Bodenkundliche und hygienische Aspekte bei der Bewertung von Friedhöfen Beitrag zum Lehrgang für HygienekontrolleurInnen am 10. November 2015 in Düsseldorf Dr. Michael C. Albrecht entera Ingenieurgesellschaft für Planung, Forschung und Information Fischerstraße 3 30167 Hannover 0511 / 16789-0 www.entera.de [email protected] © Michael C. Albrecht THEMENÜBERSICHT Friedhof und Gesundheitsamt Grundlagen Statistik Prozesse des Leichenabbaus Anforderungen bodenkundlich-hygienisch Ruhefristenregelung Dokumentation der Leichenumsetzung Einflussfaktoren der Leichenumsetzung Grabart Technische Maßnahmen Grabtiefe Sarg Bekleidung Grabpflege.... Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur www.destatis.de Immer mehr Deutsche leiden unter Fettleibigkeit Friedhofssituation •Friedhofszwang in Deutschland •30.000 Friedhöfe •Friedhofswesen ist hoheitliche Aufgabe •FH-Träger kommunal/kirchlich/privat •Urnen/Erdbestattungen •Sargzwang •Waldbestattungen •Seebestattung •Weltraumbestattung •Aschestreuen... Memento homo, quia pulvis es et in pulverem reverteris „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staube zurückkehren wirst!“ Was passiert mit der Leiche? -Beisetzungsformen in MitteleuropaErdbeisetzung Urnenbeisetzung mit Einäscherung • im Sarg • im Erdreich • ohne Sarg • im Wasser • mit Erdkontakt • im Weltraum • ohne Erdkontakt • auf dem Kaminsims PROZESSE DES LEICHENABBAUS Die erdbestatteten Leichen unterliegen im Boden unter optimalen Bedingungen einer weitgehenden Zersetzung. Aus biologischer Sicht lassen sich dabei verschiedene aufeinanderfolgende Zersetzungsvorgänge der Leiche unterscheiden: 1. Autolyse 2. Fäulnis (3-9 Monate) 3. Verwesung (4-6 Jahre) Ergebnis: - CO2, Wasser, Mineralstoffe - Großknochen PROZESSE DES LEICHENABBAUS A U T O L Y S E F Ä U L N I S 3-9 Mon VERWESUNG 4-6 Jahre LEICHENUMSETZUNG ALLGEMEIN LEICHENUMSETZUNG ALLGEMEIN • • • • Autolyse durch: zelleigene Enzyme Zerstörung makromolekularer Stoffe z. B. Austritt von Wasser Todeszeichen: Totenflecke, Totenstarre Dauer: Stunden bis wenige Tage Mikrobieller Abbau: • Wachstum von Mikroorganismen und Mineralisation durch mikrobielle Stoffwechselvorgänge Aasfresser: • Insekten, Insektenlarven • Kleintiere, z. B. Ratten • Vögel: Geier, Krähen (Schweigende Türme Indien (Parsen) LEICHENUMSETZUNG ALLGEMEIN Einflussfaktoren und Voraussetzungen für Mikroorganismenwachstum • Mikroorganismen • Temperatur 0 bis 70°C, Optimum 30°C bis 40°C • Feuchtigkeit • Sauerstoff Im Wald der Leichen: Beitrag über die Body Farm/USA Video Bodyfarm PROZESSE DES LEICHENABBAUS Unterteilung eines Grabes in Tiefenabschnitte (doppelte Bestattungstiefe) Unterteilung eines Grabes in Tiefenabschnitte (einfache Bestattungstiefe) 0 0 50 Überdeckung 50 100 100 Sar g zone Sar g zone 150 150 200 Überdeckung Fi l t e r zone 200 250 250 Tief e unter GOK (cm) Tief e unter GOK (cm) 300 300 Sar g zone Fi l t e r zone PROZESSE DES LEICHENABBAUS 28. Aug 28. Jul 09. Jun 05. Mai 21. Apr 07. Apr 24. Mär 09. Dez Ablesedatum 17. Feb 04. Nov 01. Sep 01. Jul 20. Jun 03. Jun 20. Mai 06. Mai 22. Apr Peilbrunnenmessungen 0,00 -0,50 -1,00 -1,50 -2,00 -2,50 -3,00 -3,50 -4,00 Filt erzone Brunnen 1 Brunnen 2 Brunnen 3 PROZESSE DES LEICHENABBAUS Boden-pH Material der Bodenoberfläche Bekleidung Einbals am ierung Körpergröße und Gewicht Nieders chlag Feuchtigkeit/Trockenheit Verletzung Fleis chfres s er/Nager Begräbnis und Tiefe Zutritt durch Ins ekten Tem peratur 0 1 2 3 Gewichtung von Einflussfaktoren des oberflächennahen Leichenabbaus (1 -geringer Einfluss, 5 -starker Einfluss) Verändert nach MANN et al., 1990 4 5 PROZESSE DES LEICHENABBAUS Verwesungsstörungen Untersuchungen von GRAW und HAFFNER (2001) zeigen in einer landesweiten Untersuchung in Baden-Württemberg, dass fast 40 % der beteiligten Gemeinden und Städte Verwesungsprobleme auf den Friedhöfen haben. Allgemeine Ursachen Ungeeignete Böden „Verwesungsmüdigkeit“ PROZESSE DES LEICHENABBAUS LEICHENWACHS (Adipocire) weißliche bis schmutzig graue, schmierig-weiche bis krümelig-feste, geruchlose bis modrig riechende und sich fettig anfühlende Lipidmasse chemisch: kein Wachs Wachs = Ester von Fettsäuren + Alkohol sondern: Fettsäuren und ihre Salze PROZESSE DES LEICHENABBAUS Bewertung von Grabkellern Bewertung der Umweltgefährdung, da Lage in Wasserschutzgebiet – Zone 3 PROZESSE DES LEICHENABBAUS Verwesungsstörungen- Mumie in Mitteleuropa EINFLUSSFAKTOREN DER LEICHENUMSETZUNG Die biologische Umsetzung der Leiche unterliegt verschiedenen Einflüssen: FIX Wasser-Luft-Haushalt im Boden VARIABEL Grababdeckung Bodenmaterial Bodenschutz INDIVIDUELL Wassereinfluss Gewicht der Leichen Grabeinbau Ernährungszustand Technik Medikation Bekleidung Gießwasser Sarg ANFORDERUNGEN an die Grabanlage nach Hygienerichtlinien, NRW 2001 Freisetzung von Verwesungsgerüchen Autolyse Fäulnis Verwesung Filterung Grundwasserschutz WSG HYGIENE-ANFORDERUNGEN Die Bodenbeschaffenheit muss laut HygieneRichtlinien (NRW, 2001) folgende Anforderungen erfüllen: schnelle und vollständig aerobe Verwesung gute Filter- und Sorptionseigenschaften kein Grund- oder Stauwassereinfluss Wie muss der Boden beschaffen sein? KELLER, 1963 Wie lange dauert die Leichenumsetzung? Dauer der Leichenverwesung im Boden anhand von Graböffnungen Autor RHEINHARD, 1881 Dauer 7 Begleitumstände Sand- und Kiesboden in Sachsen Lehmboden in Sachsen 9 KIENE, 1875 20 Jahre und mehr Schwerer Lehmboden in Holstein Lössboden WERNICH, 1893 GÄRTNER, 1919 ???? mehr als 35 Jahre Schwerster undurchlässiger Keuperlehm Lössboden ANTON , 1940 11 und 15 Jahre Wachsleichenbildung in Kommungräber HOFMANN & MAY, 1943 Nach 8 Jahren völlige Leichenzersetzung Lössboden Skelettreicher Boden (60 % Kies, 40 % Sand) Sand- und Kiesboden SCHÜTZENMEISTER, 1972 3-10 bis über 50 Jahren Bei ungünstigen schweren, vernässten Böden Prozesse des Leichenabbaus Zusammensetzung des menschlichen Körpers • 50 % Wasser • 15 % Knochen • 35 % org. Substanzen (Eiweiß, Zucker und Fett) Sauerstoffbedarf für mikrobiellen Abbau zu CO2 + H2O 1 kg Glucose = 1,07 kg O2 1 kg Stearinsäure = 2,92 kg O2 für einen 75 kg schweren Leichnam (35% org. Substanz entspricht 26,25 kg) = 39 bis 65 kg O2 150 - 220 m3 Luftvolumen Wieviel wiegen Sie? Ergebnis einer Umfrage in Deutschland zum Körpergewicht. Im Jahr 2014 gaben rund 10,8 Prozent der Befragten an, 100 kg oder mehr zu wiegen. / Quelle: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/278037/umfrage/koerpergewicht-in-deutschland Prozesse des Leichenabbaus Verwesungsdauer im Boden Prozesse des Leichenabbaus Veränderungen der Körperzusammensetzung Körperfett Körperprotein-/Kohlenhydrate Körperwasser Knochen Zunehmendes Körpergewicht Zusätzlicher Sauerstoffbedarf im Boden • Sargholz • Blumenschmuck • Totenkleidung • Sargauskleidung Verwesungsstörung Wachsleiche durch: Sauerstoffmangel in Folge von: • hohem Wasserstand • stauender Nässe • dichtes Bodenmaterial z.B. Ton • luftundurchlässige Bodenschichten • unzureichender Luftaustausch • Wasseransammlung im Sarg durch Folien und Ähnliches • Leichenbekleidung • Pietätsartikel Relevanz von verwesungstörten Leichen Friedhofsnutzung • Erhöhter Flächenbedarf und Verzögerung bei der Graberstellung. • Verwesungsgestörte Leichen können den Betriebszweck „Friedhof“ in Frage stellen. • Psychische Belastung der Mitarbeiter • Entsorgung von Reststoffen Relevanz von verwesungstörten Leichen Potentielle Gesundheitsgefährdung von verwesungsgestörten Leichen • Übertragung von Krankheitserreger • Freisetzung toxischer Stoffe Ruhefrist: Regelung „Unter Ruhezeit [Ruhefrist] versteht man den Zeitraum, innerhalb dessen ein Grab nicht erneut belegt werden darf. Diese Frist soll sowohl eine ausreichende Verwesung der Leichen gewährleisten, als auch eine angemessene Totenehrung ermöglichen.“ (Gaedke, 1997) Die Festlegung der Ruhefrist für Erdbestattungen erfolgt in Abhängigkeit von den Boden- und Wasserverhältnissen sowie der davon abhängigen Verwesungsdauer. Ruhefrist: Ausgangssituation Bestattungsgesetze Nutzer Pietät Friedhofssatzung Ruhefrist: Ausgangssituation Prognose - Erfahrungswerte - Simulation mit RuheSoft Überprüfung der Ruhefrist bei - Wiederbelegung - Exhumierung - Umbettung Ruhefrist: Mindestruhefristen in Deutschland Land Baden-Württemberg Mindestruhezeit [Jahre] 6 Bemerkung Kinder (Alter <2) 10 Kinder (Alter <10) 15 Erwachsene/Aschen Rheinland-Pfalz 15 Hessen 25 unabhängig von Alter und Bestattungsart Kinder (Alter <5) 30 Kinder/Erwachsene (Alter >5) Niedersachsen 20 Nordrhein-Westfalen 25 Kinder (Alter <5) 30 Kinder/Erwachsene (Alter >5) 10 Kinder (Alter <2) 15 Kinder (Alter < 13) 20 Erwachsene/Aschen Sachsen Multikulturelle Bestattungssitten Islam Judentum Sinti und Roma Yezidenzum Zoroatrismus Hinduismus Buddhismus Ethnische Gemeinschaften Neuheidentum Konfessionslose Multikulturelle Bestattungssitten - Islam Beisetzung innerhalb von 24 Stunden, nach deutschem Recht frühestens nach 3 Tagen Tuch statt Sarg Eigene ungenutzte Gräberfelder Ausrichtung nach Mekka Spezielle Räume für Abschiednahme und rituelle Waschung Multikulturelle Bestattungssitten - Islam www.gebetsrichtung.de Multikulturelle Bestattungssitten - Islam Quelle: http://www.fr-online.de/kreis-gross-gerau/muslimisches-musterbegraebnis-begraebnis-ohneleiche,1473014,22526568.html Multikulturelle Bestattungssitten Islam Angehörige (in der Regel Söhne, Brüder, Onkel) tragen den Sarg auf Schultern zur Grabstätte. In islamischen Ländern wird das Grabloch nur hüfttief ausgehoben – hier ca. 160-180 cm. Leichnam wird im Tuch auf die rechte Körperseite, das Gesicht Richtung Mekka gebettet. Quelle: http://www.fr-online.de/kreis-gross-gerau/muslimisches-musterbegraebnis-begraebnis-ohneleiche,1473014,22526568.html Leichenumsetzung: Dokumentation DOKUMENTATION Sargausstattung und Bekleidung Sargausstattung und Bekleidung Anforderungen VDZB Die Bestattungswäsche (Bestattungskleider, Decken, Kissen, Sargbespannung, Sargmatratzen) soll in Anlehnung an die VDIRichtlinie 3891 aus Werkstoffen bestehen, die im wesentlichen nur Elemente Kohlenstoff, Sauerstoff Die die Richtlinie beschreibt denWasserstoff derzeitigenund Stand der Technik enthalten und keine ungesättigten Bindungsanteile (durch von der Kremationsanlagen, die Ursachen für das Auftreten Mehrfachbindungen) aufweisen. schädlichen Umwelteinwirkungen, Maßnahmen zum Diesen Anforderungen entsprechen Zelluloseprodukte (z.B. Vermeiden und Mindern von schädlichen Viskose, Baumwolle) und Zelluloseprodukte mit einem Umwelteinwirkungen, sicherheitstechnische Gesichtspunkte stickstofffreien Synthetikanteil von max. 30% sowie Produkte aus und gibt Hinweise und Empfehlungen zur Beschränkung der Polyalkenen Folien aus Polyethylen und Polypropylen. Emissionen und sowie messtechnische Anleitungen zur Naturprodukte wie Daunen sind ebenfallsberücksichtigt zulässig. PolyamidErmittlung dieser Emissionswerte.Sie neben und/oder polyacrylnitrilhaltige ProdukteAnforderungen sind nicht erlaubt. den rein umweltschutztechnischen an Bestattungswäsche soll die Anforderungen erfüllen, an diePietät sich aus Humankremationsanlagen auch Anforderungen und den Zielen des Umweltschutzes hinsichtlich der Vergänglichkeit Würde, z. B. Vermeidung der Vermischung der Aschen, im Erdreich und bei der Traditionen, Einäscherungdie ergeben. Beachtung regionaler es bei der Feuerbestattung von Menschen zu beachten sind. Sargausstattung und Bekleidung Abbau von Kunststoffen im Allgemeinen • biologisch • physikalisch • chemisch Biologischer Abbau – Biodegradability – ist die Zersetzung von organischem Material durch Einwirkung lebender Organismen (Bakterien, Pilze und andere Mikroorganismen). Abbauprodukte können fest, flüssig oder gasförmig sein. Es ist es weitgehend unbekannt, ob toxische Zwischenprodukte beim Abbau entstehen und damit Grundwasser oder Luft verunreinigt werden. Sargausstattung und Bekleidung Abbau von Pietätsmaterialien Allgemein • • • • • Keine UV-Strahlung Frei von Wasser Durchschnittsjahrestemperatur etwa 6°C. Sauerstoff mangel Bodenorganismen halten sich in der Krume auf. Speziell Mikroorganismen können die Polymere der Biomasse nicht direkt verstoffwechseln, sondern sie müssen sie in kleinere Einheiten, Mono- und Oligomere, zerlegen. In der Regel ist diese Depolymerisierung der geschwindigkeitsbestimmende Schritt. Sargausstattung-Alternativen Sargausstattung-Alternativen Schriftenreihe des Vereins für Wasser-, Boden- und Lufthygiene 113 Die Verwesung aus hygienischer und bodenkundlicher Sicht in zwei Teilen von D. Schoenen und M. C. Albrecht Eigenverlag Verein WaBoLu • Berlin • 2003 Bezugsquelle: Hygiene-Institut des Ruhrgebietes, Gelsenkirchen Promotion an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover Bodenkundlich-hygienische Untersuchung von Friedhofsflächen. Verwesungsstörungen auf dem Friedhof. Dokumentation und Ursachenermittlung von M. C. Albrecht HORIZONTE, Band 22, Hannover. Bezugsquelle: Der andere Verlag
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