Bad Mergentheim - Main-Tauber - Region

Den Menschen eine neue Heimat bieten - Bad Mergentheim - Main-Taub...
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DAS NACHRICHTENPORTAL
DEUTSCHLAND VOR 45 JAHREN:
Arbeitskräfte werden gebraucht, von Asyl redet kaum jemand / In der Kurstadt
werden regelmäßig Sprach- und Integrationskurse durchgeführt
Von unserem Mitarbeiter Hans-Peter Kuhnhäuser
Deutschland vor 45 Jahren: Im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik werden Arbeitskräfte
gesucht. Von Asyl redet kaum jemand.
BAD MERGENTHEIM. Das Thema kommt in der öffentlichen Debatte so gut wie nicht vor. Heute wird die
Flüchtlingsdebatte offensiv geführt. Klar aber ist: Die Menschen sind da. Also gilt es, sich ihrer anzunehmen.
Einer von Millionen Gastarbeitern ist Slavko Suzic aus Ex-Jugoslawien. Im Mai 1970 kam er hierher. "Ich hatte
Glück", sagt der in Wachbach heimisch gewordene Serbe, "den ich hatte in der Schule von der 5. bis zur 8.
Klasse Deutsch." Angesprochen auf die heute angebotenen Sprach- und Integrationskurse sagt Suzic: "Das ist
tolle Sache und wichtig. Wir wären froh gewesen, hätte es damals so etwas gegeben. Wir mussten uns die
deutsche Sprache selbst beibringen und mühsam lernen, wie diese Gesellschaft funktioniert. Nicht alle haben
das geschafft, nicht alle konnten sich integrieren."
Integration - das ist das Zauberwort von vielen. Doch diesen Anspruch Realität werden zu lassen, bedarf es
Anstrengungen. Wer am Vormittag vom Parkhaus "Altstadt Mitte" Richtung Hans-Heinrich-Ehrler-Platz läuft,
kann sie vor dem "Dominikaner" sehen und hören: Kleine Grüppchen von Menschen, die in vielen Sprachen
reden. In der Pause ist die eigene Sprache, manchmal aber auch Englisch, angesagt, doch in den Räumen
drinnen wird Deutsch gesprochen und gelehrt. Hier laufen Integrationskurse. "Die Leute können ganz gut
Deutsch", so Dozentin Pinar Sari. Im Kurs selbst geht es um Alltagssituationen - etwa den Kauf einer
Fahrkarte auf dem Bahnhof. Was bedeutet "da drüben", "da vorn", "da oben", "da unten", was muss man beim
Umsteigen beachten und wen und wie fragt man, wenn man nicht mehr weiter weiß? Auch "Durchsagen"
werden angehört und auf ihren Inhalt überprüft. Die 16 Kursteilnehmer, unter anderem aus dem Libanon,
Italien, Ungarn, Polen, mehreren Ländern der ehemaligen Sowjetunion, Serbien und Syrien, sind mit Eifer bei
der Sache. Die Dozentin hat selbst einen Migrationshintergrund - ihre Eltern stammen aus der Türkei. Pinar
Sari ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, ging aber mit 16 zurück in die Türkei und "war dort erst
einmal fremd. Ich habe gemerkt, wie schlecht mein Türkisch war." Sie baute ihr Abitur und studierte "Deutsch
als Fremdsprache" fürs Lehramt. "Ich kann in der Türkei an allen Schularten unterrichten", sagt Sari. Doch die
Verhältnisse sprachen gegen den Verbleib im Heimatland ihrer Eltern, Sari kehrte zurück. "Ich bin froh, hier
unterrichten zu können. Ich bin ja häufig auch Vertrauensperson."
Sari ist Lehrerin mit Leib und Seele. Der Unterricht sei "ganz toll, macht viel Spaß", sagt der 22-jährige Ibrahim.
Mit seinen rotblonden Haaren und den Sommersprossen ist ihm nicht anzusehen, dass er aus Syrien stammt.
"Ich bin seit einem Jahr in Deutschland", der Sprachkurs "und die Lehrerin sind sehr gut". Das Miteinander der
vielen Nationen sei "kein Problem", betont er. Wie alle seine Kollegen würde er sich freuen, mehr Kontakt zu
Einheimischen zu bekommen. "Nicht alle wollen mit uns reden", meint Ibrahim. Woran das liegt, bleibt unklar.
"Sprecht die Menschen an", rät Pinar Sari. Doch das ist nicht immer einfach. Der Kurs jedenfalls versetzt die
Teilnehmer in die Lage, diese Hürde zu nehmen.
"Asylbewerber erhalten einen Basis-Deutschkurs", erklärt Landkreis-Pressesprecher Markus Moll. Die
100-Stunden-Kurse werden in der Asylbewerberunterkunft Bad Mergentheim erteilt. "Der Kreis handelt im
Auftrag des Landes, "unser Kooperationspartner ist die VHS. Die Kosten übernimmt der Kreis, die
Refinanzierung erfolgt durch das Land", verdeutlicht Moll. Menschen, die eine längerfristige
Aufenthaltserlaubnis haben, "verpflichtet das Bundesamt für Migration zu einem Integrationskurs, der 600
Stunden umfasst", erläutert Moll. Hier sei ebenfalls die VHS Träger der Kurse, finanziert werden diese durch
das Bundesamt. "Ausnahmen werden nur bei Akademikern und Führungskräften gemacht, also bei Menschen,
die bereits über entsprechende Kenntnisse verfügen oder bei denen das Amt davon ausgeht, dass diese sich
das notwendige Wissen selbst beibringen können."
06.08.2015 11:05
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"Wir bieten seit zehn Jahren Sprach- und Integrationskurse an, verweist VHS-Leiterin Christa Szuba auf die
langjährige Erfahrung. In dieser Zeit hat sich "viel verändert", die Qualität des Unterrichts und der Inhalte sowie
der Dozenten ging stetig nach oben. Diese Kurse sind aber kein Selbstläufer. "Wir müssen uns regelmäßig
beim Bundesamt für Migration als Kursträger bewerben", betont Szuba. Und auch das
"Qualitätssicherungssiegel" müsse alle drei Jahre neu erworben werden.
"Aktuell laufen sieben Kurse, darunter einer für Jugendliche und ein Alphabetisierungskurs." Die
Teilnehmerhöchstzahl beträgt 20, was wegen der oft bunten Mischung - die aktuell 127 Teilnehmer kommen aus
rund 20 Ländern - sinnvoll ist. Zudem: "Manche sind traumatisiert von den Erlebnissen zu Hause und auf der
Flucht", erklärt die stellvertretende VHS-Leiterin Stoja Roß. Darauf müsse man in den Kursen Rücksicht
nehmen und entsprechend sensibel reagieren. Kurse für Asylbewerber gibt es in diesem Jahr bereits sechs,
"weitere sind in Planung", erklärt Szuba.
Die Kursinhalte legt das Bundesamt für Migration fest, die VHS muss sie umsetzen. Neben dem Bundesamt
verpflichten auch das Ausländeramt und gelegentlich das Arbeitsamt Menschen für solche Sprachkurse.
Die aktuell zwölf Dozenten sind "allesamt Akademiker mit entsprechender Qualifikation, die regelmäßig
nachgewiesen werden muss". Sie waren zuvor zumeist als Lehrer oder an Unis tätig. Und: "Die Teilnehmer sind
fast ausnahmslos hochmotiviert", berichten Szuba und Roß. "Die Menschen wollen lernen und Wissen
aufnehmen."
Und da auch die Dozenten viel Engagement mitbringen, haben die Kurse der VHS einen guten Ruf. In den
vergangenen zehn Jahren "hatten wir 800 Kursteilnehmer aus 50 Ländern", berichtet Roß. Und die VHS würde
gerne "weiterführende Kurse anbieten. Wir sind an diversen Projekten dran", sagt Szuba. Allerdings. "Wir
stoßen räumlich und personell an die Grenzen. Die Arbeit und die nötigen Aufwendungen werden mehr und
anspruchsvoller. Wir wünschen uns deshalb eine angemessene Finanzierung" durch die beteiligten Kommunen.
Schließlich bringe die VHS "Menschen zusammen, die etwas lernen wollen", betont Szuba.
© Fränkische Nachrichten, Mittwoch, 05.08.2015
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