30.07.2015 - 06:40 Uhr Verbraucherschutz Mindesthaltbarkeit auch für Elektrogeräte DAS GESPRÄCH FÜHRTE HARTMUT TROEBS REUTLINGEN. Grad gekauft, schnell kaputt: Besitzen manche Elektrogeräte ein eingebautes Verfallsdatum? Handfeste Beweise gibt es nicht, doch warum auch immer: Der zunehmende vorzeitige Ausfall von Konsumgütern ist »ein echtes Ärgernis für die Verbraucher«, sagt Prof. Dr. Tobias Brönneke, Mitglied der Verbraucherkommission Baden-Württemberg. Das Beratergremium der Landesregierung fordert jetzt eine Pflicht zur Angabe einer klaren Mindesthaltbarkeitsdauer – »im Grunde nicht anders als bei einer Flasche Milch«. GEA: Herr Brönneke, wann gab bei Ihnen zuletzt ein Gerät den Geist auf und Sie dachten: Das darf nicht sein!? Tobias Brönneke: Gerade im Moment ist der Support eines Computers von mir ausgelaufen, und just im Anschluss daran ist eine Taste abgebrochen, die sich auch nicht mehr befestigen lässt. Ein anderes Beispiel ist eine meiner Lampen, bei der unmittelbar nach Ablauf der Garantiezeit der Trafo mit einem Puff kaputtgegangen ist. Die Verbraucherkommission sagt, die verkürzte Lebensdauer von Produkten sei ein Phänomen, das nicht mehr wegzudiskutieren sei. Woran machen Sie das konkret fest? Brönneke: Obsoleszenz definieren wir als vorzeitigen Verschleiß. Während man mit sehr geringen Mitteln ein sehr viel dauerhafteres Produkt produzieren könnte, fällt ein Produkt aus Sicht der Verbraucher unnötig früher aus als erwartet. Dafür gibt es immer wieder Einzelbeispiele, die belegt sind. Auch an meiner Hochschule in Pforzheim gab es Untersuchungen an einzelnen Dingen, in denen Studenten nachgewiesen haben, dass man mit einfachsten Mitteln Defekte hätte vermeiden können. Aber es gibt auch sehr umfassende Untersuchungen: Gerade haben Umweltbundesamt und das Öko-Institut Freiburg eine große Studie herausgebracht, in der sich auch gezeigt hat, dass bestimmte Obsoleszenz-Phänomene zunehmen. Eine breit angelegte Umfrage in Österreich ist zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. -2- Umweltbundesamt und Öko-Institut räumen zwar ein, dass neu erworbene Produkte heute kürzer als früher genutzt werden und immer mehr Haushaltsgroßgeräte nicht mal fünf Jahre durchhalten, haben aber bis dato noch keine handfesten Beweise für gezielt eingebaute »Sollbruchstellen« finden können. Wie passt das zusammen? Brönneke: Das passt gut zusammen. Man kann in dem Produkt selber den Nachweis einer Vorsätzlichkeit niemals finden, weil dieser Nachweis im Kopf des Konstrukteurs gefunden werden müsste. Die Industrie wird schon aus Haftungsgründen immer abstreiten, dass vorsätzlich minderwertig konstruiert wurde. Was man finden kann, sind Beweise, dass es eine Vielzahl an minderwertig konstruierten Produkten gibt, die unnötig früh ausscheiden. Produktentwickler haben uns zudem dargelegt, dass sie heute unter Bedingungen arbeiten müssen, die einfach nicht die Vielzahl an Testreihen, die sie als gute Ingenieure vorsehen würden, zulassen. Der Markt ist zu schnelllebig, da sind Fehler vorprogrammiert. Nicht alles geht vorzeitig kaputt. Wie bringen Hersteller den Verbraucher trotzdem dazu, ein Produkt möglichst rasch zu ersetzen? Brönneke: Bei Elektronikprodukten wie Handy, Tablets und dergleichen spielt die psychologische Obsoleszenz eine starke Rolle. Will heißen: Man bringt immer wieder neue Produkte auf den Markt, die moderner sein sollen, vielleicht ein kleines bisschen schneller. Teilweise wird der technische Fortschritt unnötig häppchenweise weitergegeben, um die Kunden anzulocken. Das ist etwas ganz anderes als technische Obsoleszenz, wenn man etwa, wie aus Österreich beschrieben worden ist, feststellen kann, dass Billig-Waschmaschinen mit einer Kunststoff-Trommel verkauft werden; das ist gar kein Wunder, dass die nach wenigen Jahren den Geist aufgeben. Haben Sie noch andere VerschleißVarianten auf Lager? Brönneke: Es gibt ganz verschiedene Formen, Verbrauchsbeschleunigung ist auch so eine. Bei Zahnpasta-Tuben oder anderen Verbrauchsgüter-Verpackungen macht man die Öffnungen größer, damit unbewusst mehr rauskommt. Eine weitere Form: Ersatzteile sind unnötig teuer. Man kann oft erleben, dass der Reparaturservice sagt, es lohnt sich nicht, das zu reparieren, kaufen Sie es gleich neu. Dass Produkte so konstruiert werden, dass sie nicht reparierfähig sind, wie Festeinbauten von Akkus, oder dass freie Reparaturwerkstätten keinen freien Zugang zu Ersatzteilen haben, das sind sehr, sehr lästige Punkte. Etwas, worauf mich erst kürzlich Techniker hingewiesen haben und was ich auch selbst erlebt habe, ist das Zusammenspiel von Hardware und Software. Es gibt zunehmend Hardware, die eigentlich noch voll funktionstüchtig ist, aber nicht mehr genutzt werden kann, weil einfach die entsprechenden Treiber nicht mehr geliefert werden. Wie teuer wäre es für die Industrie, eine längere Haltbarkeit anzubieten – ist dies zu gleichen Kosten umsetzbar? Brönneke: Bei vielen einzelnen Produkten lässt sich nachweisen, dass das nur ganz, ganz wenig an Kostensteigerungen mit sich bringen würde – das sind oft nur Cent-Faktoren. Unter anderem hat das Stiftung Warentest etwa bei den Schleifkontakten von Staubsaugermotoren festgestellt. Etwas dauerhaftere Bürstchen würden so gut wie nichts kosten. Auch wenn das alte Gerät noch gut funktioniert – das neue ist doch viel besser und braucht vielleicht auch deutlich weniger Strom ... -3Brönneke: Zunächst mal würde ich trennen zwischen solchen Geräten, bei denen der Wunsch offenbar sehr hoch ist, sehr schnell etwas Neues zu haben – wie zum Beispiel bei einem Handy –, und Geräten, bei denen eigentlich jeder sehr froh ist, wenn er sie nur selten wechseln muss – eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank zum Beispiel. Bei den Haushaltsgroßgeräten wird die Effizienzrendite durch den technologischen Fortschritt zunehmend so gering, dass sich hier ein vorzeitiger Austausch unter dem Strich weder ökonomisch noch ökologisch rechnet – von UraltKühlschränken mal abgesehen. Natürlich sollte man beim Ersatz von Altgeräten, die sowieso ausgetauscht werden müssen, weil sie kaputt sind, darauf achten, dass das Neugerät möglichst effizient ist – aber sonst rechnet sich eine Neuanschaffung in den seltensten Fällen. Es wird manchmal auch Schindluder getrieben auf der vermeintlichen Ökowelle. Und bei Handys oder Unterhaltungselektronik? Brönneke: Bei Handys und dergleichen ist schon die Frage, muss das allerletzte Bisschen auch sein? Die Leute müssen sich hier auch an die eigene Nase fassen und sich fragen: Sind wir da mit unserer Schnelllebigkeit nicht auch selber schuld an einer Spirale, die sich auf Dauer nicht halten lässt? Bei modebetonten Dingen geht es andererseits aber auch um Lebensstilfragen, die muss man nicht unbedingt alle in Abrede stellen. Ein bisschen Abwechslung, ein bisschen Buntes im Leben müssen sein. Es kann nicht sein, dass man zum Spaßkiller-Propheten wird – jedem muss erlaubt sein, an irgendeiner Stelle auch mal verrückt über die Stränge zu schlagen. Es heißt: Wer billig kauft, kauft zweimal. Ist teuer gleich gut? Brönneke: Grundsätzlich: Geiz ist nicht geil, weil Geiz ist teuer. Das ist eine Erkenntnis, die auch die Stiftung Warentest durch ihre sehr lange Testerfahrung belegt. Unterhalb einer bestimmten Preisgrenze lässt sich einfach nicht mehr solide konstruieren. Wer die Einkaufspreise mitrechnet, kommt am Ende dazu, dass Produkte, die in der Anschaffung zu billig sind, am Ende teurer sind als gut durchkonstruierte Produkte. Ansonsten aber ist der Preis überhaupt kein Indikator. Stiftung Warentest hat Flachbildschirme getestet; der Testsieger war nicht billig, und ausgerechnet er war hinterher sehr schnell kaputt. Hier braucht der Verbraucher notwendige Zusatzinformationen, die wir vorschlagen: Das eine ist die Angabe einer Mindestlebensdauer bei Gebrauchsgütern. Das andere wäre – bei bestimmten Produktgruppen wie zum Beispiel Druckern oder Waschmaschinen – die Angabe von Kosten pro Nutzungseinheit: Was kosten denn 100 Ausdrucke, was kostet eine Wäsche? Woran kann man Murks erkennen? Brönneke: Das ist ein spannender Punkt. Ich denke, die absoluten Billigprodukte sind grundsätzlich erst mal kritisch zu sehen. Ein Hinweis könnte auch sein: Gibt der Produzent, gibt der Handel freiwillig eine verlängerte Garantie – da kann man dann schon sehen: okay, für diese Zeit wird für eine bestimmte Dauerhaftigkeit eingestanden. Man sollte den Verbraucher in diesem Zusammenhang auch immer wieder darauf hinweisen, was der Unterschied zwischen einer gesetzlichen Gewährleistung und einer zusätzlichen freiwilligen Garantie ist. Schaden sich die Hersteller von Produkten, die vorzeitig den Geist aufgeben, nicht selbst, weil die Kunden enttäuscht sind und sich abwenden? Brönneke: Es gibt Volkswirte, die sagen, es gebe sogar Anreize in gesättigten Märkten, um Obsoleszenz-Produkte zu produzieren. Beispiel: Einen Rasierapparat hat man, und man braucht eigentlich keinen neuen, es sei denn, der Rasierer geht kaputt. Wer von uns Männern weiß schon, wann er den letzten Rasierer gekauft hat und wie lange er hätte halten sollen? Wenn also eine -4Lebenszeitverkürzung unter der Merkbarkeitsschwelle bleibt, dann ist dieser Obsoleszenz-Effekt einfach nicht so klar da. Das würde sich schlagartig ändern, wenn wir eine LebensdauerAngabepflicht hätten. Kann man der Obsoleszenz auch etwas Positives abgewinnen? Brönneke: Ich tu mich da ernsthaft schwer. Ein Ansatz, der revolutionär ist, ist ein ganz anderer – nämlich Produkte so zu konstruieren, dass hinterher überhaupt kein Abfall da ist. Nach einer begrenzten Lebensdauer wird das Produkt wieder auseinandergenommen und in den Stoffkreislauf zurückgeführt. Dann könnte man sich diese Produkte wirklich leisten, weil es ökologisch korrekt ist. Dann würden auch keine Seltenen Erden mehr wegkommen. In Frankreich und Österreich gibt es bereits Gesetze und Initiativen wider den kalkulierten Verschleiß ... Brönneke: Das neue französische Konsumentengesetz verpflichtet alle Hersteller, die Verbraucher künftig darüber zu informieren, wie lange Ersatzteile verfügbar sein werden. Außerdem sind die Hersteller verpflichtet, Ersatzteile auch an Händler und Reparaturwerkstätten zu liefern. In Österreich vergibt das Österreichische Normungsinstitut ein Nachhaltigkeitssiegel für langlebige und gut reparierbare Produkte. Ein Netz von Reparaturbetrieben, die Dinge einfach reparieren, das ist auch gut für lokale Handwerker. Dafür gibt es auch Ansätze in Deutschland, zum Beispiel Reparatur-Cafés oder Anleitungen im Internet mit gleichzeitigem Ersatzteilangebot. Wie haben wir uns die von der Verbraucherkommission geforderte Angabe einer Mindesthaltbarkeit bei Konsumgütern vorzustellen? Brönneke: Wir stellen uns vor, dass auf den Produkten eine Mindestlebensdauer mit einem entsprechenden Datum und der Zusatzangabe »ab Kauf« oder »ab Inbetriebnahme« angegeben wird. Es sollte etwas ein, was man sehr schnell erfassen kann. Wie wäre der Weg dorthin? Brönneke: Der Weg dorthin ist sinnvollerweise ein europäischer, dann hat man keine Probleme im gemeinsamen Binnenmarkt und auch der Effekt ist sehr viel größer. Auf jeden Fall braucht man parallel dazu die Arbeit von Normungsgremien, die festlegen, wie man denn diese Lebensdauer misst. Hier fangen wir nicht von null an. Was rät der Verbraucherexperte Tobias Brönneke dem Verbraucher? Brönneke: Ich würde dem Verbraucher raten, auf die Lebensdauer zu achten und ausdrücklich nachzufragen. Ich würde darauf schauen, ob es besondere Garantieleistungen gibt, und ich würde nach der Ersatzteilversorgung fragen. Ich würde mich informieren, ob sich denn der Akku oder andere Dinge ersetzen lassen. Einfach kritisch an den Kauf herangehen – das bringt schon mal was. -5- ZUR PERSON Prof. Dr. Tobias Brönneke. FOTO: PR Prof. Dr. Tobias Brönneke, 53, war von 1997 bis 2001 Rechtsreferent und Justiziar der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e. V., Bonn. Seit 2001 ist er Professor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Pforzheim. Brönneke ist Mitherausgeber der Zeitschrift »Verbraucher und Recht« sowie Mitglied in wissenschaftlichen Beiräten, unter anderem der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz engagiert er sich für das Netzwerk Verbraucherforschung. (GEA)
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