WGs waren vor 300 Jahren normal

_____________________________________ Samstag, 2. April 2016 _________________________________________
WGs waren vor 300 Jahren normal
Kaum eine Familie im Appenzellerland konnte sich vor 300 Jahren
ein Eigenheim leisten. Darüber referierte am Donnerstag Thomas Fuchs
an der Hauptversammlung des Historischen Vereins Herisau.
Der Vorstand: Karin Fiechter, Renate Bieg, Barbara Auer und Hans Toggenburger.
HERISAU. Gut zwei Dutzend Mitglieder waren am Donnerstagabend
zur Hauptversammlung des Historischen Vereins Herisau erschienen. Im Anschluss zeichnete
Thomas Fuchs anhand verschiedener Gebäudetypen exemplarisch
die Geschichte der Textilindustrie
im Appenzellerland nach.
Häuser und ihre Bewohner Schon
fürs Spätmittelalter gibt es Hinweise, dass Flachs und Hanf angebaut
und zu Leinen verarbeitet wurden.
Die beiden ältesten Häusertypen
im Appenzellerland, das Heidenhaus und das Tätschdachhaus,
verfügten über Webkeller. Ob sie
von Anfang an integriert oder später unterbaut wurden, ist nicht
bekannt. Wichtige Impulse für den
Siegeszug der Textilindustrie erfolgten im späten 17. Jahrhundert,
als Kaufleute versuchten, in Trogen
eine Leinwandschau zu etablieren.
Sie scheiterten am Widerstand St.
Gallens. Trotzdem erlangten Textilkaufleute aus dem Appenzellerland
einigen Wohlstand,
was sich im 18. Jahrhundert mit
dem Auftreten zweier weiterer
Gebäudetypen, dem Fabrikantenhaus und dem Kaufmannspalast,
niederschlug.
In den Heiden- und Tätschdachhäusern wohnten nicht bloss die
Hausbesitzer und deren Familien,
sondern häufig auch weitere Familien oder alleinstehende «Ghäusige». Dabei gab es unterschiedlichste Konstellationen von gemischtgeschlechtlichen Arbeits- und Wohngemeinschaften.
Überliefert ist davon aber oft nur
dann etwas, wenn ein Fall vor
Gericht landete. So wird von einem
Haus berichtet, in dem 5 Familien
wohnten. Eine sechsköpfige Familie teilte sich ein Zimmer. Zwischen
der Tochter dieser Familie und dem
Vater einer anderen kam es zu
Annäherungen, woraus ein Kind
resultierte. Eine andere Quelle
erzählt von einer «Alters-WG». Vier
Verwitwete Personen, zwei Männer
und zwei Frauen, teilten sich einen
Haushalt. Das Idealbild der bürgerlichen Kleinfamilie mit Eigenheim
entstand erst vor rund 200 Jahren.
Nur die wenigsten Familien konnten sich das leisten.
Rotationen im Vorstand
Der Historische Verein Herisau
blickt auf ein gutes Jahr zurück,
wenngleich der heisse Sommer auf
die Besucherzahlen im Museum
gedrückt hatte. Die Ausstellung zu
den Internierten stiess beim Publikum auf grosses Interesse. Im
Vorstand verzeichnet der Historische Verein einen weiteren Rücktritt. Die Aktuarin und RobertWalser-Spezialistin Barbara Auer
gibt ihr Amt nach zwölf Jahren ab.
In ihrer Zeit im Vorstand hatte sie
unter anderem mit Staatsarchivar
Peter Witschi die Idee zu den
«Walser-Sommern» entwickelt. «Als
ich nach Herisau kam, kannte ich
schon ein paar Leute, aber der
Historische Verein war für mich ein
Ort der Verwurzelung», sagte Barbara Auer in ihrer Abschiedsrede.
Erstmals präsentierte Karin Fiechter (Herisau) die Vereinsrechnung.
In Abwesenheit gewählt wurde
Erziehungswissenschafterin Ingrid
Brühwiler (Urnäsch). Das Aktuariat übernimmt Vorstandsmitglied
Hans Toggenburger.