Aktuelles 2/2015 | PDF 0,60 MB - Evangelische Kirche in Deutschland

EAfA-Rundbrief Nr. 67, 2. Quartal 2015
Aktuelles
„Sind wir klüger geworden?“ So darf und muss man fragen nach einem Kirchentag, der
mit dem Motto eingeladen hat „damit wir klug werden“. Die Frage am Tag Eins danach schon
umfassend und abschließend beantworten zu wollen, wäre vermessen. Das mögen andere
versuchen. Ich berichte vom EAfA-Stand im Zentrum Älterwerden
Wir im ‚Zentrum Älterwerden‘ sind klüger geworden durch gute Vorträge, engagierte
Diskussionsrunden, informative Workshops und: dank unserer PapierZerknüllMaschine! Die
PZM von Hannes Wirtl war der Knüller im Zentrum, wurde von Alt und Jung gleichermaßen
bestaunt und begeistert in Gang gesetzt, fand sogar Interesse bei den Medien und wurde –
wer hätte das gedacht – uns allen je länger je mehr selbst zur Lehrmeisterin in Sachen
Älterwerden.
Vor über 30 Jahren wollte der Student der TU München Hannes Wirtl einfach eine große
Maschine bauen. Wenige Jahre später hat er sie in der Ausbildung zum Berufschullehrer
modifiziert und unter dem Namen „Ministerium“ als Examensarbeit eingereicht. Obwohl er
mit dem unnützen Monstrum nur die Bürokratie verspotten wollte, hat er dafür die Note Eins
bekommen.
Foto: fbi
Ein aktentaugliches Blatt Papier, DIN-A4, wird vom Stapel abgehoben, bis zum
Eingangsstempel transportiert, weiter vorgeschoben bis zum 2. Stempelplatz, hier sofort
entwertet und damit der Zerknüllung durch Vorknüllen (in einem Kupfertrichter) und
Hauptknüllen (in einem Messingzylinder) überlassen. Ein kräftiger Luftstoß lässt das
Knüllprodukt schließlich im Papierkorb landen …
Für unsere Kirchentags-Mitmachaktion „Weg mit den alten Sprüchen“ hat Hannes Wirtl
uns seine Maschine gerne überlassen, weil auch wir Unnützes mit Sinnvollem auf heitere
Weise verbinden wollten. Aus den vielen, das negative Altersbild zementierenden Sprüchen
zum Alter hatten wir folgende 6 ausgesucht:
1
-
Das Alter ist eine unheilbare Krankheit
Die Alten beuten die Jungen aus
Fürchte das Alter, denn es kommt nicht allein
Mit dem Alter kommt der Psalter
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr
Wenn das Alter eintritt, geht der Verstand zu Ende
Foto: fbi
Aus diesen 6 Sprüchen sollten die Besucherinnen und Besucher den ihrer Meinung nach
Allerdümmsten aussuchen, der PZM übergeben und das Knüllprodukt dann in die
farbidentische Zählröhre einwerfen.
Liebe Leserin und lieber Leser, bevor Sie weiterlesen: welches wäre Ihr Favorit zum
Zerknüllen gewesen?
Am EAfA-Stand wurden über 500 Sprüche geknüllt und zwar in folgender Häufigkeit:
Wenn das Alter eintritt, geht der Verstand zu Ende: 131
Das Alter ist eine unheilbare Krankheit:
113
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr: 104
Die Alten beuten die Jungen aus:
102
Fürchte das Alter, denn es kommt nicht allein:
33
Mit dem Alter kommt der Psalter:
25
Aus den teilweise sehr lebhaften Diskussionen an der Maschine hier nur wenige Beispiele:
„Weg mit den alten Sprüchen! – kann man nicht alle 6 zusammen der Maschine übergeben
zu einem großen Knüller?“ so der Wunsch einer Besucherin. Dagegen protestierte wenig
später ein Junger Alter energisch gegen die Abqualifizierung der Sprüche und meinte „die
haben doch alle recht!“ Der Herr bestand schlussendlich darauf, dass zumindest der Spruch
mit der ‚unheilbaren Krankheit‘ stimme. Das wisse er besser als ich, er sei schließlich Arzt.
Schon mit der Geburt setze bekanntlich der lebenslange Zellabbau ein. Nach meiner
Schlussfolgerung „Dann sind wir also alle lebenslang unheilbar krank und nicht erst im Alter“
hat er sich freundlich verabschiedet.
Ganz spannend wurde es, als eine über 80-jährige Dame und eine 17-jährige Schülerin in
der Schlange standen und erstaunt feststellten, dass beide „Die Alten beuten die Jungen
aus“ der Maschine übergeben wollten. Für eine zufällig anwesende Journalistin die
Gelegenheit zu einem intergenerativen Interview. Die alte Dame begründete ihren Protest
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gegen den Spruch mit der nicht nur finanziellen Unterstützung der Kinder und Enkel durch
die Großelterngeneration. Der Schülerin war dagegen wichtig, dass der Dialog zwischen den
Generationen durch solch blöde Sprüche nicht blockiert werden dürfe.
Eine jungen Frau meinte beim Anblick der PZM: „Die hat ja wohl schon ein stattliches Alter
auf dem Rücken“. Ich frage sie nach ihrem Geburtsjahr. Antwort: 1980. Ich zeige auf das
Schild „ A.D. MDCCCCLXXXIII“. Nachdem sie es entziffert hatte: „Dann muss ich das mit
dem stattlichen Alter natürlich zurücknehmen“.
Unbedingt erwähnen muss ich noch die Kritik einer Besucherin mit Rollator, die meinte, es
wäre viel wichtiger, positive Sprüche über das Alter unters Volk zu bringen. Meine
Rückfrage, ob sie gleich einen parat habe, beantwortet sie spontan mit „Das Alter ist ein
Geschenk“!
Wir am EAfA-Stand sind klüger geworden. Zum einen durch die vielen Gespräche und
Diskussionen mit unseren Besucherinnen und Besuchern an der Maschine. Dann aber auch
durch die PZM selbst. Sie war bald vom Ansturm überfordert. Der Kompressor konnte den
notwendigen Luftdruck zum Knüllen immer wieder nur mühsam aufbauen und nahm sich je
länger je mehr Verschnaufpausen… ‚wie im richtigen Leben‘!
Foto: fbi
Die Papierzerknüllmaschine von Hannes Wirtl hat uns klüger gemacht. Danke,
Hannes!
Obwohl ich selbst nur sehr wenige Veranstaltungen außerhalb vom ‚Zentrum Älterwerden‘
besuchen konnte, glaube ich, dass der 35. Deutsche Evangelische Kirchentag seine Losung
„damit wir klug werden“ eingelöst hat.
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Stuttgart und die Stuttgarter sind klüger geworden. 50% der Stuttgarter gehören nämlich
keiner Kirche mehr an. Das fröhliche Christenfest und sein Engagement für Frieden,
Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung unter aktiver Beteiligung von
Verantwortungsträgern aus Politik und Wirtschaft war ein nicht zu übersehendes
Zeichen.
Die streitbaren evangelischen Christen in Württemberg sind auch klüger geworden: Zum
ersten Mal haben die sich oft gegenseitig ab- und ausgrenzenden Gruppen der
pietistisch orientierten Kreise und der kirchentagsaffinen Gruppierungen ihr
Konkurrenzprogramm verknüpft.
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Die interreligiös Suchenden sind klüger geworden: In einer Reihe von Veranstaltungen
zum Trialog der drei monotheistischen Religionen wurde eindrucksvoll gezeigt, dass es
klüger ist, außer den Gemeinsamkeiten auch ganz besonders dem Fremden mehr
Aufmerksamkeit zu widmen und so den Anderen mehr Wert zu schätzen.
Foto: fbi
Auf der Rückfahrt vom Schlussgottesdienst bietet mir ein kleiner Bub in der Straßenbahn
seinen Platz an und ich nehm ihn dafür auf den Schoß. Er heißt Simon, ist 9 Jahre, wohnt in
Stuttgart und war mit Mutter und Schwester beim Gottesdienst. Kurz vor dem Aussteigen
interessiert mich noch, ob er eine Ahnung habe, wie alt ich sei. „Vielleicht 74?“ Darauf ich:
„Volltreffer, Simon, das wird mein nächster Geburtstag“. Kluger Simon. (fbi)
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