Seite 1/3 Zum Wohl unter Linden Gefällt mir! Gefällt mir echt! Unterm Lindenbaum sitzen, im milden Schatten, spätnachmittags. Vor mir ein kühles Bierchen, frisch gezapft von der hübschen Spatzi. Nur ich darf sie so nennen, »Spatzi, schenk mir ja sauber voll ein!« muss ich bloß sagen. »Mach ich dir, Gerch!« tönt ihre helle Glöckchenstimme zurück. Wunscherfüllung geglückt! Entspannt zurückgelehnt beobachte ich von meinem Stammplatz aus die Leute. Wie sie einund ausgehen. Wie sie sitzen, trinken, essen und ratschen. Eine richtige Typologie von Biergartenbesuchern hab ich inzwischen entwickelt. Einen Zoo menschlicher Exoten sozusagen! Zum Beispiel dieses Pärchen – wohl in den Dreißigern. Eben gekommen, hocken sich die beiden akkurat in die knallheiße Sonne. Hirnverbrannt! Studieren der Getränkekarte. Leutchen, hier nur Selbstbedienung! Da könnt ihr warten, bis ihr schwarz werdet! – Ah, jetzt ist der Groschen gefallen! Er deutet gebieterisch zum Ausschank. Sie erhebt sich, nimmt den Geldbeutel und watschelt zum Bretterverschlag. Na klar, zwei Halbe! Mit gepressten Lippen balanciert Madame zurück. Nur nix verschütten! Stellt dem Gemahl den Krug vors grantige Gesicht. Noch bevor sie platziert ist, hat der Kerl zum kräftigen Zug angesetzt. Toller Schluckspecht! Säuft wohl wie ein Bürstenbinder. Er nickt seinen massigen Schädel wohlgefällig, rülpst kurz – und tauscht seinen Krug mit dem der Frau. Warum nicht? So funktioniert Partnerschaft! Grad stolziert, wie auf Stelzen, ein gertenschlanker Radler herbei. Schiebt seine edle Rennmaschine schnurstracks zu einem freien Tisch. Denkste! Ein scharfer Pfiff vom Ausschank her. So schrill kann nur mein Spatzi pfeifen. Herrisch ihr ausgestreckter Zeigefinger – und unser Sportsmann begreift sofort: Rad zum Ständer am Zaun! Jovial signalisiert er der Verkehrswacht: Capito! Diebstahlsicheres Stahlschloss ran, dann eiert er, den mageren Arsch in einer von einer Windel geblähten Hose, zum Ausschank. Überhaupt seine Montur: grün, gelb, blau, dazu ein glänzender Goldhelm. Ein Rembrandt-Heroe nach der Tour de Schwitz! Rad fahren bei so’ner Affenhitze! Holt sich standesgemäß eine Radlermaß. Dabei drängt er wenig rücksichtsvoll zwei Buben im Barcelona- und Real-Trikot beiseite. Immer diese Radfahrer! Die beiden Kids gehören zum Familientisch hinten im Eck. Der Papa kieft noch an seiner Schweinesülze herum. Die Mama, nur von hinten zu sehen, macht mit dem rechten Arm so’ne Art Gymnastik. Oder wischt den Tisch oder ihr iPad. Justament kommen die Buben zurück, Seite 2/3 jeder mit einem vollen Limoglas in Händen. Schwupps – vor der Mama hat der kleine Messi ihr die halbe Ladung über den Rock geschüttet. Zack! Eine saftige mütterliche Watschen setzt es da. Das nenn ich Erziehung. Der Kleine plärrt los. Halt’s Maul, scheint der Papa ausgleichend zusagen, und gießt dem Unglücksraben aus dem Glas des älteren Bruders nach. Sehr salomonisch! Der kleine Messi saugt zufrieden am Strohhalm, der große Ronaldo schaut belämmert und flennt. Bis Papa ihn belehrend am Ohr zieht. So kehrt wieder Friede ein in Familie – und zwischen Barcelona und Real Madrid. Inzwischen trifft eine veritable Wandergruppe ein. Mannsbilder in Vatertagsstimmung! Lärmend und überglücklich okkupieren sie die Tischgruppe am Ausschank. Kraftvolles Zusammenrücken der Tische und Stühle im knirschenden Kies. Freudiges Anstellen für die schäumenden Maßkrüge. Gleich deren klirrende Kakophonie, von grölenden Männerstimmen umrahmt. Kurze Stille des Schluckens, genüssliches Lecken der Oberlippen, dann großes Palaver. Gelaufene Kilometer, besuchte Wirtshäuser, x-mal dieselben Witze und Anekdoten. Leider nix zum Totlachen. Bald werden sie singen vom Westerwald oder vom Finden unter Linden. Grausam! Aber so tickt halt die Schwarmintelligenz! Auch dem Typen von gegenüber scheint das zu missfallen. Schon die ganze Zeit hatte er immer wieder mich im Visier. Seit er sein Schmalzbrot gemampft hat, guckt er mal hoch, mal weg. Dauernd kritzelt er etwas, versteckt durch das Bierseidel. Stützt den Kopf auf die angewinkelte Linke und schreibt mit rechts wohl etwas. Was hat er vor sich – einen Lottoschein, ein Bierfilzl für die Steuererklärung, einen Liebesbrief? Komischer Kauz! Aber ich krieg’s noch raus. Was glotzt er mich schon wieder so blöd an, dieser Eierkopf? Jäh gilt mein Interesse einem hereinstolzierenden Trio infernale. Modellathleten, deo-frisch aus dem Fitness-Studio, furchterregend tätowierte Unterarme, Mumis wie aufgeblasene Ballons. Whow! Mustern kurz die Anlage, stapfen dann schwergewichtig auf den riesigen Sonnenschirm zu. Darunter sitzt seit Längerem ein etwas aufgetakeltes Heidi-Klump-Imitat rauchend vor einem Glas Mineralwasser. Kennen sich offenbar, daher viel Bussi-Bussi mit der Tussi. Mit dieser aufreizenden Zeremonie haben sie eben einem beleibten Macker dessen Casanova-Konzept verdorben. Der war nämlich im Begriff, mit seinem Hendl beladenen Teller zielgerichtet auf diese Biergarten-Queen zugesteuert. Nix war’s! Deshalb blickt er sich suchend um, visiert mich an. Null, Freundchen, signalisiert ihm mein grimmiges Gesicht, nicht mit mir! Strategisch klug habe ich meine Jacke über den freien Stuhl gehängt. Heißt auf Deutsch: Hier besetzt! Also latscht er Richtung Familientisch. Und da passt er auch sicher besser hin. Inzwischen hat sich dieser seltsame Bierdeckelakrobat erhoben und schlendert Richtung Seite 3/3 Toilettenwagen. Das wird dauern, das ist meine Chance! Ich werd mal unauffällig dort drüben vorbeischlendern. Kurz kiebitzen, was dieser seltsame Vogel so notiert hat. Also auf die Pirsch! Aha! Hinter Steinkrug und abgelegter Schirmmütze ein Notizbüchlein. Aufgeschlagene Seite zeigt ’ne Zeichnung. Ach was! Eine rotzfreche Karikatur. Meine Fresse, das soll ich sein! Der Saukerl hat mich aufgespießt. So ’ne Knollennase, so ein dümmliches Grinsen hab ich doch im Leben nicht. Das erfüllt doch voll den Tatbestand der Beleidigung! Schmierfink im Quadrat! Na, warte! Mein ist die Rache! Schnell den Daumen gelutscht und – huschhusch – quer über die provozierende Skizze gewischt. Unkenntlich das Machwerk. Eine Zensur findet statt, wenn’s um meine Ehre geht. Oh je! Meine Daumenkuppe schwarz gefärbt, von diesem Scheißfilzer! Nix wie weg! Rückzug! Geht nur schleppend, weil vor mir zwei Fettleibige mit Pommes beladenen Tellern schwer atmend die Lage sondieren. Blockieren mich durch Masse. Kullern im Schneckengang auf meinen Tisch zu. Schieben Stühle und Jacke beiseite und plumpsen wie Mehlsäcke auf die Sitzflächen. Da hört sich alles auf! Erst als ich meinen letzten Schluck runterwürge, nach meiner Jacke greife, ringen sich diese Ketchup-Genießer ein grunzendes »Ist da noch frei?« ab. Ich knurre aus geschnürter Kehle zurück. Für heute bin ich restlos bedient! Ziehe Leine! Ist eh höchste Zeit zu verschwinden. Jetzt noch ein starker Abgang! Lässig winke ich meinem Spatzi zu. Servus! Sie kann ja nix dafür! Es gibt halt Zeitgenossen, die können einem den schönsten Biergartennachmittag verderben. Könnte doch so herrlich gemütlich sein, wenn halt die Leute nicht wären. Mit ihrer beschissenen Aufdringlichkeit, ihrem Radau, ihrer Fress- und Saufsucht. Lassen jegliche Kinderstube vermissen! Nicht für ein Fünferl Benimm! Gefällt mir nicht. Gefällt mir überhaupt nicht!
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