Mehr Freiheit für Forschung und Lehre

Medienmitteilung vom 2. Dezember 2015
5. Schweizer Bildungsforum
Mehr Freiheit für Forschung und Lehre
Die Freiheit und Unabhängigkeit der Lehre und Forschung gelten seit jeher als
zentrale Grundpfeiler von Hochschulen. Hochschulen sollen demnach primär dem
Wissen und der Wissenschaft verpflichtet und möglichst unabhängig von Wirtschaft
und Politik sein. Inwiefern werden diese Grundsätze in der heutigen Bildungspraxis
gelebt? Experten legen ihre Sicht dar.
Hochschulen sollen primär dem Wissen und der Wissenschaft verpflichtet und möglichst
unabhängig von Wirtschaft und Politik sein. Dieses Prinzip, das Wilhelm von Humboldt mit der
«Einsamkeit und Freiheit des Gelehrten» umschrieben hat, ist in den Augen zahlreicher
Vertretenden von Hochschulen infolge der Ökonomisierung der Gesellschaft in Gefahr. Am
fünften Schweizer Bildungsforum zeichneten Bildungsexperten ein kritisches Bild der
Hochschulbildung der Gegenwart. Gut 200 Teilnehmende – vornehmlich aus Universitäten,
Fachhochschulen, pädagogischen Hochschulen und Gymnasien – folgten der Einladung der
Fachhochschule St.Gallen (FHS) und diskutierten am Montagabend im St.Galler Pfalzkeller
das Thema «Hochschulen im Spannungsfeld zwischen Industrialisierung und Profilierung».
Arbeitsmarktbefähigung statt kulturelle Leitidee
Die Reformpraxis der letzten 20 Jahre war nicht von einer kulturellen Leitidee getragen.
Insbesondere die Bologna-Reform, die vor rund 15 Jahren ihren Anfang nahm, verfolgte
letztlich bescheidene Ziele wie die Verbesserung der beruflichen Verwertbarkeit oder die
internationale Normierung und Standardisierung. Die Reformpraxis hat zu einer
Akzentverschiebung in der Hochschulbildung von den neuhumanistischen Bildungsidealen zur
beruflichen Verwertbarkeit der Bildungsabschlüsse geführt und die bildungspolitische
Aufmerksamkeit von den Fächern und den Fachinhalten auf die arbeitsmarktbezogenen
Wirkungen der Hochschullehre verlagert. Zudem hat sie eine beispiellose Industrialisierung
und Bürokratisierung vorangetrieben. Die Differenzierungsbemühungen im Hochschulbereich
und die Umbildung zahlreicher Berufsausfbildungsgänge haben zu einer zunehmenden
«Akademisierung der Berufsbildung» und «Verberuflichung der Hochschulbildung» geführt,
sagt Prof. Dr. José Gomez, Leiter des Zentrums für Hochschulbildung ZHB der FHS St.Gallen
Trennung von Wirtschaft und Wissenschaft
Was muss man sich unter der Industrialisierung der Hochschulbildung vorstellen? Wo liegen
die Chancen und Gefahren sowie die Möglichkeiten und Grenzen? Inwiefern ermöglichen die
fortschreitende Ökonomisierung und Standardisierung differenzierte Hochschulprofile? Prof.
Dr. Paul Konrad Liessmann von der Universität Wien, erklärt folgendermassen: «Lern and
Earn», war bereits bei Platons Kritik an den Sophisten ein Thema. Bereits damals wurden für
Vorträge hohe Eintritte verlangt und aus dem Wissen ein Geschäftsmodell gemacht.
Forschung und Wissenschaft sind seit jeher von der Käuflichkeit bedroht. Entscheidend ist in
der Wissenschaft und insbesondere in der Auftragsforschung, ob die Auftraggeber die
methodische Freiheit stützen und die Forschungsresultate auch dann zur Veröffentlichung
freigeben, wenn sie nicht den gewünschten Ergebnissen entsprechen, so wie es auch im
Zürcher Appell für die Wahrung der wissenschaftlichen Unabhängigkeit gefordert wird:
Trennen von Wirtschaft und Wissenschaft, um das wissenschaftliche Ethos nicht durch
wirtschaftliche Interessen zu gefährden.
Bildungsideal auf dem Prüfstand
«Der Verdacht, dass die Wissenschaft und ihre Lehre nicht mehr frei, sondern an
ökonomische Kriterien und Erwartungen gebunden sind, ist nicht unbegründet», sagte José
Gomez. Er fasst seine Empfehlungen für die Hochschullehre zusammen: Besinnung auf das
neuhumanistische Bildungsideal – Persönlichkeit, Wissenschaftsorientierung, Freiheit und
Einheit von Forschung und Lehre. Abbau von Normierungen zu Gunsten von mehr Autonomie
für die Lehrenden. Besinnung auf die eigentliche Rolle von Studierenden – fördern der
Neugier, Eigenverantwortung sowie der Anstrengungsbereitschaft. «Studierende sind keine
Kunden, wie auch Lehrende keine Industriearbeiter sind», hält er fest.
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Bildlegende:
Prof. Dr. José Gomez, Leiter Zentrum für Hochschulbildung ZHB-FHS
Referat zum Thema: Industrialisierung und Profilierung: Einblicke in die heutige
Hochschullehre.
Univ. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann, Universität Wien, Institut für Philosophie
Referat zum Thema: Freiheit von Lehre und Forschung: eine philosophisch-historische
Betrachtung.
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