Vor 50 Jahren wurde der erste Dampfer gerettet DS Piemonte | Wegbereiterin der Erhaltung vieler Dampfschiffe – auch auf dem Vierwaldstättersee Am 21. Mai jährt sich die Wiederinbetriebnahme des heute ältesten Raddampfers Italiens zum 50. Male. Erstmals wurde in Europa ein Schiff dieser Art vor dem Abbruch bewahrt. Mario Gavazzi Es sei kein Tag gewesen, wie man sich im sonnenverwöhnten Süden einen Festtag üblicherweise vorstellt. Die Freude war aber ungetrübt an jenem Freitag in Arona, dem südlichen Ausgangspunkt des Lago Maggiore, wie sich Zeitzeugen erinnern. Dort, wo der Sitz des staatlichen Schifffahrtsunternehmens bis heute ist und wo die Schiffe gebaut, gewartet und auch abgebrochen werden. Am 21. Mai 1965 geschah etwas Besonderes: Ein Dampfer wurde nach vollständiger Restaurierung wieder in Betrieb genommen. Das war einmalig, erstmalig: Denn üblicherweise endeten alte Schiffe auf dem Schrottplatz oder – selten – ganz oder teilweise im Museum, fernab des nassen Elementes. Drohender Abbruch Rückblende: Das Jahr 1961 muss als Zeitraum des fast endgültigen Niedergangs der Dampfschifffahrt im Grenzgebiet Italien–Schweiz betrachtet werden. Im Frühsommer und Herbst wurden auf dem Luganersee die letzten zwei Dampfschiffe stillgelegt und sofort abgebrochen. Im gleichen Jahr kam das Aus für die drei letzten Raddampfer des Lago Maggiore. Längst hatten die nurmehr in Reserve gehaltenen Veteraninnen Lombardia, Italia und Piemonte modernen Motorschiffen Platz machen müssen. Nun bot sie die Navigazione zum Verkauf an. Es drohte der Abbruch. Diskussionen, Argumente und nostalgische Gefühle Zeitzeugen berichteten über engagierte Diskussionen für und wider die Erhaltung der Dampftechnik, und zwar nicht im Museum, sondern als lebendige Zeitzeugen. Wie so oft standen sich wirtschaftliche und eher nostalgische Anliegen unvereinbar gegenüber. Die Zeit war noch nicht reif für die Gründung einer DampferfreundeVereinigung. Das, was zum Beispiel im September 1970 in Flüelen ausgelöst wurde: Damals begegnete das Motorschiff Gotthard auf seiner Jungfernfahrt dem Dampfer Wilhelm Tell, der durch den Neuling abgelöst werden sollte. Ein Gespräch zwischen Dampfschiffliebhaber Hermann Heller, der als Behördenmitglied eingeladen war, und dem Redaktor der damaligen «Luzerner Neusten Nachrichten», Arnold Amstutz, mündete in den stillen Hinweis an den Medienschaffenden, er möge doch einen Aufruf zur Rettung der Dampfer in den Bericht aufnehmen. Er befolgte den Rat und das Rad begann zu drehen! Zwei Jahre später waren die Dampferfreunde als Vereinigung gegründet, Hermann Heller war Präsident und Arnold Amstutz Vorstandsmitglied. Der Kampf um die Dampfer endete für die verbliebenen fünf Veteraninnen glücklich! Bei Escher Wyss gebaut Wäre so etwas in Italien auch möglich gewesen? Zum Glück erübrigt sich diese Frage, denn die Diskussionen fast zehn Jahre zuvor im italienischen Teil des Lago Maggiore endeten in einem Vernunftsentscheid, zu dem man bis heute den damals Verantwortlichen nicht genug dankbar sein kann: Die staatliche Schifffahrt mit einer Generaldirektion in Mailand und einer Betriebsdirektion in Arona – beide Urner Wochenblatt - 20.05.2015 und die «Gallia» verkehren. Es wäre übertrieben zu behaupten, allein der «Piemonte» wegen können wir DS Uri auch heute geniessen. Aber eine Schicksalsverwandtschaft besteht schon zwischen den beiden Dampfern beidseits des Gotthards: Die «Piemonte» ist Italiens ältester Raddampfer, die «Uri» hat den ältesten Jahrgang aller fahrenden Raddampfer der Schweiz. «Piemonte» – mehr Fahreinsätze wünschbar Der Pionier der Dampferrettung und gleichzeitig älteste Raddampfer Italiens verlässt im Abendlicht Locarno Richtung Heimatland. FOTO: MARIO GAVAZZI dem italienischen Transportministerium unterstellt! – entschied: Der Dampfer im besten Bauzustand bleibt erhalten. Die Piemonte, 1903/04 in Zürich bei Escher Wyss (!) mit dem Namen «Regina Made» gebaut und 1943 umgetauft, war gerettet! Vier Jahre Revision Während die anderen zwei Oldtimer abgebrochen («Italia») und ohne Dampfmaschine in ein schwimmendes Restaurant («Lombardia») umgebaut worden sind, erlebte die «Piemonte» eine Verjüngungskur. Die originale Dampfmaschine und die Dampfkessel blieben erhalten, architektonisch trat ein Stilwechsel ein: Das Schiff zeigt sich im Baustil seiner Zeit. Das minderte die Freude auf dem Lago Maggiore nach der Einweihungsfahrt am 21. Mai 1965 keineswegs. Im Gegenteil: Was die Ehrengäste der Weihefahrt – sogar das italienische Transportministerium war prominent vertreten – zu Gesicht bekamen, konnten in den folgenden Jahren unzählige Fahrgäste in der Sommerfahrplanzeit fast täglich erleben: Die etwas über 500 Fahrgäste fassende «Piemonte» verkehrte kursmässig zwischen Arona und Locarno und zurück. Fast wie Luzern–Flüelen retour Diese anspruchsvolle Kursfahrt kann verglichen werden mit jener Höchstleistung, die unsere Vierwaldstätterseedampfer im Sommer fast täglich vollbringen. Das Beispiel Lago Maggiore vermittelte eines von vielen starken Argumenten in der Diskussion pro und kontra Dampfschifferhaltung auf vielen anderen Seen, ab 1970 auch in der Innerschweiz. Und es ist mehr als nur Zufall, dass beispielsweise das Dampfschiff Uri mit Baujahr 1901 noch heute verkehren kann. Ihr Name stand wie fast alle anderen Dampfer auf der Ausrangierungsliste der damaligen SGV. Wäre es nach diesem Programm gegangen, würden heute bestenfalls noch das Flaggschiff Stadt Luzern Zwei wesentliche Unterschiede bestehen freilich zwischen den beiden technischen Denkmälern: Die «Uri» wurde zwar fast in der gleichen Zeitperiode baulich modernisiert wie die «Piemonte». Bei der Revision 1991 bis 1994 machte die SGV diese Umbauten rückgängig, und die «Uri» zeigt sich in vielen Teilen wie einst. Dieses Beispiel macht nun in umgekehrtem Sinne Schule: Die Direktion der Navigazione gibt in kleinen Schritten dem Schiff sein urtümliches Aussehen zurück, soweit dies möglich ist. Etwas anderes unterscheidet die beiden Oldtimer: Die «Uri» gehört zu den meisteingesetzten Dampfschiffen der Schweiz. Um die «Piemonte» ist es in den letzten Jahren ruhig geworden: Sie wird nur selten unter Dampf gesetzt und liegt oft monatelang untätig still. Kursfahrten übt sie längst nicht mehr aus, und deshalb ist sie ein seltener Gast auch in Locarno. Vielleicht führen ihre zwei Jubiläen im laufenden Jahr zu einer Wende? Sie blickt nämlich nicht nur auf den 50. Jahrestag ihrer Wiederinbetriebnahme zurück. Am 24. September 2015 sind genau 111 Jahre seit der Jungfernfahrt und Inbetriebnahme verstrichen. Drei Mal die Eins müssten als Glückszahl verstanden werden!
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