Wie Bewegung zum Lernerfolg beiträgt und Wissen zur Bewegung motiviert von Martina Lucht Betrachtet man die Erfolgsgeschichte digitaler Lernsysteme, die bisher an Schulen eingeführt und getestet wurden, hielten sich die Lernerfolge der Schüler und die Begeisterung der Lehrer in Grenzen. Ein komplett neuer Ansatz ist dem Team des Fraunhofer IDMT gelungen. Dabei stand nicht etwa das Ersetzen von Schulbüchern als Ziel im Vordergrund. Vielmehr wurde der Frage nachgegangen, wie man den natürlichen Bewegungsdrang von Kindern in Schulen integrieren sowie fördern und gleichzeitig mit dem Lernen von beispielsweise Zahlen oder Vokabeln verknüpfen kann. Dass Bewegung eine sehr wichtige Rolle bei der Entwicklung des Gehirns spielt und positive Auswirkungen auf Lernerfolge haben kann, ist nicht nur die Aussage von Gehirnforschern, Lehrern, Kinderärzten und Sportpädagogen, sondern kann aus empirischen Daten pädagogischer und psychologischer Studien nachvollzogen werden. Bereits minimale körperliche Bewegungen während des Lernens können den Lernprozess unterstützen und aktiv bearbeitete Aufgabenstellungen können besser erinnert werden als passiv aufgenommene Informationen. [1] + [2] + [3] Unter dem Namen HOPSCOTCH ist ein interaktives und motivationales Lernsystem entstanden, welches genau diese Kriterien erfüllt. Namensgebend für dieses Lernsystem ist die englische Bezeichnung für ein Hüpfspiel, bei dem über die zuvor auf dem Boden gekennzeichneten Felder gehüpft wird. Im Deutschen ist dieses Spiel u.a. auch als „Himmel und Hölle“ bekannt. Verpackt als sogenanntes ExerGame (Kombination aus den englischen Begriffen ‘exercise‘ und ‘game‘) werden nun Bewegung und Spiel vereint. Hierbei muss man sich eine etwa 1m² große Drucksensormatte vorstellen, welche aus neun Feldern besteht und ähnlich einer Handytastatur mit Zahlen und Buchstaben durchnummeriert ist und wie beim Schreiben einer SMS bedient werden kann, wobei anstatt den Fingern die Füße zum Einsatz kommen. So kann ein breites Spektrum von Lernspielen umgesetzt werden, angefangen mit dem Lernen von Vokabeln, weiter über Matheaufgaben hin zu etwa Biologiefragen. Verknüpft mit einem PC und der Lernsoftware des Fraunhofer IDMT kann nun die Frage: „Was heißt Pflaume auf Englisch?“ von den Schülern durch Hüpfen auf die passenden Felder beantwortet werden. Falsche Antworten gibt es hierbei nicht – falsche Eingaben blinken so lange, bis der richtige Buchstabe platziert worden ist. Zusätzlich motiviert diese Funktion durch Ausprobieren und Anhüpfen von einzelnen Buchstaben, sich die Antwort selbst zu erarbeiten, sollte man diese nicht parat haben. Dies führt nachweislich zu einem hohen Lerneffekt. Studien in Grundschulen haben ergeben, dass der Lernerfolg mit HOPSCOTCH mit herkömmlichen Unterrichtsmethoden, welche ebenfalls Bewegung in den Lernprozess integrieren (zum Beispiel das Laufdiktat), ver- gleichbar ist. Der Lernspaß war mit HOPSCTOCH höher und höhere Anforderungen scheinen bessere Lernergebnisse zu erzielen. Hinzu kam, dass fast alle befragten Lehrer HOPSCOTCH gerne im Unterricht einsetzen würden. [4] + [5] Abbildung 1: HOPSCOTCH im Einsatz Da die Software von den Entwicklern des Fraunhofer IDMT adaptiv aufgebaut wurde, passt sich HOPSCOTCH während der Spielphase individuell dem Spieler an. Auf schwere Fragen, welche nicht oder nur zäh beantwortet werden, werden im Nachgang einfachere Fragen gestellt. Neben der Vermeidung von Frustration ist ein weiterer Schritt hierbei, dass nicht nur die Fragen entsprechend ausgewertet und gezielt gestellt werden, sondern dass im Hintergrund eine Statistik angelegt werden kann, welche Hinweise auf mögliche Schwächen und individuellen Förderbedarf gibt. Ein neuer Aspekt zeigte sich außerhalb der Zielgruppe Schüler: Während Schüler durch ihren Bewegungsdrang motiviert sind, sich Wissen anzueignen, sind beispielsweise Senioren motiviert, sich durch ihr bereits vorhandenes Wissen zu bewegen. Ein Umkehrungseffekt, welcher vom Fraunhofer IDMT direkt aufgegriffen wurde. Neben der Forschung in Schulen wendet sich das Fraunhofer IDMT nun auch den gesundheitlichen Aspekten zu. Das Lernsystem soll übergewichtige Kindern und Erwachsene spielhaft zu mehr Bewegung motivieren oder unterstützend bei Reha-Patienten angewendet werden. Ein weiteres Einsatzgebiet wird durch die Idee eröffnet, Jung und Alt für das gemeinsame Spielen zu begeistern. „Neben positiven Effekten auf die organische und motorische Entwicklung ist auf die Bedeutung für das psychosoziale Wohlbefinden, die Persönlichkeitsentwicklung und das Erlernen sozialer Kompetenzen zu verweisen.“ [6]. Basierend auf der beschriebenen HOPSCOTCH Software 18 Medienproduktion - Online Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis hat die Firma Wehrfritz das Spiel „Move on“ für den Einsatz an Grundschulen entwickelt und im Juli 2015 auf den Markt gebracht. Martina Lucht ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für digitale Medientechnologie IDMT. Literatur [1] M. Lucht, K. Kraußer, D. Joerg und T. Schwandt (2012): The Use of Exer-learning Games for Rehabilitation in Spa Clinics and at Home. pHealth 2012. Proceedings of the 9th International Conference on Wearable Micro and Nano Technologies for Personalized Health, S. 132-138 [2] K. Kraußer, M. Lucht (2012): Integration of Exer-Learning Games in School. The Evaluation of HOPSCOTCH as teaching aid in specialised school. Proceedings of the 4th International Conference on Mobile, Hybrid, and On-line Learning. [3] M. Lucht, S. Heidig (2013): Applying HOPSCOTCH as an exer-learning game in English lessons: Two exploratory studies. Educational Technology Research and Development, 61(5), S. 767–792. [4] M. Lucht, D. Joerg, K. Breitbarth (2013): Exer-Learning Games: HOPSCOTCH - Digitales Bewegungslernen in Schulen. In: Serious Games, Exergames, Exerlearning : Zur Transmedialisierung und Gamification des Wissenstransfers. Bielefeld: Transcript Verlag. S. 399-421. [5] M. Lucht, S. Domagk, M. Mohring (2010): Exer-Learning Games: Transfering Hopscotch from the Schoolyard to the Classroom. In: Max Bramer (Hg.), Artificial Intelligence in Theory and Practice III, Berlin: Springer 2010, S. 25-34. [6] T. Lampert, G.M. Mensink, N. Romahn, A. Woll: Körperlich-sportliche Aktivität von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, S. 634 19
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