16 Hannover Neue Presse Donnerstag, 10. Dezember 2015 Nr. 288 Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 900 000 Menschen, lediglich fünf Prozent davon werden obduziert. Herzinfarkt oder Giftmord? Wenn das Leben endet, beginnt die Arbeit der Rechtsmediziner. Was sie übersehen, bleibt für immer unentdeckt. Ihr Arbeitsalltag ist nichts für schwache Nerven. Der Anwalt der Toten von britta lüers hannover. seit sechs Jahren leitet Michael Klintschar (50) die rechtsmedizin an der MHH, zu der auch der standort oldenburg gehört. „Wir sind Dolmetscher zwischen Medizinern und Juristen“, erklärt der Professor seinen beruf. toxikologische Untersuchungen, vaterschaftstests und andere Dna-vergleiche, Untersuchungen von missbrauchten oder misshandelten Kindern und Frauen. Klintschar: „Unsere arbeit ist sehr vielfältig. Dennoch sind obduktionen unsere präsenteste aufgabe.“ Die 14 rechtsmediziner in Hannover und oldenburg obduzieren jedes Jahr rund 1000 leichen. sehr gering seien die obduktionszahlen in Deutschland, bedauert der arzt. Die Folgen könnten fatal sein: „Man befürchtet, dass jeder zweite Mord einfach nicht erkannt und fälschlicherweise als natürlicher tod abgetan wird.“ Quincy, Csi, tatort-Kultfigur Professor boerne – rechtsmediziner genießen im Fernsehen einen regelrechten Kultstatus. Michael Klintschar mag diese aufmerksamkeit, auch wenn tv und realität weit auseinanderklaffen – „aber genauso weit, wie der Münster-tatort von der echten rechtsmedizin entfernt ist, genauso wenig hatte früher die ‚schwarzwaldklinik‘ mit dem beruf des Chirurgen zu tun“. Dennoch sei es immer noch besser, „in aller Munde zu sein als gar nicht präsent“, so Klintschar. Und so kommt es inzwischen oft vor, dass schon Kinder und Jugendliche ein Praktikum im institut machen wollen: „anfrage von Minderjährigen lehnen wir grundsätzlich ab. Das ist nichts für zarte Kinderseelen, was wir hier machen.“ auch er hat drei Kinder. Wie erklärt er ihnen, was Papa macht? Klintschar: „ich helfe der Polizei.“ Ursprünglich wollte er sogar auf andere räume zurückgreifen“, untersuchen, dann thront neben ihnen Gastroenterologe (innere Medizin) oder erinnert er sich. Man brauche einen „sehr ein staatsanwalt oder Kripo-beamter: verdrängungsmechanismus“, „Zusammen mit dem beamten legen wir Pathologe werden. aber es kam anders. guten leichen sind nun sein alltag. bereut er sonst zerbreche man an diesem beruf, zu beginn der obduktion die Fragesteles? „nein, auch wenn ich nicht leug- gesteht er: „ich brauchte ein paar Jahre, lung fest: Warum ist die Person gestorben? oder auch: Wie nen möchte, dass es auch zweifelnde bis ich mich damals kam der tod?“ an den beruf gewöhnt Momente gab.“ Die leiche liegt stets vor dem obduktionssaal liegt der Kühl- habe. Das hat viel überauf dem matten Metallraum. Hier warten die toten auf ihren ter- windung gekostet.“ Pietisch, in dessen Mitte min. süßlich riecht es. ist das der Geruch tätvoll müsse man in eine ablauffuge ist. Grelder toten? Klintschar: „ich rieche das diesem beruf sein, das leslichtstrahltvonoben. nicht mehr.“ Hier ist Platz für mehr als glauben rechtsmediziMHH-Rechtsmediziner auf einem beistelltisch zwei Dutzend leichen. Geschützt im lei- ner Klintschar und der Michael Klintschar über die wartet das arbeitsgerät chensack werden die Körper in fünf Grad Präparator gleichermaBedeutung von Obduktionen der rechtsmediziner: kühle boxen geschoben. ein roter Zettel ßen: „es ist egal, ob ein die Zange für die ripmit namen und Geburtsdatum der leiche erfrorener obdachloser pen, ein schöpflöffel für ist das einzige indiz dafür, wer hier hinter oder ein ermordeter der schweren tür ruht. Drei tage, selten Professor vor uns auf dem tisch liegt. das blut, eine Handsäge für den schädel, alle verdienen den gleichen respekt.“ kurze und lange Messer für Hautschichlänger, bleiben sie hier, so Klintschar. am ende des raumes steht die raum- eine sache kann der Präparator jedoch ten, Gehirn oder organe. Pinzetten, löffel, hohe tiefkühlbox. Minus 16 Grad. ein Prä- auch nach 37 berufsjahren im obduk- scheren, skalpell und zuletzt nadel und parator erklärt: „Da kommen leichen tionssaal nicht aushalten: „Wenn hier Kin- grober Zwirn. Zwei stunden dauert eine rein, die länger gelegen haben und schon der liegen. Das bekommt man nie wieder obduktion, in seltenen Fällen auch bis von Maden durchsetzt waren. Die werden aus dem Kopf. Das nimmt man abends zu vier. Klintschar: „in schichten arbeiten wir den Körper durch, schauen zum vorm Öffnen runtergekühlt, damit die mit nach Hause.“ Mit einem Fußzettel, auf dem name beispiel, welche organe verletzt sind.“ tierchen ruhig werden.“ seinen namen nennt der Mann nicht. er ist hier der und Geburtsdatum stehen, werden die alles wird dokumentiert. organe gewoleichen zur obduktion gen, blut gemessen, Körperflüssigkeiten Dienstälteste, am Jahgeschoben. „Damit es auf toxische stoffe untersucht. „Das alles resende ist schluss: nicht zu einer fatalen passiert sehr würdevoll“, sagt der rechts„Dann habe ich auch verwechslung kommt“, mediziner, „das sind ja keine seelenlosen genug leichen für ein sagt Klintschar. täglich Wesen, die vor uns liegen, sondern Menganzes Menschenleben werden im schnitt zwei schen – zu denen wir aber keine persönligesehen“, sagt er. leichname obduziert. che beziehung haben, sonst könnte man als der iCe „Wilhelm angehörigen bleibt der das kaum machen.“ im studium habe Conrad röntgen“ im anblick erspart. „Meist er den Umgang mit lebenden gelernt, Juni 1998 in eschede Ein Präparator freut sich sind es keine Morde, son- aber auch mit toten: „Da verliert man die entgleiste, gehörte der nach 37 Berufsjahren dern natürliche tode, die abscheu.“ Frustriert es nicht, immer nur Präparator zum team. auf die Rente. wir untersuchen“, erklärt mit vergänglichkeit konfrontiert zu sein? „Da haben wir 100 leider 50-Jährige. Wenn „absolut nicht! nirgendwo lernt man so chen in drei tagen obduziert. Das war schon heftig.Wir haben hier Klintschar und seine Kollegen in einem viel wie hier. von den toten lernen wir für nur drei obduktionstische, wir mussten Kriminalfall leichen nach Mordspuren die lebenden.“ UNTER TOTEN: Der Leiter der MHH-Rechtsmedizin Michael Klintschar steht am Obduktionstisch. Auf dem Metalltisch, bedeckt mit einem Laken, liegt bereits der nächste Leichnam. Täglich werden hier bis zu vier Tote obduziert. Von den Toten lernen wir für die Lebenden. ARBEITSGERÄT: Dutzende Messer, Scheren, Zangen, Pinzetten, Löffel und Sägen warten auf den nächsten Einsatz. Fotos: Behrens WIEGEN UND MESSEN: Jedes Organ – vom Gehirn bis zur Leber – wird während der Obduktion begutachtet und gewogen. Jedes Detail ist wichtig für den Bericht. KÜHLRAUM: Geschützt im Leichensack liegen die Toten bis zur Obduktion in einzelnen Kühlkammern. Die Temperatur beträgt dort fünf Grad. WACHPOSTEN: Auf diesem Platz nehmen Staatsanwalt oder Kripo-Beamter während der Obduktion Platz. Sie sind während des ganzen Eingriffes anwesend. Dann habe ich genug Leichen für ein Menschenleben gesehen. Zapfenstreich: Friedensbüro demonstriert gegen Terrorkrieg hannover. Mit einem Protestzug will das Friedensbüro heute die 1. Panzerdivision aus Hannover verabschieden. start der aktion ist um 16.30 Uhr am Kröpcke. „sie stand für den einsatz in afghanistan. Jetzt geht es um einen bundeswehreinsatz in syrien. Wir protestieren gegen die deutsche beteiligung an diesem neuen Krieg gegen den terror“, erklärt agnes Hasenjäger vom Friedensbüro. Währenddessen werden rund 700 bürger und 500 geladene Gäste die Division mit einem Großen Zapfenstreich auf dem trammplatz vor dem neuen rathaus verabschieden. Gestern war bereits die große, überdachte tribüne zu sehen, die dazu aufgebaut wurde. Der Große Zapfenstreich ist das höchste militärische Zeremoniell der bundeswehr. er wird von soldaten des Wachbataillons gestaltet – mit Fackeln und Militärmusik. Weil sich verteidigungsministerin Ursula von der leyen und weitere hochrangige Gäste angekündigt haben, gelten strenge sicherheitsvorgaben. Für den äußeren sicherheitsring ist die Polizei zuständig, für den inneren die Feldjäger, die auch sprengstoffspürhunde einsetzen werden. boh STAND GESTERN SCHON: Die große Tribüne für rund 500 Ehrengäste, die beim Großen Zapfenstreich zum Abschied der 1. Panzerdivision dabei sein werden. Foto: Petrow Welfengarten soll wieder zum Prunkstück werden Uni investiert drei Millionen Euro in Aufwertung des Geländes von anDreas Krasselt hannover. Der Welfengarten hinter der leibnizUni ist so etwas wie das vergessene stiefkind der Herrenhäuser Gärten. Doch eigentlich gehört auch er zu dem Gesamtensemble – nur merkt das keiner. Das soll jetzt anders werden. Mit der siegerehrung nach einer Mehrfachbewerbung für die neugestaltung wurde gestern der startschuss zu einer aufwertung des Gartens gegeben. Unter vier entwürfen konnten sich die ideen der berliner landschaftsarchitekten Kamel louafi und Dörte eggert-Heerdegen mit großem erfolg durchsetzen. Derzeit bietet der Welfengarten keinen attraktiven anblick. er ist geprägt von trampelpfaden, ver- müllung ist ein riesenproblem. Doch die neugestaltung soll die unterschiedlichen nutzerinteressen von nordstädtern, studieren- den und Uni-Mitarbeitern unter einen Hut bringen. „Wir wollen einen lebendigen raum, in dem sich alle wohlfühlen“, betonte Uni- DIE SIEGER: Dörte Eggert-Heerdegen und Kamel Louafi vor der Präsentation ihres Entwurfs. Foto: Treblin Präsident volker epping. Der siegerentwurf will den ursprünglichen Charakter durch neue sichtachsen auch von außen wieder spürbar machen. bei der Wegeführung verzichtet er auf eine Mittelachse, setzt aber auf einen rundweg, der auch Joggern gefallen sollte. Zentrales element des alten barockgartens war die längst zugeschüttete Graft. verschiedene Materialien sollen nun deren spuren nachzeichnen: ein kleiner see, eine weiße sitzplattform. blattförmige sitzflächen sollen zum entspannen einladen. Drei Millionen euro innerhalb von zehn Jahren will die Uni investieren. Die 30 000 euro für die Mehrfachbeauftragung steuerten der Freundeskreis der Herrenhäuser Gärten bei. Christuskirche hat wieder ein Taufbecken – aber vieles fehlt hannover. auf dem Weg vom reinen Gotteshaus zum Kirchen- und Jugendchorzentrum ist die Christuskirche (nordstadt) wieder einen schritt weiter: Gestern wurde das 2012 im Zuge der innensanierung ausgebaute und zur restauration ausgelagerte taufbecken wieder installiert. Die instandsetzung und auffrischung des aus dem Jahr 1864 stammenden bronzebeckens hätten rund 15 500 euro gekostet, sagt Pastorin stefanie sonnenburg (47): „Das Geld hat uns die Wenger-stiftung zur verfügung gestellt. von ihr haben wir auch über 30 000 euro für die instandsetzung von altar und Kanzel erhalten.“ Diese arbeiten laufen noch, auch zwei radleuchter werden noch restauriert. Um den altar-Umgang zu sanieren, fehle derzeit das Geld, daher bleibe der bereich gesperrt. Für die gesamte innensanierung seien bisher gut 2,4 Millionen euro aufgewandt worden. Der fertiggestellte Mädchenchorbereich sei dabei vom Chor selbst finan- ziert worden. als letztes mit den verfügbaren Mitteln finanziertes Projekt soll die innenverglasung der Fenster bis april/Mai abgeschlossen sein. laut sonnenburg fehlen noch etwa 150 000 euro, um altarumgang samt sakristei neu zu gestalten, für den außeneingang und akustiksegel – und für die restaurierung der orgel der Christuskirche wären weitere 250 000 euro nötig. rahü RÜCKKEHR: Das Taufbecken der Christuskirche kehrte gestern an seinen Platz zurück. Fotos: Heusel
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