Pastoralreferentin Stefanie Sehr, Darmstadt Zuspruch am Morgen in hr2-kultur am Samstag, 9.04.2016 Alter in Würde: meine Großtante Heute startet die bundesweite „Woche für das Leben“, eine Aktion, die gemeinsam von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland getragen wird. „Alter in Würde“ ist der Titel für die Aktionswoche, und als konkretes Gesicht dazu fällt mir meine Großtante ein. So Gott will, vollendet sie dieses Jahr ihr 99. Lebensjahr. Ich fühle mich mit ihr sehr verbunden, auch weil wir am selben Tag im Juli unseren Geburtstag feiern. Einige Lebensjahrzehnte liegen zwischen uns, und ich schätze es sehr, mit ihr über vergangene Zeiten zu sprechen. Sie lebt immer noch in dem Haus, in dem sie mit 10 Geschwistern aufgewachsen ist, unterstützt von Neffen und Nichten, mitten im Ortskern eines kleinen Dorfes. Wenn ich an sie denke, sehe ich sie vor allem auf ihrer Bank vor dem Haus, von dort aus kann sie direkt beobachten, wer zum Metzger oder Bäcker geht. Manch einer bleibt dann bei ihr zu einem Plausch stehen, dabei röten sich ihre Wangen und sie scheint rundum zufrieden. Sie spricht selbst davon: Sie hat ein gesegnetes Alter erreicht. Vor einigen Jahren noch durfte man sie nicht darauf ansprechen, wie alt sie ist, mittlerweile ist sie ein wenig stolz darauf. Ich denke, was ihr ganz wesentlich dabei geholfen hat, so zufrieden im Alter zu sein: Genügend soziale Kontakte um sie herum. Sie hat nicht geheiratet, damals nach dem Krieg keinen Mann abbekommen, wie sie sagt, und dann auch keine Kinder bekommen. Dass sie trotzdem nicht einsam ist, liegt zum Großteil an der weiteren Familie, die sich um sie kümmert, und dass sie im Ortskern wohnt. Natürlich geht es ihr nicht jeden Tag gleich gut, sie hat auch ihre altersbedingten Schmerzen und ihr Langzeitgedächtnis funktioniert besser als das Kurzzeitgedächtnis. Was mich bei ihr aber so fasziniert: Ihre positive Einstellung zum Leben. Mit einem tiefen Vertrauen glaubt sie daran: Sie ist ein Geschöpf Gottes! Und Gott gibt ihr schon das gibt, was sie zum Leben braucht. Wenn etwas nicht so geschieht, wie sie es gerne hätte, zitiert sie gerne einen früheren Hausarzt und sagt: „Aushalten, aushalten, es wird auch wieder besser.“ Ja, meine Großtante mit ihren 98 Jahren, sie ist in einem gesegneten Alter und einem Alter in Würde. Von Menschen wie meiner Großtante lerne ich, wie wertvoll das Leben ist und wie wichtig auch die Menschen um einen herum. Damit das Alter auch mit allen Gebrechen und Krankheiten ein Alter in Würde bleibt. Zum Nachhören als Podcast http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=22644
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