Text lesen - Maria am Wasser

PredigtvonPfarrerJoachimZirkler(Studienleiterbeim
ZentrumdesLutherischenWeltbundesinWittenberg)in
derWeinbergkircheDresden‐Pillnitz11.00Uhram
Ostermontag,28.03.2016
GnadeseimiteuchundFriedevonGott,unseremVaterund
unseremHerrnundHeilandJesuChristi,derdasagt:„Ichbin
dieAuferstehungunddasLeben.“
Text:Lukas24,13–35
DieEmmausjünger
13Undsiehe,zweivonihnengingenandemselbenTageinein
Dorf,daswarvonJerusalemetwazweiWegstundenentfernt;
dessenNameistEmmaus.14Undsieredetenmiteinandervon
allendiesenGeschichten.15Undesgeschah,alssiesoredeten
undsichmiteinanderbesprachen,danahtesichJesusselbstund
gingmitihnen.16AberihreAugenwurdengehalten,dasssie
ihnnichterkannten.17Ersprachaberzuihnen:Wassinddas
fürDinge,dieihrmiteinanderverhandeltunterwegs?Da
bliebensietraurigstehen.18Unddereine,mitNamenKleopas,
antworteteundsprachzuihm:BistduderEinzigeunterden
FremdeninJerusalem,dernichtweiß,wasindiesenTagendort
geschehenist?19Undersprachzuihnen:Wasdenn?Sieaber
sprachenzuihm:DasmitJesusvonNazareth,dereinProphet
war,mächtiginTatenundWortenvorGottundallemVolk;
20wieihnunsreHohenpriesterundOberenzurTodesstrafe
überantwortetundgekreuzigthaben.21Wiraberhofften,er
seies,derIsraelerlösenwerde.Undüberdasallesistheuteder
dritteTag,dassdiesgeschehenist. 22Auchhabenuns
erschreckteinigeFrauenausunsererMitte,diesindfrühbei
demGrabgewesen,23habenseinenLeibnichtgefunden,
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kommenundsagen,siehabeneineErscheinungvonEngeln
gesehen,diesagen,erlebe.24Undeinigevonunsgingenhin
zumGrabundfanden'sso,wiedieFrauensagten;aberihn
sahensienicht.25Undersprachzuihnen:OihrToren,zu
trägenHerzens,alldemzuglauben,wasdieProphetengeredet
haben!26MusstenichtChristusdieserleidenundinseine
Herrlichkeiteingehen?27UnderfinganbeiMoseundallen
Prophetenundlegteihnenaus,wasinderganzenSchriftvon
ihmgesagtwar. 28UndsiekamennaheandasDorf,wosie
hingingen.Understelltesich,alswollteerweitergehen.29Und
sienötigtenihnundsprachen:Bleibebeiuns;denneswill
AbendwerdenundderTaghatsichgeneigt.Underginghinein,
beiihnenzubleiben. 30Undesgeschah,alsermitihnenzu
Tischsaß,nahmerdasBrot,dankte,brach'sundgab'sihnen.
31DawurdenihreAugengeöffnetundsieerkanntenihn.Und
erverschwandvorihnen.32Undsiesprachenuntereinander:
BranntenichtunserHerzinuns,alsermitunsredeteaufdem
WegeundunsdieSchriftöffnete?33Undsiestandenaufzu
derselbenStunde,kehrtenzurücknachJerusalemundfanden
dieElfversammeltunddiebeiihnenwaren;34diesprachen:
DerHerristwahrhaftigauferstandenundSimonerschienen.
35Undsieerzähltenihnen,wasaufdemWegegeschehenwar
undwieervonihnenerkanntwurde,alserdasBrotbrach.
LiebeGemeinde,
13Undsiehe,etlicheMenschengingeninderOsterzeitdes
Jahres2016mitihrenGedankenzueinemOrt,derihnen
vertrautwar.Dortwarensieseinerzeitaufgebrochenals
KinderundKonfirmanden,alsneugierigeErwachseneund
interessierteZeitgenossenundwarendiesemJesusundseiner
Lehregefolgt.FüreinigewardieserOrteineKirche,fürAndere
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eineGruppe,zudersiegehörten,fürAnderewiederum
Erlebnisse,diesiegeprägthatten.Undsiefragtensich,wiedas,
wassieseitJahrenglauben,zuvereinbarenistmitder
Wirklichkeit,diesieerleben.14Undsieredetenmiteinander
vonallendiesenGeschichten,diesichereignethatteninden
letztenJahrenundWochen.VondenTerroranschlägenin
Brüssel,vomIslamischenStaat,vomKrieginSyrien,vonden
vielenMenschen,dieaufderFluchtsind,vondenGrenzen,die
wiedergeschlossenwerden,vonderAngst,dieumgehtvorden
Fremden,vondenneuenParteien,dieZulaufbekommen–von
allem,wassieganzkrankundverzagtmacht.
WiekönnenwirOsternfeiern?DerfrüherePfarrerder
LeipzigerThomaskirche,ChristianWolff,erinnertineinem
BeitragzumOsterfestanDietrichBonhoeffer.IneinemBrief
ausdemGefängnisvom27.März1944stelltergenaudiese
Frage:WiekönnenwirangesichtsvonKriegundTerror
Osternfeiern?Bonhoefferschreibtweiter:„UnserBlickfällt
mehraufdasSterbenalsaufdenTod.Wiewirmitdem
Sterbenfertigwerden,istunswichtiger,alswiewirdenTod
besiegen.“
Erwusste:WennersichaufdieNazi’seinließe,würdeersein
Sterbenvorerstverhindernkönnen,abernichtgenerell
seinenTod,derihmzuirgendeinemZeitpunktsicherist–so
wiejedemMenschen.
UndsobleibterbeiseinerHaltung,gespeistausdemtiefen
GlaubenandenAuferstandenen,keineZugeständnisse
einzugehenmitdenMächtendesTodesinbraunerUniform.
Erweiß:WermitdemTodnichtmehrdrohenkann,weilsein
Gegenüberihnnichtmehrfürchtet,derverliertdieMacht.
UndsogehteraufrechtdemSterbenentgegen–unddamit
dem,derdenTodüberwand.
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Ja,auchwirversuchen,demSterbenzuentgehen,indemwir
unsmitallenmöglichentechnischenMittelnabsichern.
ÜberwachungskamerasanGrenzenundauföffentlichen
Plätzen,DrohnenundBomben,umdenTerrorfernzuhalten.
OderimprivatenBereichversuchenwir,denProzessdes
SterbenshinauszuschiebenmitDiätenundTherapien.Und
manchereichenMenschenlassensichgareinfrieren,umdas
Sterbenganzweithinauszuschieben.
DurchalldaskannderTodnichtüberwundenwerden,vor
allemnichtderTod,denwirMenscheneinanderimmer
wiederbringen.DieTerroristenwollenmitdemSterben,der
eigenenEndlichkeit,fertigwerden,indemsieanderen
MenschendenTodbringen.Siehoffenaufeinen
unsterblichenPlatzimParadies.DiehilfloseAntwortder
Politikist:ToddenTerroristen,umneuesSterbenzu
vermeiden.Daswirdnichtgelingen.
InBrüsselaufdemPlacedelaBoursehabenMenschendie
Worteaufgeschrieben:„Loveoneanother!“
DasistdieeinzigeAntwort,diedenTodbegrenzt.Dasistdie
Antwort,diedemToddieMachtnimmt.
Esistklingteinfachundesistschwerumzusetzen–aberes
istnichtunmöglich!SetztdemHassdieLiebeentgegen.Liebt
auchdie,dieandersdenken,anderssindundandersaussehen
alsihrselbst!
OsternfeierninZeitenvonGewaltundHassistnurdenkbar,
wennwirChristinnenundChristenunsklarmachen,wasder
FixpunktinunseremLebenist!
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BonhoefferzitiertinseinemBriefdenantikenMathematiker
Archimedes:„GibmireinenfestenPunktundichwerdedie
Erdebewegen.“
Ostern,derSiegJesuüberalleTodesmächte,istsolchein
Fixpunkt.Wennwirdavonnichtabrücken,dannwirdder
paulinischeSatz„ChristushatdemTodedieMachtgenommen
unddasLebenundeinunvergänglichesWesenansLicht
gebrachtdurchdasEvangelium“zueinererfahrbaren
Wirklichkeit.MenschenwieDietrichBonhoefferundMartin
LutherKingfielenTodesmächtenzumOpfer.Abersiehaben
vomFixpunktihresOsterglaubens,dersiezueinerLiebe
befähigte,dieihreGegnereinschloss,mehrbewegtinder
WeltundmehrdemLebengedientalsalle,diemeinen,Tod
nurmitTodbeantwortenzukönnen.
UndsieredetenmiteinandervonallendiesenGeschichten...
Leid,dasmanfürsichbehält,frisstsichindieSeele.
Miteinanderredenistwichtig,sichaustauschenüberdasLeid,
daseinenbeschäftigt,überdieKrankheiten,dieeinenplagen,
überdieVerzweiflung,dieeinenmituntererfasst,überdie
krankeWelt,inderwirleben.FürChristinnenundChristen
sollteesselbstverständlichsein,zuhörenundzureden.
UnddabeikannUnerwartetesgeschehen:
15Undesgeschah,alssiesoredetenundsichmiteinander
besprachen,danahtesichJesusselbstundgingmitihnen.
16AberihreAugenwurdengehalten,dasssieihnnicht
erkannten.17Ersprachaberzuihnen:WassinddasfürDinge,
dieihrmiteinanderverhandeltunterwegs?Dabliebensie
traurigstehen.18Undeinerantworteteundsprachzuihm:
BistduderEinzige,dernichtweiß,wasindenletztenJahren
undWochengeschehenist?19Undersprachzuihnen:Was
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meintihr?Sieabersprachenzuihm:DasvieleMenschendem
GlaubenkeineBedeutungmehrbeimessenunddieLehrevon
JesusvonNazarethnichtmehrbeherzigen.DassvieleMächtige
sichaufseineWerteberufenundihngleichzeitigverraten. 20
DasserinunsererZeitwiedergekreuzigtwird:inIdomenian
derGrenzezumreichenEuropa,injedemKind,dasim
Mittelmeerertrinkt,dassergekreuzigtwirdmitden
SprengstoffgürtelnderAttentäter,dassergekreuzigtwirdmit
allenBrandanschlägenaufFlüchtlingsheimeundmitjeder
HassparoleimInternet.21Wiraberhofften,erseies,deruns
erlösenwerde.UndüberdasallesistheuteeinweitererTag
dieserausdenFugengeratenenZeit.
Mitunter treten Fremde ins Leben, die sich als Glück erweisen.
Es ist wichtig, dass wir uns mit Gleichgesinnten austauschen.
Aber es ist eine große Chance, wenn Menschen Fragen stellen,
mit denen wir nicht gerechnet haben. Dann müssen wir ganz
anders erklären, was uns beschäftigt, was uns umtreibt. Dann
müssen wir neue Worte finden. Das fordert heraus. Das hilft zur
Selbstvergewisserung.
Auch Kinder stellen Fragen, die uns herausfordern: „Wann ist
wieder morgen?“ so fragte unser Enkelsohn neulich am Abend
eines Tages. Unsere Antwort war: Wenn die Nacht vorüber ist,
du ausgeschlafen hast und es wieder hell ist.
Das Kind mit seinen Fragen zwingt uns zu Antworten, die uns
selbst etwas deutlich machen.
Ja, es gibt einen neuen Morgen, weil jede Nacht einmal vorüber
geht. Jede Nacht der Krankheit, jede Nacht des Krieges, jede
Nacht der Verzweiflung!
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22AuchhabenunserschreckteinigeMenschenausunserer
Mitte,diesindfrühbeidemGrabgewesen,indemsieseine
Botschaftbeerdigthatten,23habendortnichtsgefunden,
kommenundsagen,siehabeneineErscheinungvonEngeln
gesehen,diesagen,erundseineBotschaftleben.24Undeinige
vonunsgingenhinzumGrabundfanden'sso,wiegesagt
wurde;aberihnundseineBotschaftsahensienicht.25Under
sprachzuihnen:OihrToren,zuträgenHerzens,alldemzu
glauben,wasdochschonProphetengeredethaben!Propheten
derBibel,ProphetenwieDietrichBonhoefferundMartin
LutherKing.26MusstenichtChristuswiederundwiederleiden
imLaufederJahrhunderteunddadurchinGottesHerrlichkeit
eingehen?27UnderfinganbeiMoseundlegteihnenaus,was
inderganzenSchriftvonihmgesagtwar.
OsternheißtaucheinBegreifendereigenenGlaubens‐
Geschichte.Schonoftistversuchtworden,ihnundseine
Worteendgültigzubegraben.Aberesgelingtnichtundwird
niegelingen!WeilesMenschengibt,dieihrenFixpunktnicht
aufgebenunddiefürZeichenderHoffnungsorgenineiner
scheinbarhoffnungslosenWelt.
IstesnichteingroßartigesZeichen,dassderPapst
AsylbewerberndieFüßegewaschenhat,darunterauch
Muslimen!UndistesnichteinZeichenderHoffnung,dasser
nachfast500JahrenTrennungam31OktoberindiesemJahr
einenökumenischenGottesdienstmitdemLutherischen
Weltbundfeiernwird!
28UndsiekamennaheandenOrt,wosiehingingeninihren
Gedanken.DemOrtdesBeginnsihresGlaubens.Understellte
sich,alswollteerweitergehen.29Undsienötigtenihnund
sprachen:Bleibebeiuns;denneswillAbendwerdenundder
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Taghatsichgeneigt.Underginghinein,beiihnenzubleiben–
inihrenKöpfenundHerzen.
30Undesgeschah,alsermitihnenzuTischsaß,nahmerdas
Brot,dankte,brach'sundgab'sihnen. 31Dawurdenihre
Augengeöffnetundsieerkanntenihn.Underverschwandvor
ihnen.32Undsiesprachenuntereinander:Branntenichtunser
Herzinuns,alsermitunsredeteaufdemWegeundunsdie
SchriftundunsereGeschichteöffnete?
AmAbendnichtalleinbleibenwollen.EingutesGespräch
fortsetzenwollen.DeshalbdemFremden,derunsnahe
kommt,eineEinladungaussprechen:Herr,bleibebeiuns,
denneswillAbendwerdenundderTaghatsichgeneigt.
ImRückblickgibtesdasLebenveränderndeErkennen:Ich
wardochnichtallein.Unbekannt,oftinanderenMenschen
verborgen,warGottmitmir.
InmeinerKrankheit,inmeinerNot,nachdemTerror,mitten
imKriegwarichnichtallein.
DieseErkenntnishilftmir,nichtgegenmeinSterben
anzukämpfen,abergegenalleMächtedesTodes!
DieseErkenntnislässtdasHerzbrennenwiebeiVerliebten.
ManmöchtezusammenbleibenmitderneuenDeutungder
eigenenGeschichte,mitdenFragen,dieerhellen,mitden
Menschen,dieguttun,diedemTodtrotzen,diedasLeben
wunderbarseinlassen.
33UndsiestandenaufzuderselbenStunde,kehrtenzurückin
dieGegenwartundfandendieanderenversammelt,die
zweifeltenundglaubten,dieenttäuschtwarenunddoch
hofften;34diesprachen:DerHerristwahrhaftigauferstanden
undEinigenerschienen. 35Undsieerzählten,wasihnenauf
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demWegegeschehenwarundwieervonihnenerkanntwurde,
alserdasBrotbrach.
Immer wenn von gelungenen Begegnungen zwischen fremden
Menschen, z. B. Geflüchteten und Einheimischen berichtet
wurde, waren es Geschichten vom gemeinsamen Essen. Dass
man an einem Tisch saß und teilte, was da war. Brot brechen,
miteinander Leben teilen – das ist das Erkennungszeichen der
Christen, der Glaubenden und Hoffenden, derer, die wissen, dass
nach jeder Nacht wieder ein neuer Morgen kommt.
Auf dem Weg miteinander reden und Fremden die Chance
geben, uns zu begleiten. Durch ihre Fragen und die Antworten,
die sie uns abnötigen, erkennen wir mit brennenden Herzen: Wir
waren bisher nie allein. Gott war immer bei uns. Gerade wenn
er uns erst einmal fremd vorkam. Das heißt: Wir werden auch
künftig nicht allein sein, weil Gott an unserer Seite bleibt.
Kann man Ostern feiern angesichts von Krieg und Terror,
angesichts von Hass und Frust?
Ja, man kann, man muss sogar Ostern feiern, um die
Todesmächte zurück zu drängen, um dem Leben immer wieder
neu zum Durchbruch zu verhelfen!
Eine indische Teilnehmerin unserer Seminare in Wittenberg
schrieb gestern einen Gruß: Möge dieses Osterfest Hoffnung in
der Hoffnungslosigkeit bringen, Freude in der Verzweiflung,
Frieden inmitten des Krieges und möge es uns bereit machen,
die österliche Hoffnung in Wirklichkeit zu verwandeln!
Frohe gesegnete Ostern!
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