Die Zukunft der Automobilbranche Das Auto ist tot – es lebe die Mobilität! Autokonzerne transformieren zu Mobilitätsunternehmen. Innovation Hacking ist der Schlüssel, um die richtigen Geschäftmodelle zu entdecken. Nick Sohnemann, Gründer und Managing Director von FUTURECANDY, wagt mit seinem Team einen Report aus der Zukunft. 40 Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015 A utos werden in Zukunft nicht mehr Autos genannt. Wir kennen dieses Phänomen schon aus der Telekommunikationsbranche: Das Wort Handy verschwindet aus dem Sprachgebrauch und wird durch „Smartphone“ ersetzt. Genauso wird es dem Begriff des Autos ergehen. Das, was wir heute noch als Auto bezeichnen, wird in Zukunft ein fahrender, smarter Computer sein. Ganz nach dem Motto: Das Auto ist das Smartphone der Zukunft! Autokonzerne müssen sich auf eine neue Form der Wertschöpfung vorbereiten. Es geht nicht mehr um die Hardware – das Auto selbst –, sondern um die digitalen Möglichkeiten und Inhalte. Diese Entwicklung wird als digitale Transformation bezeichnet und ist die größte Umwälzung der Automobilbranche. Das Problem für viele etablierte Player im Markt: Die Erfolgsfaktoren der Vergangenheit werden durch die Digitalisierung zum Nachteil. Autokonzerne müssen sich also verändern. Es ist abzusehen, dass nicht alle heutigen Player diesen Wandel überleben werden. Nur diejenigen, die sich transformieren und an neue Geschäftsmodelle wagen, werden es schaffen. Dafür sind neue Denkweisen und Innovationsmethoden notwendig – zum Beispiel Innovation Hacking. Erfolgsfaktoren werden zu Sargnägeln Das Auto ist unumstritten eine der größten Erfindungen der Menschheit. Nicht umsonst hält der Siegeszug dieser Technologie an. Autos sind Ausdruck vermeintlicher Unabhängigkeit, Mobilität sowie Statussymbol und prägen das Bild unserer Infrastruktur und Großstädte. Drei große Entwicklungen im Zuge der digitalen Transformation wirken jetzt allerdings diesen ursprünglichen Erfolgsfaktoren entgegen und setzen das traditionelle Geschäftsmodell u nter Druck: 1. Automatisierung der Steuerung: Selbstfahrende Autos werden den Nutzer „befreien“. Die klassische Autofahrt wird zur Taxifahrt, unabhängig, individuell und ohne Fahrer. Autos werden Nutzern die Vorteile der Mobilität bieten, ihnen aber gleichzeitig die Last des Fahrens nehmen. 2. Mobilität wird wichtiger als Besitz: Der Besitz eines Autos birgt Ballast. Die versprochene Wirkung der Abgrenzung und persönlichen Aufwertung tritt nicht mehr ein. Denn das Auto ist zu einer Commodity verkommen. Außerdem stehen Parkplatzsuche und Staus im Widerspruch zu dem Versprechen von Freiheit und Unabhängigkeit. Das eigentliche Leistungsversprechen des Autos ist aus dem Fokus geraten. Neue Geschäftsmodelle wie Carsharing und smarte digitale Services lösen dieses Problem: Denn es geht ja nicht nur um das Autofahren – es geht um das große Thema MOBILITÄT. 3. Das Auto wird zur digitalen Plattform: In Zukunft lässt sich in der Automobilindustrie vor allem damit Geld verdienen, die Zeit, die ein User im Auto verbringt, in Geld umzuwandeln. Somit geht es um Contentvermarktung, Werbevermarktung und Zusatzfunktionen. Das Auto wird zu einer neuen digitalen Plattform, ähnlich wie es das Smartphone heute ist. Sie b ieten Potenzial als Abspielstation für personalisierte Inhalte und Zusatzangebote für die Nutzer. Wir sehen drei Hauptgründe, die für den Erfolg des Automobils verantwortlich sind: 1. Unabhängigkeit: Autos sind flexibel einsetzbar. Autofahrer gehen davon aus, dass sie mit dem Auto bequemer und schneller ans Ziel kommen. 2. Status: Autos haben schon immer etwas über den Fahrer ausgesagt. 3. Absatzorientiertes Geschäftsmodell: Autokonzerne haben vor allem damit Geld verdient, Fahrzeuge zu designen und die Technik weiterzuentwickeln. 41 Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015 Um in diesem Marktumfeld erfolgreich zu sein, müssen Automobilkonzerne sich neu erfinden. Denn zum einen wird der Wettbewerb intensiver: Ambitionierte Tech-Konzerne aus Kalifornien drängen auf den Markt. Apple beispielsweise sieht sich gerade offiziell nach Partnern um, die ein elektrisch angetriebenes selbstfahrendes Auto bauen, Google arbeitet heute schon in seinen X Labs an einem eigenen selbstfahrenden Auto, Tesla hat im Juni 2015 ein eigenes autonom fahrendes Auto für 2018 angekündigt. Zum anderen verändert sich der Kern des Geschäftsmodells, denn das Geld wird in der Automobilbranche zukünftig nicht mehr mit dem Verkauf von Autos verdient, sondern mit dem, was User während der Fahrt m achen. Oder mit individuellen Zusatzdiensten. Diese Branchenveränderung konnte man bereits in der Luftfahrt beobachten: Viele Airlines verdienen heute nicht mehr an den Tickets selbst, sondern an verschiedenen Sonderdiensten. Der Wachstumsmarkt „Auto“ hat also zumindest in der westlichen Welt ausgedient, neue Mobilitätskonzepte drängen nach vorne und werden den gesamten Mobilitätsbereich stark fragmentieren. Gerade entstehen neue Konzepte wie der Hyperloop, eine schnelle Tunnelbahn, die irgendwo zwischen Flugzeug, Bahn und Auto anzusiedeln ist. Für das Verständnis der Unternehmen aus der Automobilbranche bedeutet das, dass sie sich künftig als Mobilitätsunternehmen definieren müssen, deren Wertschöpfungskette sich um den Transport von Menschen, Waren und Werten dreht. Mehr noch: Autokonzerne werden zu schnell agierenden Software- und Technologieunternehmen! werden. Das hat handfeste Konsequenzen: Weniger Maschinenbau und mehr Programmierung ist die Devise, der Produktion von Autos wird der schnelle Tech-Lebenszyklus aufoktroyiert, die Hardware – das Auto – ist nur noch das Mittel zum Zweck, um die Plattform an den Nutzer zu bringen. 42 Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015 Was tun? Innovation Hacking – eine neue Herangehensweise ist die Lösung! Erfolgreiches Innovieren scheint die einfache Antwort auf diese Frage. Wenn Märkte sich verändern, müssen Innovationen her, sonst verlieren Unternehmen den Anschluss. Allerdings gibt es viele Denkfehler, gefährliches Halbwissen und veraltete Innovationsmethoden. Die digitale Transformation erfordert eine neue Herangehensweise. Wir nennen es Innovation Hacking. Innovation Hacking vereint die Grundsätze der modernen Innovationsmethoden des Silicon Valleys, die zwei Dinge besonders in den Mittelpunkt stellen: zum einen die frühzeitige Einbeziehung des Endkunden in den Innovationsprozess und zum anderen die schnelle Umsetzung innovativer Ideen mit möglichst geringem Kosten- und Zeitaufwand. Das bedeutet, dass eine neue Idee schnellstmöglich in kleinen „Testeinheiten“ ausprobiert, also einfach auf den Markt gebracht wird, ohne vorher bis ins letzte Detail erforscht, durchdacht und analysiert zu sein. Auf diese Weise kann man sehr viel schneller erkennen, was an der Idee funktioniert und was nicht. Mithilfe dieses Lernerfolges wird die Idee verbessert oder erweitert. Das Geheimrezept lautet iteratives Lernen. Wenn ein Unternehmen sich also digital transformiert – hier, um den Wandel vom Autokonzern zum Mobilitätsunternehmen zu vollziehen – , dann ist Innovation Hacking ein Schlüssel zum Erfolg, um die richtigen Geschäftsmodelle zu entdecken. Es ist ein Weg für etablierte Unternehmen, Innovationskultur und Methoden den aktuellen Erfordernissen der digitalen Transformation anzupassen. Abbildung: Innovation Hacking Diagramm Innovation Hacking The Hack Understanding the Problem Prototype Idea Production Marketing Marketing Quelle: FutureCandy Nick Sohnemann Geschäftsführer von FUTURECANDY GmbH, Hamburg FUTURECANDY ist eine Innovationsberatung der nächsten Generation. Das Team um Nick Sohnemann verwendet moderne Innovationsmethoden mit dem Ziel, Unternehmen in Europa dabei zu unterstützen, die digitale Transformation zu meistern. Das Unternehmen wächst stetig und beschäftigt sich aktuell intensiv mit neuen Technologien und Gadgets, die das Potenzial haben, Geschäftsmodelle und ganze Branchen zu verändern. In den letzten Monaten hat sich das Team im Hamburger Headquarter mit den Veränderungen der Automobilbranche beschäftigt. 43 Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015 Der Übergang in das digitale Zeitalter findet schleichend statt ... 2015 – 2017 > Tankstellen werden zusätzlich zu Ladestationen für Elektroautos. 2017 > Steigernder Absatz von Elektroautos. > Es gibt 15 verschiedene Elektroauto-Modelle. 2019 > Alle Hersteller stellen Hybrid-Modelle ein. Die Forschung zum Wasserstoff- antrieb kommt nicht voran. Viele Verbände rund um die Welt erklären den Sieg des Elektroantriebs. 2023 > Erste Städte ersetzen einen Großteil ihrer Taxiflotten mit selbstfahren den Auto-Fahrdiensten. >Die heutigen Tankstellen werden mehr und mehr zu Shopping Flächen oder dezentralen Zwischenlagern von E-Commerce Firmen, die von Tankstellen aus schnell ihre Waren zu den Bestel- lern schicken. Elektroladestationen sind in einem engen Netzver- fügbar. >Erste Straßenspuren werden abgesperrt für selbstfahrende Autos, damit der Verkehr schneller fließt, andere Autofahrer werden eingeschränkt und können nur noch auf wenigen Spuren vorankommen. > In Großstädten entstehen mehr und mehr Induktionsfahrbahnen, die die Ladestationen ersetzen. Elektroautos können während der Fahrt laden. 2024 > Autokonzerne bauen zum ersten Mal mehr Elektro-Autos als Autos mit Otto-Normal-Motoren. > Tesla und Apple verkaufen Autos an selbstfahrende Taxi-Dienstleister weltweit und betreiben eigene Dienste. > Größter Kunde von selbstfahrend Autos ist die Firma UBER. > Google liefert für viele Autos das Betriebssystem und baut ein Werbever- marktungssystem auf. 2025 > Geparkte Autos verschwinden aus dem Stadtbild. > Mehrere große und einige kleinere lokale Anbieter für selbstfahrende Taxi- Services stehen im Wettbewerb. > Große Tech-Firmen aus dem Silicon Valley treten in den Markt ein (jetzt auch Microsoft) und lassen sich von ehemaligen Autokonzernen wie VW Autos b auen. > Speditionen entlassen LKW-Fahrer und ersetzen sie mit automatisierten Zugmaschinen. > Zur Wartung der selbstfahrenden Taxiflotten werden große Wartungs- hangars in den meisten westlichen Großstädten gebaut. > Tankstellen sind kaum noch im Stadtbild vorhanden. > Parkhäuser sind verkleinert oder umgebaut zu Wohnungen. > Viele Fahrschulen müssen schließen. Einen Führerschein machen nur noch sehr wenige Leute – und wenn, dann via Internet. 44 Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015 ... und hat schon gestern begonnen 2026 > Kraftfahrzeugsteuer für Ottomotoren verdreifacht in Europa. Der Wandel wird politisch beschleunigt. > Viele Menschen ziehen wieder aufs Land, da die selbstfahrenden Taxis ihr Geschäftsgebiet vergrößern 2027 > Digitale Nomaden entstehen. Autos, die noch an einzelne User ver kauft werden, werden immer weiter personalisiert. Einige sind so gut ausgestattet, dass sie eine Wohnung ersetzen können. > Hotelketten erkennen das Potenzial und vermieten fahrende Hotelzimmer. 2028 > Einige Städte verbieten Ottomotoren in der Innenstadt. Damit wird Autofahren das neue Rauchen! > Rennstrecken entstehen, in denen Leute mit Otto-Motoren fahren können. 2030 > Große ehemalige Autokonzerne, aber auch Zulieferer in Deutschland sind jetzt IT- und Service-Unternehmen und sind daher deutlich verkleinert. Auf dem Weg dahin sie ihr Personal fast komplett ausgetauscht. Ein haben Drittel der ehemaligen Zulieferbetriebe ist komplett verschwunden. > Viele westliche Städte sind komplett frei von privaten PKWs. Es gibt nur E-Roller, Fahrräder, E-Bikes, selbstfahrende Taxi-Flotten. > Erster Regelbetrieb von selbstfliegenden Flugzeugen, die auch mit Elektromotoren betrieben werden. 2033 > Die Automobilbranche aus dem Jahre 2015 existiert nicht mehr. > Ehemalige Autokonzerne betreiben jetzt viele fragmentierte Platt- formen: autonom fahrende Taxiflotten, Fahrrad- und E-Roller-Sharing-Services und sogar Fluglinien. Das Auto ist nur noch ein Puzzleteil in einer komplexen, aber smart ausgesteuerten Welt. 2035 > Das Auto, so wie wir es heute kennen, gibt es nicht mehr. > Die Sterblichkeit im Straßenverkehr liegt nahezu bei Null! Das Auto ist tot, es lebe die Mobilität! 45 Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015
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