Glück INTERVIEW „Heute weiß ich, dass ich meine vermeintliche Stärke einer Kraft verdanke, die nicht von mir kommt; die ich nicht mache, sondern die sich in mir entfaltet.“ Barbara Pachl-Eberhart Was ist der Sinn des Lebens, Barbara Pachl-Eberhart? HAPPY WAY spricht in jeder Ausgabe mit gelehrten, weisen und lebenserfahrenen Menschen über den Sinn des Lebens. Diesmal traf Christoph Quarch Barbara Pachl-Eberhart, die ihren Mann und ihre beiden kleinen Kinder bei einem Verkehrsunfall verlor und heute einen neuen Zugang zum Leben gefunden hat HAPPY WAY: Frau Pachl-Eberhart, was ist der Sinn des Lebens? Barbara Pachl-Eberhart: Die Antwort, die mir darauf einfällt, kommt aus dem Bauch. Es fühlt sich wahr an, wenn ich sage: Der Sinn des Lebens ist ein großes „Du darfst!” – eine Erlaubnis. Eine Erlaubnis wozu? Eine Erlaubnis zum Menschsein. Ich darf Mensch sein – das ist für mich der Sinn. Allein der Umstand, dass ich geboren wurde, verbürgt ihn. Wie viele Zufälle mussten zusammenspielen, damit ich mich in diesem Menschenkörper ausprobieren darf! Der Sinn des Lebens liegt im Leben selbst? Ja, der Sinn des Lebens liegt darin, lebendig zu sein und zu erfahren, was es heißt, lebendig zu sein – als Mensch lebendig zu sein. Und was heißt es, als Mensch lebendig zu sein? Lebendig sein heißt für mich: im Gespräch zu sein, mit dem was mich umgibt. Mit der Welt, mit dem Leben, mit anderen Menschen. Es heißt, immer neu vom Leben befragt zu werden; und dann immer neue Antworten zu finden. Das ist unsere große Chance. Es wird Nacht und es wird Tag. Mit jedem Tag öffnen sich neue Horizonte. Das Leben vollzieht sich mit einer merkwürdigen Zeitverzögerung. Kein Wunsch wird allein durchs Denken zur Wirklichkeit. Uns ist gegeben, uns immer wieder abarbeiten zu müssen: an den anderen, an den Umständen, an der Zeitqualität. Aber dass wir das können, dass das möglich ist, das macht unsere Lebendigkeit aus. Die Anfragen des Lebens sind oft dunkel. Sie scheinen keineswegs sinnvoll zu sein. Etwa wenn man wie Sie bei einem Unfall den Ehemann und seine Kinder verliert. Wie konnten Sie darin noch etwas Sinnvolles erkennen? Wenn ich den Sinn in dem großen „Du darfst” erkenne, dann kann ich sagen, dass mir dieser Schicksalsschlag eine Erlaubnis gegeben hat: Ich muss nicht alles verstehen. Ich darf erfahren, wie es sich anfühlt, nicht mehr weiterzuwissen; wie es ist, wenn sich mein Leben beinahe automatisch vollzieht, ohne mein Zutun. Ich darf erfahren, dass das Leben mich auch da trägt, wo mein Hirn aussetzt und mein Herz stillsteht und ich keinen Plan mehr habe. Und, ganz wichtig: Ich darf lernen, wie es ist, mich dem Leben bedingungslos anzuvertrauen. Aber ist dieses Vertrauen durch diesen Schicksalsschlag nicht erschüttert worden? In mir kam ein anderes Gefühl auf: ein Gefühl, das als das „pure Hochgefühl des Überlebens“ bekannt ist. Für Außenstehende ist das kaum nachvollziehbar. Aber tatsächlich gibt es den Augenblick, in dem man begreift: Jetzt ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen konnte, eingetreten und ich bin trotzdem noch am Leben. Ich atme noch. Ich kann noch einen Bissen Brot zu mir nehmen. Ich bemerke noch, dass mir die Sonne ins Gesicht scheint oder ein Mensch mir zulächelt. Es ist, als sei das Leben auf „0“ zurückgesetzt, so dass ein neues Grundvertrauen wachsen kann. > Das Leben hat eine andere Farbe bekommen? HAPPY WAY 13 Glück INTERVIEW „Du darfst scheitern. Du darfst Dir Zeit lassen, du darfst schimpfen.” 14 HAPPY WAY die wir der Welt zeigen. Ein starkes Gesicht, das uns schützt, aber gleichzeitig von unserem wahren Wesen fernhält. Sie mussten sich vom Leben demaskieren lassen, um zu sich selbst zu kommen? So kann man das sagen. Das Ergebnis davon ist ein Ich, das viel bescheidener, anspruchsloser und demütiger ist als das Ich, hinter dem ich mich versteckt hatte. Heute weiß ich, dass ich meine vermeintliche Stärke einer Kraft verdanke, die nicht von mir kommt; die ich nicht mache, sondern die sich in mir entfaltet. Diese Kraft will in mir spielen, Dinge ausprobieren, Fehler machen. Wohin treibt Sie diese Kraft? Sie treibt mich dazu an, die Geschenke, die mir vom Leben bereitet wurden, an andere weiterzugeben. Sie schreiben auch über Ihren Lebensweg. Können Sie anderen Menschen damit helfen, obwohl es doch Ihre ganz eigene Geschichte ist? Natürlich ist jede Trauer individuell und einzigartig. Aber das heißt ja nicht, dass man nicht von der Erfahrung anderer profitieren könnte. Es kann eine Überforderung sein, wieder und wieder gesagt zu bekommen, man müsse seinen ganz eigenen Weg gehen. Manchmal braucht man einfach einen Wegweiser im Dickicht. Das ist der Grund, warum ich meine Einsichten gerne weitergebe. Was wäre eine solche Einsicht? Wir sind Wesen mit Kopf, Herz und Körper. Trauer ist immer auch körperlich. Der Körper ist unglaublich klug. Ein Beispiel: Wer trauert, hört oft die Worte „Kopf hoch“. Aber nein, der Körper tut das Richtige: Er blickt nach unten, versichert sich des Bodens, auf dem wir stehen – und der Füße, die meist den dringenden Wunsch verspüren loszugehen. Das aber versagen wir uns, weil wir meinen, alles im Kopf lösen zu müssen. Unfug. Ein Spaziergang im Freien bewirkt oft mehr als tausend Gedanken. Welche Bedeutung hat dabei die Verbundenheit mit anderen? In der Zeit der Trauer hat mir das Leben ein Vergrößerungsglas geschenkt, mit dem ich vieles klarer sehen konnte. Auch die anderen Menschen. Da wurde mir deutlich, wie viel Übergriffigkeit und Missbrauch unseren täglichen Umgang miteinander bestimmen. All diesen kleinen Unaufrichtigkeiten gegenüber bin ich intolerant geworden. All dieser Smalltalk, bei dem man sich doch nur um die wirklichen Themen herumdrückt. Sie beschäftigen sich deshalb mit anderen Formen der Begegnung. Ja, mit der Dialog-Prozess-Begleitung, einer uralten Form der Gesprächskultur, die von dem Physiker David Bohm zu neuen Ehren gebracht wurde. Es ist eine Gesprächskultur des „Du darfst“: Du darfst dir Zeit lassen, du darfst schweigen, du darfst du selbst sein, ohne originell oder schlagfertig sein zu müssen. Du darfst mit anderen um eine Wahrheit ringen, die noch nicht von vornherein feststand. Im Dialog wird klar, dass Sinn nicht ein fernes Ziel ist, auf das ich mich zu bewege, sondern eine Wirklichkeit, die eigentlich schon da ist und nur darauf wartet, sich zeigen zu dürfen. Genauso ist es, wenn ich schreibe. Es ist ein Gespräch mit dem weißen Blatt Papier, das oft so viel mehr weiß als ich selbst. Schon die Vierjährige ahnte das, als sie herausfand, dass sie mit Zitronensaft geheime Zeilen schreiben kann, die ihre Mama mit dem Bügeleisen befreien musste: Es steht alles schon da. Es kommt nur darauf an, es redend und schreibend sichtbar zu machen. Mein Bügeleisen ist die Zeit, die ich mir dafür nehme. Im nächsten Heft spricht Nele Langosch mit dem buddhistischen Meister Tulku Lobsang, einem tibetischen Arzt und Astrologen. Expertin für Trauer, Tod und Leben, für „Verwandlungen aller Art” Die Österreicherin Barbara Pachl-Eberhart (Jahrgang 1974) war Mutter von zwei kleinen Kindern und zusammen mit ihrem Mann Helmut Rote-Nasen-Clown-Doktor. 2008 starb ihre Familie infolge eines tragischen Unfalls. Über diesen Schicksalsschlag und ihren Weg zurück ins Leben hat sie den Bestseller „Vier minus drei” geschrieben. Heute arbeitet Barbara unter dem Motto „Verwandlungen aller Art” als Autorin, Seminarleiterin und Schreibcoach. Ihr aktuelles Buch „Warum gerade Du? Persönliche Antworten auf die großen Fragen der Trauer” ist ein kluger und warmherziger Ratgeber für Trauernde und ihre Angehörigen (Integral, 17,99 €). Mehr Info: barbara-pachl-eberhart.at FOTO FOTOLIA (3), GETTY IMAGES, PORTRAIT: NINA GOLDNAGL, ULRICH REINTHALLER, MARCEL HAGEN, HERSTELLER Ja, weil ich gezwungen war, auf das Leben zu hören. Weil ich in mir selbst keine Antwort mehr gefunden habe. Weil in mir keine Kraft mehr war für einen nächsten Schritt. Ich musste warten. Und das Leben hat sich auf sehr charmante und sehr vielfältige Weise zu Wort gemeldet. Wie das? Nach und nach bekam ich Aufgaben gestellt, erst kleinere, dann größere: die Steuererklärung abgeben, das Auto zum Service fahren. All das waren Fragen an mich, auf die ich Antworten finden musste. Dafür bin ich dankbar, denn es hat mir geholfen, wieder Fuß zu fassen, zu mir zu kommen. Wie ging das vonstatten? Vor diesem Wendetag im Jahre 2008 war ich sehr ehrgeizig. Das alles wurde mit einem Strich weggeräumt. An die Stelle des Ehrgeizes trat die Erkenntnis: Du darfst scheitern, du darfst dir Zeit lassen, du darfst schimpfen und fluchen, bei allem was du tust. Ich habe in dieser Zeit ohne jeden Anspruch an mich selbst gelebt; und rückblickend kann ich sagen, dass ich in dieser Zeit weiter gekommen bin als je zuvor. In winzigen Schritten, aber nachhaltiger und zielführender als in all den Phantasien von mir selbst, die mich bis dahin angetrieben hatten. Welche Rolle haben Ihre Freunde und Verwandten dabei gespielt? Sie haben mir sehr geholfen, indem sie mir signalisierten: Egal, was du jetzt tust, es ist richtig. Schwierig wurde es für mich erst, als ich nach etwa drei Jahren bemerkte, dass ich so nicht weitermachen kann, wenn ich meine Trauer wirklich hinter mir lassen will. Dass ich das nur kann, wenn ich die Schonfrist beende und mich auf neue Weise den Ansprüchen von außen und von innen stelle, ohne dabei die Geduld mit mir zu verlieren. Dieser Schritt hat viel Mut erfordert. Für mich war es der schwerste Schritt in meiner Trauerzeit. Ich habe mich immer wieder dabei ertappt, dass ich die Trauer als Ausflucht gebrauchte. Vordergründig war das bequem, aber mit der Zeit wurde mir klar, wie schwer ich mir das Leben dadurch machte. Ich mochte nicht länger von den Menschen meiner Umgebung hören „Lass dir Zeit“. Mir wurde klar: Das Leben selbst baut einen Druck auf, um dich zu sich zurückzurufen. Bis der Augenblick gekommen ist, an dem du aus dem Versteck der Trauer trittst und sagst: Das bin ich, das brauche ich – nicht weil ich in Trauer bin, sondern weil ich so bin, wie ich bin. Was hat Sie darin unterstützt, diesen Weg zu gehen? Gern würde ich antworten: Es war die Neugier auf ein neues Leben, die mich wie die Sonne ins Freie zog. Aber das wäre zu kurz gegriffen. Davor stand etwas anderes: ein drohender Burn-out. Ich hatte gelernt, mein Schicksal anzunehmen und zum Leben „Ja“ zu sagen. Doch irgendwann lastete dieses „Ja“ wie ein 50-Kilo-Rucksack auf meinen Schultern. Jeden Tag wurde ich von diesem „Ja“ gebeugter – bis ich es gegen das „Ja“ zu mir selbst austauschte: „Ja” zu mir mit all meinen Ecken und Kanten. Ich habe den Rucksack abgelegt und mich selbst wieder sichtbar gemacht. Der Preis, den ich dafür zahlen musste, war die Sorge, nicht mehr so geliebt zu werden. Er war es mir wert, denn nun kam die Neugier. Nun wollte ich wissen, wie es ist, ich zu sein. Und, wie ist es, Sie selbst zu sein? Ich bin stolz darauf. Ich bin stolz auf jeden kleinen Schritt, stolz auf jede kleine Antwort, die ich auf die Anforderungen des Lebens gefunden habe; stolz auf jedes „Du darfst“, das ich entdeckt habe. Bei mir daheim gibt es keine To-Do-Liste, wohl aber eine JuhuListe. Darauf steht all das, was früher auf der To-Do-Liste stand – aber es schmeckt vollkommen anders. Man hört oft, in Zeiten der Krise müsse man sich „neu erfinden“. Sie beschreiben Ihren Weg eher so, als seien Sie vom Leben „neu gefunden“ worden. Wer ist dabei herausgekommen? Niemand anderes als die, die ich wohl immer schon war. Wenn ich mich heute im Spiegel anschaue, dann sehe ich das kleine Mädchen mit vier Jahren, das ich einst in meinem Kinderzimmer traf. Schon damals schrieb sie kleine Bücher auf der Schreibmaschine ihres Vaters. Schon damals fühlte sie sich verwurzelt in der Welt der Märchen und Mythen, in der Natur. Doch damals machte sie sich keine Gedanken darüber, wer sie ist. Bis sie irgendwann ins Leben ging und den anderen gefallen wollte. Sie war mit vielen Talenten gesegnet, die alle auf Entfaltung drangen. Doch in dem Maße, in dem sie ihnen folgte, verlor sie ihren tiefsten Wesenskern aus den Augen – bis das Leben ihn mir neu gezeigt hat. Durch den Verlust Ihrer Familie? Ja, weil mir in dieser Krisenzeit deutlich wurde, auf welche Stärken ich mich wirklich verlassen kann, welche Eigenschaften und Fähigkeiten mich wirklich tragen konnten. Am Anfang vertraute ich auf das, was ich von mir kannte. Aber irgendwann wurde ich meiner selbst müde und entdeckte das, was als „Notfall-Ich“ beschrieben wird: eine Art Maske, „Bei mir gibt es keine To-Do-Liste, wohl aber eine Juhu-Liste.“
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