Jahrgangsstufentest 6. Klasse Deutsch an Realschulen Übungsaufgabe 2 Wie der Wal seinen Schlund bekam von Rudyard Kipling 1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Im Meer, mein allerliebster Liebling, lebte einmal ein Wal, und der fraß Fische. Er fraß den Mondfisch, den Thunfisch und den Tintenfisch, die Qualle und die Scholle, die Makrele und die Garnele, die Sirene und die Muräne, und auch den quirligen, wirbligen Aal fraß der Wal. Alle Fische, die er im ganzen weiten Meer finden konnte, fraß er mit seinem Maul – so! Bis schließlich im ganzen weiten Meer nur ein einziger kleiner Fisch übrig blieb, und das war ein kleiner Schlaufisch, der hinter dem rechten Ohr des Wals schwamm, um allen Gefahren aus dem Weg zu sein. Da stellte sich der Wal auf die Schwanzflosse und sagte: „Ich habe Hunger.“ Und der kleine Schlaufisch sagte leise und schlau: „Edler und großmütiger Meeressäuger, hast du schon einmal Mensch probiert?“ „Nein“, sagte der Wal. „Wie schmeckt das?“ „Gut“, sagte der kleine Schlaufisch. „Er ist nur ein bisschen knubbelig.“ „Dann besorg mir welche“, sagte der Wal und brachte das Meer mit seiner Schwanzflosse zum Schäumen. „Einer auf einmal reicht“, sagte der Schlaufisch. „Wenn du zum fünfzigsten Grad nördlicher Breite am vierzigsten westlichen Längengrad schwimmst, triffst du mitten im Meer auf einem Floß einen schiffbrüchigen Matrosen. Er hat nichts am Leib als ein Paar blaue Drillichhosen, ein Paar Hosenträger und ein Taschenmesser, und fairerweise muss ich dir sagen, dass er überaus einfallsreich und klug ist.“ Also schwamm der Wal los, so schnell er konnte, zum fünfzigsten Grad nördlicher Breite am vierzigsten Längengrad, und auf einem Floß mitten im Meer traf er einen einzigen einsamen, schiffbrüchigen Matrosen, der die Zehen ins Wasser hängen ließ. Er trug nichts am Leib als ein Paar blaue Drillichhosen, ein Paar Hosenträger und ein Taschenmesser. Da riss der Wal das Maul so weit auf, dass es fast die Schwanzflosse berührte, und schluckte den Matrosen und das Floß. Er schluckte alles hinunter in seine warme, dunkle innere Speisekammer, und dann schmatzte er und drehte sich dreimal auf der Schwanzflosse herum. 50 55 60 65 70 75 80 85 90 Doch sobald der überaus einfallsreiche und kluge Matrose feststellte, dass er tatsächlich in der warmen, dunklen inneren Speisekammer des Wals war, fing er an zu hüpfen und zu springen, zu stampfen und zu singen, zu steigen und zu fallen, zu kratzen und zu krallen, zu jammern und zu beten, zu stoßen und zu treten, zu bellen und zu beißen, zu zerren und zu reißen, zu zetern und zu keifen, zu brummen und zu pfeifen, und dann tanzte er einen Seemannstanz, wo es überhaupt nicht am Platz war, und der Wal fühlte sich ganz unwohl. Deshalb sagte er zum Schlaufisch: „Dieser Mensch ist sehr knubbelig und außerdem krieg ich von ihm den Schluckauf. Was mach ich nur?“ „Sag ihm, dass er herauskommen soll“, riet der Schlaufisch. Also rief der Wal: „Komm heraus und benimm dich ordentlich. Ich hab den Schluckauf.“ „Nein, nein!“, sagte der Matrose. „So nicht, sondern ganz anders. Bring mich zu meiner heimatlichen Küste und Britanniens weißen Felsen, dann sehen wir weiter.“ Also schwamm der Wal drauflos, so schnell er nur konnte; und endlich sah er die heimatliche Küste des Matrosen. Er riss das Maul sperrangelweit auf und rief: „Umsteigen nach Winchester, Casablanca, Sierra Leone, Kapstadt und Winsen an der Luhe.“ Und gerade als er „Win“ sagte, spazierte der Matrose aus seinem Maul heraus. Aber während der Wal durchs Meer geschwommen war, hatte der Matrose, der tatsächlich überaus einfallsreich und klug war, mit seinem Taschenmesser aus dem Floß ein Gitter mit lauter kleinen Vierecken geschnitzt, hatte seine Hosenträger daran gebunden, hatte das Gitter in den Schlund des Wals gezerrt, und da blieb es stecken! Der Matrose trat hinaus. Er heiratete und lebte glücklich bis an sein seliges Ende. Der Wal aber konnte wegen des Gitters im Rachen, das sich weder heraushusten noch hinunterschlucken ließ, nichts anderes fressen als ganz, ganz kleine Fische. Und aus diesem Grund fressen Wale heutzutage nie Menschen. Der kleine Schlaufisch schwamm davon und versteckte sich im Schlamm. Er hatte Angst, der Wal könnte ihm böse sein. Quelle: Rudyard Kipling: Geschichten für den allerliebsten Liebling (engl. Originaltitel: Just So Stories For Little Children), aus dem Englischen übersetzt von Irmela Brender, Cecilie Dressler Verlag: Hamburg 1987, S. 7–12 (leicht gekürzt und verändert). 15 Übungsaufgabe 2 Aufgabe 1 Formuliere für jeden Abschnitt einen treffenden Satz, in dem zum Ausdruck kommt, was der Wal macht. a) Zeile 1–12: ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ b) Zeile 13 – 32: ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ c) Zeile 33 – 39: ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ d) Zeile 40 – 56: ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ e) Zeile 57– 67: ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ f) Zeile 68 – 74: ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ g) Zeile 75 – 90: ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Aufgabe 2 Woran zeigt sich, dass der Matrose tatsächlich einfallsreich und schlau ist? Notiere zwei unterschiedliche Beobachtungen. Schreibe vollständige Sätze. a) ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ b) ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________________________________________________________________ 16 Übungsaufgabe 2 – Lösungsvorschläge Lösungsvorschläge Aufgabe 1 a) Zeile 1–12: Der Wal frisst fast alle Fische im Meer. b) Zeile 13– 32: Er hat Hunger und möchte einen Menschen fressen. c) Zeile 33 – 39: Der Wal sucht einen Menschen als Futter. d) Zeile 40 – 56: Der Wal verschluckt den Matrosen und fühlt sich unwohl. e) Zeile 57– 67: Er will den Matrosen wieder loswerden. f) Zeile 68 – 74: Er bringt ihn in die Heimat zurück. g) Zeile 75 – 90: Der Wal kann wegen des Gitters in seinem Schlund nur noch kleine Fische fressen. Aufgabe 2 Als Antwort genügen zwei der folgenden Beobachtungen: – Der Matrose tanzt und lärmt im Magen des Wals herum, um ihm unangenehm zu sein. – Der Matrose lässt sich vom Wal nach Hause bringen. – Der Matrose schnitzt ein Gitter aus seinem Floß, das er dem Wal in den Schlund spreizt, damit er keine Menschen mehr fressen kann. Aufgabe 3 Ja, der Schlaufisch ist tatsächlich schlau. Begründung: Der kleine Schlaufisch versucht sein Leben zu retten, indem er den Wal auf eine andere Beute aufmerksam macht. oder Nein, der Schlaufisch ist eigentlich dumm. Begründung: Der kleine Schlaufisch unterschätzt den Menschen. Jetzt ist er die einzige Beute des Wals, der nun nur noch kleine Fische fressen kann. Aufgabe 4 Das Bild zeigt, wie der Wal den Matrosen verschluckt. Erster Beweis: Das Gesicht des Wals wirkt fröhlich und genussvoll. Zweiter Beweis: Der Matrose schaut in die Richtung des Wals. 22
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