HÖFERUNDTAUSCH 1 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Wir stellen im Arbeitsleben immer wieder fest, dass Kollegen, Chefs oder Mitarbeiter Dinge tun, die uns ausgesprochen kontraproduktiv vorkommen. • Kollegen halten verbissen an Meinungen fest, mit denen sie dem Arbeitsergebnis und sich selbst schaden • Führungskräfte demotivieren ihre fähigsten Mitarbeiter • Mitarbeiter verharren in einer Dienst-nach-Vorschrift-Haltung, in der sie dauerhaft gereizt und unzufrieden sind • Arbeitsteams zerreiben sich auf Nebenkriegsschauplätzen und verlieren Stück für Stück ihr Ziel aus den Augen Die erste Aufgabe für jeden, der soziale Prozesse effizient steuern will heißt, sie zu verstehen. Wenn Sie mögen, lassen Sie uns sechs Gründe ansehen, warum sich Menschen irrational verhalten. Grund 1 – Menschen verhalten sich irrational, weil sie nie sicher sein können, was am Gesagten das Gemeinte ist. Lassen Sie uns gemeinsam eine einfache Gesprächssituation anschauen. Frau Gerber ist Produktionsleiterin und für 21 Mitarbeiter fachliche Vorgesetzte und Ansprechpartnerin. Frau Gerber ist ausgesprochen engagiert. Gerade im letzten Jahr gab es viele Situationen, in denen sie noch nach Feierabend in die Firma gefahren ist, weil Mitarbeiter mit kniffligen Einstellungen der Anlagen nicht zu recht kamen. Es ist kurz vor Weihnachten und der Chef von Frau Gerber sagt: • „Schöne Feiertage Frau Gerber – erholen sie sich gut.“ Frau Gerber daraufhin: • „Naja, ich muss ja zwischen Weihnachten und Silvester arbeiten.“ Daraufhin der Chef: • „Naja, das ist eine ruhige Zeit – da kommt man ja wenigstens mal dazu, ein bisschen aufzuräumen und das Dringendste wegzuarbeiten.“ Sie treffen Frau Gerber an ihrem Arbeitsplatz in einer Mischung aus Wut und Resignation an. HÖFERUNDTAUSCH 2 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Was kann man aus verschiedenen Perspektiven über diese Situation sagen. Aus der sachlich-inhaltlichen Perspektive ist an dem Wortwechsel nichts auszusetzen. Alle ausgetauschten Informationen sind korrekt. Frau Gerber sagt, dass sie zwischen Weihnachten und Silvester arbeiten muss und ihr Chef sagt, dass das eine ruhige Zeit ist, in der man Liegengebliebenes aufarbeiten kann. Auf der menschlichen Ebene ist Frau Gerber tief getroffen. Wahrscheinlich hat sie die Worte des Chefs als Kritik verstanden. „Naja, das ist eine ruhige Zeit – da kommt man ja wenigstens mal dazu, ein bisschen aufzuräumen und das Dringendste wegzuarbeiten.“ hat Frau Gerber umgewandelt in: „Das geschieht ihnen ganz recht. Sie schaffen ja ihre Arbeit nicht.“ So ist ihre Entrüstung gut zu verstehen. Hat das der Chef so gemeint? Wir könnten ihn fragen. Frage: Lieber Chef, Frau Gerber war nach der Weihnachtsverabschiedung ziemlich echauffiert. Sie fühlte sich von ihnen so ganz nebenbei schwer angegriffen. Wollten Sie Frau Gerber kritisieren? Wie haben sie das gemeint? Lassen Sie mich mehrere mögliche Antworten formulieren: Chefantwort 1: So …, das habe ich aber nicht so gesehen. Eigentlich wollte ich gar nichts Konkretes sagen. Naja, vielleicht ist Frau Gerber ja etwas dünnhäutig zur Zeit. Warum fängt sie auch noch einmal mit diesem „Ich muss ja zwischen den Jahren arbeiten.“ an. Das hatten wir doch im Vorfeld schon ausdiskutiert. Chefantwort 2: Das tut mir leid. Das hat sie in den falschen Hals bekommen. Ich denke, dass sie nach dieser Belastung im letzten Jahr die ruhigen Tage ausnutzen soll. Ich bin mit ihr sehr zufrieden. So viel, wie sie in der letzten Zeit zu tun hatte, da bleibt natürlich eine Menge liegen. Aber sie ist nun einmal sehr wichtig für uns und macht ihre Sache wirklich gut – ich hoffte, das hätte sie auch so verstanden. 3 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Chefantwort 3: Vielleicht war es ja nicht der beste Zeitpunkt, aber wenn sie schon fragt … sie sollte sich tatsächlich einmal überlegen, wie sie ihre Arbeit besser bewältigen kann und ein paar ruhige Tage werden ihr sicher Gelegenheit geben, ihr Chaos einmal zu ordnen. Warum fängt sie auch noch einmal mit diesem „Ich muss ja zwischen den Jahren arbeiten.“ an. Das hatten wir doch im Vorfeld schon ausdiskutiert. Alle drei Varianten sind denkbar. Der Chef hat nichts Wesentliches sagen wollen und schiebt die „Schuld“ am Missverständnis im Nachhinein auf Frau Gerber, er wollte sie loben, oder er wollte sie kritisieren. In unserem Beispiel, weiß Frau Gerber nicht, was der Chef gemeint hat. Das ist grundsätzlich typisch für unseren Umgang miteinander. Sachliches kann immer auch persönlich verstanden werden, muss aber nicht so gemeint gewesen sein. Wir filtern aus dem Gesagten immer etwas heraus, von dem wir dann annehmen, dass es auch so gemeint war und das häufig zu Unrecht. Frau Gerber hat die Kritik herausgefiltert. Warum? Dazu fünf Antworten Erstens: Weil es möglich ist. Eigentlich sagt der Chef ja etwas sachlich Richtiges. Frau Gerber versteht etwas Persönliches. sachliche Aussage Das ist eine ruhig Zeit, man kommt dazu aufzuräumen Das ist eine ruhig Zeit in der man Liegengebliebenes aufarbeiten kann persönliches Verständnis à à Sie sind unordentlich. Sie schaffen ihre Arbeit nicht. Diese persönlichen Aussagen können in eigentlich sachlichen Aussagen enthalten sein. Da wir wissen, dass das Gesagte nicht das Gemeinte sein muss und gerade im Arbeitsleben persönliche Ansprachen in Sachinhalten „untergebracht“ werden, verstehen wir die persönliche Seite einer Aussage, einfach nur, weil sie enthalten sein könnte. Das Persönliche ist nicht zu verwechseln mit dem Privaten. Persönlich ist die Ansprache an die Person (Sie sind …) – privat ist der Ärger mit der Familie. Persönliche Botschaften sind außerhalb von engen – häufig privaten Beziehungen in der Regel „zwischen den Zeilen zu hören“. Wenn ein Kollege zu einem anderen sagen will: Ich bin froh, dass ich mit ihnen im HÖFERUNDTAUSCH 4 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Zimmer sitze. Sie sind ein durch und durch kollegialer und angenehmer Mensch, dann wird das selten so gesagt. Auch die gegenteilige Aussage würde eher nicht direkt ausgesprochen werden. Im ersten Fall müssten wir uns die Botschaft aus einem: „Das haben wir mal wieder gut hinbekommen, was?“ heraushören. Im zweiten Fall wäre sie vielleicht im Satz: „Die neuen Büros sind doch ganz schön beengt.“ versteckt. Typisch ist, dass der, der etwas sagt immer davon ausgeht, dass der Hörer, das Gesagte so versteht, wie er es gemeint hat – was überhaupt nicht sicher ist. Typisch ist auch, dass Menschen in der Regel annehmen, dass das von ihnen Verstandene auch das Gemeinte war – was ebenfalls überhaupt nicht sicher ist. Zweitens: Weil das Persönliche Vorrang hat. Wir sind als Menschen grundsätzlich daran interessiert zu erfahren, • was andere von uns halten • wie gut oder schlecht wir mit anderen stehen • was andere von uns wollen. Das Menschen diesen Fragen mehr oder weniger Wert beimessen, darf nicht über die Grundsätzlichkeit dieser Interessen hinwegtäuschen. An sachlichen Aussagen sind wir niemals in dieser Stetigkeit interessiert. Wie unser Chef den Arbeitsanfall in einer bestimmten Zeit einschätzt ist uns häufiger gleichgültig – wie er uns einschätzt, ist uns niemals völlig gleich. Im Deutschen sagt man: Die Jacke ist einem näher als die Hose. Die Persönliche Ebene ist in der Kommunikation die Jacke. Drittens: Weil alles eine Vorgeschichte hat. Fragen wir Frau Gerber zu der Vorgeschichte. • Frau Gerber, warum glauben Sie denn, wollte Sie Ihr Chef kritisieren? • Weil er das immer so ist. Man weiß nie so recht, was er von einem hält. Anerkennung bekommt man so gut, wie gar nicht, aber zum Beispiel im Mitarbeitergespräch, da hat er dann gleich eine ganze Mängelliste. Und er ist sogar der Meinung, dass er einem das ja alles gesagt hat. Und das sind dann genau solche Bemerkungen, wie die heute. Frau Gerber hört die Kritik also, weil sie sich nicht sicher ist, wie ihr Chef sie einschätzt, und sie häufiger kritisiert, als lobt. Viertens: Weil es Frau Gerber nicht gut geht. HÖFERUNDTAUSCH 5 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Frau Gerber ist vor Weihnachten sehr gestresst. Dadurch ist sie dünnhäutig und neigt dazu, vieles auf sich zu beziehen und negativ zu deuten. Fünftens: Weil ärgerliche Verteidigungen häufig als Angriff missverstanden werden. Der Chef hat sich als erstes über das „Aufwärmen“ des Themas durch Frau Gerber geärgert. Hat ihn dieser Ärger beeinflusst? Hat ihn Frau Gerber wahrgenommen? Beides ist wahrscheinlich. Es sind im wahrsten Sinne des Wortes winzigste Änderungen in unserer Körpersprache und in unserem Tonfall, die durch Ärger hervorgerufen werden. Eine leichte Veränderung in der Tonhöhe. Ein fast unmerkliches Absacken der Intonation am Satzende, ein leichter Blick zum Boden, eine hochgezogene Augenbraue – jedes für sich eher unbedeutend, aber in der Summe bemerken wir es. Dass über die Körpersprache im Gespräch kaum bewusst reflektiert wird, schmälert ihre Bedeutung nicht. Im Gegenteil, dadurch werden Körpersignale ungefiltert wirksam. Durch Ärger neigen wir dazu uns zu verteidigen. Durch diese Verteidigungen fühlen sich Gesprächspartner wiederum angegriffen und ärgern sich ihrerseits. Ein Teufelskreis ist in Gang gesetzt worden. Wenn Sie noch einmal den Dialog ganz genau betrachten, dann werden sie feststellen, dass der Teufelskreis wahrscheinlich schon mit den Chef-Worten: „…erholen sie sich gut“ in Gang gesetzt wurde. Wie hätte Frau Gerber die Aussage des Chefs noch verstehen können? Eine Reihe unterschiedliche Verständnisweisen haben wir schon genannt: inhaltlich-sachlich: Es ist eine ruhige Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Man wird kaum gestört und kann dementsprechend viel erledigen. persönlich: Nutzen sie die Zeit Frau Gerber. Räumen sie auf und erledigen sie Liegengebliebenes. (Handlungsappell) Sie haben so gut gearbeitet und sind so belastet gewesen, dass natürlich auch etwas leigengeblieben ist. Sehen sie es nicht so tragisch. Nutzen sie die Zeit um reinen Tisch zu machen. (Lob, Beschwichtigung mit Appell verbunden) HÖFERUNDTAUSCH 6 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Interessant ist hier, dass sich persönlich in dieser Aussage sowohl Lob als auch die von Frau Gerber verstandene Kritik verbergen. Das ist für die Person-Ebene typisch. Sie ist viel unbestimmter, als die Inhaltsebene. Der Volksmund sagt: Der Ton macht die Musik. Der Ton ist in der beruflichen Kommunikation selten eindeutig. Er ist häufig nüchtern-höflich. Wir können daher aus dem Ton nicht einmal eine Tendenz in Richtung Lob oder Kritik entnehmen. Eine Möglichkeit haben wir noch nicht besprochen. Der Chef könnte auch folgendes gemeint haben: persönlich: „Ich wäre froh, wenn ich diese ungestörte Zeit hätte. Ich muss zwischen den Jahren wieder die ganze Familie „abklappern“ und weiß im Hinterkopf immer, wie viel unerledigte Arbeit auf meinem chaotischen Schreibtisch noch liegt.“ Was hat die Situation zwischen Frau Gerber und ihrem Chef verdeutlicht? §1 Kommunikation hat grundsätzlich 2 Ebenen – eine inhaltliche und eine persönliche. Jede inhaltliche Äußerung beinhaltet auch eine persönliche Aussage. Die Inhaltsebene beschäftigt sich in der Regel mit objektiven (äußeren) Tatsachen. Die persönliche Ebene ist die Ansprache aneinander. Auf der persönlichen Ebene schätzen wir einander ein, sagen, wie wir zueinander stehen und was wir voneinander wollen, was wir übereinander denken und miteinander fühlen. Sie betrifft unsere Einstellungen und Werthaltungen, unsere Motivationen und die Qualität unserer Zusammenarbeit. Jede inhaltliche Äußerung (Nennen eines objektiv beobachtbaren Sachverhaltes) kann auch als persönliche Äußerung verstanden werden. 7 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Inhaltliche Äußerung= Sachverhalte, objek8v beobachtbar Persönliche Äußerung=ich sageetwasüber mich,überuns, oderüberdich Die persönliche Ebene ist dreigeteilt. 1. … kann der Sprecher etwas über sich selbst sagen (Selbstkundgabe) 2. … kann etwas darüber ausgesagt werden, wie der Sprecher zum Gesprächspartner steht – Wir-Aspekt (Beziehungsbotschaft) 3. … kann eine Handlungsaufforderung gemeint sein. (Appell). 8 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Zwischendem27. und30.12.sind wenigeStörungen durchKundenzu erwarten. 1.Ichbräuchtesoeineruhige ungestörteZeit. 2.Ichbinsehrzufrieden/unzufrieden mitihnen. 3.RäumensieihrenSchreib8schauf! Die wichtige Erkenntnis an der Vielschichtigkeit von Äußerungen sind nicht die zerlegten Äußerungen. Diese sind nachrangig. Die zentrale Erkenntnis ist die Vielschichtigkeit selbst. Wichtig an der Entdeckung der Zellstruktur von Pflanzen ist auch nicht die einzelne Zelle, sondern die prinzipielle Struktur. Diese Erkenntnis kann uns dazu bringen, dass wir die Dinge nicht unzulässig vereinfachen. Vielleicht werden wir in Diskussionen einmal weniger behaupten: Das, was der andere auf der Beziehungsebene verstanden hat, hätten wir gar nicht gesagt. Wir können uns niemals darauf zurückziehen, was wir gemeint haben – wir müssen damit umgehen, was der andere verstanden hat. Es ist sogar möglich, dass die wesentliche Botschaft aus dem Nicht-Gesagten gezogen wird. Zum Beispiel: Ein Mitarbeiter hat ein Projekt sehr erfolgreich abgeschlossen und den Abschlussbericht seinem Chef gegeben. Am nächsten Tag kommt der Chef ins Büro des Mitarbeiters und sagt: „Können sie bitte bis heute Nachmittag die Vorlage für die Besprechung mit Müller morgen durchsehen. Es ist sehr wichtig.“. Jetzt kann man die Botschaft in Inhalts- und die drei Aspekte der Person-Ebene sezieren. Schauen wir uns nur die Beziehungs-Ebene an. Hier wird Wertschätzung vermittelt: Es ist wichtig und sie sollen das erledigen. Ich vertraue ihnen. Als der Chef das Zimmer verlässt, sagt der Mitarbeiter zu seinem anwesenden Kollegen jedoch: HÖFERUNDTAUSCH 9 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen „Das ist mal wieder typisch. Hier kannst du machen was du willst. Anerkennung kriegst du hier nie.“ Der Mitarbeiter reagiert hier ausschließlich auf das Nicht-Gesagte. Er erwartet, dass der Chef das abgeschlossene Projekt würdigt. Als er das nicht tut, reagiert er verärgert.“ Auf der anderen Seite werden wir erkennen, dass wir nicht sicher sein können, dass das, was wir verstanden haben auch das Gemeinte ist. Wir hören die Worte. Was der andere uns wirklich sagen will, können wir ausschließlich im Gespräch erfahren. Die zentrale Erkenntnis der Vielschichtigkeit von Äußerungen soll uns im Kontakt mit anderen bedachter machen. Schopenhauer fasst das sehr gut in seinem Satz Wer klug ist im Gespräch, wird weniger auf das achten, was er sagen will, als auf den, mit dem er spricht. zusammen. §2 Die Person-Ebene ist die emotionale. Unterschiedlicher Meinung kann man kühlen Herzens sein. Emotional wird es immer dann, wenn wir als Person angesprochen werden. Das passiert, wenn: • uns jemand nicht leiden kann, an dem uns liegt, d.h. wenn zwei Menschen ihre Beziehung unterschiedlich definieren • uns jemand bewertet – Sie sind faul, fleißig, hübsch, hässlich … • unsere Einstellungen und Wertvorstellungen berührt werden Einstellungen haben im Gegensatz zu Meinungen eine gruppenbildende und selbstdefinierende Funktion. Meinungen sind das, was jemand rational für wahr hält. Einstellungen sind persönlich verwurzelt. Werden Einstellungen angesprochen, kann das Gespräch emotionalisieren, trotzdem (scheinbar) ausschließlich Sachthemen besprochen werden. 10 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Meinung Einstellung Frau Meiner findet, dass die Entscheidung zur Einführung einer neuen Kundendatensoftware mehr Kosten als Nutzen verursacht. Sie hält die Entscheidung dementsprechend für falsch. Frau Steller findet, dass die Entscheidung zur Einführung einer neuen Kundendatensoftware typisch für den Führungsstil des neuen Geschäftsführers ist. Hauptsache alles neu und chic – Althergebrachtes wird nicht gewürdigt sondern im Handstreich vom Tisch gewischt. Erfahrung hat hier keine Stimme mehr … In einer Diskussion werden sowohl Frau Meiner, als auch Frau Steller gegen die Software argumentieren. Bei Frau Steller wird aber immer Wut und Enttäuschung in den Argumenten mitklingen. Anfällig für eine schnelle (negative) Emotionalisierung ist die Zusammenarbeit, wenn: §4 • mindestens einer der Beteiligten gravierend im Unklaren ist, was der/die Andere/n von ihm halten • häufig negativ-persönliche Äußerungen gemacht werden1 • es schwelende Konflikte aus der Vergangenheit gibt • mindestens einer der Beteiligten einen geringen Selbstwert hat • ein hoher Stresspegel herrscht Die Person-Ebene ist im Ausdruck viel weniger präzise, als die Inhaltsebene Im Deutschen sagt man: Der Ton macht die Musik wenn man ausdrücken will, dass das wie mindestens genauso wichtig ist, wie das was in der Kommunikation. Das „Trägermedium“ der Inhaltsebene ist das Wort, das der persönlichen Ebene die Körpersprache und Stimmführung. Die meisten Mimiken und Gesten haben einen breiten Bedeutungsraum und sind einzeln schlecht deutbar. So kann man ein Fassen an die Nase als Betroffenheit deuten (da fasst sich jemand an die eigene Nase), andererseits kann es ihn auch gerade an der 1 Hier ist es egal, ob die Äußerungen direkt zum Betroffenen gemacht werden. Wenn A gegenüber C über B herzieht, weiß C, dass A im Konflikt mit C dasselbe täte – über ihn herziehen. Kommunikation im Beruf ist auch immer ein Beispiel, aus dem wir den anderen kennenlernen. HÖFERUNDTAUSCH 11 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Nase kitzeln oder es handelt sich um eine Marotte, oder Verlegenheit, oder es hat gar nichts zu bedeuten. Körpersprache ist nur in der Summe der Signale deutbar. Im beruflichen Alltag bemühen sich viele Menschen, möglichst sachlich und wenig emotional zu kommunizieren. Sie reduzieren ihre Körpersprache bewusst oder unbewusst. Unser Gegenüber hat so unter dem Strich sehr wenige Anhaltspunkte auf die „sich seinen Reim machen“ muss. Das führt zwangsläufig immer wieder zu Fehldeutungen und Missverständnissen. §5 Die Person-Ebene kann die Inhaltsebene überlagern, umgekehrt nicht. Die PersonEbene ist die fundamentalere der Kommunikation. Wir wollen im beruflichen Alltag über Sachverhalte sprechen, Informationen austauschen und inhaltliche Lösungen finden. Eine Regel, nach der eine gestörte Person-Ebene den Austausch von Informationen unmöglich macht, kann uns beruflich alles andere als Recht sein. Wenn §5 richtig ist – warum? Erstens, weil es unsere Erfahrung sagt: Situationen wie die mit Frau Gerber kennen wir zu Hauf. Zwar handelte es sich hier um ein Gespräch ohne nennenswerte inhaltliche Bedeutung, aber diese können wir schnell hinzusetzen: Martina Harre kommt zu Franziska Schnell mit einem Stapel Papier in der Hand. Sie sagt: Franziska, kannst du mir das bitte schnell durchsehen. Ich brauche die Dinge für die Besprechung mit der Geschäftsleitung morgen. Das ist wichtig für die Finanzierung unseres Personalentwicklungsprojekts. Franziska Schnell erledigt die Arbeit mit wenig Elan und sehr oberflächlich. Das Ergebnis bleibt weit unter den Erwartungen. Warum? Franziska Schnell hält Martina Harre für eine Karrieristin, die in erster Linie ihren eigenen Vorteil verfolgt. Außerdem: Seit zwei Wochen predigt Franziska, dass man sich auf die Besprechung mit der Geschäftsleitung vorbereiten müsse. Aber wenn es dann Frollein Harre auch mal auffällt – dann muss plötzlich alles flott, flott gehen und alle müssen springen. Nicht mit mir! – denkt sich Franziska. Weiß sie, dass von der Besprechung für das gemeinsame Projekt viel abhängt? HÖFERUNDTAUSCH 12 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Natürlich. Zweitens, weil wir selektiv wahrnehmen: Nehmen sie an, sie kaufen sich ein Auto einer Marke, die sie bisher nicht gefahren haben. Was passiert dann mit ihrer Wahrnehmung im Straßenverkehr? Sie sehen eine Zeit lang überall die Autos dieses Typs. Sie haben vielleicht das Gefühl, dass just, als sie sich dieses Autos kauften, sich viele, viele Andere ein ebensolches Auto gekauft haben müssen, so häufig taucht es plötzlich im Straßenverkehr auf. Eigentlich spielt ihnen ihre Wahrnehmung hier einen Streich. Der Autotyp ist nicht häufiger auf der Straße, als zu der Zeit, bevor sie sich zum Kauf entschlossen haben. Sie haben im Auge, was sie im Kopf haben. Dieses Prinzip nennt sich selektive Wahrnehmung. Wir nehmen nicht, wie wir vielleicht annehmen, die Gesamtheit der uns umgebenden Dinge wahr, sondern vorrangig das, was wir denken. Das können wir auch nicht abschalten. Versuchen sie einmal im oben genannten Beispiel die vielen Autos „ihres“ Typs nicht mehr zu sehen. Diese selektive Wahrnehmung gibt es auch im Sozialen. Nehmen wir einmal an, ein neuer Chef (Dr. habil. Dietmar Denkinger) hält eine Antrittsrede. Er beginnt mit den Worten: Liebe Mitarbeiterinnen (Pause), liebe Mitarbeiter. Mein Name ist Doktor Doktor Denkinger und ich freue mich (Pause) an dieser Stelle (Pause) ihnen die Grundzüge unserer gemeinsamen, zukünftigen Arbeit erläutern zu dürfen. Seien sie versichert meine Damen und Herren – wir haben Großes vor. Bei diesen Worten geht Herr Dr. Denkinger, die Hände auf dem Rücken, an die Decke blickend auf und ab. Dr. Denkinger stellt sich arrogant und selbstverliebt dar2. Er hat in seiner nachfolgenden zwanzig minütigen Rede eine Reihe von Punkten, die das bestätigen. So referiert er minutenlang über seine Erfolge der Vergangenheit. Es gibt mindestens ebenso viele Anhaltspunkte eines guten fachlichen Konzepts und ein paar wirklich gute Ideen zur Umgestaltung verschiedener Prozesse zu verfolgen. Was passiert bei den Zuhörern? Die Mehrzahl aller Zuhörer hat nach den ersten Worten Dr. Denkingers das Negative an dessen Vortrag verstärkt wahrgenommen und das Positive weitgehend „überhört“. Der 2 Vielleicht erscheint Ihnen das Beispiel überzeichnet – es soll aber ein Grundprinzip unseres Funktionierens ans Licht holen, das ansonsten eher untergründig abläuft. HÖFERUNDTAUSCH 13 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen „Neue“ gilt nach seinem ersten Auftritt als schnöseliger Narzist, der es fachlich nicht bringe, sondern nur geschwollen daherrede. Wir glauben irrtümlich, dass wir das, was andere Menschen sagen oder tun, objektiv wahrnähmen. Da wir aber verstärkt wahrnehmen, was wir denken, konfrontieren wir unseren Kommunikationspartner in unseren Äußerungen und Handlungen mit diesen Bildern auf die er wiederum selektiv wahrnimmt und auf die gleiche Weise reagiert wie wir. Damit wird eine gemeinsame soziale Realität konstruiert, die beide Kommunikationspartner fälschlicherweise für objektiv real halten. In unserem Beispiel wäre eine typische Reaktion gegenüber einem für schnöselig und arrogant befundenen Neuchef Kontaktvermeidung und Misstrauen. Dieses wird Dr. Denkinger als Abwehr und Machtprobe deuten. Da der neue Chef damit quasi „am ausgestreckten Arm der Alteingesessenen verhungert“ und sich in seiner Position bedroht fühlt, wird er, wenn er eher autoritär führt viele einsame Entscheidungen treffen oder, wenn er eher kooperativ eingestellt ist, ganz wenig entscheiden. Im ersten Fall produziert er viele Fehler (Einzelentscheidungen sind fachlich denen nach fachlicher Beratung in der Regel unterlegen) und im zweiten Fall gilt: wer nichts entscheidet, hat fachlich nichts drauf. Dr. Denkinger erscheint in beiden Fällen fachlich schwach. Die Mitarbeiter nehmen das irgendwann als Realität wahr, obwohl es sich eigentlich um eine soziale Konstruktion handelt. Wir machen uns vom Anderen ein Bild, ohne ihn genau zu kennen. Dieses Bild sagt uns, wie jemand ist (Beziehungsebene) und bestimmt in der Folgezeit, was wir wahrnehmen (Inhaltsund Beziehungsebene). Drittens, weil der Körper schneller ist: In einer Untersuchung zur zeitlichen Abfolge von Wort- und Körpersprache3 war festzustellen, dass die zum Wort gehörige Geste in der Mehrzahl der Fälle vor dem gesprochenen Wort gemacht wird. Also ist es nicht so, wie wir wahrnehmen, dass die Geste das Wort unterstreicht, sondern eigentlich unterstreicht das Wort die Geste – diese ist der primäre Kommunikationsakt, die eigentliche Botschaft. Und da die Geste die Beziehungsbotschaft transportiert, ist diese primär. Unsere Körpersprache ist evolutionär wesentlich älter und über einen viel längeren Zeitraum überlebensnotwendig gewesen. Die Absichten von anderen einzuschätzen, inwieweit sie eine Bedrohung für uns sind, war über viele tausend Generationen für das Überleben wichtiger, als ein inhaltlicher Austausch. 3 McNeill, D. (1992). Hand and Mind: What Gestures Reveal About Thought HÖFERUNDTAUSCH 14 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Ich möchte an dieser Stelle ein Experiment beschreiben, dass für eine große Diskussion gesorgt hat, inwieweit wir unsere Handlungen rational beeinflussen. Grundlage des Experiments von Benjamin Libet4 war die Entdeckung der deutschen Hirnforscher Hans Helmut Kornhuber und Lüder Deecke, die in physiologischen Experimenten feststellten, dass vor willkürlichen Bewegungen in der Großhirnrinde eine elektrophysische Aktivität – ein sogenanntes Bereitschaftspotential messbar ist, dass diesen Bewegungen immer vorausgeht5. Libet bat in seinem Experiment Versuchspersonen zu einem beliebigen Zeitpunkt die rechte Hand zu bewegen und sich den Zeitpunkt auf einer Uhr exakt einzuprägen. Gleichzeitig wurde gemessen, wann das Bereitschaftspotential im der Großhirnrinde aufgebaut wird. Verwirrenderweise fand Libet, dass das Bereitschaftspotential vor der Entscheidung zu einer spontanen Bewegung aufgebaut wird. Eine mögliche Interpretation dafür ist, dass wir nicht tun, was wir wollen, sondern wollen, was wir tun und wir uns die bewusste, rationale Entscheidung vorgaukeln. Das Kapitel befasste sich bisher mit der Vorrangigkeit der Beziehungsebene in der Kommunikation. Auf das Arbeitsleben übersetzt heißt das: Die Güte unserer Zusammenarbeit ist die Basis inhaltlichen Vorankommens. Inhaltliche Differenzen haben in vielen Fällen persönliche Ursachen. Wenn wir: • • 4 unsere Kollegen, Chefs und Mitarbeiter persönlich als: o wenig vertrauenswürdig o undurchsichtig o inkompetent die Zusammenarbeit als: o konfliktbelastet o wenig erfolgreich Libet, Benjamin. Haben wir einen freien Willen? In: Christian Geyer (Hrsg.): Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente. Suhrkamp, 2004, S. 268ff 5 Hans Helmut Kornhuber, Lüder Deecke: Readiness for movement – The Bereitschaftspotential-Story. Current Contents Life Sciences (1990) 33, 4 Citation Classics January 22: 14. HÖFERUNDTAUSCH 15 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen • uns selbst als: o wenig selbstbewusst o stark gestresst erleben, dann wird unser Verhalten schnell irrational. Arbeitszeit wird für das Austragen von Rivalitäten und das Schimpfen über die Verhältnisse verschwendet und inhaltliche Ergebnisse werden durch eine geringe sachliche Motivation geschmälert. Das Kapitel versuchte zu zeigen, dass wir es hier mit einer Besonderheit im „Bauplan des Menschen“ zu tun haben. Kann es andersherum nicht aber auch Missverständnisse ausschließlich auf der inhaltlichen Ebene geben, ohne das die persönliche Ebene berührt wird? Sind diese dann ebenso folgenschwer? Ja und Nein. Lassen Sie uns erst einmal ein Beispiel ansehen. Ein Projektleiter sagt zu seinem Projektteam. Ich brauche für das Meilensteingespräch mit der Geschäftsführung belastbare Zahlen, ansonsten können wir die angepeilte Erhöhung des Budgets um 20 Prozent vergessen. Vorgeschichte des Konfliktes ist, dass der Projektleiter von der Geschäftsführung eine Rüge bekommen hat, dass die Zahlen seines Projektes unverständlich seien. Aus dem Projektteam kommen verschiedene Einwände. Der Bedeutendste ist der eines Controlling-Mitarbeiters, dass die Zahlen derzeit alle vorläufige sind, und von den Kalkulationen zweier externer Firmen abhingen. Ohne deren Aussagen sind es aktuell bestenfalls qualifizierte Schätzungen – mehr nicht. Der Projektleiter reagiert daraufhin unwirsch und sagt, dass er langsam von dem Negativdenken des Controllers die Nase voll habe und dass die Geschäftsleitung keine Schätzungen sondern Ergebnisse wolle und dann müssten sie sich eben auf den Hosenboden setzen und den Externen Druck machen. Daraufhin erarbeiten drei Mitarbeiter des Projektes in insgesamt 18 Stunden ein Zahlenwerk, dass auf beinahe alle Eventualitäten Rücksicht nimmt, der Projektleiter präsentiert dies und die Geschäftsführung ist ausgesprochen zufrieden. Auf den ersten Blick ein positives Ergebnis. HÖFERUNDTAUSCH 16 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Schaut man sich die Lage jedoch etwas genauer an, werden einige Irrationalitäten offenbar. Fragt man die Geschäftsleitung nach der Präsentation des Projektstandes, dann sagt diese: Mit so einer ausführlichen Präsentation und der Ausarbeitung verschiedener Szenarien haben wir gar nicht gerechnet, fanden sie aber sehr gut. Eigentlich wollten wir nur eine Darstellung des aktuellen Standes und eine kurze Risikobewertung. Der Projektleiter würde auf die Frage, wie er die Lage einschätzt sagen: Insgesamt ist es sehr gut gelaufen. Der Aufwand war aber immens. Wir haben aber eigentlich anderes zu tun, als der Geschäftsleitung mit riesigem Aufwand Zahlen zuzuarbeiten. Wenn die kein Vertrauen zu uns haben und selbst keine Ahnung, das ist schon anstrengend. Hoffentlich kann ich meine Leute noch eine Weile bei der Stange halten. Ich sollte ihnen wirklich danken und erklären, dass das alles die Geschäftsleitung so will. Das Projektteam würde sagen: Unser Projektleiter ist ja nicht erst seit Gestern für seine Speichelleckerei gegenüber der Geschäftsführung bekannt. Nach oben buckeln und nach unten treten, das hat er wirklich drauf … und auf unserem Rücken wird’s dann ausgetragen. Das primäre Missverständnis, war tatsächlich ein rein inhaltliches. Wie ausführlich die Darstellung des Projektstandes erfolgen sollte, war missverständlich abgesprochen. Der Projektleiter hatte überhaupt nicht oder nicht direkt genug nachgefragt. Das Missverständnis war finanziell folgenschwer. Es stehen Arbeitskosten von 18 Stunden denen von geschätzten 4 Stunden für die von der Geschäftsführung eigentlich gewünschte Vorbereitung gegenüber. Die Abgleichung der Ziele hätte höchstens zusätzliche 60 Minuten in Anspruch genommen. Bleiben die Kosten von 13 Stunden Arbeitszeit, die durch das Missverständnis entstanden sind. Innerhalb des Konfliktes ist dieser sehr schnell auf die Beziehungsebene umgeschlagen, was den sinnlosen Aufwand befördert hat. Als erstes machte der Projektleiter dem Controller den Vorwurf „ständigen Negativdenkens“. An solch einer Stelle sind inhaltliche Diskussionen stark erschwert. Der Vorwurf des Projektleiters, die Geschäftsführung habe keine Ahnung wurde durch das Projektteam umgemünzt auf den Vorwurf, der Projektleiter sei ein Speichellecker und handele damit inhaltlich falsch. Entweder es entsteht damit Spannung im Projektteam oder der Projektleiter verlagert die Spannung (wie er es vorhat) auf die Zusammenarbeit des Teams zur Geschäftsleitung. Das ist eine Beobachtung, die ich häufig mache – eigentlich inhaltliche Differenzen schlagen im Konfliktfall sehr schnell auf die persönliche Ebene (Inkompetenz, mangelnde Motivation, 17 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Karrierismus usw.) um. Ausführlich wird dazu noch einmal ab der Seite (Grund 6) eingegangen. Aus meiner Erfahrung wird dadurch in der Regel die Lösung der inhaltlichen Differenzen unmöglich bis hin zum Flurschaden – einer Verschlechterung der Zusammenarbeit. MiOel Weg Ziel Zusammenarbeit= persönlicheEbene Konflikte haben eine Hierarchie und können nur auf der Ebene gelöst werden, wo sie stattfinden. Sprich nicht über den Weg, wenn das Ziel nicht klar ist und sprich nicht über das Ziel, wenn die Zusammenarbeit schlecht ist. Grund 2 – Menschen verhalten sich irrational, weil sie in der Kommunikation häufig versuchen mit einer alten Zeitung einen Nagel in die Wand zu schlagen Stellen sie sich vor, sie wollen ein Bild aufhängen und haben einen Nagel, aber keinen Hammer. Da sie keinen Hammer finden können, überlegen sie sich, womit sie den Nagel noch in die Wand bekommen könnten. Sie sehen eine alte Zeitung und denken sich – versuchen kann ich es ja mal. Sie beginnen mit der Zeitung auf den Nagel einzuschlagen – natürlich ohne Erfolg. HÖFERUNDTAUSCH 18 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Stellen sie sich jetzt vor, sie würden annehmen, der Grund für den Misserfolg liegt darin, dass sie es noch nicht lange und kräftig genug versucht haben. Sie werden immer kräftiger mit der Zeitung auf den Nagel einschlagen und nicht davon ablassen – wenn sie diese Annahme nicht ändern. Was würde ein Beobachter jetzt wohl über Sie denken? Ich behaupte, dass wir uns bei Konflikten häufig so verhalten – als würden wir mit einer Zeitung tatsächlich einen Nagel in die Wand schlagen können. Lassen sie uns zwei Beispiele anschauen: Ein neugebildetes Team aus vier Mitarbeitern stellt nach wenigen Arbeitstagen fest, dass alle aus dem Team schon einmal erhebliche Konflikte mit der Abteilungschefin hatten. Sie vermuten, dass das ein Beweggrund war, genau aus diesen vier ein Team zu bilden. Wahrscheinlich möchte die Chefin sie besonders beobachten und unter Kontrolle haben – die vier Teammitglieder glauben, die Chefin habe sie „auf dem Kieker“. Die Teammitglieder wollen gern in Ruhe ihre Arbeit machen und das Misstrauen der Chefin über kurz oder lang zerstreuen. Als Mittel (Werkzeuge) wählen sie Abschottungsstrategien. Sie versuchen alles besonders gut zu machen, interne Konflikte nicht nach außen zu tragen (sonst würden sie der Chefin ja Öl ins Feuer gießen), nur gute Nachrichten zu verbreiten und ansonsten der Chefin wenig zu begegnen. Dabei handelt es sich um keine niedergeschriebene Strategie, sondern um eine sukzessive Verständigung auf bestimmtes Verhalten. Wie reagiert die Chefin auf ein Team, aus dem sie nur gute Nachrichten hört, das nichts Problematisches nach außen dringen lassen will und dessen Mitglieder Kontakt vermeiden? Sie wird misstrauisch. Sie überlegt sich, wie sie ihr Misstrauen am besten zerstreuen kann – durch Information. Das heißt, sie lässt sich aus dem Team die Projektstände vorlegen, Entscheidungen begründen und lädt sich selbst zu Teammeetings ein. Wie reagiert das Team? Es sieht, dass die Befürchtungen berechtigt waren und versucht nach außen hin noch perfekter und problemloser zu erscheinen. Am besten der Chefin gar nicht mehr begegnen, weil die bei jedem Treffen so schwierige Fragen stellt. Wie reagiert die Chefin? Sie wird noch misstrauischer und lässt sich alle Projektunterlagen bringen, was ausgesprochen unüblich ist. HÖFERUNDTAUSCH 19 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Was sagt das dem Team? Sie hat uns wirklich auf dem Kieker – wir müssen die Unterlagen schnellstens durchsehen und alles Problematische „bereinigen“. usw. usf. Sowohl die Werkzeuge der Chefin, als auch die des Teams funktionieren offensichtlich nicht. Beide bemerken den Misserfolg. Trotzdem intensivieren sie ihre Anstrengungen, mit dem untauglichen Werkzeug doch noch erfolgreich zu sein. Vielleicht können sie noch einwenden, dass der Versuch mit einer Zeitung auf einen Nagel einzuschlagen von vornherein idiotischer ist, als zum Beispiel der der Chefin, Misstrauen durch Information zu zerstreuen. Im vorliegenden Beispiel haben sie Recht. Deswegen Beispiel Nr. 2. Zwei Kollegen teilen sich ein Arbeitszimmer. Der eine (Herr Fröhlich) ist ein extrovertierter Typ, der gern und viel redet. Herr Stiller dagegen ist eher wortkarg und zurückhaltend. Herr Fröhlich möchte gern ein gutes Klima im Zimmer. Deswegen versucht er, mit Herrn Stiller auch über persönliche und private Themen ins Gespräch zu kommen. Herr Fröhlich ist der Meinung – wenn Kollegen gut miteinander stehen, dann kann man sich auch mal über Privates unterhalten. Herr Stiller möchte auch ein gutes Klima im Zimmer. Für ihn heißt das, dass man sich freundlich begegnet, jeder seine Arbeit macht und man sich ansonsten in Ruhe lässt. Herr Stiller ist von den Versuchen Herrn Fröhlich, über Privates zu sprechen genervt. Er will das nicht. Er demonstriert das deutlich, so deutlich, dass es Herr Fröhlich doch verstehen muss. Auf Fragen brummt er nur, vermeidet Blickkontakt und wendet sich ostentativ seiner Arbeit zu. Herr Fröhlich ist von diesem abweisenden Verhalten etwas genervt, aber vielleicht hat er ja nur noch nicht das richtige Thema gefunden. Er ist weiterhin freundlich und versucht es mit anderen Themen. Herr Stiller ist weiter genervt. Jetzt ist es für Herrn Stiller nicht sonderlich schwer festzustellen, dass sein abweisendes Verhalten für Herrn Fröhlich „ein am ausgestreckten Arm verhungern“ bedeutet und der versucht, „sich etwas zu essen zu besorgen“ – d. h. versucht ihm wenigstens irgendetwas zu entlocken, irgendeinen Anknüpfungspunkt zu finden. Auch für Herrn Fröhlich könnte klar sein, dass seine Versuche bei Herrn Stiller „das Fass schnell zum überlaufen bringen“ und er deswegen versucht „dichtzumachen“. In der Praxis ist es für uns alle häufig ein großes Problem, diese Teufelskreise zu unterbrechen. Häufig genug ändern wir nicht unsere Strategie, sondern intensivieren die erfolglose. Warum – dazu einige Gedanken nach einer Zusammenfassung. HÖFERUNDTAUSCH 20 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Teufelskreise der Kommunikation bestehen aus vier Stufen: Person A tut X, dass bei Person B etwas Bestimmtes auslöst und sie mit Y reagieren lässt. Y löst bei Person A etwas aus. Wenn das zur Reaktion X führt ist der Teufelskreis geschlossen. Die klassischen Teufelskreise im Arbeitsleben sind: 21 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Der Nähe-Distanz-Teufelskreis: PersonAwill Kontaktundspricht PersonBist genervtundwill inRuhegelassen werden PersonAist frustriert,dasssich Bzurückzieht PersonBzieht sichzurück Der Misstrauen-Verschlossenheits-Teufelskreis: PersonAwillnach außenhinmöglichst perfekterscheinen PersonAistwegen derAufmerksamkeit vonBverunsichert PersonBschaut beiAgenauer hin"damuss etwasimBusch sein" PersonBwird darauUin misstrauisch HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen 22 23 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Der Aggression-Opfer-Teufelskreis: PersonAgreiW PersonB(inhaltlich) an PersonAist frustriert(...wiein WaOeboxen) PersonBist schockiertund verunsichert PersonBreagiert starr(Kaninchen vorderSchlange)oderüberfreundlich Der Ich hab Recht!-Teufelskreis: PersonAvertriO MeinungX PersonBist andererMeinung undmöchteA überzeugen PersonAistanderer Meinungundmöchte Büberzeugen PersonBvertriO MeinungY 24 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Der „… ich hab aber Recht“ – Teufelskreis hat noch eine darunter liegende Logik, die dessen Durchbrechen so schwer macht. Zu Beginn von Diskussionen sind die Aussagen der Kontrahenten häufig noch recht differenziert. Meinung A Meinung B Wenn wir in der Diskussion scheinbar nicht verstanden werden, versuchen wir (nachdem viele von uns paradoxerweise etwas lauter gesprochen haben) unsere Meinung besser auf den Punkt zu bringen – d. h. die zentralen Argumente zu verwenden. Wir wollen eigentlich den inhaltlichen Abstand verringern. Tatsächlich vergrößern wir ihn aber. Durch eine besonders pointierte Argumentation nehmen wir uns Verständnis- und Kompromissfelder in Diskussionen. Warum können wir Teufelskreise schwer erkennen und durchbrechen? Hier gibt es keine abschließenden Antworten. Es scheint, dass wir bei der Lösung komplexer Probleme häufig6 6 • irrtümlich Monokausalitäten annehmen • mit Regelkreisen überfordert sind Dörner, D. (2006). Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen HÖFERUNDTAUSCH 25 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen • komplexe Systeme intuitiv steuern wollen • die Folgen unseres Handeln schlecht übersehen Wir scheinen uns die Komplexität der Welt in einfachste Ursache - Wirkungs - Gefüge „zurechtzudenken“7. In Teufelskreisen müssten wir erkennen, dass Ursache und Wirkung übereinanderliegen. Wir glauben irrtümlich, dass die Ursache für unser Handeln ausschließlich im Handeln des Anderen liegt und wir lediglich reagieren. Wenn der andere seine Strategie verändern würde, könnten wir auch anders handeln. Das ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit und dazu noch der wenig hilfreiche. Die Sichtweise, dass unser Handeln letztlich unsere Reaktion hervorruft, die wiederum das gleiche Handeln in Gang setzt, ist ebenso schlüssig und produktiver. Wir könnten unser Handeln überdenken. Ein zweiter, korrespondierender Erklärungsansatz wäre ein grundsätzlicher Egozentrismus des Menschen, bzw. eine grundsätzliche Schwierigkeit über den eigenen Horizont hinaus zu blicken. Die meisten unserer Handlungen folgen8 • • • egozentrischen Nutzenerwägungen der „goldenen Regel“: Was du nicht willst, das man dir tu`, das füg` auch keinem anderen zu der Beachtung allgemeingültiger Regeln (Gesetze, Umgangsregeln usw.) In allen drei Fällen muss ich über meinen persönlichen Horizont nicht hinausblicken. Es ist anzunehmen, dass Menschen in ihren Handlungsüberlegungen in den allermeisten Fällen „von sich ausgehen“ und darüber auch selten hinausdenken. Ein „drüber rauschauen“, ein Betrachtung der eigenen Kommunikation von oben, ist die Voraussetzung für das Durchschauen von Teufelskreisen. Teufelskreise sind letztlich, die Beschreibung eines Dilemmas auf der Verlaufsebene der Kommunikation, die eine zusätzliche zur Inhalts- und persönlichen Ebene ist. Die Verlaufsebene ist eine kommunikative Metaebene. 7 Nehmen sie die üblichen Börsenmeldungen, die mit „Die Stimmung an der Börse ist …“ beginnen. In vielen Beiträgen werden dann die Ergebnisse des Handels auch von Experten mit den Emotionen der Händler begründet (sind verunsichert, optimistisch, usw.). Hier wird das Dilemma deutlich. Wenn wir etwas in seiner Komplexität nicht verstehen, greifen wir schnell zu einfachen (monokausalen) Erklärungen. 8 in: Peltzer, U.(1986). Lawrence Kohlbergs Theorie des moralischen Urteilens 26 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen V er la u fse be n e Wie ist die Kommunikation der beiden Personen? Inha ltse bene ! Was wird sachlich gesagt? p er s ön l ic h e E be ne Was sagen die Personen über sich selbst? Wie ist die Beziehung? Was wollen sie voneinander? Eine besonders eindrucksvolle Form von Teufelskreisen finden wir im „Pygmalion-Effekt“ – benannt nach einer griechischen Mythologie, in der sich ein frauenfeindlicher Künstler in eine seiner Statuen verliebt und diese schließlich lebendig wird. Der Pygmalion-Effekt in der Kommunikation sagt kurz gefasst Folgendes: Person A hat ein bestimmtes Bild von Person B. Unabhängig davon, ob das Bild zutreffend ist, wird B sich im Kontakt mit A den Erwartungen annähern. Das Bild, das wir uns von jemand machen wird irgendwann lebendig und bleibt trotzdem immer ein Bild. Einen nachhaltigen Nutzen ziehen wir aus dieser Konstellation nicht. Zwei Beispiele: Frau Herber hält Herrn Scheu für arrogant. Gefragt warum, kann sie es nicht genau sagen. Irgendwie verhalte der sich so, sagt sie. Würde man nachbohren, so sind die Grundlage der Einschätzung unter anderem folgende Verhaltensweisen Scheus: • Er sitzt in Besprechungen in der Regel zurückgelehnt und lächelt. ! HÖFERUNDTAUSCH 27 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen • Er sitzt beim Mittagessen häufig allein und liest Zeitung. • Er nimmt an Betriebsfesten entweder gar nicht teil oder geht sehr früh. In einer Besprechung, in der Herr Scheu wieder sehr viel lächelt, wird es Frau Herber zu bunt und sie sagt zu ihm: Lieber Kollege Scheu, vielleicht sagen sie auch mal etwas, anstatt die ganze Zeit nur so blöd zu grinsen. Her Scheu sagt daraufhin lächelnd: Bisher war es doch gut, was sie zu sagen hatten Frau Herber. Machen sie ruhig weiter. Frau Herber kocht innerlich und fühlt sich in ihrer Einschätzung über Herrn Scheu bestätigt und als sie nach der Besprechung zwei Kolleginnen fragt, wie sie die Bemerkung von Scheu gefunden hätten, wird sie auch von diesen bestätigt. Tatsächlich ist Herr Scheu nicht arrogant. Zweites Beispiel: Frau Gerstenkorn wird in einer Firma als ausgesprochen fähige Beraterin angekündigt. Sie sei trotz ihres „jugendlichen Alters von 33 Jahren“ erfahren, intelligent und durchsetzungsstark. Die in der Firma zuständige Abteilungsleiterin ist froh über diese kompetente Unterstützung und nach dem Beratungszeitraum von vier Monaten mit den Ergebnissen auch ausgesprochen zufrieden und schätzt die Arbeit der Beraterin als fachlich, menschlich und methodisch hervorragend ein. Tatsächlich ist Frau Gerstenkorn weder erfahren noch besonders durchsetzungsstark. und auch das Beratungsergebnis ist nicht überdurchschnittlich gut. Was ist passiert: Würde man sich die Kommunikation „unter einer Lupe“ betrachten, dann hat: • im ersten Fall Frau Herber in vielen kleinen Dingen des Alltags auf Herrn Scheu distanziert und ablehnend reagiert. Das ist nicht verwunderlich, da sie diesen ja für arrogant hielt. Scheus Reaktion darauf war ein innerer Widerwillen gepaart mit bemühter äußerer Freundlichkeit. Das deutete Frau Herber als Arroganz. Die beschriebene Konfrontation ist nur die Spitze eines Eisbergs. HÖFERUNDTAUSCH 28 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen • im zweiten Fall die Abteilungsleiterin Frau Gerstenkorn besonders freundlich und wertschätzend begrüßt und in die Abteilung eingeführt. Sie hat sehr häufig gelächelt, interessiert nachgefragt und bei der Vorstellung der Beraterin im Team viele kleine und kleinste Respektsbezeugungen gegenüber Frau Gerstenkorn gezeigt. Das hat Frau Gerstenkorn einerseits unter Erfolgsdruck gesetzt und ihren Ehrgeiz angestachelt, andererseits dem Team gesagt, dass ein Widerspruch gegen die Beraterin durch die Chefin nicht gern gesehen ist. Frau Gerstenkorn wurde deswegen zum Teil „nach dem Munde geredet“. Der wenige Widerspruch hat das Selbstbewusstsein von Frau Gerstenkorn zusätzlich verstärkt. Insgesamt verlief der Beratungsprozess (zu) reibungslos. Die Abteilungsleiterin ist insgesamt zufrieden. Die außerordentlich positive Einschätzung nach außen ist den Vorschusslorbeeren Frau Gerstenkorns geschuldet. Jede andere Einschätzung würde bei einem guten Ergebnis wahrscheinlich hinterfragt werden, was für die Abteilungsleiterin unnötige Arbeit und Konflikte bedeuten würde. Was sagt uns der Pygmalion-Effekt in der Kommunikation: 1. Die „Summe der kommunikativen Kleinigkeiten“ kann das Ergebnis der Zusammenarbeit deutlicher beeinflussen, als die rationale Strategie. und daraus abgeleitet: 2. Eine rationale Kommunikationsstrategie sollte von einer gleichartigen inneren Haltung (als Quelle der „Kleinigkeiten“) getragen werden. sowie zusätzlich: 3. Soziale Wirklichkeit kann nicht als statische Realität verstanden werden. Sie ist eine ständige Konstruktion unserer durch Erwartungen geprägten Handlungen. Grund 3 – Menschen verhalten sich irrational, weil sie Rollenerwartungen erfüllen Der Pygmalioneffekt führt uns direkt zur Frage, inwieweit uns soziale Erwartungen noch in unserem Handeln beeinflussen. Auch hier zu Beginn ein Beispiel: Eine Projektgruppe einer IT-Firma soll einen ersten Vorschlag für einen technischen Ablauf machen, der für das Beispiel unerheblich ist. Deswegen verzichte ich auf die Erläuterung. HÖFERUNDTAUSCH 29 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Nach drei Wochen ist ein erstes Meilensteingespräch, aus dem der Projektleiter vollkommen verstört zurückkommt. Der erste Vorschlag der Projektgruppe ist von der Abteilungsleitung als viel zu aufwändig und damit zu teuer in der Luft zerrissen worden. Es war ein Kostenkorridor vorgegeben. Der Vorschlag der Gruppe war am oberen Ende. Die Besprechung fand in einer sehr unangenehmen Atmosphäre statt. Die Abteilungsleitung machte zum Schluss eine Kostenvorgabe in Höhe von 50% der von der Gruppe angesetzten Kosten. Im nächsten Projekttreffen moserte die Gruppe sehr stark. Es kamen viele abfällige Bemerkungen über „die Chefetage“ zu der sich der Projektleiter schon mitzählte und deswegen recht gereizt war und reagierte (siehe Grund 1). Er versuchte „auf Teufel komm raus“ die Bedenken der Abteilungsleitung zu erklären und zu rechtfertigen, was in regelrechten Streit führte (siehe Grund 2). Besonders hervor tat sich dabei der Kollege Fach, der sonst eigentlich eher still und rational ist. Fach ist ein hervorragender Experte in den technischen Inhalten des Projektes. In der Projektbesprechung fielen von Fach Sätze wie: Wenn wir uns wieder über Rauchzeichen und Rohrpost verständigen, werden unsere Projekte insgesamt billiger. Wir können dann so billig Projekte machen, dass wir die Firma gleich auflösen damit. oder Warum versuchen wir es nicht gleich zu 10% der vereinbarten Kosten. Wir könnten ja zum Beispiel heiße Luft statt unseres Projektes produzieren, wie unsere Chefetage den lieben langen Tag. Das ist schön billig. Die anderen Teammitglieder amüsierten sich zusehends und der Projektleiter brach die Besprechung nach einer Stunde ergebnislos ab. Die nächsten zwei Besprechungen verliefen in ähnlich unkonstruktiver Art und Weise. Das Team manövriert sich immer mehr in eine „Dienst nach Vorschrift-Haltung“, indem es immer wieder Vorschläge vom Projektleiter in dieser schwierigen Situation forderte, die aber postwendend in der Luft zerriss. Nach wie vor spielte Herr Fach dabei eine sehr unrühmliche Rolle. Er war ironisch und nutzte seine gesamte Fachkenntnis zum Kritisieren aller Lösungsansätze. Komisch kam dem Projektleiter dabei vor, dass er mit Herrn Fach mehrfach im Einzelgespräch viel besser hatte reden können und er diese zynische Art auch bisher von Herrn Fach nicht kannte. Wahrscheinlich hatte er Fach immer unterschätzt und der entpuppte sich gerade … HÖFERUNDTAUSCH 30 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Hat der Projektleiter recht damit? Schauen wir uns die Situation mal aus der Sicht des Teams an. Am besten belauschen wir einmal ein Gespräch, bei dem Herr Fach dabei ist. Weiterhin anwesend sind Kollege X und Kollegin Y. Kollege X: Das ist mal wieder typisch. Da sitzt man noch zwei Nächte vor der Präsentation und macht alles fertig und die da oben wischen wieder alles vom Tisch. Das die sich mal vorher überlegen, was sie wollen … Kollegin Y: Na mit unserem Projektleiter haben wir da auch das große Los gezogen. Der macht doch alles, was die Abteilungsleitung will. Herr Fach: Na ich weiß nicht … Kollegin Y: Na du musst reden. Du hast doch in der Besprechung letzte Woche endlich mal die Klappe aufgekriegt. Das war auch mal notwendig – ich meine, du bist doch der, der hier echt Überblick hat. Den Projektleiter steckst du allemal in den Sack. Kollege X: Da hast du schon recht, aber seit wann werden hier Fachleute etwas (lacht). Kollegin Y: Da hast du auch wieder recht – sollen die doch machen, was sie wollen … Herr Fach: Naja aber irgendwie müssen wir doch auch jetzt weitermachen … Kollege X: … aber das denken die doch immer – die da unten werden es schon richten. Kollegin Y: So`n bisschen zappeln lassen sollten wir die schon … und außerdem ist die aktuelle Vorgabe sowieso unrealistisch, darüber müssen die Chefs sowieso noch mal mit sich reden lassen, ob sie wollen oder nicht … Herr Fach: Naja, da habt ihr schon nicht unrecht ... In diesem Gespräch vermittelt Herr Fach wieder das Bild des oben beschriebenen eher zurückhaltend, rationalen Kollegen. Lassen Sie uns die Lage im Zusammenhang ansehen: Das Team ist in einer sehr schwierigen Situation. Es fühlt sich fachlich und in seiner Motivation von seiner Führung im Stich gelassen. Die Mitarbeiter haben sich anscheinend angestrengt und das Ergebnis wurde „vom Tisch gewischt“. Die Verärgerung darüber ist gut verständlich (Grund 1). Jetzt befürchten sie zusätzlich, dass sie mit konstruktiver Weiterarbeit in der Zukunft ein ähnliches Führungsverhalten befördern und sie sich den notwendigen HÖFERUNDTAUSCH 31 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Spielraum, den sie fachlich brauchen, erzwingen müssen. In Wirklichkeit ist es viel häufiger, dass Führungskräfte Mitarbeiter unter Druck setzen, die sich verweigern und beim Aufrechterhalten der Verweigerung den Druck erhöhen. Das Projektteam riskiert wahrscheinlich mit der Verweigerung eher eine Verengung von Spielräumen und kann sich damit in einen Teufelskreis manövrieren. Welche Rolle spielt Herr Fach dabei? Er hat in der ersten Besprechung nach der Ablehnung seinem Ärger sehr deutlich Luft gemacht. Sein Ärger stimmte mit dem des Teams weitestgehend überein. Damit hat er sich als Gruppensprecher – als Alpha-Figur angeboten. Er ist fachlich im Projekt Spezialist und hat damit eine bessere Kritikerposition, als andere Projektmitglieder. Er kann dem Team gegenüber die Alpha-Position offen ablehnen („Wenn ihr das Projekt blockieren wollt, da mache ich nicht mit.“) oder verdeckt ablehnen, indem er in den Projektsitzungen neutral auftritt. Wenn er weiterhin seinen Ärger, der auch der des Teams ist, ausspricht, nimmt er die Alpha-Position an. Die Alpha-Rolle (im Folgenden verkürzt Alpha genannt) ist die des informellen Gruppenführers. Dieser hat in der Gruppe eine herausgehobene Position und mehr Einfluss auf Gruppenentscheidungen als andere Gruppenmitglieder. Die Alpha-Rolle ist eine Machtrolle. Wenn man sie auf Macht und Einfluss reduziert, übersieht man jedoch, wie und warum sie entsteht. Gruppen können ohne Führung sehr gut: • vielfältige Lösungsansätze diskutieren • Solidarität entwickeln und nach innen demonstrieren Sie können ohne Führung schlecht: • Lösungen vereinbaren • emotionale Konflikte in der Gruppe lösen und sich gegen äußere Bedrohungen zur Wehr setzen Vereinfacht gesagt: Inhaltliche Breite und das Gefühl sozialer Harmonie entwickeln Gruppen auch ohne Führung – für eine inhaltliche Verengung (Entscheidungen treffen) und soziale Konfliktlösung benötigen sie eine solche. Da diese Defizite immer wieder zu frustrierenden Erlebnissen für Gruppenmitglieder führen, sind Gruppen prinzipiell bereit, Führungspersonen zu unterstützen. Daraus entwickelt sich eine informelle Machtstruktur, an deren Spitze sich der Alpha befindet. HÖFERUNDTAUSCH 32 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Man könnte einwenden, Arbeitsgruppen haben einen solchen Führer in der Rolle des Abteilungsleiters, Gruppenleiters, Projektleiters usw. Das ist richtig – trotzdem kann man davon ausgehen, dass bei Gruppen ab etwa 6 Mitarbeitern sich immer noch ein informeller Führer (Alpha) neben dem formellen herausbilden wird. Je besser die formelle Führung die Interessen der Gruppe nach: • stringenten inhaltlichen Entscheidungen im Gruppeninteresse • Konfliktlösung nach innen • Vertretung der Gruppeninteressen nach außen erfüllt, umso flacher die informelle Hierarchie der Gruppe. Je weniger diese Interessen erfüllt werden, umso deutlicher werden diese von der Gruppe selbst übernommen. Dass Teaminteressen in der Interessenabwägung der Gesamtorganisation subjektiv „untergehen“, ist aus meiner Erfahrung die häufigste Frustrationsquelle für Arbeitsteams. Den Ärger darüber zur Geltung zu bringen, und die gemeinsamen Interessen auch gegen äußere Widerstände zu formulieren, dafür benötigen Arbeitsteams ihren Alpha am häufigsten. In diesen Fällen erwächst die Macht des Alpha aus einer Sprecherrolle. Das heißt, der Alpha ist hier in erster Linie Gruppensprecher und erst in zweiter Instanz informeller Gruppenchef. Braucht man für die Übernahme der Alpha-Rolle so etwas wie eine Führungspersönlichkeit. Nein. Welche Persönlichkeit zum Alpha wird, hängt immer auch von der Gruppenzusammensetzung und der speziellen Situation ab und ist damit nicht gut vorhersagbar. Vorhersagbar ist jedoch das Verhalten des Alpha. Alphas werden in kritischen Situationen: • Frustration deutlich aussprechen • die Führung fachlich kritisieren • Stärke demonstrieren Das heißt in Alltagssprache – ein typisches Alphaverhalten in Krisen ist: • Zynismus • öffentliche Kritik (statt unter vier Augen) • Verweigerung HÖFERUNDTAUSCH 33 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen • Palastrevolutionen Dieses Verhalten kann dem üblichen Verhalten der Person völlig entgegengesetzt sein. Es entsteht aus der Verpflichtung der eingenommenen Rolle gegenüber. Insofern hat der Projektleiter mit seiner Vermutung, Herr Fach entpuppe sich gerade, nicht recht. Es ist extrem schwierig, die Vielfalt sozialen Rollenverhaltens in eine Ordnung zu bringen. Das bekannteste Gruppenrollenmodell ist das von Raoul Schindler9, einem österreichischen Psychoanalytiker. Schindler nennt die Rollen: Alpha-Rolle – informeller Gruppenführer und Gruppensprecher • wird von der Gruppe gestützt und bezieht von ihr Energie • schätzt die Möglichkeit, Position zu beziehen (nicht zwangsläufig die aus der Rolle erwachsende Macht) • wird über alles informiert und bezieht daraus in Arbeitsgruppen einen Großteil seiner Macht • kann nur punktuell gegen Gruppeninteressen handeln Gamma-Rolle – Gruppenmitglied • ist das Pendent des Alphas, versorgt diesen mit Energie • schätzt die Sicherheit in der Gruppe Beta-Rolle – Experte oder Berater • engagiert sich für Einzelthemen und möchte dort die Führung (ohne die Gruppenführung anzustreben) • kann Alpha beeinflussen Omega-Rolle – Sündenbock 9 • vertritt tabuisierte Aspekte der Gruppe • ist Ziel von Aggressionen der Gruppe siehe z.B. Oliver König/Karl Schattenhofer: Einführung in die Gruppendynamik. Heidelberg 2006. 34 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Die Beta-Rolle beschreibt Schindler als nicht zwingend notwendig. Bei allen anderen geht er davon aus, dass sie in Gruppen immer besetzt sind. Das Modell von Schindler ist ein grobes Raster. Folgende Erkenntnisse sind daraus für das Arbeitsleben wichtig: 1. Der Alpha in einer Gruppe spricht Gruppeninteressen aus. Das heißt, wer mit dem Alpha kämpft, kämpft mit der Gruppe. Formelle Gruppenführer (Abteilungsleiter, Projektleiter usw.) sollten sich mit dem Alpha verbünden. 2. So wie ich als Gruppenchef mit einem Gamma spreche, fühlen sich alle angesprochen. Wenn ich in der ersten Besprechung z.B. ein Gruppenmitglied schnell „abbügele“, muss ich damit rechnen, dass auf weitere Fragen großes Schweigen herrscht. Die Mehrheit der Gruppenmitglieder lernt aus dem, was für mich als Einzelfall erscheint, wie ich mit ihnen allen umgehen werde. Letztlich werden die Gruppenchefs vor allem von den Gammas in ihrer Rolle und weniger als Person wahrgenommen. Gruppenleitern müssen lernen, jeden ihrer Schritte als beispielgebend für ihre gewünschte Art und Weise der Kommunikation zu sehen. Ihr Verhalten als Leiter ist immer konkret und symbolisch. 3. Betas können im besten Fall geschätzte Experten und im schlechtesten Fall unnachgiebige Kritiker sein. Im zweiten Fall werden sie vor allem von Teams, die sehr viel Wert auf Harmonie legen, als Störer und ewige Nörgler aufgefasst und ausgegrenzt. Damit verlieren die Betas fachlich an Einfluss. Das schadet dem Arbeitsergebnis und frustriert Betas langfristig. Teams und Teamleiter müssen erreichen, auch scharfe Kritik (und damit den Kritiker) fachlich wertzuschätzen. 4. Sündenböcke scheinen häufig selbst schuld zu sein. Sie sind: entweder extrem oder extrem aggressiv duldsam ordentlich locker egoistisch harmoniebezogen … … HÖFERUNDTAUSCH 35 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Das extreme Verhalten entsteht dabei häufig durch einen Teufelskreis. Der wiederum entsteht, wenn bestimmte ungeliebte und tabuisierte Aspekte des Teams von einem Mitglied vertreten werden und das Team versucht, das Tabu aufrechtzuerhalten (zu vertuschen), was dem Sündenbock nahelegt, sein „Deutlichmachen“ ebenfalls zu intensivieren. Beides sind keine rational bewussten Strategien. Da das reichlich abstrakt klingt, lassen sie uns ein Beispiel ansehen. Ein Produktionsteam mit der Aufgabe, möglichst schnell ein bestimmtes Herstellungsverfahren für einen Prototypen serienreif zu machen trifft sich jeden Dienstag zu einer wöchentlichen Besprechung. Dabei stellen die einzelnen Arbeitsgruppen den Fortgang ihrer Arbeiten dar und diskutieren ihn mit der Gruppe. Die Besprechungen sind vom Teamleiter stringent moderiert und die Zeit von 1 ½ Stunden wird in der Regel eingehalten oder sogar „unterboten“. Ein Mitarbeiter (Herr Wage) fällt immer wieder aus der Reihe, da er im gut verstandenen Sinne visionäre, im eigentlichen Sinne aber sehr schwammige und abseitige Technologieideen diskutieren will. Er schildert seine Ansätze sehr weitschweifig und es wird selten klar, was er als nächsten Schritt plant. Daraufhin gefragt, reagiert er irritiert bis aggressiv. Es kommt immer wieder zu Wortgefechten zwischen dem Teamleiter und Mitgliedern des Teams und Herrn Wage. Diese eskalieren in letzter Zeit regelmäßig. In der letzten Besprechung gab es folgenden Wortwechsel: Teamleiter: (ungeduldig) Was wollen sie uns nun eigentlich vorschlagen Herr Wage, wie wir weitermachen sollen? Herr Wage: Das habe ich doch gerade erklärt. Ich glaube, dass wir nochmal schauen sollten, ob die Maschineneinstellung der XY-Maschine nicht gänzlich ungeeignet ist und vielleicht sollten wir den Zeitpunkt des Aufdampfens viel weiter nach hinten legen, weil dann die Festigkeit und Haltbarkeit besser wird, zumindest gibt es Beispiele, dass das schon was bringt. Mitarbeiter: Das wirft doch alles wieder über den Haufen, was wir die letzten Wochen diskutiert haben. Haben sie da überhaupt zugehört. Herr Wage: Ich will doch bloß sagen, dass es vielleicht auch noch eine viel bessere Lösung geben könnte … Mitarbeiter: Könnte, könnte – wissen sie was Herr Wage. Wir sind hier nicht im Forschungslabor. Das hier ist Industrie. Da zählen Ergebnisse. Wenn Sie das nicht begreifen, dann sind sie hier falsch. Teamleiter: Was schlagen sie nun vor, Herr Wage. HÖFERUNDTAUSCH 36 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Herr Wage: Die Einstellungen in Halle C nochmal zu checken. Teamleiter: Das haben wir bereits diskutiert. Haben sie sonst noch Vorschläge? Herr Wage: Nein, aber… Teamleiter: Dann zum nächsten Punkt … Der Teamleiter hat vor, den Vertrag von Herrn Wage nicht zu verlängern. Das Team steht unter Zeitdruck und der Teamleiter ist sehr strukturiert und ergebnisbezogen. Die Aufgabe verlangt dem Team eine hohe Kreativität ab. Kreatives Denken benötigt Originalität genauso wie den Blick auf die Durchführbarkeit von Lösungen, Visionen ebenso wie Bodenhaftung. Unter dem hohen Handlungsdruck wird die Kreativität des Teams eingeschränkt. Es müssen permanent abrechenbare Ergebnisse produziert werden. Die meisten Mitglieder des Teams leiden mehr oder weniger unter dieser Schnelligkeit und wissen auch, dass ein weniger schnelles Arbeiten qualitativ bessere Ergebnisse verspräche. Herr Wage wird durch sein Herangehen und sein beharrliches Weigern, sich diesen Beschränkungen zu unterwerfen quasi zum Überbringer der schlechten Botschaft. Und dieser wird seit der Antike gehängt. Sündenböcke entstehen z.B.: • wenn ein Team sehr locker und heiter kommuniziert und ein Teammitglied immer wieder darauf hinweist, dass in Sachfragen Ernsthaftigkeit weiter bringt als Blödelei • wenn ein Team mit Leitungsentscheidungen sehr unzufrieden ist und ein Teammitglied klar macht, dass es in einer Führungsposition kaum anders gehandelt hätte • wenn es die Führungsetage eines mittelständischen Unternehmens mit der Buchhaltung nicht so genau nehmen möchte, und einer von drei Buchhaltern immer wieder fachliche Mängel anzeigt • wenn in einem Unternehmen viel übereinander und wenig miteinander geredet wird und sich ein Mitarbeiter an gemeinsamen Mittagessen einer Abteilung und Betriebsfeiern nicht teilnimmt – weil er, wie er sagt sich das bei diesem Klima auch schenken kann Sie können gern Beispiele aus ihrer Erfahrung hinzusetzen. HÖFERUNDTAUSCH 37 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Ein weiteres für berufliche Kommunikation relevantes Rollenmodell ist das Dramendreieck von Stephen Karpman10. Lassen sie mich zu dessen Erläuterung gleich mit einem Beispiel beginnen. Für eine Arbeitsgruppe, die sich in einer fachlichen Sackgasse befindet, wird ein Experte eingestellt. Dieser, so ist aus der Buchhaltung durchgedrungen, verdiene auch deutlich besser, als die anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe. Da er jedoch sehr sympathisch ist, mit den besten Referenzen kommt und sehr optimistisch ist, das Problem in kurzer Zeit lösen zu können, macht ihm daraus niemand einen ernsthaften Vorwurf. Als jedoch – und sie ahnen bereits, was kommt – das Problem weiterhin von Sachgasse zu Sachgasse verschoben wird und der Durchbruch ausbleibt, wendet sich die Stimmung im Team. Der Experte wird erst hinter vorgehaltener Hand und später auch offen scharf kritisiert. Er habe nichts Substantielles zur Problemlösung beigetrage und außer heißer Luft nichts produziert. Der Experte wiederum beklagt sich über die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Teams und die insgesamt schlechte Organisation. Unter diesen Umständen könne das Problem nicht gelöst werden. Grundlage dieser typischen Entwicklung ist eine sogenannte Opfer-Retter-Beziehung. Eine oder mehrere Personen (Opfer-Rolle) erwarten von einer anderen Person, dass eine schwierige Notlage schnell behoben wird. Rein logisch kann das kaum jemand versprechen, denn wenn die Notlage dramatisch ist, werden die Anstrengungen, diese zu vermeiden oder zu beheben groß gewesen sein. Wenn das bisher aber nicht gelang, warum sollte es dann jetzt gelingen. Absurd, aber menschentypisch ist jedoch, dass unsere Ansprüche an Unterstützung umso mehr steigen, je schwieriger die Notlage ist. Findet sich nun jemand, der die Überansprüche annimmt (das Einverständnis kann auch ein schweigendes sein), übernimmt er im Dramendreieck die Retter-Rolle. Werden die Ansprüche nicht erfüllt, dann kommt eine dritte Rolle ins Spiel, in die beide Seiten wechselseitig hinein pendeln – die Verfolger-Rolle. Der Verfolger versucht die Verantwortung für den fehlgeschlagenen Rettungsversuch dem jeweils anderen anzulasten. Viele wechselseitige Schuldzuweisungen im Berufsleben haben eine Opfer-Retter-Konstellation zur Grundlage, die fast unweigerlich in unkonstruktiven Schulddiskussionen endet, wie vernünftig die Beteiligten auch im Allgemeinen sein mögen. Auch hier ist die Rollendynamik häufig stärker, als die Persönlichkeit. 10 Hier nach Berne Eric (2007). Was sagen Sie nachdem Sie Guten Tag gesagt haben. Fischer 38 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Opfer Verfolger ReOer Beginnend in den 1990er Jahren sind sogenannte Organisationsaufstellungen im Arbeitsbereich als Beratungstechnik entwickelt worden. Da ein Rollenverhalten, wie weiter oben schon beschrieben, schwer in eine allgemeingültige Form zu pressen ist, sollen die Organisationsaufstellungen das spezielle Rollenverhalten in der ganz individuellen Situation verdeutlichen. Verstrickungen und Teufelskreise werden allen Teammitgliedern deutlich und können so besprochen und aufgelöst werden. Es wurde und wird immer wieder kritisiert, dass diese Methode im Augenblick sehr plausible Erkenntnisse ohne langfristigen Wert für die Organisation bringt – es sich auf deutsch eher um „Budenzauber“ als um eine fundierte Problemanalyse und –lösung handelt. Wichtig erscheint mir zu erkennen, wie stark uns soziale Rollen in unserem Verhalten beeinflussen können. Ebenso wichtig ist es festzustellen, dass die soziale Rolle unser Verhalten nicht erklärt und nicht einmal wesentlich bestimmen muss. 39 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Grund 4 – Menschen verhalten sich irrational, weil sie verschieden Sprachen spreche In einem Modell der beiden Psychologen Riemann und Thomann werden vier menschliche Grundstrebungen unterschieden. Nähe Dauer ! Wechsel Distanz Für Menschen mit ausgeprägter Nähestrebung sind besonders wichtig: • • Nähe zu anderen Menschen Zuneigung bekommen und zeigen • Sympathie und positive Gefühle ausdrücken und erhalten • • in Beziehungen mit anderen Menschen aufgehoben sein Harmonie mit anderen herstellen und erhalten • Bestätigung von anderen erhalten • sich aufeinander einlassen HÖFERUNDTAUSCH 40 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Die Nähe-Menschen11 sind sehr gut kontaktfähig, ausgleichend, gute Teamspieler und verständnisvoll-akzeptierend anderen Menschen gegenüber. Oft sind sie auch konfliktscheu, aggressionsgehemmt und haben eine latente Opfermentalität. Für Menschen mit einer ausgeprägten Distanzstrebung sind besonders wichtig: • eigenständig von Anderen sein • unverwechselbar sein • • die eigene Position vertreten und die Position Anderer erfahren von Anderen unabhängig sein und niemandem etwas schuldig sein • Vernunft anstatt (Bauch-)Gefühl als Ratgeber für das Handeln • • große Sachlichkeit in zwischenmenschlichen Konflikten Nähe ohne große wechselseitige Verpflichtungen Distanz-Menschen sind insgesamt eigenständig, häufig verstandesbetont-intellektuell, entscheidungs- und konfliktfähig und sachlich-fachlich ausgerichtet. Sie können gut delegieren und Nein-sagen, sind aber auch kontaktscheu und emotional unbeholfen bis sozial inkompetent. Für Menschen mit einer ausgeprägten Dauerstrebung sind besonders wichtig: • Zuverlässigkeit bei Anderen • • die konventionellen Werte des Arbeitslebens, wie: Pünktlichkeit, Pflicht, klare Verantwortlichkeiten, Planung und Kontrolle Hierarchien und das Einhalten dieser • • Vorausdenken möglichst aller Wägbar- und Unwägbarkeiten funktionierendes Selbstmanagement Dauer-Menschen sind verlässlich, systematisch und ordentlich. Sie haben Organisationstalent und sind häufig sehr prinzipientreu und eher konservativ. Sie neigen aber auch zur Pedanterie, Starrheit und negativen Kontrolle. 11 Die Begriffe: Nähe-Menschen, Distanz-Menschen usw. sind eigentlich nicht korrekt, da es sich bei dem Modell um ein überindividuelles Modell handelt – sie werden im Text der einfachen Lesbarkeit halber verwendet HÖFERUNDTAUSCH 41 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Für Menschen mit einer ausgeprägten Wechselstrebung sind wichtig: • Spannung und Abwechslung • • die Gelegenheit beim Schopfe packen Spontanität und Kreativität • • flexibel sein und sich den Gegebenheiten anpassen Planung nur soweit, wie unbedingt nötig Wechsel-Menschen sind insgesamt einfallsreich und haben ein großes Improvisationstalent. Sie haben in Krisen häufig sehr überraschende Lösungen vorzuschlagen. Auf der anderen Seite sind sie auch unzuverlässig, lax, chaotisch und unsystematisch. Nähe- und Distanzstrebung beschreiben hauptsächlich unser Kommunikationsverhalten und Distanz- und Dauerstrebung unseren Arbeitsstil. Jeder Mensch hat dabei alle vier Tendenzen in sich. Ein nach außen kämpferischer Mensch, der seine Meinung pointiert auf den Punkt bringen kann, kann innerlich sehr verletzlich sein. Ebenso wie ein im Arbeitsleben ausgesprochen strukturierter Mensch in seiner Freizeit ohne Probleme „alle Fünfe gerade“ sein lassen könnte. Das Modell von Riemann und Thomann ist kein „Typen-Modell“, sondern beschreibt grundsätzliche Tendenzen menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns. In unserem Verhalten sind im Beruf jedoch eine oder zwei Tendenzen besonders sichtbar, und das relativ unabhängig von unserem „Seelenleben“. Ich möchte mir im Folgenden mit Ihnen die Schwierigkeiten genauer ansehen, die ausschließlich daraus entstehen können, dass wir unterschiedlich sind. Menschen mit einer sehr starken Nähe-Tendenz im Arbeitsleben suchen bei Schwierigkeiten häufig den Rat und die fachliche Unterstützung anderer Kollegen oder des gesamten Teams. Sie reagieren auf kritische Situationen häufig mit einem: „Da müssen wir schleunigst drüber reden“. Wenn sie um Rat gefragt werden sind sie in aller Regel geduldige Zuhörer. Eine gute Kommunikation ist für sie die Basis jeder inhaltlichen Lösung. Sprachlich neigen NäheMenschen zu einer indirekten Sprache. Sie verwenden viele Füllwörter und Konjunktive. Nähe-Menschen suchen in einer sehr frühen Phase eines Problems den Austausch mit Anderen. Ganz anders Mitarbeiter und Kollegen mit einer ausgeprägten Distanz-Strebung. Diese melden sich von Besprechungen häufig ab mit der Begründung: Sie haben zu viel zu arbeiten. Das ist insofern entlarvend, als dass Distanz-Menschen Kommunikation tatsächlich nicht als Arbeit sehen, sondern als etwas, dass man tut, wenn man sonst nichts zu tun hat. Das „sonst“ ist die eigentliche Arbeit. HÖFERUNDTAUSCH 42 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Trifft ein Nähe-Mensch mit einem Problem auf einen Distanz-Menschen, so kann sich schnell folgender Dialog entwickeln: Herr Nah: Ich müsste mal mit Ihnen über ein kleines Problem mit unserem Projekt sprechen. Frau Fern: Was gibt es denn genau? Herr Nah: Wir hatten ja im Grunde schon alles besprochen, aber ein vielleicht nur kleines Detail gäbe es doch noch – die Zuordnung der Steuerposten … Frau Fern: (leicht genervt) Sind Sie denn persönlich unzufrieden? Herr Nah: So will ich das nicht verstanden haben. Nur im Grunde ist doch eine Teilung der Verantwortung vielleicht auch im Sinne aller. Ich meine wir haben ja alle genug zu tun und jetzt hat Kollege Herber ja die ganze Arbeit … Frau Fern: (unterbricht Nah) Hat Herber ein Problem? Herr Nah: (etwas hilflos und leicht genervt wegen der Unterbrechung) Nein, also gesagt hat er nichts, aber es ging ja auch ziemlich schnell … Frau Fern: (unterbricht Nah wieder mit schon deutlich gereizter Stimme) Naja, es hat ja auch niemand etwas gesagt … Was ist nun eigentlich Ihr Problem Herr Nah? Herr Nah: (resignierend) Die Zuordnung der Steuerposten. Ich finde, das kann nicht gut gehen … Frau Fern: Die Entscheidung ist getroffen. Sie können das ja meinetwegen in der nächsten Beratung noch einmal ansprechen. Ich kann Sie nicht davon abhalten. Jetzt lassen Sie mich aber bitte allein, ich habe noch zu arbeiten. Das Gespräch scheitert nicht an den unterschiedlichen Positionen, soweit kommen die Gesprächspartner gar nicht, sondern an der unterschiedlichen Sprache der beiden Gesprächspartner. Nimmt man die typische Kommunikation von Dauer-Menschen und von Wechsel-Menschen noch hinzu, kann man vier grundsätzlich unterschiedliche Kommunikationsweisen (Sprachen) unterscheiden. Nähe indirekt-beziehungsorientiert 43 HÖFERUNDTAUSCH DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Dauer ernsthafttiefgründig indirekte Sprache, langes „An-wärmen“, plant mehrere Gespräche ein, behutsam, geduldig witzig, unterhaltend, herzlich, bildhafte Aussagen, indirekte und häufig schnelle Sprache, geduldiger Zuhörer direkte Sprache, überlegte Aussagen, verbindlich aber unterkühlt, strebt Führung über Fragen an direkte Sprache, pointierte und schnelle Aussagen, bildhafte Sprache, neigt zu Ironie bis Zy-nismus, strebt Füh-rung über Fragen an Wechsel heiter-oberflächlich direkt-sachorientiert Distanz In den beiden Diagonalen sind Missverständnisse und Frustrationen am häufigsten zu erwarten. Die Lösung, die wir instinktiv anstreben ist der der Teufelskreise ähnlich. Wir glauben häufig: Wenn der Andere nur … … … und der Andere ändert sich nicht. Wir sind von den Qualitäten unserer Art Probleme zu besprechen und zu lösen immer überzeugt. Die Lösung für die oben beschriebenen Probleme liegt aber immer darin, dass wir uns auf die Art und Weise der Problemlösung des Gegenübers – auf seine Sprache einlassen. Das fällt uns besonders schwer, da wir ihm damit einen „Heimvorteil“ geben und auf einem Feld spielen, auf dem wir uns nicht gut auskennen. Andersherum wäre es uns lieber, aber wie bei den Teufelskreisen haben wir keine Wahl. Grund 5 – Menschen verhalten sich irrational, weil sie irrationale Intensionen haben Dies ist der einfachste Grund irrationalen Verhaltens. Irrational ist dabei nicht mit unsinnig gleichzusetzen. • Rational möchte ich, dass wir mit der Arbeitsaufgabe vorankommen – aber Müller soll die Lorbeeren für die Ergebnisse auf keinen Fall einheimsen. Um das zu verhindern muss ich dann doch etwas bremsen. HÖFERUNDTAUSCH 44 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen • Rational möchte ich, dass das Ansehen meines Teams groß ist, schließlich habe ich ihm viel zu verdanken, aber wenn es um das Herausstreichen eigener Erfolge geht … • Rational ist das Verhandlungsergebnis sehr gut, aber kann man den Amerikanern wirklich trauen? Die sind doch mit allen Wassern gewaschen. Wir verfolgen immer allgemein geteilte (und als rational geltende) und (häufig versteckte) persönliche Interessen und unterliegen immer Begrenzungen, die als rational gelten und persönlichen Vorurteilen, Abneigungen o.ä. allgemein geteilte ra8onnale Interessen häufig versteckte persönliche Interessen • Kosten-Nutzen-Verhältnis • Funk8onalitätvonLösungen • WeObewerbsvorteile • Produkt-/Lösungsqualität • eigenesAnsehen • Beliebtheit • Macht • Sicherheit allgemein geteilte ra8onale Begrenzungen • Hierarchien • Entscheidungswege • Arbeitsvorgaben • Prioritäten häufig versteckte persönliche Begrenzungen • Vorurteile • BeziehungenundVerpflechtungen • Rollenverständnis • schlechteErfahrungen HÖFERUNDTAUSCH 45 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Grund 6 – Menschen verhalten sich gar nicht irrational, es sieht manchmal nur so aus. Der letzte Grund, der den Kreis zur Dominanz der Person-Ebene wieder schließt, beschäftigt sich mit einer häufigen Fehlwahrnehmung des Menschen. In der Sozialpsychologie wurde untersucht, wann Menschen die Ursachen für ein bestimmtes Verhalten eher der Persönlichkeit und wann eher äußeren Faktoren zuschreiben. Das Ergebnis war, dass wir Persönlichkeit als Verursacher für Ergebnisse grundsätzlich überschätzen und die äußeren Umstände grundsätzlich zu gering bewerten, d.h. wir denken in aller Regel, dass der dem das Missgeschick passiert auch daran schuld ist. Ein einfaches Beispiel: Stellen sie sich vor, ein Kind geht aus der Tür, tritt auf frisch gefallenen Schnee und fällt auf die Nase. Die meisten Menschen sagen dazu, das Kind hätte besser aufpassen müssen, dann wäre es nicht hingefallen. Nun könnte man entgegenhalten, dass unter dem Schnee genau vor der Tür eine Eisschicht ist, die das Kind nicht habe sehen können und deshalb sei es auch hingefallen. Ein Teil unserer „selbst-schuld-Sager“ wird nun einwenden, das haben sie nicht gewusst. Nicht gewusst heißt aber auch – ohne Sachkenntnis automatisch auf „selbst schuld“ geschlossen. Der größere Teil von Menschen bleibt erstaunlicherweise aber auch bei der „selbst-schuld-Annahme“, wenn diese wenig plausibel ist. Diese Bewertungstendenz bekam den Namen – fundamentaler Attributionsfehler12. Im beruflichen Alltag taucht der fundamentale Attributionsfehler häufig als „die Suche nach dem Schuldigen“ auf, obwohl die Mehrzahl der betrieblichen Fehler in organisatorischen Abläufen mitbegründet sind. Ein Beispiel: Herr Gutmann ist ein fähiger Ingenieur und für seine freundliche und vermittelnde Art in seinem Unternehmen allgemein geschätzt. Herr Gutmann bekam im Zuge eines neuen Projektes die Aufgabe ein Angebot von einer Telekommunikationsfirma für eine bestimmte Dienstleistung einzuholen. Er schickte alle angeforderten Unterlagen an die Telekommunikationsfirma, bekam von dieser eine E-Mail, dass jetzt alles in Butter sein und das Angebot erstellt werde. Nach zehn Tage rief er bei der Firma an und erhielt die Auskunft, 12 Gilbert, D. T. & Malone, P. S. (1995). The correspondence bias. Psychological Bulletin, 117, 21-38. HÖFERUNDTAUSCH 46 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen dass das Angebot „raus sei“. Nachdem nach zwei Tagen das Angebot nicht eingetroffen war, rief er nochmal an und bekam die Auskunft, das Angebot sei noch „nicht raus“ (die Frau am anderen Ende konnte sich die Auskunft ihrer Kollegin gar nicht erklären), dass es aber nicht mehr lange dauern könne. Auf seine Bitte, ihm einen Ansprechpartner in der Angebotsabteilung zu nennen, reagierte die Frau am anderen Ende leicht genervt. Das sei leider nicht möglich, die Angebotsabteilung sei für Außenstehende telefonisch nicht zu erreichen. Inzwischen weitere zehn Tage und fünf oder sechs Anrufe mit den verschiedensten freundlichen Auskünften ins Land gegangen und Herrn Gutmann wird langsam mulmig. Der interne Termin ist schon zwölf Tage verstrichen und so langsam kann er nicht mehr rechtfertigen, dass das Angebot noch nicht da ist. Aber es wird bestimmt jeden Tag kommen. Nach zwei weiteren Tagen knöpft sich der Projektleiter Herrn Gutmann vor und verlangt eine Erklärung für die zweiwöchige Verspätung eines simplen Angebots. Der Projektleiter macht seinem Ärger über so viel Unfähigkeit deutlich Luft. Herr Gutmann druckst herum. Wie viel Verantwortung trägt Herr Gutmann? Zwei Dinge sollten dem Projektleiter zu denken geben. Herr Gutmann ist ein freundlicher und gutmütiger Zeitgenosse, der offensichtlich für das Überwinden des Call-Center-Bollwerks der Telekommunikationsfirma zu schlecht schreien und drohen kann. Insofern war er nicht der Richtige für diese zwar einfach scheinende, aber sich als komplizierter entpuppende Aufgabe. Für die Auswahl ist der Projektleiter verantwortlich – also auch sein Fehler. Es gab sichtlich keine Vorstellung im Prozess, wann das Nichteintreffen des Angebots an wen „zu eskalieren“ ist. Ein deutlicher Prozessmangel. Das soll nicht heißen, dass sich Herr Gutmann hervorragend verhalten hat und der Fehler beim Leiter und im Rückmeldeprozess liegt. Es soll heißen, dass der Anpfiff des Projektleiters zu kurz greift und damit auch Ressourcen zur Verbesserung des Führungsverhaltens und der Informationsprozesse im Projekt vergeben werden. Immer, wenn sie im Arbeitsleben den Satz hören: Das hätte der oder die doch wissen müssen, dann können sie davon ausgehen, dass hier gerade jemand verantwortlich gemacht wird, ohne zu schauen, durch welche Abläufe oder Arbeitsmittel der Fehler verursacht wurde. In diesem Punkt sind nach meiner Erfahrung Mitarbeiter häufig klüger als Chefs. Sie reagieren bei Fehlern von Kollegen häufig nicht schuldzuweisend, weil sie wissen, dass die Mehrzahl der Fehler auch ihnen hätte passieren können und die individuelle Fehlleistung in der Regel geringer zu bewerten ist als die organisatorischen Lücken. HÖFERUNDTAUSCH 47 DIE BESTEN KÖPFE ENTWICKELN Alexander Höfer Der berechenbare Faktor MenschWarum sich Menschen irrational verhalten und wie wir damit umgehen Watzlawick, P. u.a. (2000). Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien Schulz von Thun: Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. 1989. S. 38-55 Schulz von Thun/Ruppel/Stratmann: Miteinander reden für Führungskräfte. 2000. S. 52-59 Helwig, P.: Charakterologie. Freiburg im Breisgau 1976 Dietrich, Rainer (2007): Psycholinguistik. Stuttgart: Metzler. [Sammlung Metzler]. Krämer, Walter. 2006 Anpassung als Identitätsverlust, Betriebslingusitische Beiträge, Zeitschrift für Unternehmenskommunikation, Heft 8- August 2008 Seite 1-4 Baer, Oliver 2006 Sprache, weit mehr als ein Luxus, Betriebslingusitische Beiträge, Zeitschrift für Unternehmenskommunikation, Heft 5- August 2006 Seite 1-4 Peter Panter in Vossische Zeitung, 16.11.1930, Nr. 542,
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