Das abenteuerliche Schicksal von Werner Munzinger - E

Das abenteuerliche Schicksal von Werner
Munzinger-Pascha : kleine Biographie
Objekttyp:
Chapter
Zeitschrift:
Jahrbuch für solothurnische Geschichte
Band (Jahr): 63 (1990)
PDF erstellt am:
14.03.2016
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DAS ABENTEUERLICHE SCHICKSAL
VON
WERNER MUNZINGER-PASCHA
I.
KLEINE BIOGRAPHIE'
Werner Munzinger wurde am 21. April 1832 in Olten als jüngster
Sohn Josef Munzingers2 geboren. Der Vater war Kaufmann, wissen¬
schaftlich gebildet, musikalisch, ein Mann von Humanität; im An¬
fang des 19. Jahrhunderts wurde er als politischer Streiter Führer der
Liberalen. Nachdem er sich als Landammann in der solothurnischen
Regierung und als Tagsatzungsabgeordneter auf eidgenössischem
Boden durch Können und Weitsicht einen Namen gemacht hatte,
berief ihn die Bundesversammlung 1848 in den ersten Bundesrat.
Von seiner zweiten Frau Anna-Maria Lüthi hatte er 10 Kinder. Der
jüngste Sohn Werner war ihm innerlich verwandt durch seine kühne
Tatkraft, «die nicht an den Aufgaben in seinem eigenen Land Genü¬
ge fand, sondern hinaus strebte über Europa hinweg nach dem uner¬
forschten Afrika». Nach dem Besuch der Kantonsschule in Solo¬
thurn folgte er seinem Vater nach Bern, wo er an der Universität
Vorlesungen in Physik, Chemie und physikalischer Geographie be¬
suchte. Daneben studierte er privatim alte und neue Sprachen. Nicht
leicht fiel ihm die Berufswahl. Schliesslich entschied er sich für ori¬
entalische Sprachen, deren Studium er in München und Paris, an der
Seite seines jus studierenden Bruders Walther, vertiefte. Hier reifte
schliesslich der Entschluss zur Auswanderung nach Afrika. Sein
-
Dietschi Peter: Werner Munzinger Pascha, Olten 1876
Keller Zschokke J. V. Betätigung Werner Munzingers von Solothurn bei der Auf¬
suchung des in Wadai verschollenen Dr. Ed. Vogel von Kreefeld, Solothurn 1912.
Keller Zschokke J. V.: Werner Munzinger- Pascha, Aarau 1891
Bitterli Urs: Werner Munzinger Pascha, Tagesanzeiger-Magazin Nr. 45, 1975.
Eine längst überfällige umfassende Neudarstellung des Lebens von Werner Munzin¬
ger könnte mit Erfolg von den im obenerwähnten Aufsatz von Urs Bitterli enthalte¬
nen modernen Beurteilungskriterien ausgehen. Dabei wäre auch das noch unerschlossene Quellenmaterial in den Archiven von Paris und London endlich auszuwerten.
Andrerseits ist wie mir Botschafter Beat von Fischer vor Jahren mitgeteilt hat in
Kairo nichts mehr zu finden, da dort bei Anlass der ägyptischen Revolution das
Staatsarchiv weitgehend zerstört worden sei.
2
Josef Munzinger (1791-1855): Haefliger Hans: Bundesrat Josef Munzinger, Solo¬
thurn 1953, S.361.
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Übersichtskarte des Forschungsgebiets von Werner Munzinger (nach Keller Zschokke: Werner Munzinger-Pascha, Aarau 1891)
Grenzen des von Munzinger als Pascha verwalteten Gebiets zur Zeit seiner
grössten Machtfülle.
Auge gespannt und erwartungsvoll in die unbekannte Zukunft ge¬
richtet, erfüllt von jugendlicher Abenteuererwartung und fast unju¬
gendlichem Ernst: So hat sein Landsmann Frank Buchser den
20jährigen «à la veille de son départ pour l'orient» im Bild festgehal¬
ten.3
Da seine Familie nicht auf Rosen gebettet war, musste er seinen
Unterhalt selber verdienen. So trat er in Alexandrien in den Dienst
eines Handelshauses, in dessen Auftrag er im Sommer 1854 an den
Küsten des Roten Meeres Handelsgeschäfte betrieb. Die Expedition
endete im Herbst in Massaua mit der Liquidation der Handelsgesell¬
schaft. Von Massaua aus gelangte er als erster Europäer ins nordabessinische Gebirgsland, in das Land der Bogos. Er fand dort einen
christlichen Stamm von etwa 10000 Seelen, der ein prächtiges Hoch¬
tal bewohnte. Der Hauptort Keren bestand aus ca. 300 runden
Frank Buchser: Bildnis Werner Munzinger, Öl auf Holz (Originalgrösse 23 x 29
cm) Paris 1852. Privatbesitz Dr. Tino Kaiser, Bern.
3
Strohhütten an der Kreuzung zweier Handelsstrassen, wo Händler
ihre Waren austauschten (Baumwollstoffe, Kattun und Musshn ge¬
gen Butter, Elfenbein, Felle, Büffelhörner und Straussenfedern).
Werner Munzinger lebte hier als einfacher, bedürfnisloser Mann. Er
heiratete eine einheimische Witwe, deren Sohn er adoptierte. Ach¬
tung und Anerkennung seiner Mitmenschen erwarb er durch seine
Sprachkenntnis und seine gerechte und verständnisvolle Art, mit der
er oft Streitigkeiten als Schiedsrichter beilegen konnte. So gewann er
mehr und mehr Einblick in die Sitten und Gebräuche, in Sprache
und Abstammung der Bogos. Aus der Verbindung dieser persönli¬
chen Erfahrungen und eines ungewöhnlichen wissenschaftlichen In¬
teresses entstand sein erstes grösseres Werk «Über die Sitten und
das Recht der Bogos»,4 ein Werk, das sich völlig vom bisher allge¬
mein üblichen Typ des Reiseberichtes unterschied. Die Tatsache,
«dass Munzinger das Rechtssystem eines Volkes zum Gegenstand
seiner Arbeit nahm», in einer Zeit, in der viele Gelehrte das Vorhan¬
densein von Rechtsregeln in archaischen Kulturen noch bestritten,
ferner dass er «das Rechtssystem der Bogos nicht aus dem Vergleich
mit europäischen Verhältnissen, sondern ganz aus den Bedingungen
ihrer eigenen Kultur» begriff, kennzeichnet dies Werk als «ethnolo¬
gische Leistung allerersten Ranges».5 Vor allem durch dieses Werk
wurde Werner Munzinger in Fachkreisen bekannt und bekam den
Ruf eines gelehrten Forschers. So kam es, dass er 1860 als Mitglied
der grossen deutschen Forschungsexpedition nach Zentralafrika er¬
nannt wurde. Diese Expedition, die im Auftrag eines Komitees in
Gotha organisiert wurde, stand unter der Leitung des Afrikakenners
von Heuglin.6 Ihre Hauptziele waren: Aufhellen des Schicksals des
seit 4 Jahren verschollenen Forschers Dr. Vogel und Erforschen der
westabessinischen Gebiete von der Küste des Roten Meeres bis Kordofan und Wadai. Die Expedition brach im Sommer 1861 von Mas¬
saua auf, führte im Land der Bogos und der Marea bedeutsame
ethnologische Forschungen durch und wandte sich dann nach dem
abessinischen Hochland. Während von Heuglin sich im November
entgegen dem ursprünglichen Auftrag nach Süden, nach dem ei¬
gentlichen Abessinien wandte, setzte Munzinger, nunmehr als Leiter
der Expedition, im Auftrag des Komitees von Gotha den Weg nach
Westen fort. Dem Mareb entlang gelangten sie unter schwersten
-
4
Werner Munzinger: Über die Sitten und das Recht der Bogos, Winterthur 1859.
5
Bitterli Urs, vgl. Anm.
-
1.
Theodor von Heuglin: königl. württembergischer Hofrat, österreichischer Konsul
für Zentralafrika in Chartum. Reisen nach Abessinien, in den Nilländern, am Roten
Meer und nach Somaliland. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen.
6
-
Strapazen durch Länder, die noch kein Europäer betreten hatte,
durch das Land der Kunama und Barea über Kassala und Chartum
am Nil im Frühjahr 1862 nach El Obeid. Das weitere Vordringen ins
Wadai-Land scheiterte an seltsam verklausulierten Morddrohungen
des Sultans von Wadai. Es gelang aber Munzinger dank seiner
Kenntnisse der arabischen Sprachen, in vielen Gesprächen mit Ein¬
heimischen mit Sicherheit in Erfahrung zu bringen, dass der For¬
scher Dr. Vogel 1856 ermordet worden sei. Damit war der Haupt¬
zweck der Expedition erfüllt, und Munzinger brach am 14. Juli 1862
von El Obeid auf und kehrte über Keren, Massaua und das Rote
Meer nach Europa zurück, wo er nach lOj ähriger Abwesenheit im
Februar 1863 eintraf und seinen Auftraggebern Bericht erstatten
konnte.
Die wissenschaftliche Ausbeute schlug sich nieder in verschiede¬
nen Aufsätzen, die 1864/65 in den «Geographischen Mittheilungen»
von Petermann und in Dillmanns «Lexicon Linguae aethiopicae» er¬
schienen: «Bericht über die Reise von Massaua nach Kordofan»,
«Winkelmessungen und Itinerare zwischen Massaua und Kassala
und in dem Gebiet der Marea», sowie eine besonders wichtige, in la¬
teinischer Sprache verfasste Studie über die Tigresprache samt
einem «vocabularium tigre dialecti septentrionalis». Das grösste und
bedeutungsvollste Werk Werner Munzingers erschien 1864 in
Schaffhausen unter dem Titel «Ostafrikanische Studien». Der Inhalt
ist eine Darstellung der Völker, die zwischen Rotem Meer und Nil
einerseits, zwischen der ägyptischen und der abessinischen Monar¬
chie andererseits leben. «Hier streiten sich Christentum und Islam in
unmittelbarer Nähe. Die Stellung der Grenzvölker wird dadurch fest
bestimmt.» Da sie von den Machtzentren Kairo und Addis Abeba
entfernt leben, «sind sie beiden fremd... sie sind von beiden abhän¬
gig und gehören doch eigentlich zu keiner». So haben sie die Frei¬
heit, «ihr eigenthümliches Leben, Sitte und Recht treu zu bewah¬
ren». Bei zunehmender Festigung der monarchischen Gewalten im
Norden und Süden besteht freilich die Gefahr, dass «der Kampf der
rohen Gewalten diese Völker, die im Wege stehen, erdrücken und
das Grenzland zu einer grossen Wüste machen» werden.7 Von Inter¬
esse ist der weltanschauliche Standort, von dem aus Munzinger diese
Welt der afrikanischen Völker betrachtet. Zwei Grundüberlegungen,
die letztlich auf die Aufklärung zurückgehen und die obschon zur
Zeit Munzingers noch immer umstritten bis heute in der Entwick¬
lungshilfe eine grosse Rolle spielen, sind für ihn massgebend: Einer-
-
-
Werner Munzinger: Ostafrikanische Studien, Schaffhausen 1864: S.4.
seits die Idee der Einheit der menschlichen Gattung und andererseits
die Überzeugung der menschlichen Vervollkommnungsfähigkeit.
Als Beispiel für die erste Idee sei verwiesen auf Munzingers Feststel¬
lung, wonach man in Europa den König von Dahomey wegen seiner
Menschenopfer tadle; wenn man aber die Sitten und das Recht des
dortigen Volks studierte, musste man klar erkennen, dass auch diese
sogenannten Untaten genauso ihre logischen Gründe hätten, wie
einst die Hexenprozesse und Religionskriege in Europa. Und zum
zweiten, zu der Idee der Vervollkommnungsfähigkeit der Mensch¬
heit zwei Zitate: «Kein Volk der Erde verschmäht Unterhaltung,
keines ist frei von Neugierde und Wissenstrieb.»
«Wer nun
wünscht, es möge auch in Afrika und besonders in dem christlichen
Abessinien geistiges Leben und der Trieb zum Fortschritt erwachen,
der habe Bedacht, dessen geistige Verkehrsmittel zu erweitern: man
lehre es lesen!»
Mit der Rückkehr Werner Munzingers nach Afrika im Herbst
1864 begann ein neuer der letzte Abschnitt seines abenteuerli¬
chen Lebens. Mit seiner Frau hess er sich im Dorf Mkullu, Massaua
gegenüber, am Roten Meer nieder. Er besass hier ein freundliches
Strohhaus, umgeben von Garten, Wiesen und Bäumen. Den mehr
als bescheidenen Lebensunterhalt bestritt er durch etwas Handel im
Auftrag einer Zürcher Handelsfirma. Gleichzeitig wurde er französi¬
scher Vizekonsul mit dem Auftrag, die Katholische Mission und die
anderen Europäer in Abessinien und dem Sudan zu schützen. Ein
Jahr später beauftragte ihn Oberst Sir William Merewether, welcher
als politischer Resident in Aden die Angelegenheit Englands in
Abessinien besorgte, mit der Verwaltung des britischen Konsulats.
Dadurch kam Munzinger unvermittelt in Berührung mit der Welt
der Politik, was seinem Leben eine neue Dimension verlieh.
Vor wenigen Jahren hatte sich der abessinische Fürst Kasa als
Usurpator unter dem Namen Theodor II. zum Kaiser von Abessi¬
nien krönen lassen. Da sein Versuch, England als Verbündeten ge¬
gen Ägypten zu gewinnen, misslang, rächte er sich dadurch, dass er
den englischen Konsul Cameron und mehrere protestantische Mis¬
sionare gefangen nahm und beharrlich deren Herausgabe verweiger¬
te. Dies führte dazu, dass das beleidigte Albion die Durchführung ei¬
ner militärischen Strafexpedition gegen Abessinien beschloss. Und
in diesem Zusammenhang entwickelte sich auf Initiative von Mere¬
wether eine enge Zusammenarbeit mit Munzinger. Dank seiner
Kenntnis der örthchen Verhältnisse, seiner Rekognoszierung des be¬
sten Hafens für die Landung eines indischen Invasionsheeres von
über 30000 Mann unter Sir Robert Napier, seiner Sprachkenntnisse
und seines Verhandlungsgeschicks während des Feldzugs, der im
-
-
10
-
Frühjahr 1868 stattfand, endete die Expedition fast ohne Verluste
mit dem Fall der Festung Magdala, der Befreiung der Gefangenen
und dem Suicid Theodors II. Dieser Erfolg war, wie der englische
Kriegsberichterstatter Sir Marham bezeugt, in erster Linie den «un¬
schätzbaren Diensten» Munzingers vor und während dem Feldzug
zu verdanken. In ganz Europa erregte der Erfolg der Expedition Na¬
pier und untrennbar davon die Leistung Munzingers Bewunderung.
Und als die Briten, statt Munzingers Verdienste gebührend zu be¬
lohnen, seinen Konsularposten aufhoben, ging ein «Schrei des Un¬
willens über diese schnöde Behandlung» durch die Presse von ganz
Europa, wie ein Zeitgenosse kommentierte.
Mit dem wachsenden Ansehen wuchs aber auch der Neid gewisser
Kolonisten. Während eines Ritts von Keren im Land der Bogos
nach Massaua am 28. September 1869 wurde Munzinger das Opfer
eines Attentats.8 Von der Verwundung durch drei Kugeln, die aus
einem Hinterhalt auf ihn abgegeben worden waren, erholte er sich
nur langsam. Dies hinderte den unermüdlichen Forscher jedoch
nicht, bereits im folgenden Sommer an einer Expedition des engli¬
schen Kapitäns Miles nach Südarabien teilzunehmen und das Ge¬
biet zwischen Aden und Habban zu kartographieren. 1871 wandte er
seine Aufmerksamkeit erneut den nördlichen Ausläufern des abessinischen Hochlands zu, nämlich dem Land der Beni-Amer und Habâb, das sich zwischen dem Anseba, dem Fluss der Bogos, und dem
Roten Meer nördlich bis Tokar erstreckt.
Die Resultate dieser Expeditionen fanden ihren Niederschlag in
Skizzen und Aufzeichnungen Werner Munzingers, die von dem be¬
rühmten Geografen A. Petermann in Gotha kartografisch ausgewer¬
tet worden sind. Insbesondere drei grosse Kartenblätter der Jahre
1857, 1864 und 1872 vermitteln ein eindrucksvolles Bild der entdekkerischen Leistungen Munzingers. Die bekannte Karte von 18649 als
Beilage zu Munzingers «Ostasiatischen Studien» hält die Ergebnisse
der grossen deutschen Expedition von 1861 und 1862 in Nordabessinien und den Ländern am Mareb, Barka und Anseba fest; neben Th.
von Heuglin und Th. Kinzelbach basiert sie vor allem auf den Arbei¬
ten Werner Munzingers.
-
Pascha,
Bloch Peter André: Das Attentat (von 1869) auf Werner Munzinger
«Oltner Neujahrsblätter» 1968.
9
«Originalkarte von Nord-Abessinien und den Ländern am Mareb, Barka & Anse¬
ba. Ein Ergebnis der Deutschen Expedition 1861 & 1862, und zwar vorzugsweise der
Arbeiten von Werner Munzinger.» Massstab 1:1000000 (Gotha: Justus Perthes 1864
in: W. Munzinger: Ostafrikanische Studien, Schaffhausen 1864).
8
11
-
Die frühe Kartenskizze von 185710 zum Teil Vorstufe der Karte
von 1864 enthält rudimentäre Eintragungen über die Route von
Massaua nach Keren sowie Ortsbezeichnungen längs dem Oberlauf
der Flüsse Anseba und Barka, zur Hauptsache also über das Gebiet
der Bogos und deren nähere Umgebung, denen Munzinger ja seine
erste grössere Studie gewidmet hatte. Dagegen ist das Gebiet am
Unterlauf des Anseba sowie östlich bis ans Rote Meer als weisse
Fläche ohne jede Eintragung dargestellt. Diese weissen Flecken auf
der Karte von 1857 hat Munzinger von Januar bis Oktober 1871 in
einem fast übermenschlichen physischen und geistigen Kraftauf¬
wand als Resultat der Expedition ins Gebiet der Habab und Beni
Amer auf der Karte von 1872" zum Verschwinden gebracht. Karte
und Kommentar dieser Forschungen legen Zeugnis ab von den für
Munzinger charakteristischen differenzierten und äusserst präzisen
Beobachtungen. Rein geografische Fakten - Täler, Gebirge, Ebenen,
Bodenbeschaffenheit, Bewässerung, Besiedelung etc. sowie klima¬
tische, ethnografische, politische, soziale, rechtliche, sprachliche
Verhältnisse summieren sich in seiner Darstellung zu einem Mosaik
von einzigartiger Fülle. Immer wieder beschäftigen den Beobachter
Gedanken möghcher Kultivierbarkeit der verschiedenen Landstri¬
che, die sich «auf der Grenze der tropischen und der Winter-Regen¬
zone» befinden: Weite Ebenen zwischen dem Roten Meer und den
höher gelegenen, von Süden nach Norden sich hinziehenden Hügelund Bergketten «leiden durch ihre tiefe Lage schon zu sehr von der
Sonne», sind «ziemlich steinig und wasserarm» und haben «wenig
sehr schöne Kulturflächen».
Andrerseits schildert er die Ebene von Nakfa (vgl. Kartenaus¬
schnitt) in begeisterten Farben: Sie liegt «5000 Fuss über dem Meer
(ca. 1500 m), mit Schieferfels, der das Wasser hält, ist immer grün,
eine Ebene, von kleinen Bergen durchzogen, woraus hundert kleine
Ebenen entstehen, mit immer fliessenden Bächlein, mit spärhchem
Wald; es giebt kaum ein lieblicheres Land in Abessinien. Was heute
-
-
-
«Esquisse de carte géographique des pays au Nord de l'Abyssinie entre 35° 37°
E. de Paris et 15° 17° N. levée sur les lieux dans l'année 1857 par Mr. Werner Mun¬
1° E de Paris.
zinger. Echelle: 60 Miles angl.
10
-
«Originalkarte von Werner Munzingers Erforschung der Gebiete der Habab- &
Beni-Amer-Völker, Januar- Oktober 1871, von A.Petermann. Massstab: 1:500000.
Das schattierte Terrain bezeichnet den Umfang der von Munzinger neu erforschten
Gebiete.» in: «Mitteilungen aus Justus Perthes' Geographischer Anstalt» 18. Band,
Gotha 1872, Tafel 12. Dazu der Kommentar von W. Munzinger: «Die nördliche Fort¬
setzung der Abessinischen Hochlande. Neue Forschungen in den Gebieten der Beni
Amer und Habab» (S.201 ff.).
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Supplement zu
«Jahrbuch für solothurnische Geschichte»
Band 63 (1990), Anmerkung 11, Seite 12.
Ausschnitt aus der «Originalkarte von Werner Munzingers Erforschung der Gebiete
der Habab- & Beni-Amer-Völker» von 1871. Massstab: 1:500000.
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Der 38jährige Werner Munzinger aus Olten wird 1871 in Namen des Vizekönigs
von Ägypten zum Gouverneur von Massaua am Roten Meer proklamiert.
(Zeitgenössischer Stich)
nur Weidland ist, würde für jede Kultur, Wein, Tabak, Baumwolle,
Kaffee und Seidenzucht sich eignen.»
Im Westen von Nakfa erhebt sich das Gebirge bis auf eine Höhe
von 2700 m: Die mächtigste Erhebung von allen ist der Debr Abi,
«eigentlich nur ein Conglomérat von steilen kahlen Gipfeln und so¬
gar dem Vieh unzugänglich». Dieses Gebirge hat Munzinger mögli¬
cherweise an die Berge seiner Heimat erinnert: Jedenfalls finden sich
auf der von ihm erstellten Originalkarte als Bezeichnung der drei
höchsten Gipfel eine «Werner Spitze», eine «Munzinger Spitze»,
und eine «Schweizer Spitze».
Am Schluss des Berichts fasst er seine Eindrücke über die «unge¬
mein günstige» Lage des Habab-Lands so zusammen: «Die Meeres¬
nähe, gute Häfen, das Klima, das jede nordische und tropische Kul¬
tur begünstigt, die allmähliche Erhebung in Terrassen von 3-8000
Fuss, der ausgezeichnete Boden, der Umstand, dass wohl Vio der
Oberfläche anbaubar sind, der fast immer währende Regen, der
Überfluss an fliessendem Wasser, die leichte Communikation nach
Osten und Westen sind Vorzüge, die man selten auf Einem Punkt
ausgeschüttet findet, und es ist nur die Schuld der Geschichte, wenn
dieses wunderbare Land nicht zu einem Garten voll der köstlichsten
13
Früchte geworden ist. Wir hoffen aber, dass die Ägyptische Regie¬
rung, die angefangen hat, Baumwollenkultur einzuführen, diesem
Land bald aufhelfen wird, und vielleicht kann einmal ein zukünfti¬
ger Reisender von einer Stadt Nakfa reden und von einem Empo¬
rium Mbarek, zum Preis der neuen Ptolemäer.» Dies waren prophe¬
tische Worte, zu deren Erfüllung er in naher Zukunft selbst den An¬
fang machen sollte.
Im Juli 1871 ernannte ihn der Vizekönig von Ägypten als Munzinger-Bey zum Gouverneur von Massaua. Bereits im folgenden Jahr
1872 beförderte er ihn mit dem Titel «Pascha» zum «Generalgouver¬
neur vom Roten Meer und des östhchen Sudans». Als solcher besass
Munzinger alle pohtische und militärische Gewalt in einem von etwa
2 Millionen Menschen bewohnten Gebiet, das im Osten und Westen
begrenzt war durch das Rote Meer und den Nil, im Süden durch die
abessinische Nordgrenze, und das sich im Norden erstreckte bis in
die Gegend von Suakin und Berber: ein Gebiet, das etwa der dreifa¬
chen Fläche der Schweiz entsprach.
Damit waren die Voraussetzungen gegeben für eine bis zum ge¬
waltsamen Tod Munzingers allzu kurz bemessene Zeitspanne von
nur zwei Jahren intensivster kolonisatorischer Leistung. Durch ein
verbessertes Steuergesetz befreite er seine Völker von der Erpressung
habgieriger Beamter. Unermüdlich förderte er den Anbau verschie¬
dener Kulturpflanzen, so des Indigos, des virginischen Tabaks und
besonders der Baumwolle, die er auf riesigen Ackerflächen anbauen
liess. Um das Ausland mit den Produkten seines Landes bekanntzu¬
machen und so den Export zu fördern, beteiligte er sich 1874 an der
Wiener Weltausstellung und erregte mit der reichhaltigen Sammlung
von Erzeugnissen des Bodens und des Gewerbes, die er dorthin
schickte, grosses Aufsehen. Mit Hilfe gutgeschulter Ingenieure, die
Munzinger aus Europa kommen liess, legte er Strassen, Brunnen,
Bewässerungsanlagen an und sicherte Verkehrswege und Karawanenstrassen. Die Insel, auf der Massaua liegt, verband er durch ei¬
nen 1500 m langen Damm mit dem Festland und erstellte längs des
Dammes eine 7000 m lange Trinkwasserleitung, durch die Massaua
erstmals mit Trinkwasser aus dem 1% Stunden entfernten Mkullu
versorgt werden konnte. Auch verband er Massaua mit Kassala
durch den Telegrafen. Ununterbrochen war Munzinger unterwegs,
um all die Arbeiten in seinen Ländereien im Kampf gegen die orien¬
talische Schlamperei zu überwachen. Wo immer er erschien, bezeig¬
ten ihm seine Untertanen Verehrung und Dankbarkeit. Die öffentli¬
che Sicherheit auf den Karawanenwegen galt als gut. Die Blutrache
hatte er völlig unterdrückt. Dagegen gelang ihm trotz Einzelerfolgen
die Unterdrückung des Sklavenhandels nicht.
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Werner Munzinger-Pascha wird auf einem Inspektionsritt im Frühjahr 1872 im süd¬
lich von Massaua gelegenen Zulla von Einheimischen mit Kamelmilch und Geschen¬
ken willkommen geheissen.
(Zeitgenössischer Stich)
Dass angesichts des meteorhaften Aufstiegs Munzingers zum Pa¬
scha und der bedeutenden Leistungen auf allen Gebieten seiner Ent¬
wicklungstätigkeit, auch angesichts der spürbar wachsenden Sympa¬
thie des einfachen Volkes für ihren jugendüchen Gouverneur
Schwierigkeiten und Probleme verschiedenster Art als dunkle Schat¬
ten auftauchten und zunehmend bedrohliche Formen annahmen,
scheint im Hinblick auf die Eigenart des menschlichen Wesens un¬
vermeidlich zu sein. Die ersten Schwierigkeiten, mit denen Munzin¬
ger freilich von vorneherein rechnen musste, bereitete ihm die
ägyptische Regierung selbst, indem sie ihm oft die nötigen Geldmit¬
tel nicht zukommen liess, so dass die Soldaten und Beamten häufig
während Monaten ohne Sold blieben. Schwerer wogen die politi¬
schen Probleme: In Abessinien herrschten bürgerkriegsähnliche Zu¬
stände, und Kairo schien nicht abgeneigt, seine Einflusssphäre nach
Süden auszudehnen durch militärische Eroberung des Hinterlandes
der Somaliküste und des als sehr fruchtbar geschilderten Gebiets
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von Aussa. Munzinger widersetzte sich diesen Kriegsplänen und ver¬
suchte den labilen Frieden zwischen Ägypten und Abessinien so lan¬
ge wie möglich aufrechtzuerhalten. Diese Absicht scheinen höhere
Beamte durch ein feingesponnenes Intrigenspiel gegen den allzu¬
erfolgreichen Pascha Munzinger durchkreuzt zu haben, indem sie in
Kairo die Friedenspolitik Munzingers mit Erfolg in Verruf brachten.
So kam es zu dem verhängnisvollen Beschluss der ägyptischen Re¬
gierung, einen Feldzug gegen Abessinien durchzuführen mit dem
dreifachen Zweck, das fruchtbare Gebiet von Aussa von der Tadju¬
rabai aus zu erobern, die in dieser Gegend herumziehenden Hirten¬
völker zu unterwerfen und Munzinger, den man als Leiter dieser Ex¬
pedition bezeichnete, auf mehr oder weniger anständige Art aus sei¬
nem Machtbereich Massaua zu entfernen. Die einzige mögliche Er¬
klärung, weshalb Munzinger diesen Auftrag nicht abgelehnt hat, ist
die Überlegung, dass man ihn bei einem Abschlag als feig verschrien
hätte. Dass er die Absicht der ägyptischen Regierung klar durch¬
schaut hat, beweisen die letzten Äusserungen Munzingers vor sei¬
nem Tod, die wir kennen: Kurz vor seiner Abreise schrieb er dem
mit ihm befreundeten französischen Bischof Touviers: «Le gouver¬
nement égyptien m'envoit là-bas pour me faire tuer, et moi-même je
ne crois pas que je reviendrai; si toutefois il me serait possible d'arri¬
ver jusqu'au Schoa, je chercherai à m'y créer une position, mais je ne
retournerai jamais au service de l'Egypte.» Und am 26. Oktober 1875
schrieb er an Bord des Schiffes in der Bucht von Tadjura an seinen
Freund Dor-Bey aus Vivis, den Generahnspektor der ägyptischen
Schulen in Kairo: «... Wir sind alle wohl; meine Frau ist mit mir
und wird in den Stunden der Verzagtheit eine rechte Stauffacherin
sein. Ermuthigungen werde ich freilich brauchen...»
Am 27. Oktober 1875 brach die kleine Expedition, bestehend aus
350 Mann Mihtär, 2 Kanonen und 45 Kamelen, von der Tadjura¬
bucht auf und gelangte am 14. November zur Oase Aussa. In der
nächsten Nacht erfolgte der Angriff von Tausenden Bewaffneter des
wilden Gallas-Stammes. Im Verlauf des nächtlichen Gemetzels fie¬
len Munzinger und seine Frau, der Grossteil des Expeditionskorps
sowie etwa 500 Gallas. Vom ägyptischen Korps kehrten knapp 100
Mann nach Ägypten zurück, die den Ablauf des tragischen Gesche¬
hens melden konnten. Diese Berichte stimmen in den wesenthchen
Punkten überein: danach dauerte der Kampf von 2 Uhr morgens bis
8 Uhr. Munzinger erhielt im Kampf mit den heranstürmenden Gal¬
las einen Säbelhieb auf den Kopf, ein zweiter zerschmetterte ihm
den linken Schulterknochen, ferner erhielt er fünf Lanzenstiche,
starb aber erst um 12 Uhr mittags. Seine Frau starb an zwei Lanzen¬
stichen. Einige wenige Getreue nahmen die beiden Leichname mit
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auf den Rückweg, mussten sie aber wegen der dauernden Angriffe
der Gallas schliesslich zurücklassen, um sich selber zu retten.
Wie recht Munzinger mit seiner Friedenspolitik Abessinien gegen¬
über hatte, beweist nicht nur die Tragödie am Aussa-See, sondern
auch das weitere Kriegsgeschehen: Nur 3 Tage nach Aussa wurde
ein ägyptisches Heer von 2000 Mann am Mareb geschlagen, und am
7. März 1876 wurde eine 20000 Mann starke ägyptische Armee
durch abessinische Krieger vollständig aufgerieben. 1879 endhch
musste sich Ägypten zum Frieden bequemen, der ihm nichts eintrug
als die Verpflichtung, einen jährlichen Tribut an Abessinien zu ent¬
richten.
II. KOMMENTAR ZU DEN BRIEFEN
Verfasser der Mehrzahl der vorhegenden Briefe ist Walther Munzin¬
ger (1830-1873),12 pohtisch, weltanschaulich und menschlich von
Jugend an aufs engste mit seinem Bruder Werner verbunden. Seine
juristischen Studien in Bern, Paris und Berlin schloss er 1855 in Bern
mit dem Dr.jur. summa cum laude ab. Zwei Jahre später nach ei¬
ner kurzen Anwaltspraxis ernannte ihn die bernische Regierung
zum Professor. Als solcher las er über die verschiedensten Gebiete
der Jurisprudenz: Römisches Recht, Handels- und Wechselrecht,
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, deutsches Privatrecht und
schweizerisches Bundesrecht. Diese vielfältige Lehrtätigkeit Walther
Munzingers führte dazu, dass der Bundesrat ihm den Auftrag erteil¬
te, ein schweizerisches Handelsrecht zu entwerfen; aus dem Entwurf
wurde schliesslich das schweizerische Obligationenrecht, eine gesetz¬
geberische Leistung, die ihm «einen Platz unter den bedeutendsten
Juristen des Landes» sichert.13 Die letzten Jahre in Walther Munzin¬
gers kurzem Leben waren erfüllt vom unermüdlichen Kampf gegen
den zentralen Glaubenslehrsatz des Ersten Vatikanischen Konzils
von 1869/70: «Der Papst ist in seinen Lehr-Entscheiden unfehlbar.»
Dieses Dogma widersprach Munzingers innerster Glaubensüberzeu¬
gung, wie er sie schon 1860 in seiner Schrift «Papsttum und Natio¬
nalkirche» formuliert hatte, so diametral, dass ihm nur der offene
Kampf dagegen übrigblieb. So wurde er zum führenden Mitbegrün¬
der der altkathohschen Kirche der Schweiz und der altkatholischtheologischen Fakultät an der Berner Universität.
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Peter Dietschi und Leo Weber: Walther Munzinger, ein Lebensbild, Olten 1874.
Haefliger: Bundesrat Josef Munzinger, S.359.
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