Der Arbeitsvermittler Bericht: Knud Vetten Wir drehen im

Der Arbeitsvermittler | Manuskript
Der Arbeitsvermittler
Bericht: Knud Vetten
Wir drehen im Vermittlungsseminar für Langzeitarbeitslose in Meißen: Es ist der dritte und
letzte Tag, zwei Seminar-Tage fanden bereits vor drei Wochen statt. Die Teilnehmer hatten
Zeit zur Jobsuche. Kursleiter Lars Naundorf befragt Robert Grille:
Lars Naundorf und Robert Grille
„Haben Sie irgendwo nach Stellen geguckt oder Absagen gekriegt?“
„Nee.“
„Wie lange ist ihr letztes Arbeitsverhältnis her?“
„Ist lange her.“
„Wie lange denn?“
„Keine Ahnung.“
„Haben Sie einen Lebenslauf von sich mit?“
„Nee.“
„Keine Unterlage mit?“
„Nee.“
„Haben Sie einen Lebenslauf von sich mit?“
„Nee.“
„Keine Unterlage mit?“
„Nee.“
„Was glauben Sie, ist der Sinn und Grund unserer Veranstaltung hier?“
„Keine Ahnung.“
Robert Grille bleibt auch im weiteren Gesprächsverlauf wortkarg. Und so ging es vor drei
Wochen los: Lars Naundorf ist privater Arbeitsvermittler - seit über 10 Jahren. Für solche Kurse
wird er inzwischen bundesweit von Jobcentern engagiert. Ein Profi für verzwickte
Situationen.
Lars Naundorf
„Die Frage ist, was hat uns zu dem gemacht? Wer oder was hat über Jahre dazu geführt,
dass wir so klein wieder sind.“
Viele der 16 Teilnehmer sind resigniert: Lars Naundorf versucht sie zu motivieren und das Eis
zu brechen, doch er stößt von Anfang an auf Gegenwehr.
Erstes Thema: Wie optimiere ich meine Bewerbung? Alle hier sind laut Amtssprache Fälle
von multiplen Vermittlungshemmnissen. Schon am Anfang ist die Stimmung im Keller.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
1
Der Arbeitsvermittler | Manuskript
Pausengespräch:
„Naja, das, was die anbieten, ich weiß nicht.“
„Man hört immer wieder dasselbe. Aber bringen tut es einem nichts. Sonst würde man
nicht hier sein, wenn es was bringen würde.“
Dabei ist der Kurs sehr konkret. Thema nun: Wie bekomme ich einen direkten Kontakt zum
Arbeitgeber?
Und jetzt: ein erster Lichtblick: Cosima Geissler ruft bei einem Arbeitgeber an – UND die
Chancen sind gut. Die umtriebige Kursteilnehmerin wird kurze Zeit später einen
Arbeitsvertrag unterschreiben.
Am Nachmittag – kurz vor Schluss - die Reihen haben sich schon erheblich gelichtet.
Lars Naundorf
„Wie viele waren wir zum Schluss?
„Zehn.“
„Wo sind die alle hin?“
Erschreckend ist auch die Zahl derer, die heute erst gar nicht gekommen sind. Denn
insgesamt waren 32, also doppelt so viele Hartz-IV-Empfänger eingeladen.
„Guten Morgen!“
„Guten Morgen.“
„Au, schon ein bisschen besser als gestern.“
Tatsächlich gibt es gleich eine gute Nachricht. Ronny Kaufmann hatte sich nach dem ersten
Kurstag ein Vorstellungsgespräch organisiert. Nun soll er sogar schon Probe arbeiten.
Lars Naundorf
„Am Ende war es ein einziger Anruf, einfach mal den Mut zu nehmen, zum Telefon zu
greifen. Ich wünsche Ihnen ganz, ganz viel Erfolg.“
Ronny Kaufmanns Erlebnis zeigt, wie gut die Lage auf dem Arbeitsmarkt momentan ist. Doch
andere wollen das nicht wahrhaben. Der notorische Nachzügler trudelt ein:
Lars Naundorf
„Guten Morgen. Winterzeit wurde im März umgestellt.“
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
2
Der Arbeitsvermittler | Manuskript
Die Stimmung wird wieder schlechter. Unterlagen werden nicht - wie verlangt – mitgebracht.
An frühere Bewerbungen kann sich zum Beispiel Robert Grille nicht mehr erinnern. Da platzt
Lars Naundorf der Kragen:
Lars Naundorf
„Wenn ich sage, ich habe mich in einem halben Jahr bei zwölf Firmen beworben, Gerade
mal bei zwölf Firmen und die fallen mir noch nicht einmal mehr ein. Wenn mir eine nicht
mehr einfällt oder zwei, aber mir fallen alle zwölf nicht mehr ein. Was ist da für eine
Ernsthaftigkeit dahinter und was für eine Wertschätzung des Arbeitgebers.“
Jetzt brauchen alle wieder eine Auszeit. Wir lernen in der Pause Kathleen Juhra kennen. Lars
Naundorf will, dass sie offensiver auftritt, denn sie ist seit zehn Jahren arbeitslos.
Kathleen Juhra
„Und der Grund, warum ich arbeitslos bin ist, ich habe früher Köchin gelernt, auch
ausgelernt und bestanden, aber dadurch, dass ich alleinerziehende Mutter bin und meine
Tochter nun mal schwer behindert ist, ist es ziemlich schwierig etwas zu bekommen.“
Da hilft Lars Naundorf nach und verschafft Kathleen Juhra ein Vorstellungsgespräch.
Kathleen Juhra
„Ist ja doll. Danke, Klasse.“
Wieder am letzten Tag. Heute ist alles anders, denn drei Wochen nach den ersten beiden
Tagen in der Gruppe bittet Lars Naundorf nun zu intensiven Gesprächen - mit maximal zwei
Teilnehmern. Leichter wird es für den Vermittler nicht:
Sandra Brandt und Lars Naundorf
Ich habe ein bisschen Durchfall. Mir ist schlecht und ich fühle mich heute gar nicht gut. Bin
trotzdem gekommen.“
„Ja.“
„Ich will wieder nach Hause ins Bett. Das ist nicht böse gemeint.“
„Ok.“
Lars Naundorf und Norman Voigt
„Was würden Sie denn sagen, wenn ich einen Job habe?“
„Wäre das in Riesa?“
„In Meißen.“
„Ja, Meißen ist ein bisschen schlecht. Aber ich will immer noch lieber nach Köln.“
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
3
Der Arbeitsvermittler | Manuskript
Lars Naundorf
„Hallo. Na, wie war‘s?“
Kathleen Juhra kommt gerade vom Vorstellungsgespräch und hat eine Probearbeit ergattert.
Kathleen Juhra
„Sie war ziemlich begeistert.“
„Schön. Wie fühlt sich das an?“
„Das ist Wahnsinn.“
Das wäre wirklich Wahnsinn: Das Ende von zehn Jahren Arbeitslosigkeit für Kathleen Juhra.
Zurück zu Robert Grille, dem Mann, der weiterhin demonstrative Lustlosigkeit ausstrahlt.
„Wann waren Sie zuletzt auf der Jobbörse-Seite der Arbeitsagentur? Kennen Sie nicht die
Seite?“
„Nee.“
„Wollen Sie lieber wieder los? Naja, ich will Sie nicht quälen, Sie sollen mich auch nicht
quälen, im Moment ist es gequält.“
„Ja.“
„ Sie wollen die Stellen noch gar nicht sehen. Sie gucken hier runter und grinsen in sich
hinein.“
„Mhm.“
„Ich möchte es gerne beenden. Wir haben noch andere Gespräche, auf die ich mich
vorbereiten will.“
Derartiger Unwillen ist auch für Lars Naundorf nicht alltäglich. Aber das könnte
Konsequenzen haben, denn der Vermittler wird dem Jobcenter mitteilen, wie sich Robert
Grille verhalten hat.
Lars Naundorf
„Wenn mir klar ins Gesicht gesagt wird, nein ich möchte nicht dass Sie anrufen. Ich möchte
nicht, dass Sie die Gelegenheit schaffen, dass ich dort ins Vorstellungsgespräch komme,
dann, wenn das jeder so machen würde, wäre mein Job sinnlos.“
Die nüchterne Bilanz der drei Tage: Das Negative: Von 32 eingeladenen Teilnehmern kamen
nur 16. Am letzten Tag fehlten vier Arbeitslose unentschuldigt. Die Erfolge: Drei Teilnehmer
sind raus aus Hartz-IV und haben wieder Arbeit. Kathleen Juhra hat eine Probearbeit und
nach vielen Jahren wieder eine echte Chance. Und weitere vier Teilnehmer landeten bei
Vorstellungsgesprächen. Für Lars Naundorf ist die Bilanz durchwachsen. Er hat es schon
besser erlebt, aber auch schon schlechter.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
4