www.mittelbayerische.de ENERGIE Windkraft: Kippt 10-H-Regel der CSU? Das letzte Wort hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof: Sein Urteil fällt am 9. Mai. Grüne und Freie Wähler klagen. Von Christine Schröpf 12. April 2016 17:01 Uhr Streit um die Windkraft in Bayern: Neue Abstandsregeln für Windräder haben den Ausbau nach Einschätzung von Kritikern nahezu zum Erliegen gebracht. Foto: dpa/Archiv MÜNCHEN Der Regen wird heftiger, doch vor dem Münchner Justizpalast harrt am Dienstagvormittag trotzdem eine Schar von Kämpfern für mehr Windkraft in Bayern aus. „Nein zur 10-H Abstandsregelung“, ist auf Transparente gepinselt. Einige halten bunte Windrädchen in der Hand. Das umstrittene CSU-Gesetz, das im Streitfall die zehnfache Distanz zwischen Windanlagen und Wohnbebauung vorschreibt, wird an diesem Tag vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof behandelt. Kläger sind SPD, Freie Wähler und Grüne, die in der Regelung den Tod für die Windkraft im Freistaat sehen. Unter den Demonstranten: Christoph Markl-Meider, Pressesprecher der Regensburger Ostwind AG. Das Unternehmen plane seit der 10-H Regelung vor allem Projekte außerhalb Bayerns, sagt er – in Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen. „Dort, wo die Windkraft politisch gewollt ist.“ Soeben habe man neue Büros in Potsdam und Duisburg eröffnet. Selbst wenn der bayerische Verfassungsgerichtshof die 10-H-Regel kippe, sei das Rad nicht einfach zurückzudrehen, zeigt sich Markl-Meider pessimistisch. Das CSU-Gesetz habe in Bayern zum Anti-Windkraft-Klima geführt. „Kommunen sind verunsichert.“ Was aus der 10-H Regelung wird, ob sie in Teilen, ganz oder gar nicht wegen Verfassungswidrigkeit kassiert wird, entscheidet sich am Dienstag noch nicht. Über zweieinhalb Stunden lauschen neun oberste bayerische Richter bei der Verhandlung den Argumenten und Gegenargumenten, die Opposition sowie Vertreter der Staatsregierung und der CSU vortragen. Der zehnfache Abstand sei willkürlich gewählt, sagen die Kritiker. „Für jede pauschale Vorschrift, die über 3 H hinausgeht, gibt es keine objektiven Gründe“, sagt Martin Stümpfig von den Grünen. Auch SPD und Freie Wähler sprechen von einem massiven Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen und einem Missbrauch der Länderöffnungsklausel, mit der der Bund 2014 Bayern den Sonderweg bei der Windkraft ermöglicht hatte. Mit 10-H könnten faktisch nur noch auf unter ein Prozent der Fläche des Freistaats neue Windrädern gebaut werden. Demonstranten vor dem Münchner Justizpalast: Sie wollen, dass die 10-H Regel zur Windkraft fällt. Foto: Schröpf Professor Martin Burgi, der bei der Verhandlung die Staatsregierung vertritt, macht eine andere Rechnung auf: Es bleibe eine Fläche von „immerhin 4940 Fußballfeldern“ mit Platz für an die 700 Windräder. Die 10-H Regel biete bei einvernehmlichen Lösungen Kommunen weiter viel Spielraum. Der Rückgang der Genehmigungsanträge für neue Windanlagen sei vor allem den Reformen des Erneuerbaren Energien-Gesetzes im Bund geschuldet. Josef Zellmeier, Fraktionsvize der CSU im Landtag, erinnert daran, warum Regierungschef Horst Seehofer den Windkrafterlass vorangetrieben hatte. „Er war erforderlich, um für Rechtsfrieden in unseren Dörfern zu sorgen.“ Immer höhere Windräder hätten immer größeren Widerspruch entzündet. Peter Küspert, Präsident des bayerischen Verfassungsgerichtshofs, hakt immer wieder nach und macht sich Notizen. Im Gerichtssaal ist ab und an Gegrummel von Befürwortern der 10H Regel zu hören – immer dann, wenn SPD, Grüne und Freie Wähler vom notwendigen verstärkten Ausbau der Windkraft sprechen. Walter Schorsch, Sprecher des Aktionsbündnisses „Gegenwind Oberfranken“ schnauft mehrmals schwer. Er lebt in der Stadt Hof, hat selbst kein Windrad in Sichtweite – und gehört trotzdem zu den stärksten Kritikern. „Die Heimat, die Natur, die ich gewohnt bin, hat sich vollständig verändert.“ Im Landkreis seien rund 120 Windräder postiert. „Die höchste Dichte in ganz Bayern.“ Seehofer zeigt sich gelassen Küspert kündigt an, dass das Gericht am 9. Mai sein Urteil fällen wird. Der Regensburger Rechtsanwalt Helmut Loibl, der bei der Verfassungsklage den früheren GrünenBundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell vertritt, zeigt sich vorsichtig optimistisch. „Wir haben eine Chance“, sagt er. Werde die 10-H Regel komplett gekippt, sei sie vom Tisch. Der Grund: „Die Länderöffnungsklausel ist im Dezember 2015 ausgelaufen.“ Bayern müsste im Bund eine neue Ausnahmeoption durchsetzen. Aus Loibls Sicht ist deshalb auch nicht möglich, dass die CSU-Regierung auf Wunsch des Gerichts nachbessert und etwa Abstandsforderungen reduziert. Die Richter könnten nur einzelne Passagen streichen, wie die Widerspruchsmöglichkeiten der Nachbargemeinden im Genehmigungsverfahren. Das Innenministerium bestätigt dieses Lesart zum Teil. „Bei kompletter Nichtigkeit der 10-H Regel stellt sich tatsächlich die Frage, ob man noch ein neues Landesgesetz erlassen könnte“, sagt der stellvertretende Pressesprecher Stefan Frey. Weitere Rechtsfragen seien nicht abschließend geklärt. Will das Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs „gelassen“ abwarten: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Foto: dpa Droht eine Schlappe für Seehofers Vorzeigeprojekt zum Besänftigen von Bürgern? Der Ministerpräsident gibt sich offiziell gelassen. „Wir warten die Gerichtsentscheidung in Ruhe ab. Wir können mit allem leben“, sagt er am Dienstag am Rande des Landtagsplenums. Der mögliche Triumph der Opposition wäre für den Oberpfälzer SPD-Vorsitzenden und Landtagsabgeordnete Franz Schindler nur zweitrangig. Ein Kippen der 10-H Regel „wäre in erster Linie für den Ausbau der Windenergie in Bayern wichtig“, sagt er. Im windreichen Landkreis Tirschenreuth hofft dagegen ausgerechnet ein Freie-Wähler-Landrat, dass Seehofers Windkrafterlass Bestand hat. Sein Landkreis leiste bereits viel, sagt Wolfgang Lippert. „Es muss auch irgendwann genug sein. Ich könnte schon jetzt nur mit Biogas eine hundertprozentige Versorgung der Privathaushalte gewährleisten.“ Der Planungsverband Oberpfalz Nord tüftle bereits vorsichtshalber an Ersatzregularien, falls die 10-H Regel fällt. Lockerer als das bisherige Gesetz, aber mit klaren Schranken, sagt er.
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