GroßerSport,klares1:6

Montag, 11. April 2016
HRV / Seite 41
SPORT
Fragil
statt stabil
Warum in der 2. Liga der
Aufstiegswille fehlt
Meisterschaft? Ja, unbedingt!
Aufstieg? Nein, danke! Im Bundesliga-Tischtennis greift an der
Nahtstelle zwischen 1. und 2.
Liga ein ansonsten ehernes
Gesetz des Mannschaftssportes
nicht mehr. Keines der Teams, die
in der 2. Liga um den Aufstieg
kämpfen, hat für die 1. Liga die
Lizenz beantragt. Grund: Der
sportliche Aufstieg wird für Vereine, die keine üppig sprudelnde
Geldquelle vorweisen können, zu
einem unkalkulierbaren Risiko.
Dabei sind die horrenden
Unkosten, die eine Saison im
Oberhaus mit sich bringt, das kleinere Problem für Vereine, die im
schnellen Spiel mit dem kleinen
Ball zuallererst den Mannschaftssport sehen. So wie dies im TV Hilpoltstein der Fall ist. In der bayerischen TT-Hochburg ergänzen
sich Amateurspieler zu einem
Team, das im Haifischbecken der
Vollprofis auch den Kopf oben
behält, weil einer für den anderen
kämpft.
Dagegen tendiert die erste
Liga, die seit dem Jahr 2011 von
der TTBL Sport GmbH geführt
wird, durch die Reduzierung von
Vierer- auf Dreier-Teams ganz
deutlich in Richtung Einzelsport.
Zum einen fallen beim sogenannten Champions-League-System,
das im Oberhaus gespielt wird,
die Doppel unter den Tisch, zum
anderen kann ein einzelner Spieler zwei Drittel der zum Mannschaftssieg erforderlichen Punkte
einheimsen. Gespielt wird nur
noch an einen Tisch. Ist das zweite Einzel beendet, erfolgt eine
viertelstündige Pause, wobei
einer der beiden Akteure, die
bereits gespielt haben, durch
einen vierten Spieler ersetzt werden darf. Sind die Kräfteverhältnisse eindeutig, können sich die
Zuschauer nach einer knappen
Stunde bereits wieder auf den
Heimweg machen.
Volles Haus nur mit Boll
So weit, so gut beziehungsweise
schlecht für mögliche Aufsteiger.
Um eine reelle Chance zu haben,
braucht es Verstärkungen. Und
am besten Weltklasse. Aus
Zuschauereinnahmen lässt sich
ein hochkarätiges Dreierteam
nicht einmal ansatzweise finanzieren, selbst wenn TT ein Zuschauermagnet ist. In der 2. Liga ist Hilpoltstein mit einem derzeitigen
Zuschauerschnitt von zirka 360
seit Jahren das Nonplusultra.
Selbst im Oberhaus, wo in den vergangenen Jahren ein Zuschauerrückgang von 20 Prozent zu verzeichnen war, übertrifft diese
Bilanz derzeit nur knapp die Hälfte der zehn Vereine. Volle Hallen
sind in der 1. Liga erfahrungsgemäß nur der Fall, wenn Timo
Boll mit im Spiel ist.
Und ein Fernsehsport ist Bundesliga-Tischtennis nach wie vor
nicht. Aber teuer geworden ist
das Oberhaus. So kassiert die
TTBL GmbH vorab ein Startgeld
von 16 000 Euro, zuzüglich 5000
Euro Jugendabgabe. In der Halle
reicht nicht mehr das vorhandene
Parkett, sondern ein roter Belag
muss es sein. Einen solchen müsste der TV erst einmal erwerben
und dann vor jedem Heimmatch
verlegen lassen. Außerdem müsste er elektronisch aufrüsten, um
bei Heimspielen bewegte Bilder
im Internet zu ermöglichen.
Bevor der erste Ball fliegt, sollten Aufsteiger mit Ausgaben um
die 50 000 Euro kalkulieren. Dazu
gilt es, eine wettbewerbsfähige
Mannschaft zu finanzieren. Zweifelsohne ein Kraftakt der besonderen Art. Dass der TV Hilpoltstein
keine Ambitionen auf ein sportliches Abenteuer hat, das die
Gefahr des sportlichen Absturzes
birgt
(Beispiel
Gräfelfing),
braucht nicht zu verwundern.
Schließlich würde der Verein, der
schon in der 2. Liga mit dem
geringsten
Etat
auskommen
muss, nicht nur sportliches
Renommee, sondern auch ein stabiles Geflecht riskieren, das sich
aus treuen Sponsoren, ehrenamtlichen Kräften, begeisterungsfähigen Zuschauern, konsequenter
Nachwuchsförderung und Spielern, denen mehr am Verein als
am Abkassieren liegt, zusammensetzt.
Die TTBL GmbH ist derzeit
noch ein sehr fragiles Konstrukt.
Und ohne Reform von der Reform
wird sich die Aufstiegsbereitschaft von Zweitligateams weiter
in engen Grenzen halten. Genau
dieser Ansicht ist man übrigens
auch beim Fast-Meister TTC
Jülich.
HANS PÜHN
Auch für einen TTC Jülich, der schon 33 Erstliga-Jahre hinter sich hat, war die tolle Atmosphäre in der Stadthalle etwas besonderes. In der Pause bedankte sich Alexander Flemming beim Publikum für die große Unterstützung in dieser Saison. „Wie freuen uns stets riesig auf unsere Heimspiele“, erklärte der TV-Kapitän. Fotos: Pühn
VON HANS PÜHN
Großer Sport, heißumkämpfte Spiele,
klares Ergebnis. Dem TTC indeland
Jülich gelang gestern in der Hilpoltsteiner Stadthalle mit einem zwar verdienten, aber doch deutlich zu hoch ausgefallen 6:1-Sieg der vorentscheide
Schritt in Richtung Meistertitel in der
eingleisigen 2. TT-Bundesliga. Nichtsdestotrotz wird es in der neuen Saison
zu einem Wiedersehen von Hilpoltstein mit dem norddeutschen Traditionsverein kommen. Jülich nämlich hat
kein Interesse daran, in den Kreis der
Erstligisten zurückzukehren, solange
dort mit Dreierteams gespielt wird.
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Hilpoltsteins Rechnung ging trotz Topleistung nicht auf
hochmotivierten, aber in entscheidenden Phasen wohl auch etwas glücklosen Hausherren. Vor allem dem Hilpoltsteiner „Nummer eins“, Petr
David, fehlte in einem engen Match
gegen den luxemburgischen Nationaltrainer Herrmann Mühlbach das nötigen Quäntchen Glück. Das Duell zwi-
HILPOLTSTEIN – Für den TV 79
Hilpoltstein bleibt nach dem 1:6
immerhin noch die Hoffnung auf den
Vizetitel. Selbst ein 5:5 in Dortmund
würde reichen, wenn Jülich auch im
Finale beim neuen Rangzweiten TSV
Bad Königshofen so meisterlich auftrumpfen würde wie gestern in Mittelfranken.
Vor knapp 500 Zuschauern war in
der Stadthalle schon vor der Pause
eine Vorentscheidung zu Gunsten des
Tabellenführers gefallen. Die Hilpoltsteiner Rechnung, zwei Punkte aus
den beiden Doppeln und zumindest
einen Zähler aus den beiden Spielen
im vorderen Paarkreuz einzufahren,
war nicht aufgegangen. Statt mit 3:1
in Führung zu gehen, gerieten die
Hausherren mit 1:3 in Rückstand.
Flemming/Christ lieferte beim 3:0
gegen Jean/Ostwouder zwar eine Topleistung ab, doch David/Dickhardt
verloren gegen Ozowa/Mühlbach
nach einem 11:7-Satzgewinn den
Faden und gerieten nach dem 10:12 in
einem hart umkämpften zweiten
Durchgang auf die schiefe Bahn.
Die anschließenden Begegnungen
im vorderen Paarkreuz deuteten an,
was sich nach der Pause bestätigen
sollte. Die Gäste gingen in zwei hochklassigen Duellen etwas entschlosse- Flemming kann über diesen Trostpreis
ner zu Werke als die zwar ebenfalls eines TV-Fans schon wieder lachen.
schen Alexander Flemming und dem
belgischen Meister Lauric Jean avancierte, was spektakuläre Ballwechsel
betrifft, zwar zu einem Höhepunkt,
doch der Jülicher ließ sich von Flemmings furiosem Satzausgleich nicht
beeinflussen und zeigte in den beiden
Folgesätzen eine Weltklasseleistung.
Tischtennis in Zahlen
2. Bundesliga
FC Saarbrücken II - TTC Fortuna Passau 6:1, TV
Hilpoltstein - TTC indeland Jülich 1:6.
1. TTC indeland Jülich
17 85:63 23:11
2. TSV Bad Königshofen
17 88:66 21:13
3. TV Hilpoltstein
17 79:73 21:13
4. TTC Frickenhausen
17 82:72 20:14
5. FC Saarbrücken II
17 79:66 18:16
6. TTC Fortuna Passau
17 77:77 18:16
7. TTC Ober-Erlenbach
17 83:77 17:17
8. BV Borussia Dortmund
17 72:76 16:18
9. TuS Fürstenfeldbruck
17 63:86 12:22
10. TTC Ruhrstadt Herne
17 46:98 4:30
Bayernliga Nordost Herren
TTV Altenkunstadt - TSV Stein 7:9, TTC Tiefenlauter - TSV Stein 9:7.
1. TTC Kist
15 126:77 23:7
2. TSV Eintracht Eschau
15 125:92 22:8
3. TV Hilpoltstein II
16 128:101 21:11
4. TTC Tiefenlauter
14 116:89 20:8
5. TV Altdorf
15 113:113 15:15
6. TSV Stein
16 106:126 13:19
7. TTC Rugendorf
16 108:120 12:20
8. TS Arzberg
16 96:124 11:21
9. TTV Altenkunstadt
15 58:134 1:29
Bayernliga Jungen
TSV Neutraubling - TSV Ansbach 8:0, TG Würzburg Heidingsfeld - TV Hilpoltstein 8:4.
1. TV Hilpoltstein
14 107:24 25:3
2. TV Hilpoltstein II
13 86:52 19:7
3. TV Etwashausen
14 94:56 19:9
4. TSV Ansbach
14 81:76 16:12
5. Post SV Nürnberg
14 78:80 16:12
6. Würzburg Heidingsfeld 15 87:96 15:15
7. TSV Ebermannstadt
15 65:104 9:21
8. TSV Neutraubling
14 56:91
8:20
9. ASV Zirndorf
15 44:119 1:29
Statt wie von den Gastgebern
erhofft, stand nach der ersten Hälfte
nicht der Tabellenführer unter Druck,
sondern im hinteren Paarkreuz Nico
Christ und Dennis Dickhardt. Entsprechend selbstbewusst gingen die Gegner zu Werke. Die beiden Hilpoltsteiner konnten mit je einem Satzgewinn
nach einem 0:2-Rückstand die Entscheidung nur noch hinauszögern.
Der Japaner Yoshihiro Ozawa zeigte
sich gegen Dickhardt psychisch genauso stark wie der Niederländer Ewout
Oostwouder gegen Nico Christ.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, munterte beim Stande von 1:5 Teamchef
und Hallensprecher Bernd Beringer
die Zuschauer auf. Was aber gar nicht
nötig gewesen wäre. Die Hilpoltsteiner Fans standen auch noch wie ein
Mann hinter ihrem Team, als allen
klar war, dass diesmal gegen den überragenden Belgier Lauric Jean und seinen topeingestellten Teamkollegen
kein Kraut gewachsen sein würde.
Der Schlusspunkt hinter einer Partie, die zweieinhalb Stunden lang die
Erwartungen eines Spitzenspiels
erfüllte, war symptomatisch für die
gesamte Begegnung. Im Spitzenduell
trumpfte Petr David gegen Lauric
Jean phasenweise zwar groß auf, konnte den Belgier aber nicht gefährden.
Lob gab es für die Verlierer trotzdem. Und zwar von Gästetrainer Miro
Broda, der es als „unglaublich“
bezeichnete, was mit Hilpoltstein in
dieser Saison ein Aufsteiger abliefert.
Unglaublich aber auch die Kehrtwende des TTC Jülich, der nach der Vorrunde noch abstiegsgefährdet war
und dem nun im letzten Spiel ein
Remis zum Titel reicht.
TV Hilpoltstein – TTC Jülich 1:6. David/Dickhardt – Ozawa/Mühlbach 11:7, 10:12,
8:11, 4:11; Flemming/Christ – Jean/Oostwouder 11:6, 11:9, 14:12; Petr David - Hermann
Mühlbach 7:11, 13:15, 11:8, 10:12; Alexander
Flemming - Lauric Jean 7:11, 11:7, 1:11, 9:11;
Nico Christ - Ewout Oostwouder 7:11, 9:11,
11:8, 9:11; Dennis Dickhardt - Yoshihiro Ozawa 9:11, 6:11, 11:9, 6:11; Petr David - Lauric
Jean 5:11, 11:9, 9:11, 5:11.
Mit identischer Besetzung in die neue Bundesligasaison
Das „Modell Hilpoltstein“ lebt nach wie vor von einem intakten Umfeld und seiner familiären Atmosphäre
Bis 1998 ermittelte der DFB
einen deutschen-Amateurfußballmeister. Im Tischtennissport hat es die Unterscheidung zwischen Amateure und
Profis in dieser Form zwar
noch nie gegeben, dennoch
sind auch bei den Zelluloidkünstlern zumindest in der 1.
und
2.
Bundesliga
die
(Voll-)Profis unter sich.
Mit einer Ausnahme: Der
Zweitligist TV Hilpoltstein
hält den Amateurgedanken
hoch. Statt Profigehälter
bezahlt er seinen Spielern
„nur“ eine vergleichsweise
bescheidene
Aufwandsentschädigung. Bescheiden vor
allem mit Blick auf den hohen
zeitlichen Aufwand, den Flemming und Co. betreiben müssen, um in der inzwischen eingleisigen 2. Liga den überwiegend ausländischen Kontrahenten Paroli bieten zu können.
In der Hilpoltsteiner Premierensaison, die am kommenden Sonntag mit dem Gastspiel bei Borussia Dortmund
endet, ist dies trotz der gestrigen 1:6-Niederlage im Top-
spiel gegen Jülich weit besser
gelungen, als alle Experten
erwarteten. In einem leistungsmäßig relativ ausgeglichenen Zehnerfeld spielte Hilpoltstein nicht gegen den
Abstieg, sondern bis gestern
um den Meistertitel. Dieser
Traum ist inzwischen zwar
ausgeträumt (möglich ist
nach dem 1:6 von gestern mit
einem Sieg am Sonntag in
Dortmund aber noch der Vizetitel), doch das Prädikat beste
deutsche Amateurmannschaft
gebührt nach wie vor den
Mannen um Teamchef Bernd
Beringer.
Höchster Erlebnisfaktor
Dass nationale TT-Asse wie
Petr David, Alexander Flemming, Nico Christ und Dennis
Dickhardt auf die Möglichkeit gutdotierter Verträge verzichten und stattdessen in Hilpoltstein den Amateurgedanken hoch halten, hängt eng
mit der Person Bernd Beringer zusammen. Er versteht es
wie kein anderer Begeisterung zu wecken. Bei seinen
vielen Mitstreitern in der
TT-Abteilung des TV genauso
wie unter den Sportlern,
Zuschauern und Sponsoren.
Der Erlebnisfaktor jedenfalls
ist in Hilpoltstein weit größer
als anderswo. Dass im Laufe
des langen Weges von der
Kreisebene zur nationalen
Spitzenklasse die familiäre
Komponente nicht auf der
Strecke blieb, ist ein weiterer
Pluspunkt für das Modell Hilpoltstein. Spieler wie Flemming, Christ, Dickhardt oder
David schätzen fernab der
Heimat
den
Familienanschluss in der Burgstadt genauso wie die Atmosphäre in der Stadthalle, wo
stets hunderte von Zuschauern wie ein Mann hinter ihrer
Mannschaft stehen.
Das
Umfeld
jedenfalls
stimmt in Hilpoltstein. Weitere Positivfaktoren: Die Abteilungsführung zieht an einem
Strang, eine Reihe regionaler
Sponsoren beweist Sympathie für Tischtennis á la Hilpoltstein und der Kreis an freiwilligen Helfern und Betreuern ist mitgewachsen mit den
Anforderungen, die der Spit-
zensport und eine engagierte
Jugendförderung an den Verein stellen. Nicht weniger als
18 Mannschaften müssen derzeit trainiert und betreut werden. Allein bei einem Bundesliga-Heimspielen sind mehr
als zwei Dutzend fleißige Geister im Einsatz.
Natürlich:
Sportlicher
Erfolg ist motivierend und
macht es zudem leichter, Fans
und Helfer zu mobilisieren.
Seit drei Jahrzehnten reihen
sich in Hilpoltstein die Erfolge beinahe nahtlos aneinander. Die erste Herrenmannschaft steht vor ihrer zwölften
Bundesligasaison und ist
inzwischen die bayerische
„Nummer eins“ im Mannschaftssport. Genauso wie die
Jugend, der mit Hannes Hörmann als Lokomotive zunehmend die Gegner ausgehen.
Weichen sind gestellt
Und wie es sich für einen
rundum funktionierenden Verein gehört, sind die Weichen
für die neue Saison bereits
gestellt. So wird die erste
Mannschaft in unveränderter
Besetzung alles dransetzen, in
einer durch zwei namhafte
Aufsteiger (1.FC Köln, TTC
Grenzau II) sportlich wohl
noch attraktiveren 2. Liga
ihren Ruf als Deutschlands
beste Amateurmannschaft zu
unterstreichen. Der viermalige tschechische Landesmeister Petr David wird sich nicht
nur das Hilpoltsteiner Trikot
überstreifen, sondern in seiner Heimat weiterhin als Trainer fungieren. Während Alexander Flemming nach abgeschlossenem Studium ins
Berufsleben startet, stellen
Physiker Nico Christ und
Swiss-Air-Pilot Dennis Dickhardt weiter auf gewohntem
Arbeitsplatz ihren Mann.
Dass sich der TV Hilpoltstein wie alle anderen Spitzenteams der 2. Liga frühzeitig
gegen den möglichen Erstligasport entschieden hat, konnte das gesamte Quartett gut
nachvollziehen. All dies aufs
Spiel zu setzen, was das Tischtennis-Modell
Hilpoltstein
ausmacht, wäre alles andere
als eine sinnvolle Entscheidung.
HANS PÜHN