Mehr Lust am Leben - LIBIDA

2 MAGAZIN
SAM ST AG, 6 . JUNI 20 15
MAGAZIN 3
SAM ST AG, 6 . JUNI 20 15
Mehr Lust am Leben
Sexualbegleitung.
Es ist ein Tabu, noch immer. Aber auch körperlich und geistig beeinträchtigte Menschen
sehnen sich nach Nähe und Zärtlichkeit. Über ein österreichweit einzigartiges Projekt.
CHRISTINE FRÖSCHL
Ihre Beeinträchtigung mag sie von
sogenannten normalen Menschen unterscheiden – was den Wunsch nach
Nähe und Zärtlichkeit angeht, sind sie
wie wir alle. Behinderte und Sex –
mittlerweile haben sich Filme wie
„Ziemlich beste Freunde“ und „Entdeckung der Unendlichkeit“ dieses
Themas angenommen. Es kommt
Bewegung in die Debatten zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen: Die Paralympics haben viel Publikum,
an Schulen gibt es inklusive Klassen (alle
Kinder werden gemeinsam unterrichtet)
und Medien berichten darüber.
Das Thema Sex und Behinderung ist allerdings sehr sensibel. Nicht jeder kann so
offen darüber sprechen wie der berühmte
Astrophysiker Stephen Hawking. Als ihn
der „New Scientist“ fragte, worüber er am
Tag am meisten nachdenke, sagte der Wissenschafter: „Frauen. Sie sind ein absolutes
Mysterium.“
30 Jahre seines Lebens mit seiner Frau,
der Sprachwissenschafterin Jane Wilder,
wurden jetzt verfilmt. In „Entdeckung der
Unendlichkeit“ erfährt der 21-jährige Hawking von den Ärzten, dass die Signale des
Gehirns zunehmend nicht mehr an seine
Muskeln gesendet werden, schließlich würden nur noch Herz, Lunge und Gehirn funktionieren. Die Krankheit heißt Amyotrophe
Lateralsklerose (ALS). Seit Jahrzehnten sitzt
Hawking nun im Rollstuhl, mit seiner Umwelt kommuniziert er über einen Sprachcomputer. Jane Wilder ließ sich von der
Diagnose nicht abschrecken. Von 1965 bis
1990 waren sie verheiratet. Sie haben drei
Kinder. Das Paar trennte sich, weil er angeblich eine Affäre mit seiner Pflegerin anfing.
Auch „Ziemlich beste Freunde“ beschäftigt sich mit dem heiklen Thema, der Film
basiert auf der Autobiografie des ehemaligen Pommery-Geschäftsführers Philippe
Pozzo di Borgo, der beim Paragliden verunglückt war. Mit seinem Assistenten Driss
besucht der gelähmte Philippe asiatische
Masseurinnen. Als es zum Zusatzprogramm
übergeht, sagt Driss zur Masseurin: „Nicht
tiefer gehen, kümmer’ dich um seine Ohren.
Das ist seine einzige erogene Zone.“ Später
überredet Driss Philippe, sich mit einer Frau
zu treffen. Erfolgreich: Philippe heiratet sie
und wird sogar Vater.
Hawking und Philippe lebten vor ihrer
körperlichen Beeinträchtigung ein normales
Leben. Sie gingen auf Partys und lernten
Mädchen kennen. Was tut aber jemand, der
dazu keine Chance hat? Wie Michael S. , der
seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Mit Makia, einer „LibidaSexualbegleiterin“, erlebte er das erste Mal
in seinem Leben Zärtlichkeit: „Es ist schön,
ihre nackte Haut zu spüren und von ihr gestreichelt zu werden.“ Der 33-Jährige hat
Muskeldystrophie und kann sich seit acht
Jahren nicht mehr bewegen. Seit fast vier
Jahren kommt Makia, 51, regelmäßig zu
ihm. Von der Sexualbegleiterin hat er durch
eine Betreuerin erfahren.
Zur Klientenschaft der Oberösterreicherin zählen Männer, Frauen und Paare. Bei
Paaren gehe es in erster Linie um Aufklärung, Berührung und Hilfestellung. „Meiner
ist immer so grob. Er sollte mit mir liebevoller umgehen“, sagt zum Beispiel eine Klientin. Frauen wollen vor allem gestreichelt
und berührt werden. Orgasmus ist für viele
nicht so wichtig. Für Männer schon. „Die
Menschen fühlen sich nach meinen Besuchen ruhiger, entspannter, gelassener und
selbstbewusster“, sagt Makia. „Müde bin ich
nachher immer. Sehr müde. Aber . . . ich
nenne es einmal glücklich“, sagt Michael S.
„Sexualität ist eine Lebenskraft, die alle
in sich tragen und auf die jeder ein Recht
hat.“ Davon ist Makia überzeugt. Viele
könnten mit dieser Energie allerdings nicht
umgehen, weil sie es nie gelernt hätten. Gerade Menschen mit Behinderung können
ohne sexuelle Erfahrungen gewisse Entwicklungsschritte gar nicht machen. Durch
die Sexualbegleitung haben sie weniger
Angst und mehr Sicherheit, können unterscheiden, wo es passt und wo nicht; erfahren, wie sie sich vor Übergriffen schützen
können und anderen nicht zu nahe treten.
Zu Makia werden Klienten häufig von Sozialarbeitern oder Angehörigen geschickt,
wenn es zu Aggressionen oder Entblößungen in der Öffentlichkeit gekommen ist. Oft
äußern Betroffene selbst diesen Wunsch.
Den ersten Kontakt stellen sie über E-Mail,
Telefon oder über die Grazer Fachstelle
.hautnah. von der alpha nova Betriebsgesellschaft mbH in Graz Kalsdorf her. Dann
folgt das erste Kennenlernen. Wenn die
Chemie stimmt, kommt es zur Begegnung.
Makia ist gelernte Wellnesstrainerin und
Tantrikerin und seit 2009 auch Libida-Sexualbegleiterin. In der Fachstelle .hautnah.
absolvierte sie die Ausbildung. Derzeit ist
sie eine von zwölf Absolventinnen und vier
Absolventen in ganz Österreich, die Menschen einen Zugang zu ihrer erotischen
Seite lehren.
Sexualität ist eine
Lebenskraft, die alle
in sich tragen.
Makia, Sexualbegleiterin
Thomas Mossier, leitet die Fachstelle
.hautnah. Er sagt: „Sexualität und Behinderung ist nach wie vor ein sehr sensibles
Thema.“ Seit Langem bietet die steirische
Sozialeinrichtung Beratung und sexualpädagogische Workshops für Frauen und
Männer an. Mossier: „Reden allein reichte
den Leuten nicht. Sie mussten es erfahren,
um sich entwickeln zu können.“ Da erotische Erfahrungen in Österreich in der herkömmlichen Sexarbeit jedoch kaum zu finden waren, entschlossen sich Mossier und
sein Team, Sponsoren zu suchen und eine
fundierte Ausbildung zur Sexualbegleitung
anzubieten. Nach vielen Gesprächen und
Veranstaltungen entwickelten sie gemeinsam mit behinderten Frauen und Männern
das Projekt „Libida – mehr Lust im Leben“.
Die Idee dahinter: Jeder Mensch hat ein
Recht auf Berührung, Zärtlichkeit und
Sexualität, auf persönliche Entwicklung in
diesen Lebensbereichen. Ausgebildete
Sexualbegleiterinnen und -begleiter unterstützen dabei. Das kann schmusen, kuscheln, streicheln, berühren und berührt
werden, Hilfe bei der Masturbation oder manuelle Befriedigung umfassen. Praktiken mit
Schleimhautkontakt sind tabu. Also Zungenküsse, Oral- und Geschlechtsverkehr. „Ursprünglich war das schon geplant. Für die
Beteiligten ist sowieso nur das möglich, was
für beide im jeweiligen Moment passt“, erzählt Mossier. Rechtlich ist das eindeutig
geregelt. Denn wenn gewerblich sexuelle
Dienstleistungen angeboten werden, fällt es
unter Prostitution. „Falls Klientinnen und
Klienten Geschlechtsverkehr wollen, erleben sie ihn hoffentlich liebevoll in ihren
privaten Beziehungen“, sagt Mossier.
Kern der Sexualbegleitung ist, dass sich
die Klientinnen und Klienten in die sinnlich-erotische Stimmung fallen lassen. Eine
bestimmte Dienstleistung kann nicht gekauft werden, sondern nur die Zeit. Eine
Stunde kostet 70 bis 100 Euro.
Damit Klienten, Vertrauenspersonen,
Sachwalter und Sponsoren wissen, worum
es geht, bietet die Fachstelle .hautnah. einen
transparenten und vertrauensvollen Rahmen für diese sensible Hilfe an. Dazu hat sie
Qualitäts- und Gesundheitsstandards festgelegt: Sexualbegleiterinnen und -begleiter
sind selbstständig. Sie dürfen ihre Dienste
nicht aktiv und nur bis zu 40 Stunden pro
Monat anbieten. Das wird jährlich über eine
Kooperationsvereinbarung vereinbart und
ständig weiterentwickelt.
Die Sexualbegleitung steht grundsätzlich
allen offen. Das Projekt ist österreichweit
einzigartig und die Nachfrage groß. 2008
startete der erste Lehrgang. Im April 2009
war er abgeschlossen. 2013 wurde der dritte
Lehrgang beendet. 2013 machten zwölf
Frauen und vier Männer 1136 Sexualbegleitungen bei 235 Klienten und Klientinnen –
knapp unter 20 Prozent nur sind Frauen.
Der geringe Frauenanteil wird darauf zurückgeführt, dass Männer oft einen rationaleren Zugang zu Sexualität und Prostitution haben. Für Frauen ist das schwieriger.
Nach dem Erstgespräch mit dem Sexualbegleiter dauert es meistens länger, bis sie
sich wieder melden. Sexualbegleiter Gerald
(51) geht es beim Erstgespräch vor allem um
das Kennenlernen: „Da tasten wir uns heran. Wer bin ich? Wer bist du? Sympathie
ist die Basisvoraussetzung.“ Gerald ist es
wichtig, dass die Frau sich vorstellen kann,
von ihm berührt zu werden. „Ich arbeite
nur mit Frauen. Männer berate ich und leite
sie an Kolleginnen oder Kollegen weiter“,
sagt er. Bei der Fachstelle. hautnah. arbeiten
zwei Sexualbegleiter mit Männern.
Gerald ermutigt die Frauen: „Trau dich.
Ich bin zum Üben und zum Vergnügen da.
Kein Mensch fühlt sich bei mechanischem
oder programmiertem Ablauf wohl. Da
kann keine Erotik entstehen.“ Vielmehr sei
es ein spielerisches Miteinander. Meist dauert das Zusammensein zwei oder drei Stunden. Gerald bietet eine Pauschale von maximal 200 Euro an: „Mir geht es darum,
dass die Frau ein schönes Erleben hat.“
Es kommt vor, dass sich Klientinnen in
Gerald verlieben, Liebeskummer gehört für
ihn zum Leben. Er stellt klar, dass er kein
Lebenspartner ist. Gerald hat eine Partnerin, die mit dieser Arbeit einverstanden ist.
Isabella K., 49, erzählt über ihren Sexualbegleiter: „Manchmal bin ich eifersüchtig
auf seine Partnerin. Ich regle das so, dass
ich dann in Gedanken bei seiner Familie
bin.“ Die allein lebende Frau erinnert sich
an ihr erstes Gespräch vor vier Jahren: „Er
erkundigte sich nach meiner Behinderung
und Lebenssituation, wo spüre ich was und
wo nicht.“ Bei ihrem ersten Treffen berührte sie erstmals in ihrem Leben ein Mann.
Kuscheln und sich gegenseitig berühren genießt die gehbehinderte Frau seither.
Der Sexualbegleiter besucht sie ein Mal
im Monat. Nach ihrem Zusammensein fühlt
sich Isabella sehr glücklich, zufrieden und
dem Alltag gewachsen. Sie lernt auch andere Männer kennen: „Aber wahrscheinlich
bin ich für eine Beziehung zu schüchtern.“
Sexualität zuzulassen und sie liebevoll
leben zu können ist für manche Menschen
sehr schwierig. „Seit es Sexualbegleitung
gibt, brauchen die Klientinnen und Klienten
weniger Unterstützung, sind mutiger und
selbstsicherer“, sagt Thomas Mossier. Er ist
übriges selbst Rollstuhlfahrer.
INFORMATIONEN
Adressen:
www.libida-sexualbegleitung.at
www.sexualbegleitung.net
www.intimaterider.com
sexualbegleitung-makia.at
www.2sames.de
Filme:
Entdeckung der Unendlichkeit, 2014
The Special Need, 2013
So wie du bist, 2012
Sessions – Wenn Worte berühren, 2012
Seht ruhig her, das bin ich!, 2012
Beruf: Berührerin, 2012
Ziemlich beste Freunde, 2011
Rachels Weg. Aus dem Leben einer
Sexarbeiterin, 2011
Hasta la vista, 2011
Me too – Wer will schon normal sein, 2010
Wollust, Nina de Vries, 2004
Erbsen auf halb 6, 2004
Aus der Fotoausstellung „Ein Hauch von Gefühl.
BILD: SN/ANDREAS HAUCH
Weiblich. Behindert. Sinnlich“
„Ich bin ein lebender Lottosechser“
Viel gewagt.
Als behinderter Mensch fällt
man überall auf. Sagt die
Salzburgerin Andrea Mielke.
Ihr größter Lebenserfolg:
Eine Fotoausstellung mit
erotischen Fotos
behinderter Frauen.
CHRISTINE FRÖSCHL
Andrea Mielkes helle Wohnung ist behaglich eingerichtet. Eine pinkfarbene Wand,
eine grasgrüne Couch, jede Menge Bücher.
Auf Mielkes Schoß liegt eine Strickarbeit.
Sie arbeitet an einem Polster. Die Salzburgerin sitzt auf ihrer gemütlichen Couch.
Mielke kam 1964 mit der schweren körperlichen Behinderung Spinale Muskelatrophie in Salzburg zur Welt.
Mit 19 Jahren machte sie sich selbstständig und zog aus der mütterlichen
Wohnung aus. Seither lebt die diplomierte Sozialarbeiterin und Aktivistin in der
„Selbstbestimmt Leben Bewegung“ mit
persönlicher Assistenz. Sieben Assistentinnen und Assistenten helfen ihr rund
um die Uhr bei den täglichen Erledigungen. Das beginnt bei der Intimpflege und
geht bis zum Ausleeren des Postkastens.
Mielke war 17 Jahre im sozialpädagogischen Bereich tätig. Als sie merkte, dass
ihre Kräfte schwanden, ging sie im Jahr
2000 in Pension. Nach wie vor beschäftigt
sie sich mit Sexualität, Partnerschaft,
Selbstbewusstsein und Assistenzmanagement.
SN: Ist heutzutage Sexualität für
beeinträchtigte Menschen immer
noch ein Thema?
BILD: SN/CHRISTINE FRÖSCHL
Mielke: Sexualität mit Behinderung ist
nach wie vor ein brennendes Thema.
Gerade für Frauen ist es schwer, einen
Partner zu finden. Eine 27-jährige, bildhübsche, behinderte Frau erzählte mir,
dass sie noch nie geküsst wurde. Dabei
entspricht sie dem Schönheitsideal!
Trotzdem tun sich die verdammten Kerle
so schwer. Ich gab ihr Tipps. Sie probierte
sie aus und machte nicht nur positive Erfahrungen. Aber das ist normal. Seit einiger Zeit ist sie total verliebt und lebt mit
einem Mann zusammen.
SN: Haben Sie derzeit einen Partner?
Ja. Seit drei Jahren. Er ist ein Fußgänger.
Also nicht behindert.
SN: Ihre Mutter meinte, dass für
Sie – wenn überhaupt – nur ein
Mann mit Behinderung infrage käme.
Handerl halten war alles, was sie
sich an Sexualität für Sie vorstellen
konnte. Wie haben Sie sich aus diesem
Denkmuster befreit und Männer
kennengelernt?
Na ja. Ich habe schon einige Männer
kennengelernt. Dafür musste ich mich
ordentlich anstrengen. Mein Glück war,
dass ich den Erwachsenen nie geglaubt
habe, dass meine Behinderung der einzige
Grund ist, warum Sexualität für mich
nicht lebbar ist. Der Rollstuhl war mir als
Argument zu wenig. Bedürfnisse, die ich
als Frau habe, wollte ich mir erfüllen. Das
war mir schon als Pubertierende ganz
wichtig. Ich habe mich getraut, habe sehr
viel gewagt und erlebt. Dazu musste ich
sehr mutig sein. Warten auf den Prinzen,
der sowieso nicht kommt, war nicht drin.
Ich sagte mir: Wenn du was willst, musst
du verdammt noch mal etwas tun dafür.
SN: Mit 19 Jahren zogen Sie in Ihre
eigene Wohnung. Sie arbeiteten
im Verein Spektrum und engagierten
sich im Bereich selbstbestimmtes
Leben. Wo lernten Sie Ihren ersten
Freund kennen?
Mein erster Freund war ein Arbeitskollege, und er ist nicht behindert. Er war
mein Ritter. Nach den ersten Übungseinheiten in tatsächlicher Sexualität bin ich
schwanger geworden. Nicht gewollt. Aber
es hat zack-bum eingeschlagen. Kurz zuvor habe ich bei meinem ersten Frauenarztbesuch erfahren, dass ich aufgrund
meiner Behinderung zu 99 Prozent unfruchtbar bin. Daher ist Verhütung nicht
nötig. Sieben Wochen später war ich in
der siebten Woche schwanger. Da hat der
Frauenarzt geschaut. Mutter bin ich trotzdem nicht geworden. Eine Schwangerschaft und Geburt wären zu riskant für
mich gewesen. Nach drei Jahren wurde
mir diese Beziehung zu geschwisterlich.
Ich wollte mehr und lernte meinen zweiten Freund kennen. Er war mein Prinz.
Mit ihm war ich zehn Jahre zusammen.
SN: Seit 15 Jahren sind Sie in Pension.
Das heißt aber nicht, dass Sie die
Hände in den Schoß legen. Sie engagierten sich in der Hospizbewegung
in Salzburg, sind Expertin und Anwenderin von Persönlicher Assistenz,
sowie Trainerin von WorkshopProgrammen für selbstbestimmtes
Leben von Menschen mit Behinderungen.
Ja. Und ich begleite vorwiegend Frauen
zum Thema Sexualität. Männer sind da
nicht so mutig. Meine Devise: Es ist niemand so hässlich, dass man nicht daraus
etwas machen kann. Alle haben Vorzüge.
Aber es ist eine Herausforderung. Man
braucht Kreativität, Mut und jemanden,
der einen anzieht, schminkt und die Nägel lackiert. Als behinderter Mensch fällt
man überall auf. Von Kind auf war ich
gewohnt, dass ich angestarrt werde. Behinderte Menschen sind nie unscheinbar.
Auch wenn sie ganz am Rand des Gehsteigs gehen. Als junge Frau wollte ich
den Leuten etwas bieten, damit sie etwas
zum Schauen haben. Ich war im Elektrorollstuhl unterwegs, hatte modisch-bunte
Kleidung, Minirock, lackierte Fingernägel
und blondierte Haare. Provozieren machte mir Spaß. Ich fühlte mich selbstbe-
wusster und gut. Ich lernte Männer kennen, hatte One-Night-Stands und längere
Beziehungen.
SN: Frauen mit Behinderungen können
sehr erotisch sein. Um das zu zeigen,
initiierten Sie 2003 die Fotoausstellung
„Ein Hauch von Gefühl – Weiblich.
Behindert. Sinnlich“. War die Ausstellung
für Sie erfolgreich?
Diese Ausstellung ist mein größter
Lebenserfolg. Damit konnte ich einen wesentlichen Beitrag zum Thema sinnliches
Frausein mit Behinderung leisten. Die
Idee, eine Fotoausstellung mit erotischen
Fotos von behinderten Frauen zu machen
– das war neu. Ich habe die Models gefunden und die Mittel aufgestellt. Zudem war
ich selbst Model und habe sinnliche Texte
geschrieben. Andreas Hauch fotografierte
uns. Wir haben auch einen Fotokatalog
veröffentlicht. Inzwischen hat er für mich
eine weitere wichtige Bedeutung, weil drei
der Models bereits gestorben sind. Der
Fotokatalog zur Ausstellung ist bei mir –
[email protected] – erhältlich.
SN: Nun sind Sie 50 Jahre alt geworden.
Wie haben Sie denn Ihren Geburtstag
gefeiert?
In der Therme Bad Tatzmannsdorf mit
Freunden. Ich bin stolz auf mein hohes
Alter. Meine Lebenserwartung aus medizinischer Sicht war 18 bis 20 Jahre. Spinale Muskelatrophie ist ein genetischer
Defekt. Wenn das veränderte Gen nur von
einem Elternteil weitergegeben worden
wäre, wäre ich nicht behindert. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen
einander begegnen und beide exakt das
gleiche veränderte Gen weitergeben, ist
sehr unwahrscheinlich. Ich bin ein lebender Lottosechser, sozusagen.