Panorama vom 17.09.2015 Bauernkrieg: Wer Mindestlohn zahlt, verliert Anmoderation Anja Reschke: Deutschland ist stark, es gibt wenig Arbeitslosigkeit, über eine Million unbesetzte Stellen, die Wirtschaft brummt, es geht uns wirklich gut. Und gleichzeitig haben wir niedrige Preise. Vielleicht haben Sie es im Supermarkt auch schon gemerkt, Obst und Gemüse zum Beispiel sind extrem günstig. Das allerdings ist merkwürdig, denn eigentlich müsste dieses Jahr alles teurer geworden sein. Denn seit Anfang des Jahres gilt in Deutschland der Mindestlohn. Auch in der Landwirtschaft. Irgendwas kann da also nicht stimmen. Johannes Edelhoff. Hier werden frische Nahrungsmittel vernichtet. Hunderte Kilo Zucchini kommen unter den Traktor. O-Ton Pierre Maurer, Landwirt Elsaß (Frankreich): „Das ist billiger als wenn ich das ernte. Traurig ist es bestimmt. Weil ich bin ja Landwirt und nicht Kaputtmacher von der Ware. Aber der Markt ist jetzt so. Die haben uns kaputt gemacht.“ Den Markt kaputt gemacht, haben deutsche Bauern, glaubt der Franzose Pierre Maurer. Ihr Gemüse sei zu billig, weil sie schon seit Jahren ihren Erntehelfern bloß Dumpinglöhne zahlen. O-Ton Pierre Maurer Landwirt Elsaß (Frankreich): „Das sind Deutschland. Das sind die billigen Leute. Die arbeiten billig dort, dann können die billig liefern.“ Panorama: „Deutschland ist ein Billiglohnland?“ Pierre Maurer Landwirt Elsaß (Frankreich): „Ja, Deutschland ist Billiglohnland. Wir zahlen ungefähr mit allen Nebenkosten dabei 15 Euro pro Stunde, kostet uns ein Arbeiter in Frankreich. 15 Euro mit den Lohnkosten, mit allem dabei. Und die Deutschen wissen wir, dass die nicht einmal die Hälfte zahlen dafür.“ Deutschland - Billiglohnland! Fakt ist: Jahrelang haben deutsche Bauern Erntehelfern aus Rumänien und Polen nur Niedrigstlöhne gezahlt. Doch seit diesem Jahr gilt auch für Erntehelfer eine besondere Variante vom Mindestlohn in Höhe von 7 Euro 40. Deshalb sei Deutschland kein Billiglohnland mehr, behauptet der Präsident vom Bauernverband. O-Ton Joachium Rukwied, Präsident Deutscher Bauernverband: 1 „Wir haben eine ganz klare gesetzliche Regelung, die besagt, dass der Mindestlohn zu bezahlen ist, und deshalb gehe ich davon aus, dass die Landwirte den Mindestlohn auch bezahlen, das wird ja auch kontrolliert und geprüft.“ Merkwürdig nur: im Supermarkt merkt man auch in diesem Sommer ziemlich wenig vom Mindestlohn: Dort werben alle nach wie vor mit den „Feinen Bodenschätzen aus der Heimat“ zum Dumpingpreis. Salat für 49 Cent, Zucchini für 69 Cent, Kohlrabi für 29 Cent. Für die Kunden ist klar, Gemüse ist nicht teurer geworden. O-Ton Panorama: „Die Radieschen. Was haben die jetzt gekostet?“ O-Töne Kunden „Die haben 29 gekostet. Das ist ziemlich günstig.“ „Ich gucke natürlich auch, wo ich günstig einkaufen kann, das ist ja ganz klar.“ „Das ist sehr preiswert, ja.“ Doch wie geht das? Billigpreise trotz Mindestlohn. Bei LIDL beginnt unsere Recherche: Die Bauern, die das Gemüse liefern, findet man leicht. Ihre Adressen stehen auf den Gemüsekisten. Wir fahren zum Feld eines großen LIDL Lieferanten. Auf einem einzigen Acker ernten hunderte Saisonarbeiter Zwiebeln, alle aus Osteuropa. Wird hier der Mindestlohn gezahlt? Vom Feldrand fragen wir die Erntehelfer. Die Rumänin hinten im Feld ruft uns zu, sie werden nicht pro Stunde bezahlt, sie bekämen 2 Euro für jede Kiste. Anfänger würden so etwa 30 Kisten in 10 Stunden schaffen. Also 60 Euro verdienen. Der Stundenlohn lässt sich dadurch leicht errechnen, es sind 6 Euro, also deutlich weniger als der hier geltende Mindestlohn von 7,40€. Immerhin: sehr schnelle und erfahrene könnten auch mehr verdienen. Aber das sei nicht die Regel, erzählen viele Helfer. Diese Frau etwa schafft nur 3 bis 5 Euro pro Stunde. O-Ton „Ich komme um 5 Uhr morgens aufs Feld, arbeite 8 bis 13 Stunden. Ich schaffe so 25, 20 Kisten pro Tag.“ Panorama: „Also ein Stundenlohn von 3 bis 5 Euro.“ „Es kommt darauf an. In vier Stunden schaffen wir etwa sechs bis sieben Kisten. Manchmal reicht es gerade so für die Miete im Container.“ Panorama: „Sechs bis sieben Kisten? Das sind ja nur 3,50 pro Stunde!“ rechnen wir vor. „Ja, das stimmt.“ Die Angaben klingen eindeutig. Wird hier der Mindestlohn umgangen? Wir bitten den Gemüselieferanten um eine Stellungnahme, doch der bestreitet alles. Der Mindestlohn werde immer gezahlt, man könne sogar mehr verdienen. Und auch LIDL sieht überhaupt kein Problem. „Lidl lehnt jegliche Form von Arbeitsrechtsverletzungen ab“ und weiter „Jeder Partner von Lidl muss vertraglich versichern, dass er diese Grundsätze umsetzt.“ 2 Tatsächlich wird der Rechtsbruch selten aktenkundig, denn nur wenige Rumänen beschweren sich beim Zoll. Und so behauptet der Bauernverband vollmundig: So gut wie jeder Landwirt zahle den Mindestlohn. O-Ton Panorama: „Wie erklären sie sich, dass dann die ganzen Erntehelfer sagen, ich beziehe weiter Akkordlohn und 7,40 kriege ich nicht?“ Joachim Rukwied Präsident Bauernverband: „Wir haben gesetzliche Vorgaben in Deutschland, 7,40 ist im Moment der Mindestlohn. Der wird von den Landwirten bezahlt, ich habe mit zahlreichen Kollegen gesprochen.“ Mit wem er gesprochen hat wissen wir nicht. Aber vielleicht sollte er mal hier nachfragen. Dieser Erntehelfer arbeitet auf einem Hof, der Aldi beliefert. Bei seiner Lohnabrechnung fällt auf, auch er wird pro Kiste bezahlt. 1100 Euro habe er in zwei Monaten verdient. Nach unserer Berechnung liegt sein Stundenlohn bei 3 oder 4 Euro. O-Ton Erntehelfer: „Also ich stehe morgens um 4:00 Uhr auf, bin um halb sechs auf dem Feld, bis abends um zehn ernte ich Zwiebeln. Ich fühle mich wie ein Sklave. Sehr schlecht bezahlt.“ Der Mindestlohn wird hier offenbar nicht gezahlt. Später treffen wir die Bäuerin, drehen mit versteckter Kamera. Nach einiger Diskussion macht sie uns ein bemerkenswertes Geständnis: O-Ton Bäuerin: „Bei einigen Leuten merken Sie schnell, die schaffen es nicht. Die pflücken nicht genug Kisten, die schaffen nur 4 Euro die Stunde, keine 7,40 Euro. Denen müsste ich eigentlich den Mindestlohn zahlen.“ Panorama: „Eigentlich? Zahlen sie nicht den Mindestlohn?“ Bäuerin: „Das kann ich nicht. Ich weiß, dass das illegal ist, aber ich kann denen den Mindestlohn nicht zahlen. Das geht nicht. Die kriegen keine 7,40 Euro.“ Aldi gibt sich auf Nachfrage ahnungslos und betont: „Gerechte Arbeitsbedingungen sind uns ein wichtiges Anliegen“ aber „Lieferanten sind für die Einhaltung des Mindestlohns selbst verantwortlich.“ Fakt ist: Ob LIDL, Rewe, Edeka, Netto oder Aldi. Überall gilt: Der Bauer, der den Mindestlohn zahlt, verkauft weniger. Und wer bei jedem Erntehelfer ein paar Euro spart, verkauft mehr Gemüse. Eine Allianz von betrügenden Bauern und aggressivem Handel. Verlierer sind die ehrlichen Bauern. Etwa Rudi Behr aus Niedersachsen. Er zahlt den Mindestlohn an seine Erntehelfer. Doch die Gemüsepreise sind so niedrig, dass er bei manchen Kulturen, etwa Radieschen, fast nur noch Verluste macht. 3 O-Ton Rudolf Behr, Gemüsebauer: „Eine Kostenart ist auch der Lohn. Das ist ja sehr handarbeitsaufwendig. Und es gibt zurzeit bei diesem Angebot der Markt nicht her, dass man das kostendeckend machen kann.“ Panorama: „Das heißt mit jedem Radieschen machen Sie hier Verlust?“ Rudolf Behr, Gemüsebauer: „Zur Zeit ist das so, ja.“ Noch will Bauer Behr keine Ernte vernichten. Doch Besserung ist für die ehrlichen Bauern nicht in Sicht. Denn von ihrem eigenen Verband können sie keine Hilfe erwarten. Dort wiederholt man bloß stur das immer Gleiche: O-Ton Panorama: „Mit der Haltung, dass Sie sagen, ich glaube nicht, dass es solche Verstöße gibt, damit beschädigen Sie doch im Grunde alle deutschen Bauern, die den Mindestlohn zahlen, weil die von ihren Konkurrenten auch aus Deutschland, die den Mindestlohn nicht zahlen, über den Tisch gezogen werden. Der Ehrliche ist doch der Dumme.“ Joachim Rukwied Präsident Bauernverband: “ Noch mals: Wir haben in Deutschland – und nicht nur für die Landwirtschaft – eine Vielzahl von Gesetzen. Die sind einzuhalten.“ Und also kann nicht sein, was nicht sein darf. Die letzte Lösung wäre, dass die Verbraucher mehr für Gemüse bezahlen. Doch auch von dieser Seite ist nicht wirklich Hilfe zu erwarten. O-Ton Panorama: „Machen Sie sich manchmal Gedanken darüber, ob der Mindestlohn bezahlt wird?“ „Nee, eigentlich nicht.“ Panorama: „Warum nicht?“ „Jeder muss gucken, wo er bleibt.“ Alle bleiben stur. Die Erntehelfer ergeben sich ihrem Schicksal, die Umgehung des Mindestlohns ist wie eine Selbstverständlichkeit mitten in Deutschland. Bericht: Johannes Edelhoff, Andrzej Król Kamera: Andrzej Król, Marc-Christoph Höppner, Torsten Lapp Schnitt: Carina Mai 4
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