SE IT E 2 · F R E I TAG , 8 . A P R I L 2 0 1 6 · N R . 82 FPM Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Trockene Kehlen Mit der europäischen Fahne in der Hand In der Ukraine ist nicht alles gut seit der Revolution, aber fast alles ist besser. Mustafa Najem, ein Wortführer des Majdans, sieht auch das Nein der Niederländer gelassen. Von Konrad Schuller BERLIN, 7. April ustafa Najem hat immer bestritten, dass das alles mit ihm begonnen hat – die Revolution am Kiewer Unabhängigkeitsplatz, der Kurswechsel vom „russischen Vektor“ nach Europa, Putins Angriff und der Krieg danach. Eines aber ist klar: Am 21. November 2013, am Tag, als der von Russland geköderte damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch das lange geplante Projekt einer Assoziierung mit der EU aufgab und sich Moskau zuwandte, hat Najem (damals einer der bekanntesten Fernsehmoderatoren der Ukraine) jenen zündenden Facebook-Aufruf verfasst, der die ersten Leute auf den Majdan trieb. „Janukowitsch, unterschreibe“ war damals die Parole – unterschreibe den Vertrag mit der EU. Ist Najem also mit seinen gerade 34 Jahren der Vater der Revolution? Der Mann, der sein Land auf jenen europäischen Kurs gebracht hat, der jetzt, nach dem „Nein“ der Niederländer, wieder in Frage steht? Er selbst hat das immer für Unsinn gehalten: „Genauso gut könnte jemand behaupten, er habe Weihnachten ausgelöst, nur weil er über Facebook dazu aufgerufen hat.“ Europa und die Ukraine, soll das heißen, gehören ohnehin zusammen – ganz gleich, wer an der Spitze steht. Und jetzt also dies: Zwei Jahre nach dem blutig erkauften Kurswechsel zum Westen, zwei Jahre nach dem Beginn einer antieuropäischen russischen Militärintervention, die mittlerweile mehr als 9000 Menschen das Leben gekostet hat, jetzt dieses Referendum in den Niederlanden, das alles wieder zurücksetzen soll M auf den Punkt null. Aber ist es überhaupt noch der Punkt null? Najem ist gerade im Auto unterwegs, quer durch die Ukraine. Nach der Revolution ist er ins Kiewer Parlament eingezogen, auf der Liste des Präsidenten Petro Poroschenko wie manche andere Aktivisten aus Revolutionszeiten auch, und seither ist er ein Hauptorganisator der „Euro-Optimisten“ – einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Abgeordneten der Bürgerrechtlerszene, die in der „Werchowna Rada“ jenen gewendeten Oligarchenseilschaften entgegentreten, die die Revolution überlebt haben und nun durch Geld und Patronage versuchen, ihre Pfründe zu verteidigen. Am Donnerstag, als diese Zeitung ihn über eine Internetplattform erreichte, reiste Najem gerade in das Gebiet Cherson zu einer „strategischen Besprechung“ mit jungen Politikern, die überall im Land alles daransetzen, diese alten Einflüsse zu brechen. Alles ist in Bewegung, viel ist erreicht, und wenn man ihm glauben will, kann von „null“ keine Rede sein – Niederlande hin oder her. Zu viel sei schon erreicht, um die Ukraine von ihrem europäischen Weg abzubringen: eine Präsidentenwahl und eine Parlamentswahl 2014, beide nach Ansicht internationaler Beobachter frei und fair; eine freie Presse, wie sie im postsowjetischen Raum (außer in den baltischen Staaten) nirgendwo sonst vorzufinden sei. Über die jüngsten Verfehlungen Poroschenkos, die jetzt durch die „PanamaPapiere“ ans Licht geraten sind, habe nicht nur der Staatssender UT1, sondern auch der Privatkanal des Präsidenten offen berichtet. Najem weiß, wie viel das bedeutet. Vor der Revolution, als die paar verbliebenen freien Sender verzweifelt um Luft rangen, hatte er zur Bürgerinitiative „Stoppt die Zensur“ gehört. Dass offene Kritik am Präsidenten jetzt im Staatsfernsehen möglich sei, findet er einfach „unglaublich“. Nicht dass alles immer nur reine Freude wäre in dieser Ukraine, die im dritten Jahr nach dem Sturz des Ancien Régime gewissermaßen mitten im Fluss steht – auf halbem Weg zwischen den Ufern des postsowjetischen Autoritarismus und der europäischen Offenheit, wo der Strom am reißendsten ist. Die „Panama-Papiere“ haben zwar nur minimale Verfehlungen Poroschenkos zutage gefördert (ein paar tausend Euro wurden möglicherweise nicht korrekt deklariert), aber sie haben daran Nach dem Referendum spielt Rutte auf Zeit Von Michael Stabenow In den Händen Europas: Studenten in Kiew zeigen ihre Unterstützung für das Assoziierungsabkommen mit der EU. erinnert, dass nicht nur der multi-millionenschwere Präsident, sondern neben ihm auch ein großer Teil der neuen Elite immer noch ihre Wurzeln in der Milliardärskaste des alten Systems hat. Die demokratische Revolution hat Russlands militärische Konterrevolution nur deshalb überleben können, weil die Protestbewegung des Majdans sich nach der Flucht Janukowitschs mit einem Teil der Oligarchen verband. So notwendig dieses Bündnis damals war, so sehr hat es zuletzt weitere Schritte zur „Deoligarchisierung“ behindert. „Poroschenko ist zwar der beste Präsident, den die Ukraine je hatte“, sagt Najem deshalb. Aber in Anbetracht seiner korrupten Vorgänger sei das ein verzweifelt niedriger Maßstab. „Bis heute ist Politik in der Ukraine viel mehr ein Dialog zwischen Oligarchen als einer zwischen der Führung und dem Volk.“ Vor allem der Kampf gegen das Grundübel Korruption ist deshalb zuletzt nicht vorangekommen. Zwar haben die Gesamtverluste staatlicher Unternehmen (ein grober Indikator für das Volumen des „gestohlenen Geldes“ in postsowjetischen Volkswirtschaften) stark abgenommen, und eine ganze Reihe von Reformauflagen der EU sind so weit erfüllt worden, dass die Kommission jetzt die Aufhebung der Visapflicht empfehlen will. Andererseits hat der Präsident, der selbst auf eine Vergangenheit als Oligarch zurückblickt, den Aufbau unabhängiger Antikorruptionsbehörden immer wieder gebremst, und er hat vor allem einen dringend nötigen personellen Neuanfang in der Generalstaatsanwaltschaft verhindert. „Alle, die hier Verantwortung tragen, stammen aus dem alten System“, sagt Najem. In den entscheidenden Apparaten (auch etwa im Geheimdienst SBU) schließe die alte Garde trotz aller Fortschritte die Reihen wie die Schildkrötenformation der antiken Schlachtordnung. Kein einziger Oligarch ist daher je vor Gericht gekommen – auch keiner von denen, die früher Janukowitschs Clan finanzierten. Neben den Behörden sind auch die politischen Parteien noch exklusive Spielwiesen der Milliardäre. Die nachrevolutionä- Foto dpa ren Wahlen von 2014 waren zwar frei und fair im Verlauf, aber nach wie vor erlauben die geschlossenen Listen des ukrainischen Wahlsystems oligarchischen Paten den freien Kauf und Verkauf von Listenplätzen. Die Zivilgesellschaft hat dagegen keine Chance. „Sie schotten sich ab“, sagt Najem. „Sie tun alles, um der nächsten Generation die Tür vor der Nase zuzuschlagen.“ Nur ein neues Wahlrecht mit offenen Listen könne hier helfen. Aber kann überhaupt noch etwas helfen, jetzt wo die Niederländer „nein“ gesagt haben zur Assoziierung mit der Ukraine? Der Mann, der so beharrlich bestreitet, der Vater der Revolution zu sein, lässt sich jedenfalls keine Sorge anmerken. „Ich bin da sehr ruhig“, sagt Mustafa Najem. „Die Ukraine ist das einzige Land der Welt, wo Menschen mit der europäischen Fahne in der Hand gestorben sind.“ Die historische Entscheidung für den Westen sei gefallen. „Nur um eines bitten wir die Europäer noch: Seht zu, dass ihr euch nicht selbst zerlegt, bis wir so weit sind, zu euch zu stoßen.“ Ein Nein, das keine große Bedeutung hat Die EU-Kommission erklärt die Ratifizierung des Ukraine-Abkommens durch die Niederlande zur Nebensache / Von Hendrik Kafsack BRÜSSEL, 7. April. „Der Präsident ist traurig“, kommentierte Jean-Claude Junckers Chefsprecher am Donnerstag in Brüssel das Nein der Niederländer zum EU-Ukraine-Abkommen. Jenseits dieser kurzen Gemütsbeschreibung versuchte die Kommission am Tag nach dem Referendum, ihre eigene Rolle so weit wie möglich herunterzuspielen – mit Blick auf die Vergangenheit wie auf die Zukunft. Eine Mitverantwortung Junckers für die Ablehnung wollte der Sprecher nicht sehen. Juncker hatte Anfang des Jahres im Gespräch mit der niederländischen Zeitung „NRC Handelsblad“ vor einer „großen kontinentalen Krise“ gewarnt, sollte die Nein-Kampagne gewinnen. Nach Ansicht vieler Fachleute stärkte er die Kampagne durch diese von vielen Niederländern als unangemessen empfundene Einmischung hingegen noch. Auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrung hielt sich Juncker am Donnerstag mit Ratschlägen an die niederländische Regierung zurück. Der Kommissionspräsident habe zwar noch am Mittwochabend ausführlich mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte und anschließend mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, telefoniert. „Es ist nun aber zuallererst an der niederländischen Regierung, das Ergebnis zu analysieren und über das weitere Vorgehen zu entscheiden“, wiederholte sein Sprecher am Donnerstag gebetsmühlenartig. Dafür benötige sie nicht die Hilfe der Europäischen Kommission. „Es ist zu früh, jetzt schon darüber zu spekulieren, was passieren könnte.“ Ansonsten mühte sich die Kommission, die Entscheidung der Niederländer in dem Referendum von der „großen kontinentalen Krise“ zu einer „nationalen Angelegenheit der niederländischen Wähler“ herunterzuspielen. Die Kommission werde sich weiterhin engagiert um die Beziehungen zur Ukraine bemühen. Sie wer- de wie angekündigt bis Ende des Monats Vorschläge für die Visa-Liberalisierung vorlegen. Kurz: Das Referendum werde letztlich an dem Verhältnis zur Ukraine nichts ändern. Das gilt nach Lesart der Kommission auch für die Kernfrage des Referendums: das EU-Ukraine-Abkommen. Schließlich haben 27 der 28 EU-Mitgliedstaaten sowie das Europäische Parlament das Abkommen schon ratifiziert. Auch in den Niederlanden ist der Prozess schon weit fortgeschritten, auch wenn die Regierung ihn nach dem Referendum nun zunächst nicht weiter vorantreiben kann. Vor allem aber wird das Abkommen be- reits „provisorisch“ angewandt. Zuletzt trat zu Beginn dieses Jahres auch das wegen des russischen Widerstands zunächst ausgenommene Kapitel zu den Handelserleichterungen „provisorisch“ in Kraft. Dass ein Abkommen provisorisch in Kraft tritt, ist nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil. Wegen des oft langwierigen Ratifizierungsprozesses ist das sogar die Regel. Erforderlich ist allerdings die einstimmige Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten dazu. Auf eben diese Einstimmigkeit baut die Kommission nun nicht nur, was die technische Anwendung des Abkommens betrifft. „Die Einigung ist da, nur die Ratifizierung nicht“, lautet die Formel, mit der die Kommission deutlich machen will, dass das Nein der Niederländer letztlich keine Bedeutung für das Abkommen haben muss. Um die „provisorische“ Anwendung des Abkommens auszusetzen, bedürfe es im Gegenteil sogar wiederum eines einstimmigen Votums der Mitgliedstaaten, heißt es weiter. Letztlich wird die Ratifizierung damit zur Nebensache deklariert. Begleitend wurde in Brüssel verbreitet, dass die EU momentan ganze 198 Abkommen „provisorisch“ anwende, weil sie noch nicht alle Staaten ratifiziert hätten. Für einige Abkommen gelte das schon mehr als zehn Jahre lang. Theoretisch gebe es somit keinen Grund, der dagegen spräche, das EU-Ukraine-Abkommen bis in alle Ewigkeit „provisorisch“ anzuwenden, hieß es. Diese Sichtweise dürfte die Vertreter der Ukraine zunächst einmal beruhigen – und das dürfte auch die Intention sein –, politisch aber in den Niederlanden nicht zu verkaufen sein. Das ist auch der EU-Kommission klar. Sie dürfte darauf setzen, dass sich auch in den Niederlanden die politische Stimmung wieder ändert – und das Land in einigen Monaten oder zur Not auch später das Abkommen doch noch ratifiziert, vielleicht ergänzt um den ein oder anderen relativierenden Passus mit Blick auf einen EU-Beitritt der Ukraine. Vorläufig für immer? Das Referendum und die rechtlichen Auswirkungen Für die Ratifizierung des Assoziationsabkommens mit der Ukraine war in den Niederlanden schon alles vorbereitet. Man müsse den Briefumschlag mit der Urkunde nur noch abschicken, hatte ein Beamter des Außenministeriums in Den Haag vor dem Referendum gesagt. Wenn die Regierung sich aber nun an das Votum des Volkes gebunden fühlt und die Ratifizierungsurkunde nicht in Brüssel hinterlegt, kann das Abkommen nicht endgültig in Kraft treten. In großen Teilen ist es allerdings bereits jetzt geltendes Recht. Die politischen Vorschriften, etwa über die Außen- und Sicherheitspolitik und die Bekämpfung des Terrorismus, sind seit 2014 vorläufig anwendbar. Auf Druck Russlands wurde die vorläufige Anwendung der wirtschaftlichen Bestimmungen auf den Jahresbeginn verschoben. Die Entscheidung über die vorläufige Anwendung trifft der Rat der EU. Es ist übliche Praxis, dass auch die Zu- stimmung des Europaparlaments eingeholt wird. „Ein völkerrechtlicher Vertrag kann theoretisch für immer vorläufig angewandt werden“, sagt René Repasi, der wissenschaftliche Leiter des „European Research Centers for Economic and Financial Governance“ der Universitäten Leiden, Delft und Rotterdam. Es gibt in der EU derzeit knapp 200 Abkommen, die vorläufig angewandt werden, einige schon seit mehr als zehn Jahren. Ähnliches ist auch für das Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) zu erwarten: Die Kommission hat erklärt, dass es vorläufig angewandt werden soll. Die Ratifizierungen durch die Mitgliedstaaten dürften angesichts der öffentlichen Debatte lange auf sich warten lassen. Auch im Völkerrecht gibt es solche Fälle: So wandte Russland den Energiecharta-Vertrag etwa 15 Jahre lang vorläufig an. Es wäre allerdings denkbar, dass die Niederlande argumentieren, dass die vor- läufige Anwendbarkeit beendet werden müsse, weil das Abkommen mangels Ratifizierung nicht in Kraft treten kann. „Grundlage für die Entscheidung des Rates über die vorläufige Anwendung, die auch von den Niederlanden mitgetragen wurde, war ja die Vorstellung, dass das Abkommen irgendwann endgültig in Kraft treten kann“, so Repasi. Diese Grundlage fiele weg, wenn die Niederlande sich endgültig gegen eine Ratifizierung entschlössen. Dem ließe sich entgegnen, dass die Entscheidung über die vorläufige Anwendung unabhängig von der Ratifizierung getroffen wurde. Der Rat der EU kann nur die Vorschriften des Abkommens für vorläufig anwendbar erklären, die in die alleinige Kompetenz der EU fallen. Das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ist allerdings ein sogenanntes „gemischtes Abkommen“: Es wurde zwischen der EU, der Ukraine und allen 28 Mitgliedstaaten abgeschlossen. Ein Teil der Be- stimmungen fällt nämlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Dazu zählen die Bereiche Verkehr und Kultur. Diese Vorschriften können nicht durch Ratsbeschluss vorläufig angewandt werden. Sie gelten erst, wenn alle Mitgliedstaaten das Abkommen ratifiziert haben. Soll das Assoziationsabkommen endgültig in Kraft treten, obwohl die Niederlande die Ratifikation verweigern, müsste die EU die Bereiche abtrennen, die in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen. Dann wäre die Ratifikation durch die Mitgliedstaaten entbehrlich. Allerdings ist die Frage, welche Bereiche in wessen Zuständigkeit fallen, gar nicht so leicht zu beantworten und zwischen Brüssel und den europäischen Hauptstädten umstritten. Der Rat hat diese Frage im Beschluss über die vorläufige Anwendung des Assoziierungsabkommens daher offen gelassen und nicht klar definiert, welche Bestimmungen vorläufig anwendbar sind. (bub.) Berlin bietet Tripolis Hilfe beim Wiederaufbau an Steinmeier schlägt Stabilisierungsfonds vor / „Libyer müssen Friedensdividende spüren“ / Widersprüchliche Signale der Gegenregierung sat. BERLIN, 7. April. Deutschland beabsichtigt, die libysche Einheitsregierung beim Wiederaufbau zu unterstützen. Der Stabilisierungsfonds, den Außenminister Frank-Walter Steinmeier der Regierung in Tripolis anbieten will, sei auch im deutschen Interesse. „Im Chaos des Bürgerkriegs ist Libyen zum Tummelplatz für kriminelle Schleuser und für die Terrorbanden des IS geworden, die auch uns in Europa und Deutschland bedrohen. Eines ist sicher: Auf Dauer werden wir den Schleusern und den Terrorbanden nur dann das Handwerk legen, wenn es wieder einen handlungsfähigen libyschen Staat gibt“, sagte er dieser Zeitung am Donnerstag. Das Auswärtige Amt bietet konkret an, gemeinsam mit dem Entwicklungs- programm der Vereinten Nationen UNDP einen Fonds für Sofortmaßnahmen zu Stabilisierung und Wiederaufbau zu schaffen. Damit habe man im Irak gute Erfahrungen gemacht, heißt es im Auswärtigen Amt mit Blick auf die deutsche Hilfe für die von der Herrschaft der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) befreite Stadt Tikrit. Es komme darauf an, dass die Libyer wieder Vertrauen in ihren Staat fassten und spürten, dass es eine Friedensdividende gebe. Zwar sei es ein „großer Fortschritt“, dass trotz aller Bedrohungen und Sabotageversuche die Einheitsregierung jetzt in Tripolis Fuß gefasst habe und breite Akzeptanz im Land finde, sagte Steinmeier weiter. „Trotzdem bleibt die Lage höchst fragil, die Konflikte können jederzeit wieder eskalieren“, warnte der Außenminister. Es werde noch viele kleine Schritte brauchen und konkrete Unterstützung von allen Seiten. Das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium könnten 2016/2017 ein Viertel der von dem Fonds geplanten 40 Millionen Euro einzahlen, heißt es. Noch befindet sich die Angelegenheit allerdings in der Planungsphase: Erste Reaktionen auf das Konzept seien positiv, müssten aber in den kommenden Wochen „substantiiert“ werden, heißt es. Der Leiter der Stabilisierungsabteilung des Auswärtigen Amts, Rüdiger König, reise dazu in der kommenden Woche zu einem ersten Gebertreffen in die tunesische Hauptstadt. Das deutsche Engagement zu diesem frühen Zeitpunkt sei „nicht ohne Risiko, aber dennoch richtig“, heißt es im Auswärtigen Amt. Auf Dauer brauche es für Stabilität in Libyen auch den Aufbau loyaler und effektiver staatlicher Sicherheitsstrukturen. Auch dabei werde Berlin der libyschen Regierung Unterstützung anbieten, etwa durch Ausbildung von Sicherheitskräften. Hier liefen bereits konkrete Vorarbeiten. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte bereits Ende Februar mitgeteilt, Berlin erwäge, in Tunesien mit anderen Partnerländern ein Ausbildungscamp nicht nur für tunesische Sicherheitskräfte, sondern – nach Etablie- rung einer Einheitsregierung in Tripolis – auch für libysche Kräfte einzurichten. Im Auswärtigen Amt hieß es, die bisherige, von Berlin nicht anerkannte Gegenregierung ziehe sich offenbar zurück, und dem Präsidialrat und der Einheitsregierung scheine es zu gelingen, ihr Handlungsfeld in der Hauptstadt auszuweiten. Wichtig sei, dass der Gouverneur der Zentralbank die Autorität von Ministerpräsident Fayiz al Sarradsch anerkannt hat. Einen Tag nach dem Machtverzicht der Gegenregierung zog deren Chef Chalifa Ghweil die Ankündigung allerdings wieder zurück. Zuvor hatte er erklärt, er ziehe sich im Interesse des Landes zurück, um weiteres Blutvergießen und die Spaltung Libyens zu verhindern. BRÜSSEL, 7. April. Mark Rutte wirkt auch am Donnerstag ratlos. Auf Fragen, wie es nach der Schlappe beim Referendum mit dem Assoziierungsvertrag zwischen der EU und der Ukraine weitergehen werde, flüchtet er sich in Allgemeinplätze: „Wir werden jetzt Schritt für Schritt an den nächsten Schritten arbeiten.“ Und selbst wenn der niederländische Ministerpräsident einen Ausweg wüsste, würde er ihn jetzt kaum verraten. All dies werde „Tage, Wochen oder Monate“ erfordern, sagt der rechtsliberale Politiker. Am Votum gibt es einiges, an den Zahlen wenig zu deuteln: 32,2 Prozent der Stimmberechtigten haben am Mittwoch an der Abstimmung teilgenommen. Sie haben sich zu 61,1 Prozent für Nein entschieden. Rutte spielt auf Zeit. Dass aus den Hauptquartieren von Europäischer Kommission und EU-Ministerrat die Reaktion kam, nun seien die Niederländer am Zuge, kam für die Regierung nicht überraschend. Am Mittwochabend, als die Beteiligung von mehr als dreißig Prozent der stimmberechtigten Niederländer am Referendum feststand, hatte Rutte zu erkennen gegeben, dass er das Votum trotz seines konsultativen und rechtlich unverbindlichen Charakters nicht ignorieren könne. „Bei so einem Nein kann der Vertrag mit der Ukraine nicht ohne weiteres ratifiziert werden“, ließ er sich entlocken. Der sozialdemokratische Koalitionspartner PvdA hatte schon vor dem Referendum klargestellt, dass die Regierung bei einem Nein nicht zur Tagesordnung übergehen könne. So kursieren in Den Haag Lösungsmodelle. Eine komplette Neuverhandlung mit Kiew erscheint, wie die Reaktionen aus der EU-Zentrale zeigten, ausgeschlossen. Die wirtschafts- und handelspolitischen Aspekte, die einen Großteil des Vertrags ausmachen, dürften ebenfalls kaum zur Disposition gestellt werden. Eher könnte es darum gehen, die Niederlande aus Teilen der geplanten politischen Zusammenarbeit – zum Beispiel der Innenund Justizpolitik – auszuklammern. Zur Diskussion steht auch eine Erklärung oder ein rechtsverbindliches Protokoll, wonach der Assoziierungsvertrag keine Vorstufe zu einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine sei. Das wäre Verbalkosmetik, da kaum jemand in der EU für einen Beitritt Kiews wirbt. Zudem hatte Rutte vor dem Referendum erklärt, die Niederlande verfügten ohnehin, wie alle übrigen 27 EU-Länder, über ein Vetorecht. Dieses Argument verfing am Mittwoch ebenso wenig wie der Hinweis der Befürworter des Vertrags, dass eine Handelsnation wie die Niederlande nur ein Interesse am Abkommen haben könnte. Offenkundig ging es auch vielen der im „Bürgerkomitee EU“ und dem „Forum für Demokratie“ vereinten Initiatoren des Referendums keineswegs nur um den Vertrag; „Die demokratische Revolution hat begonnen. Und die Bar ist offen“, rief nach Bekanntgabe der ersten Prognosen ein strahlender Thierry Baudet. Seit Wochen hatte der Wortführer des Nein-Lagers erklärt, der Vertrag sei symptomatisch für eine EU, die sich nicht um die Sorgen ihrer Bürger schere. Am Donnerstag legte Baudet nach. Die Ablehnung sei ein Appell zu einer bescheideneren EU und gegen „imperiale Ambitionen“. Unmissverständlich gab er zu verstehen, dass das Referendum nur ein Auftakt sei zu möglichen weiteren Referenden: zum Euro, zum Fortbestand offener Grenzen in Europa und dem auch in den Niederlanden vielkritisierten Plan für eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Während Baudet von einer „anderen EU“ sprach, wurde der von ihm ausgesprochen geschätzte Euro- und Islamgegner Geert Wilders explizit: „Das ist der Anfang vom Ende der EU.“ Dass es auch linksgerichteten Politikern nicht nur um Wohl und Wehe des provisorisch schon gültigen Assoziierungsvertrags ging, verdeutlichte Emile Roemer, der Fraktionsvorsitzende der links von den Sozialdemokraten stehenden Sozialistischen Partei (SP): „Viele Leute wollten an der Notbremse ziehen, wenn es um die Entwicklung der Europäischen Union geht.“ Haager Regierungspolitiker erwägen hingegen, beim Referendumsgesetz selbst die „Notbremse“ zu ziehen. So sagte der sozialdemokratische Innenminister Ronald Plasterk im Rundfunksender NOS, die jetzigen Regeln seien verwirrend. Da das Referendum bei einer Stimmbeteiligung unter 30 Prozent ungültig gewesen wäre, seien manche Anhänger des Vertrags wohl vorsorglich zu Hause geblieben. „Nun bezieht sich die Schwelle an der Gesamtzahl der Menschen, die abstimmen. Man könnte sie aber an einer Mindestanzahl von Gegenstimmen festmachen“, erläuterte Plasterk. Noch weiter ging der Leidener Staatsrechtler Wim Voermans. „Eine Beteiligungsschwelle von 30 Prozent gehört zu einem Referendum, das verbindlich ist. Bei einem konsultativen Referendum hat das keinerlei Sinn.“ Schließlich könne man auch anführen, dass zwei Drittel der Bürger nicht abgestimmt und wohl keine Probleme mit dem Vertrag hätten. „Das eröffnet der Regierung den Spielraum, das Ergebnis größtenteils zu ignorieren. Ich erwarte, dass Rutte dies tun wird“, sagte der Staatsrechtler.
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