören: Das hätte der oder die doch wissen
müssen, dann können sie davon ausgehen, dass hier gerade jemand verantwortlich gemacht
wird, ohne zu schauen, durch welche Abläufe oder Arbeitsmittel der Fehler verursacht wurde.
In diesem Punkt sind nach meiner Erfahrung Mitarbeiter häufig klüger als Chefs. Sie
reagieren bei Fehlern von Kollegen häufig nicht schuldzuweisend, weil sie wissen, dass die
Mehrzahl der Fehler auch ihnen hätte passieren können und die individuelle Fehlleistung in
der Regel geringer zu bewerten ist als die organisatorischen Lücken.
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Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen
Watzlawick, P. u.a. (2000). Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien
Schulz von Thun: Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. 1989. S.
38-55
Schulz von Thun/Ruppel/Stratmann: Miteinander reden für Führungskräfte. 2000. S. 52-59
Helwig, P.: Charakterologie. Freiburg im Breisgau 1976
Dietrich, Rainer (2007): Psycholinguistik. Stuttgart: Metzler. [Sammlung Metzler].
Krämer, Walter. 2006 Anpassung als Identitätsverlust, Betriebslingusitische Beiträge,
Zeitschrift für Unternehmenskommunikation, Heft 8- August 2008 Seite 1-4
Baer, Oliver 2006 Sprache, weit mehr als ein Luxus, Betriebslingusitische Beiträge,
Zeitschrift für Unternehmenskommunikation, Heft 5- August 2006 Seite 1-4
Peter Panter in Vossische Zeitung, 16.11.1930, Nr. 542,