Rechtsmedizin TB 10.08.2005 11:49 Uhr Seite 5 Inhalt Zum Geleit 9 Kay Nehm, Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Vorwort 11 Der Rhabarberfall 14 MR PD Dr. med. Wolfgang Mattig, Direktor des Brandenburgischen Landesinstitutes für Rechtsmedizin in Potsdam Als Selbstmord vorgetäuschte Tötung 26 Prof. Dr. med. Hans Dieter Tröger, Direktor des Institutes für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover Ist der Liebhaber immer der Schwangerenmörder? 34 Prof. Dr. med. Gunther Geserick, Direktor a. D. des Institutes für Rechtsmedizin der Charité in Berlin Dum(m) – Dum(m) 56 Prof. Dr. med. Jochen Wilske, Leiter des Institutes für Rechtsmedizin des Saarlandes in Homburg/Saar Die Gier der Spinne 68 Prof. Dr. med. Manfred Oehmichen, Direktor der Institute für Rechtsmedizin Kiel und Lübeck, unter Mitarbeit von Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Meißner Die Geschichte von Nase, Ohr und Zwergpudel 82 Prof. Dr. med. Wolfgang Eisenmenger, Vorstand des Institutes für Rechtsmedizin der medizinischen Fakultät der LMU München, amtierender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin Kinder fanden Leichenteile in der Abfalltonne Prof. Dr. med. Dr. h. c. Volkmar Schneider, Direktor des Institutes für Rechtsmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 90 Rechtsmedizin TB 10.08.2005 11:49 Uhr Seite 6 Deutsch-Niederländische Freundschaft 102 MD Dr. med. Michael Birkholz, Direktor des Institutes für Rechts- und Verkehrsmedizin am Klinikum Bremen Mitte Eine ungewöhnliche Suizidart? 116 PD Dr. med. Walter Marty, Leiter der Rechtsmedizin Graubünden am Kantonsspital Chur (Schweiz) Selbstötung oder Mord im Schlaf? 120 Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Reinhard Urban, Leiter des Institutes für Rechtsmedizin und Dekan des Fachbereiches Medizin am Klinikum der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz Hamburg -Thriller um Säurefass -Mörder 132 Prof. Dr. med. Klaus Püschel, Direktor des Institutes für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Teppichleiche 150 Prof. Dr. med. Hansjürgen Bratzke, Geschäftsführender Direktor des Zentrums der Rechtsmedizin der Johann-Wolfgang-GoetheUniversität in Frankfurt a. M. Das Schweigen der Gräber 156 Prof. Dr. med. Markus A. Rothschild, Direktor des Institutes für Rechtsmedizin des Klinikums der Universität Köln Analyse eines Mordfalls 174 Prof. Dr. med. Peter Betz, Direktor des Institutes für Rechtsmedizin in Erlangen Der Tote im Wasser – Anatomie eine Tötungsverbrechens 186 Prof. Dr. med. Rudolf Wegener, Direktor des Institutes für Rechtsmedizin der Universität Rostock Überraschung bei der Feuerbestattungs-Leichenschau Prof. Dr. med. Hans-Peter Kinzl, Institut für gerichtliche Medizin Gera, unter Mitarbeit von H. J. Schaap © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 204 Rechtsmedizin TB 10.08.2005 11:49 Uhr Seite 7 Zwischen Ost und West – die Transitleiche 218 Prof. Dr. med. Eberhard Lignitz, Direktor des Institutes für Rechtsmedizin an der Ernst-Moritz-Arndt Universität in Greifswald Mordbrand – ein ungewöhnlicher Weg zum Täter 234 Prof. Dr. med. Dieter Patzelt, Vorstand des Institutes für Rechtsmedizin in Würzburg, unter Mitarbeit von Martin Bauer Der vorgetäuschte Verkehrsunfall 250 Em. o. Prof. Dr. med. Erich Müller und Prof. Dr. med. Jan Dreßler E. Müller: Direktor a. D., J. Dreßler: Direktor des Intitutes für Rechtsmedizin der medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus in Dresden Mysteriöser Leichenfund: Tötungsdelikt mit Kohlenmonoxyd 264 Städt. Med. Dir. Dr. med. Eberhard Springer, Leiter des Institutes für Rechtsmedizin der Stadt Duisburg Ein teurer Hirsch 272 Prof. Dr. med. Eduard Peter Leizinger, Vorstand des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Graz (Österreich) Mary Vetsera aus der Gruft geraubt. Eine Kriminalkomödie aus Österreich A. Univ.-Prof. Dr. med. Georg Bauer, Leiter a. D. des Institutes für gerichtliche Medizin der medizinischen Universität Wien © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 278 Rechtsmedizin TB 10.08.2005 11:49 Uhr Seite 156 Markus A. Rothschild Institut für Rechtsmedizin Köln Univ.-Prof. Dr. med. Markus A. Rothschild wurde 1962 in Berlin geboren. Nach dem Abitur 1981 studierte er von 1981 bis 1988 Medizin an der freien Universität Berlin. Während des Studiums war er Famulant in Hongkong (1984) und Nord-Borneo (1986). Die Approbation erhielt Rothschild 1988, danach war er von 1988 bis 2001 als Arzt am Institut für Rechtsmedizin der Freien Universität Berlin tätig. Im Jahre 1989 erfolgte die Promotion, 1993 die Facharztapprobation als Rechtsmediziner, 1999 die Habilitation im Fach Rechtsmedizin. Von 2001 bis 2002 war Rothschild Professor am Zentrum für Rechtsmedizin der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a. M. Seit 2002 ist er Direktor des Institutes für Rechtsmedizin des Klinikums der Universität zu Köln. In den Jahren 1998 bis 2000 nahm Rothschild an der Untersuchung von Massengräbern im Auftrag des UN-Kriegsverbrechertribunals in BosnienHerzegovina und im Kosovo teil. Im Jahre 2000 erhielt er den Preis der Konrad-Händel-Stiftung. 156 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe Rechtsmedizin TB 10.08.2005 11:49 Uhr Seite 157 Das Schweigen der Gräber Das Schweigen der Lämmer. Was für ein schrecklicher, spannender Film. Schauspielerisch exzellent besetzt und dramaturgisch hervorragend inszeniert. Zum Glück nur ein Film. Es war ein kalter, nasser und vor allem grauer Berliner Donnerstagabend im Dezember, nicht mehr ganz Herbst und noch nicht richtig Winter. Einer dieser Tage, an denen man sich am liebsten gar nicht viel nach draußen bewegen möchte, schon gar nicht zum Arbeiten. Dr. E. hatte Bereitschaftsdienst. Die Woche hatte gerade angefangen und es war bislang insgesamt recht ruhig geblieben im Institut. Als er gerade zu Bett gehen wollte, fing der Bereitschafts-Beeper an sich lautstark und penetrant zu melden. Das Lagezentrum der Kriminalpolizei informierte ihn, dass man einen Gerichtsmediziner wegen eines Leichenfundes auf einem Charlottenburger Friedhof benötige. Nun, es war verständlich, dass sich Dr. E.’s Enthusiasmus angesichts dieses wenig überraschenden Einsatzauftrages in Grenzen hielt. Zu diesem Zeitpunkt konnte allerdings auch niemand ahnen, dass dies der Beginn eines bizarren Albtraums werden sollte. Der besagte Friedhof erstreckt sich über ein weites Areal im Westen Berlins mit zum Teil alten Gräbern wohlständiger Familien. Durch das einsetzende Tauwetter war der ohnehin rasch unansehnlich gewordene Berliner Schnee geschmolzen und unter anderem in die Gruft eines denkmalgeschützten Familienmausoleums, das nahezu die Größe eines kleinen Ferienhäuschens hatte, eingedrungen. Friedhofsarbeiter waren deshalb in die fünf Meter tiefe Gruft hinab gestiegen, um das Schmelzwasser abzupumpen. Doch ihnen bot sich hierbei ein erschreckender Anblick. Die von Säulen durchsetzte Grufthalle stand etwa einen Meter hoch unter Wasser und auf dem Wasser schwammen zahlreiche Sargteile, dazwischen teilweise mumifizierte Leichen und Leichenteile. Es hatte alles den Anschein, als ob hier nicht nur die Kraft des Wassers eingewirkt hatte. Was die Arbeiter außer Fassung brachte, war ein weiterer Fund: Auf 157 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe Rechtsmedizin TB 10.08.2005 11:49 Uhr Seite 158 einem im Schmelzwasser treibenden Sargdeckel lag rücklings die noch relativ frische Leiche eines Kindes. Als Rechtsmediziner ist man sicherlich manch ungewöhnliche Arbeitssituation gewöhnt, aber im Winter auf einem Friedhof nachts eine wacklige Leiter hinabsteigen, die in eine unter Wasser stehende Gruft führt, in der Leichen umherschwimmen, gehört zweifelsohne auch für eher hartgesottene Kollegen zu den Situationen, wo man sich – zumindest für eine kurzen Augenblick – an anderen Orten zu sein wünscht. Am nächsten Morgen wurde die Leiche des Kindes im Beisein der Staatsanwaltschaft sowie der Kriminalpolizei obduziert. Es handelte sich im Ergebnis unserer Untersuchungen um einen Jungen im Grundschulalter, an dessen Körper sich eine Reihe zu Lebzeiten entstandener erheblicher stumpfer Verletzungsfolgen fanden, die noch chirurgisch versorgt worden waren. Das Verletzungsmuster sprach für eine massive stumpfe Gewalteinwirkung, wie wir sie gewöhnlich nach Verkehrsunfällen oder Stürzen aus der Höhe vorfinden. Die Verletzungen waren offensichtlich nur etwa ein bis zwei Tage überlebt worden. Postmortale, also erst nach dem Tode entstandene Verletzungsspuren zeigten sich an der Leiche nicht. Die allgemeinen Leichenveränderungen sprachen für eine Liegezeit von wenigen Wochen. Wer war der Junge? Und warum lag er dort in dieser Gruft? Wir dachten an alles Mögliche. Ich stellte mir z. B. vor: Das Kind ist vielleicht mit seinen Eltern illegal in Deutschland, möglicherweise sind die Eltern sogar auf der Flucht. Und da passiert ein Autounfall, das Kind wird schwer verletzt und in einem Krankenhaus behandelt. Die Eltern müssen aber weg, und entführen das Kind aus dem Krankenhaus, nachdem es dort chirurgisch versorgt wurde. Auf der weiteren Flucht stirbt das Kind dann aufgrund seiner vorbestehenden schweren Verletzungen und der nun fehlenden medizinischen Weiterversorgung und die Eltern müssen die Kindesleiche beseitigen. Um es nicht würdelos zu »entsorgen«, fahren sie schließlich zu einem Friedhof und geben die Leiche ihres Kindes in die Gruft, in der sie dann wenige Wochen später entdeckt wird. Schöne Theorie, aber warum wurden in der Gruft die Särge aus ihren Fächern gerissen, teilweise zerstört und die darin befindlichen Leichen herausgezerrt? 158 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe Rechtsmedizin TB 10.08.2005 11:49 Uhr Seite 159 Mitten in die Überlegungen platzte dann die Neuigkeit, dass die Kriminalpolizei die Leiche identifiziert hatte: Es handelte sich um einen sieben Jahre alt gewordenen Jungen, der rund vier Wochen zuvor beim Überqueren einer Straße von einem Pkw angefahren wurde, schwer verletzt wurde und rund einen Tag später in einem Berliner Krankenhaus gestorben war. Seine Leiche war rund drei Wochen zuvor auf dem gleichen Friedhof bestattet worden, etwa 400 Meter von dem Mausoleum entfernt. Wie war die Kindesleiche aus ihrem Grab heraus und in die Gruft des weit entfernten Mausoleums gelangt? Und was befand sich in dem Grab des Kindes? Es gab natürlich zahlreiche Zeugen der Begräbnisfeier des Jungen, die angaben, dass ein Kindersarg in das Grab gegeben und dieses geschlossen worden war. War der Sarg leer gewesen? Hatten die Bestatter vergessen, die Kindsleiche in den Sarg zu legen und ihren Irrtum erst nach Schließen des Grabes bemerkt und dann den Körper heimlich in die Gruft gelegt? Hatten die trauernden Eltern, die Zeugen gegenüber geäußert hatten, dass ihr geliebtes Kind »wie ein griechischer Gott« bestattet werden sollte, die Leiche ihres Kindes ausgegraben und dann auf dem gleichen Friedhof in dem architektonisch an einen griechischen Tempel erinnernden Mausoleum erneut »bestattet«? Es waren hilflose Theorien angesichts der skurrilen Ausgangslage. Die Beantwortung dieser Fragen konnte nur ein Blick in das Grab des Jungen geben. Wir wären am liebsten gleich mit Schaufeln losgezogen, aber es tat sich nun eine juristische Hürde auf: Der Richter, der über den Antrag der Staatsanwaltschaft zur Exhumierung des Grabes zu entscheiden hatte, verweigerte die Anordnung mit dem Hinweis, dass der Antrag juristisch unzulässig sei, da das Kind ja »bereits exhumiert« worden wäre. Nach einigem Grübeln fand die Staatsanwaltschaft dann eine Lösung: Sie ließ die Grabstelle beschlagnahmen und erwirkte von dem Richter einen Durchsuchungsbeschluss für das Grab. Alles Weitere war Routine. Wie allgemein üblich fand die Öffnung des Grabes im Morgengrauen statt. Die Gründe für die grundsätzliche Auswahl dieser Tageszeit für Exhumierungen sind natürlich weniger die Steigerung dramaturgischer Effekte als vielmehr 159 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe Rechtsmedizin TB 10.08.2005 11:49 Uhr Seite 160 ganz praktische Erwägungen: Die ersten Friedhofsbesucher sind noch nicht da und es gibt schon ausreichend natürliches Licht. Die Friedhofsarbeiter stießen alsbald auf einen festen Widerstand. Tatsächlich fand sich der weiße Kindersarg noch immer im Grab, allerdings war der Sargdeckel offensichtlich mit einer Axt oder einem Spaten aufgeschlagen worden. Der Sarg war leer. Im Inneren fanden sich überall Sand- und Erdantragungen. Die weiteren Spurenuntersuchungen und insbesondere der Nachweis von Gewebespuren des Kindes an dem Sarg ergaben, dass das Kind tatsächlich ursprünglich in diesem Sarg gelegen hatte und mit ihm bestattet worden war. Irgendjemand musste den Jungen nach der Bestattung wieder ausgegraben und anschließend das mit reichlich Blumenschmuck und Spielsachen geschmückte Grab so hergerichtet haben, dass es nicht einmal den häufig an das Grab ihres Kindes wiederkehrenden Eltern aufgefallen war. Rund drei Wochen später wurden wir an einem Freitagmorgen erneut zu dem Friedhof gerufen, weil man »vor einem Rätsel« stand: Am Nachmittag zuvor hatten Friedhofsarbeiter in der Friedhofskapelle vier Särge nebeneinander aufgestellt, die am nächsten Tag jeweils bestattet werden sollten. Als die Arbeiter nun morgens in die Friedhofskapelle kamen, waren nur noch drei Särge vorhanden. Der vierte fehlte. Die Überprüfung der noch vorhandenen drei Särge ergab, dass in zwei Särgen der dazu gehörende Verstorbene lag, und sich in dem dritten Sarg zwei Leichen befanden! In den Sarg eines verstorbenen alten Mannes war noch die Leiche einer alten Frau gelegt worden. Der Sarg dieser Frau war verschwunden – und wurde, um es vorweg zu nehmen, auch nie wieder gefunden. Die Ermittlungen vor Ort ergaben, dass jemand durch ein gewaltsam geöffnetes Kellerfenster in den Leichenkeller der Friedhofskapelle eingedrungen war, die Leiche der Frau in den Sarg des Mannes gelegt und anschließend die Kapelle mit dem leeren Sarg der Frau durch die von innen geöffnete Kapellentür verlassen hatte. Zusätzlich waren aus den übrigen drei Särgen einige Leichentücher entwendet worden. Vor der Kapelle verloren sich die Spuren alsbald im trockenen festen Boden der Friedhofswege. 160 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe
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