„Ein bisschen verrückt muss man schon sein“

Report
V
Löcher im Dach,
zerstörte Fenster:
Das 300 Jahre alte
Gutshaus Ludorf
verfiel zusehends.
Doch dann kamen
Manfred und Keril
Achtenhagen
„Ein bisschen
verrückt muss
man schon sein“
STUFEN IN
DEN PARK
Fassade und
Freitreppe
nach und
vor der
Sanierung
on außen betrachtet liegt das Guts­
haus in Ludorf am Müritzsee noch
im Winterschlaf, doch innen
herrscht schon rege Betriebsam­
keit. Telefone klingeln, Buchungsanfragen wol­
len beantwortet werden, eine Restaurantkraft
stellt sich vor – die Achtenhagens haben alle in Manfred Achtenhagen der Gedanke, dass er
Hände voll zu tun. Eigentlich haben sie immer wohl selbst derjenige sein müsste. Aber: „Tun wir
alle Hände voll zu tun, seit sie sich 1998 dazu uns diese Herkulesaufgabe wirklich an?“, fragte
entschlossen, das über 300 Jahre alte Herren­ sich das Paar wieder und wieder. Bis Manfred
­
Achtenhagen klar wurde: Die Entscheidung war
haus vor dem Verfall zu retten.
„Meine Frau Keril stammt aus der Gegend. Wir längst gefallen. In seinem Herzen. „Wir hatten
wohnten seit fünf Jahren in der Nachbarschaft“, genug Geld gespart, um das Grundstück für
erzählt Manfred Achtenhagen, „und mussten zu­ 400000 Mark zu kaufen und mit der Sanierung
sehen, wie dieses wunderschöne und geschichts­ des Hauses zu beginnen.“
Ein historisches Gebäude aber wieder leben­
trächtige Gebäude immer mehr verfiel. Scheiben
dig werden zu lassen sei eine Lebensaufgabe,
waren eingeschlagen, im Dach klafften Löcher.“
sagt Manfred Achten­
Das schmerzte den
hagen und lehnt sich in
ehemaligen Manager
seinem Bürosessel zu­
in der Musikbranche,
rück. „Wir sind damals
der – aufgewachsen in
beherzt ins kalte Was­
Rostock – mit 20 Jahren
ser gesprungen. Und
über die Ostsee in den
das war gut so. Denn
Westen floh. Seine Lei­
denschaft sind historische Gebäude. Und mit du weißt am Anfang sowieso nie, was am Ende
­jedem Jahr, in dem kein „Ritter“ auf seinem wei­ dabei herauskommt.“ Eines allerdings war klar:
ßen Pferd angeritten kam, um das Gutshaus Wenn sie das Gut mit seinen 1500 Quadratme­
aus dem Dornröschenschlaf zu wecken, reifte tern Wohnfläche erhalten wollen, kommt nur
„Tun wir uns diese
Herkulesaufgabe
wirklich an?“
FÜR SIE
07/2016
55
Report
ENTDECKT
Im Jagdsaal
wurde
ein altes
Decken­
gemälde
freigelegt
ELEGANT
Freundliche
Farben
lassen die
Treppen
förmlich
leuchten
eine touristische Nutzung in Frage. Selbst darin
zu wohnen? Viel zu teuer! Und wo fängt man an
bei so einer Herausforderung? „Beim Dach“, sagt
Manfred Achtenhagen mit trockenem Humor.
Die Zeit drängte, denn das Geld ist bei solchen
Großvorhaben immer knapp. Ein Drittel Eigenkapital, ein Drittel Fördermittel der EU und ein
Drittel Kredit waren die Finanzierungssäulen.
Das Dach wurde neu gedeckt, die Fassade des
Backsteingebäudes bekam eine Sandstrahlung, und die 102 Fenster
wurden
runderneuert. Damit war
schon mal ein großer
Batzen des Baukapitals
weg. Bereits ein Jahr später hatte das umtriebige
Ehepaar mit Hilfe von Handwerkern aus dem Ort
die untere Etage hergerichtet. Die große Empfangshalle mit dem offenen Kamin und das Restaurant „Morizaner“ waren die ersten Räume,
die in neuem Glanz erstrahlten. Danach ging es
an den Ausbau der Hotelzimmer im Haupthaus.
Dabei erlebte das Paar eine große Überraschung.
„Während wir Tapeten abrissen, rief plötzlich ein
Handwerker von oben: ,Kommt schnell her‘“,
­erinnert sich Keril Achtenhagen. „Als wir im ersten Stock ankamen, zeigte er uns, auf was er gestoßen war: ,Da sind Malereien auf den Brettern,
die wir rausgeschnitten haben …‘ Wir haben uns
dann sofort mit dem Landesdenkmalamt in
Schwerin in Verbindung gesetzt, das die Restaurierung des Hauses von Anfang an begleitet hat.“
Das Amt schickte einen Restaurator. Es kam
heraus, dass die Stuckdecke seinerzeit einfach
auf eine bemalte Holzdecke geklebt und genagelt
wurde. Beim Freilegen stieß man auf Papiere
aus dem Gutsarchiv und alte Ausgaben des
„Rostocker Anzeigers“
aus dem Jahr 1851!
„Das war eine glück­
liche Fügung“, erzählt
Manfred Achtenhagen.
„Denn so konnten wir
genau den Zeitpunkt
bestimmen, in dem aus dem ehemaligen Jagd­
saal zwei Zimmer mit Stuckdecke wurden.“
Am Anfang wussten die Achtenhagens gar
nicht, was für ein Schatz da freigelegt wurde.
„Zum Glück hatten wir kurz nach der Eröffnung
des Hotels einen Professor der Gemäldegalerie in
Berlin zu Gast, der uns die Bedeutung erklären
konnte“, erzählt Keril Achtenhagen. „Es handelt
sich um eine Jagdszene aus den Metamorphosen
des römischen Dichters Ovid.“ Vor 300 Jahren
ein beliebtes Motiv aus der Zeit des Barock und
heute ein kulturhistorisches Kleinod.
Wer solch ein Haus wiederbelebt, der schreibt
auch selbst ein Stück Geschichte fort. Manfred
Achtenhagen ist so etwas wie das Gedächtnis seines Anwesens. Regelmäßig führt er Besucher
und Gäste durch das Gebäude und in die Kirche
aus dem 12. Jahrhundert, die vom damaligen
Gutsherren, dem Kreuzritter Wipert von Morin,
nach dem Vorbild der Grabeskirche in Jerusalem
errichtet wurde. Dabei erzählt er in anschau­
lichen Anekdoten, wie es damals zugegangen ist
auf einem Gutshof im 17. Jahrhundert.
Gab es im Lauf der Jahre weitere Überraschungen? „Nicht so spektakuläre wie das Decken­
gemälde, aber irgendwas ist immer“, antwortet
EINMALIG
Kein Zimmer
gleicht dem
anderen.
Die Wanne
steht in der
Hochzeitssuite
„Bei solchen
Großvorhaben ist das
Geld immer knapp!“
Kosten, Fördermittel, Denkmalschutz:
So können Sie ein altes Haus retten
DAS SOLLTE MAN
MITBRINGEN
– Der neue Besitzer muss
kein Multimillionär sein,
sollte aber auch nicht
ganz unvermögend sein
– Handwerkliches
Know-how bzw. entsprechende Experten
– Ein gutes Nutzungskonzept
– Fantasie und eine
gewisse Leidensfähigkeit
KOSTEN
Rechnen Sie bei einer
denkmalgerechten
Sanierung pro Quadratmeter mit Kosten
zwischen 1000 und 1500
Euro. Weil die Häuser
größtenteils ruinös sind,
ist die Kaufsumme in der
Regel eher gering.
DER DENKMALSCHUTZ
90 Prozent der Häuser
stehen unter Denkmalschutz. Deshalb sollte
man sich vor der Restaurierung mit dem Landesamt für Denkmalschutz
in Verbindung setzen.
Übrigens: Ein Großteil
der Sanierungskosten
einer denkmalgeschützten Immobilie kann
über einen Zeitraum von
Fotos: Gregor Lengler für FÜR SIE (5), privat
ERHALTEN
Früher regnete es
durchs Dach.
Heute erstrahlt das
Fachwerk in
neuem Glanz
Gut zu wissen
zwölf Jahren von der
Steuer abgesetzt werden.
Wichtig dabei ist, dass
vor Beginn die einzelnen Baumaßnahmen mit
der Denkmalschutz­
behörde genau abgesprochen werden.
DIE SANIERUNG
In der Ruhe liegt die Kraft.
Zeiträume zwischen fünf
und sieben Jahren sind
ein guter Mittelwert. Es
wird immer wieder zu
Situationen kommen,
mit denen man nicht
gerechnet hat. Deshalb
bringen Sie lieber ein
gutes Nervenkostüm mit.
FÖRDERMITTEL
Die sind begrenzt, aber
wenn man mit einem
Projekt kommt, das
der wirtschaftlichen
Entwicklung und Attraktivität einer Region hilft,
gibt es noch Chancen.
Allein in MecklenburgVorpommern gibt es
rund 2000 Gutshäuser.
Rund ein Drittel steht
leer und wartet auf neue
Besitzer. Unter gutsdorf.de
berät Manfred Achten­
hagen beim Kauf und
Verkauf.
Keril Achtenhagen lachend. Sie ist die Seele des der neue Ideen. Und: Man muss schon ein bissHotels. Kümmert sich um Gäste, Restaurant, das chen verrückt sein“, gesteht Manfred Achten­
15-köpfige Personal und die Ausstattung der in- hagen schmunzelnd. Jemals ans Aufgeben
zwischen 27 individuell eingerichteten Zimmer. gedacht? „Nie“, sagen beide wie aus einem Mund.
Gerade sind die letzten im Zinnenhaus, einem „In dem Augenblick, wo die Fördermittel und
Nebengebäude, fertig geworden.
Kredite bewilligt wurden, gab es ja sowieso erst
Ach ja, und einen Schlossgeist gibt es auch. einmal kein Zurück mehr. Aber während der ers„Verschiedene Gäste erzählten uns von Erschei- ten zehn Jahre, nach den langen Wintern ohne
nungen in der Nacht“, bestätigt Keril Achtenha- nennenswerte Umsätze, haben wir uns natürlich
gen. Und in der Tat. Es gab um 1720 die Blaue Frau. schon gefragt: ,Werden wir das Jahr überstehen?‘
Eine Amme, die den Statthalter des Gutsherren – Eigentlich ist es wie im Mittelalter: Man muss
versehentlich oder nicht – zu Tode gebracht hatte. über den Winter kommen. Dann ist alles gut.“
Dafür wurde sie gehängt. Und geistert seitdem Auf dem Wappen über dem Eingang zum Herrendurch die Räume. Auch das gehört zum Haus.
haus steht: „Gott lasse dieses Haus wohlbeglückt
Wie sollte man gestrickt sein, um so ein Stück bestehen und ehe nicht als mit der Welt vergeGeschichte lebendig zu halten? „Man braucht hen.“ Wenn das mal nicht mehr als eine Lebens­Pio­niergeist, Geduld, Ausdauer und immer wie- aufgabe ist.
TEXT SABINE VINCENZ
FÜR SIE
07/2016
57