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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Mein Vater, sein Vater und ich
Drei Männer, drei Geschichten
Eva Lauterbach im Gespräch mit dem Filmemacher Jan Schmitt
Redaktion:
Petra Mallwitz
Sendung:
Freitag, 08.04.16 um 10.05 Uhr in SWR2
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MANUSKRIPT
„Wolfgang, mein Vater, Jahrgang 1938. Als Vater kam er mir oft sprachlos vor,
emotional abwesend, wie alle Väter seiner Generation.
Was für ein Bild kann ich mir von meinem Vater machen? Ich sehe einen Witzbold,
Motoren, einen Seefahrer, Ehemann und Einzelgänger. Ich weiß zu wenig von
Wolfgang. Ich habe mich aber auch nie getraut nachzufragen.
Wolfgang ist seit mehr als 10 Jahren tot.“
Eva Lauterbach:
Das ist der Anfang Ihres Films, Jan Schmitt, und dieses Film-Ich sind Sie selber, auf der
Suche nach Material, nach Lebenszeugnissen, nach Geschichten, die Ihren Vater
Wolfgang und den Großvater lebendig machen.
Beide Männer, der Vater und der Großvater, haben in ihren jeweiligen Familien mehr
oder weniger durch Abwesenheit geglänzt, das heißt: es gab keine funktionierenden
Beziehungen oder eine wirkliche Bindung zu den Söhnen.
Wieso macht man einen Film über einen Vater, der abwesend ist und wie geht das?
Jan Schmitt:
Tja, das ist eine sehr gute Frage und auch ganz schwierig - überhaupt an das Material
heranzukommen. Also ein Film besteht aus drei Personen und zwei leben gar nicht
mehr, das geht eigentlich gar nicht.
Ich bin aus einer schweigenden Familie, kann man sagen, die es tausendmillionenfach
gibt. Man redet einfach nicht miteinander und man lebt aneinander vorbei. Das ist eine
Leerstelle in meinem eigenen Leben, die ich einfach beleuchten wollte, und da ist es
letztlich zweitrangig, ob jemand noch lebt oder eben nicht. Sozusagen : was für eine
Hypothek habe ich von ihm bekommen, und, wenn ich mich verstehen will, muss ich ihn
verstehen, und muss aber auch erst mal seine Hypothek oder SEIN Erbe verstehen,
also quasi meinen Großvater, um dann zu gucken: was landet letztlich in meiner
Generation?
Eva Lauterbach:
Sie sagen jetzt, Sie wollten mehr über diesen Mann erfahren. Es hat sie gar nicht
geschmerzt, dass Sie ihn nicht kannten, also das war einfach so?
Jan Schmitt:
Ja, es war ein stückweit ein Abfinden damit. Ich habe auch um ihn gekämpft, aber durch
die Scheidung der Eltern, durch den Wegzug in den Norden, vom Süden ganz weg, ist
der Kontakt mehr oder minder eingeschlafen. Und er hat sich selbst auch nicht sehr
bemüht. Und irgendwann, wie ich’s im Film auch sage, mit 13/14 habe ich’s dann selbst
gelassen.
Aber die Geschichte und die Wurzeln, die holen einen natürlich wieder ein.
Eva Lauterbach:
Also, wenn wir mal sagen, wie Sie das angestellt haben. Die Mutter lebt nicht mehr und
der Vater lebt nicht mehr. Sie haben Freunde gefunden, Zeitgenossen, Altersgenossen,
die mehr oder weniger so alt sind wie der Vater, und Sie haben Ihren Onkel gehabt, den
Bruder des Vaters, als Auskunftsgeber.
Was könnte man über die Rahmendaten, über das Leben des Vaters sagen, was
wussten Sie?
Jan Schmitt:
Er ist 1938 quasi in den Krieg hineingeboren worden, er hat eine Ausbildung zum
Motorenschlosser gemacht, in den Motorenwerken in Mannheim. Er hat später eine
Umschulung gemacht, wurde Technischer Zeichner, hat dann aber wieder eine
Umschulung gemacht, wurde später Berufsschullehrer, und war eigentlich immer auf der
Flucht, auf der Flucht vor der eigenen Geschichte, möchte ich fast sagen.
Eva Lauterbach:
Er ist auch mal zur See gefahren, und er hat dann, Anfang der 60er Jahre - wann war
das?- geheiratet. Und 1967 sind Sie auf die Welt gekommen und einige Jahre später
gab es dann die Scheidung der Eltern.
Was sind denn Ihre allerfrühesten Erinnerungen an den Vater? Es gibt eine sehr
schmerzliche, als Sie ein bestimmtes Geschenk von ihm bekommen.
Jan Schmitt:
Ja, das war dann schon in der Pubertät, da ging’s um ein Werkbuch für Jungen, wo ich
einfach schmerzlich empfunden habe wie weit weg wir eigentlich voneinander sind, dass
er so sehr stark dem Männlichkeitsbild, möchte ich mal sagen, der Stadt, wo das
Automobil erfunden wurde, wo die Luftschiffe erfunden wurden, nämlich Mannheim
entsprach und ich eben gar nicht. Ich konnte damit schlicht gar nichts anfangen. Und ich
hatte das Gefühl, er hat auch gar keinen inneren Zugang zu mir. Er schenkt mir einfach
das, was ihm selbst gefällt, und ich fühlte mich als Person nicht gesehen, regelrecht
missachtet, würde ich sagen. Ich war der gar nicht, den er in mir sah oder in mir sehen
wollte.
Eva Lauterbach:
Wir hören einen ganz kurzen Auszug noch mal aus Ihrem Film, und da geht es um das
Klima, auch um das pädagogische Klima, in dem man, also Ihr Vater und die
Altersgenossen damals aufgewachsen sind.
1.Stimme:
„Also, ich bin ja noch Vorkriegsware, das heißt also Qualität.Die Generation ist strebsam
gewesen, ist sie noch und fleißig. Keine Spinner, besser erzogen als die Kiddies heute.
Wir haben gehört auf die Eltern und auf die Lehrer, da gab’s auch mal eins auf die
Nüsse. Also, es war schon mehr Zucht drin, ja.“
2.Stimme:
„Wer seinen Sohn liebt, züchtigt ihn. Ein Indianer kennt keinen Schmerz, so'n komischer
Satz...Insofern ist er richtig, wie eine Strenge schon wichtig ist, sonst verloddern ja.“
Eva Lauterbach:
Zu diesen Äußerungen der Männer gehört aber immer auch die Trauer darüber, dass
man das eigene Herz in so ein Männlichkeitskorsett begraben muss, also dass man
keine Gefühle gespürt hat, dass man die zumindest nicht gezeigt hat, weil es immer
dieses Ideal gab der Stärke und der Opferbereitschaft.
Was ganz anderes, und das erzählt auch ein Altersgenosse, war, dass Kindsein in
diesen Jahren auch hieß, dass man rumstreunen kann, dass man unbeobachtet ist, im
Unterschied zu diesen sogenannten Helikoptereltern heute, die jeden Schritt ihrer Kinder
steuern und auch beobachten.
Und der Onkel, der Bruder des Vaters, erzählt jetzt:
„Wir waren damals recht wild, wir waren verroht, wir machten Straßenschlachten, wir
warfen Steine aufeinander, wir schossen mit Pfeil und Bogen, wir hatten unsere
Trümmergrundstücke, wo wir zuhause waren, wo wir unser Beutegut....wo wir Feuer
gemacht haben. Wir fühlten uns dann immer wie die Indianer und das Ganze war
reichlich außerhalb des Elternhauses, das dann immer wieder mit allen möglichen
Ermahnungen einen abbremsen wollte.“
Eva Lauterbach:
Jan Schmitt, hatten Sie auch solche Freiräume, als Sie aufgewachsen sind, also
nochmal: Jahrgang 1967?
Jan Schmitt:
Ich war frech, sehr frech sogar. Und ich habe natürlich, ja, immer versucht die Grenzen
auch auszutesten. Im Grunde wiederholen sich da auch immer wieder Dinge. Das sind
fast so, fast schon wie Muster.
Und wenn die elterliche Strenge, die die Älteren aus der Vatergeneration regelrecht
anmahnen, und das als Ideal darstellen, wenn das fehlt, dann werden natürlich die
Grenzen stärker ausgetestet als wenn klare Grenzen gesetzt würden.
Wir haben auch sehr viel auf der Straße gespielt, wir haben auch Steine in die
Straßenbahnschienen gelegt und dachten: um Gottes Willen, hoffentlich springt sie nicht
aus den Gleisen. Und in der Tat ist sie, in der Schimperstraße, diese enge
Häuserschlucht, an deren Ende die Motorenwerke stehen, in Mannheim, ist sie dann
auch mal rausgesprungen. Zum Glück ist nichts passiert.
Da war schon ganz schön viel Blödsinn auch dabei.
Eva Lauterbach:
Ihr Onkel hat dann noch was ganz Entscheidendes erzählt, über Ihren Vater, da gab’s
ein Problem in der Schule und dann hat die Mutter, also Ihre Großmutter, den
katholischen Priester gefragt und hat dann seinen Rat befolgt:
„Schickt den Jungen aufs Konvikt, das ist also praktisch eine Priestererziehungsanstalt.
Und dort war also ein ganz rigider, man kann schon sagen, paramilitärisch klerikaler
Umgangston : gemeinsame Schlafsäle, mit Pfeife, morgens aufstehen, kalt waschen
und so weiter.
Da steckte auch noch ein Stück NS drin, Napola, nationalsozialistisch politische
Erziehungsanstalt. Und das war eine der tiefen Verletzungen, die mein Bruder erlebt
hatte, die zeitlebens irgendwo immer wieder durchkam, und die ihn auch mehr und mehr
verschlossen machte. Der Bub wollte nachhause!!“
Eva Lauterbach:
Der Vater hat sich gequält, als Jugendlicher, das hören wir da. Haben Sie das gewusst,
diese Geschichte?
Jan Schmitt:
Nee, das habe ich nicht. Ich war total von den Socken, muss man sagen. Von dieser
Geschichte wusste ich überhaupt nichts. Und das ist ja offenbar, so wie’s mein Onkel
andeutet, auch eine entscheidende Geschichte für ihn, was den Fortbestand seiner
Person, seine Existenz betrifft, auch seiner Emotionalität, glaube ich.
Wie stark der dort getriezt wurde, in eine Richtung regelrecht gedrängt wurde, wie eng
das eigentlich war, der Drill, die Ordnung, obwohl wir dann schon Mitte der 50er Jahre
waren. Wahnsinn. Da wurde ja nicht gesprochen, da wurde gehorcht.
Eva Lauterbach:
Auf der Suche nach männlichen Vorbildern des Vaters beim Aufwachsen, sind Sie auf
den Großvater gestoßen. Vielleicht können Sie einfach ein bisschen über ihn erzählen
oder seine Biografie mal ganz kurz umreißen.
Jan Schmitt:
Er ist 1910 geboren, am Rande von Mannheim, hat dann als Architekt in einem sehr, für
den Städtebau, prominenten Architektenbüro gearbeitet. Er ist dann in die NSDAP
eingetreten, 1940 stieg er dann weiter auf in der Hierarchie der Nazis, wurde
Heeresarchitekt, ist mit den Soldaten in Norwegen eingefallen, hat für die Infrastruktur
dort gesorgt. Und kam später zurück und für ihn war dann der Krieg vorbei, er hat
gemerkt: oh, Gott, ich will nicht den Amerikanern in die Hände fallen, also flieg ich mal
eben rüber nach Frankreich, in die französische Zone. Und hat sich ergeben und hat
gesagt: „Ich bin Architekt, lassen Sie uns das Land wieder aufbauen, der Krieg ist für
mich vorbei.“
Und schwuppdiwupp nach 8 Tagen hatte er schon wieder einen Job.
Eva Lauterbach:
War er da schon verheiratet, zu dem Zeitpunkt?
Jan Schmitt:
Er hat ja seine Familie sitzenlassen und hat schon wieder neu geheiratet, hat auch eine
Tochter bekommen, und wollte eigentlich mit der alten Familie, wo er schon Jahre
vorher abgeschlossen hatte, nichts mehr zu tun haben.
Eva Lauterbach:
Also die alte Familie, dazu gehört Ihr Vater und der Bruder.
Jan Schmitt:
Genau, ja.
Eva Lauterbach:
Und da gibt es noch mal eine eigentlich erschütternde Szene.
Jan Schmitt:
Ja, und zwar besann er sich offenbar: Moment mal, ich habe doch da zwei Söhne; und
er möchte die sehen. Und er kommt ins Haus und mein Vater und sein Bruder stehen
auf der Treppe und hinter ihnen steht der Urgroßvater und sagt: „Du Schuft, du
Ehebrecher, Verbrecher, was willst du hier? Verschwinde, du hast hier nichts zu
suchen.“
Und das war die letzte Begegnung, die die beiden eigentlich mit ihrem leiblichen Vater
hatten.
Eva Lauterbach:
Der ist daraufhin verschwunden. Und Ihr Bruder sagt, er wusste gar nicht wer da kommt,
wer da steht, wer da vom Urgroßvater beschimpft wird.
Jan Schmitt:
Ja, das stimmt. Der Karlheinz ist ja Jahrgang 1940, der hat also sehr viel weniger
mitbekommen, denn1940 war ja der Überfall auf Norwegen. Also hat er im Grunde
seinen Vater kaum kennen gelernt.
Eva Lauterbach:
Der Tod des Großvaters, sagt der Onkel dann, hat ihn eigentlich wenig bewegt, im
Gegenteil, er hat sich eher frei gefühlt und kriegt wieder Luft. Und da gibt es eine
Parallele zu Ihnen, dass Sie auch sagen der Tod Ihres Vaters, da waren Sie knapp 30,
der hat Sie eigentlich wenig berührt. Wann hatten Sie ihn denn davor zuletzt gesehen?
Jan Schmitt:
Ja, das muss so um die 2000er Jahre rum gewesen sein. Er ist ja dement gewesen und
ich muss auch sagen, dass ich auch aufgrund der Krankheit auch schon Angst vor ihm
hatte, weil er einen nicht mehr richtig erkannt hat. Er ist eigentlich immer mehr in sich
gefallen und wusste gar nicht mehr wer wer ist, und das hat ihn auch sehr jähzornig
gemacht, und da hatte ich regelrecht Angst.
Und das erinnerte mich auch an ganz frühe kindliche Erinnerungen. Ich lag im
Kinderzimmer im Bettchen und er kam so als schwarze Gestalt, so bamm, bamm,
bamm, den Flur entlang, und ich musste mich verstecken, und in der kindlichen Welt
spielten halt dann Schneewittchen und die sieben Zwerge eine Rolle, die mir halfen
mich zu verstecken.
Also da kommen dann auch wieder so Gefühle hoch von früher, wo ich dachte: oje, oje,
da ist so viel Altes noch da, was sich den Weg wieder nach oben bahnt.
Eva Lauterbach:
Und das sind so die Grundgefühle, die Sie ursprünglich mit ihm verbinden, oder welches
sind diese Gefühle?
Jan Schmitt:
Also, mein Gefühl zu ihm war immer schwierig, weil ich immer das Gefühl hatte, er will
eigentlich jemanden ganz anderen als seinen Sohn haben, als der, der ich bin. Er
konnte mit mir als Person, weil ich eben nicht sein Ebenbild bin, eigentlich wenig
anfangen, wobei die Leute immer sagen: „Moment mal, du siehst ihm doch verdammt
ähnlich.“ Also sehr, sehr zwiegespalten, würde ich mal sagen.
Eva Lauterbach:
Wie alt waren Sie bei der Trennung der Eltern?
Jan Schmitt:
Das war 1972, da war ich 4.
Und wir haben uns ein-, zweimal im Jahr gesehen, wir sind hingefahren, vom Norden,
nach Mannheim. Das waren aber auch alles Dinge, dass er eigentlich gar nicht auf uns
gehört hat, sondern er hat sein Ding durchgezogen. Er ging gerne segeln, wir gingen mit
segeln, er wollte nicht kochen, also geht man essen, aus praktischen Gründen,
wohlgemerkt mit riesen Tellern, große Portionen. Also er hat da ganz sein Ding
durchgezogen.
Kann ich im Nachgang auch wirklich total gut verstehen, weil ich meine, woher soll er’s
denn wissen wie das überhaupt geht, Vater zu sein? Weil ihm einfach die Vorbilder auch
fehlten.
Eva Lauterbach:
Sie haben ihn ja auch interessanterweise gar nicht Vater genannt, sondern Wolfgang,
gut, das war vielleicht in dieser Zeit eine Zeitlang üblich, also in den nach 1968er
Jahren.
Jan Schmitt:
Auf jeden Fall. Also, das war Programm damals, dass man ganz fortschrittlich, auf
Augenhöhe, die Eltern beim Vornamen nennt. Aber es steht natürlich auch für etwas,
nämlich für eine Augenhöhe, die gar nicht da ist, diese Augenhöhe, diese gleiche, die
gibt es nicht zwischen Kindern und den Eltern, das ist immer eine ganz andere Ebene.
Und wir kennen aus vielen Geschichten jüngeren Datums, beispielsweise die
Odenwaldschule, diese Katastrophe, die dort passiert ist, was auf Augenhöhe passieren
kann, wenn Kinder als Erwachsene genommen werden. Das geht nicht.
Eva Lauterbach:
Gab es denn für Sie beim Aufwachsen irgendwelche anderen männlichen Vorbilder oder
Männer, an denen man sich orientieren kann, zu denen Sie eine Bindung hatten?
Jan Schmitt:
Also ich hatte eigentlich immer das Gefühl, dass der Bruder meines Vaters so eine Figur
für mich ist, dass der eigentlich so ein innerer Vater für mich ist, dass ich immer dachte:
Mensch, der könnte doch mein Vater sein. Weil ich mich ihm immer verbunden fühlte,
auch wenn wir gar nicht so viel Kontakt hatten.
Sonst muss ich sagen war ich immer stark fasziniert von John Lennon und der
biografischen Aufarbeitung, anhand der Texte, anhand der Lieder, die er gemacht hat.
Also der Vater hat viel getrunken und war immer weg, und da heißt es ja in einem Lied:
„Mutter, geht nicht weg“ und „Vater komm heim“. Und die Mutter hat ihn, weil sie auch
mit ihrem eigenen Leben nicht klar kam, mehr oder minder im Stich gelassen und hat
ihn bei der Tante Mimi aufwachsen lassen. Und da fühle ich natürlich so eine Art
Verwandtschaft, möchte ich mal sagen.
Eva Lauterbach:
In Ihrem Film fragen Sie die Männer, die alle um die 70 sind und drüber, immer wieder überhaupt fragt der Film das auch immer wieder: was ist denn männlich?
Und da gibt es die unterschiedlichsten Antworten, von „keine Ahnung“ über „ja,
zielgerichtetes Denken“ „Kompromisslosigkeit“, „Härte gegen sich selbst“.
Und die einzige Frau dieses Films- das ist ja ein Männerfilm- ist eine Putzfrau, die
macht sauber, die sagt auch „Ach, Männer, die sind ja schnell zu durchschauen, die
denken immer sie sind der Nabel der Welt und ohne sie geht nichts.“
Was sagen Sie denn, was ist männlich?
Jan Schmitt:
Oh, das ist eine verdammt schwierige Frage, würde ich sagen.
Also, eigentlich kann man sie, glaube ich, gar nicht beantworten. Im Film, sage ich mal,
kann ich mir’s ja leicht machen, indem ich einfach andere zu Wort kommen lasse. Also
die Bandbreite, die Sie beschrieben haben, die ist irgendwie schon wichtig.
Und wo ich mich da jetzt einordne, ich bin ja auch auf der Suche, ich glaube, dass sich
die Welt um die Männer dreht. Die Jungs sagen: „iiih, Mädchen, um Gottes Willen“. Das
ändert sich natürlich dann irgendwie, aber trotzdem zeigt das ja schon, dass der
Mittelpunkt immer der Mann ist. Der Mann gründet eine Familie. Und alles dreht sich
eigentlich um den Mann. Wir stehen mit beiden Beinen im Leben. Das ist es mit
Sicherheit.
Aber ich glaube die Frage kann keiner beantworten, was letztlich männlich ist.
Weiß wirklich jemand was männlich ist? Das ändert sich ja auch gerade tollerweise.
Also, männlich ist auf jeden Fall nicht – so war’s in der Vatergeneration – ein Kind im
Gürtel zu tragen, so wie es heute die Väter machen, die neuen Väter, da ist schon mal
nicht männlich. Wir haben ja mittlerweile ganz andere Männer, und das ist fantastisch zu
sehen.
Da hat sich eine Menge getan. Ich bin nur am Zweifeln, ob das auch innerlich wirklich so
ist, was äußerlich längst sichtbar ist, ob der innere Prozess auch schon so weit ist. Ich
glaube, dass wir äußerlich weiter sind, mit dem, dass wir die neuen Männer sind, dass
wir aber innerlich eigentlich noch die alten sind.
Eva Lauterbach:
In welchen Punkten fühlen Sie sich traditionell?
Jan Schmitt:
In den Punkten: so, so machen wir das jetzt. Oder in der leisen Hoffnung: ist das Essen
schon fertig? Ich habe ja jetzt den ganzen Tag gearbeitet.
Ja, Sie wundern sich, aber das ist in der Tat so. Das spricht man nicht aus, aber im
Grunde stecken wir ganz schön fest in diesen alten Strukturen, an solchen Dingen
merke ich das immer wieder.
Eva Lauterbach:
Wir haben jetzt über Väter und nicht vorhandene Väter gesprochen, Sie haben keine
Kinder, ist das eine bewusste Entscheidung, oder hat sich das einfach nicht ergeben?
Jan Schmitt:
Es hat sich nicht ergeben, trotzdem ist es so, dass ich Kinder habe, Filme sind meine
Kinder und das ist eigentlich eine tolle Geschichte, weil mit einem Film kann ein Mann
auch schwanger gehen und das dauert sogar mehr als neun Monate.
Eva Lauterbach:
Ihre Anfangsfrage war: Was soll ich mir eigentlich für ein Bild von meinem Vater
machen? Was machen Sie sich heute für ein Bild von ihm?
Jan Schmitt:
Ja, als eine Figur, die eigentlich von einer Sache in die nächste getrieben wurde,
eigentlich immer gehetzt war, im eigenen Leben. Er musste ins Konvikt, er musste dann
diese Lehre machen, bei den Motorenwerken, dann kam ja eine Krise, dann wieder ins
nächste Ding rein und das ging ja im Grunde immer so weiter. Und dass eigentlich hinter
diesem Ganzen ein großes Thema, nämlich die Flucht steht, die innere Flucht.
Das finde ich als Sinnbild für Männer eigentlich ganz schön, für die Vatergeneration,
dass sie im Grunde flüchten, sowohl der Vater von ihm, von meinem Vater ist geflüchtet,
immer wieder vor der Verantwortung, „Das ist mir zu anstrengend, ich mach lieber was
Neues“, und dieses Motiv, das sehe ich in ihm auch. Und ich auch, Sie fragen mich nach
Männlichkeit und ich mogle mich so ein bisschen durch. Und es geht einfach um die
Gefühle, es geht darum das zu empfinden, also nicht intellektuell nachvollziehbar
machen „der Vater war so und so, ich bin voll abgeklärt“, sondern eben das zu
empfinden wie er war und versuchen an meine eigene Empfindung ranzukommen.
Eva Lauterbach:
Spüren Sie denn eine größere Nähe zu ihm jetzt?
Jan Schmitt:
Also ich merke, dass ich ihn verstehe und dass es mir auch wirklich leid tut, dass er so
getrieben war, vom eigenen Leben. Sein Bruder aber zeigt mir, dass es auch andere
Möglichkeiten gibt natürlich mit einer Geschichte umzugehen.
Aber auch er war natürlich getrieben von der Geschichte. Der Karlheinz, mein Onkel, hat
sich nie an die Vatergeschichte herangetraut. Erst als ich mit dem Film kam, hat mir
meine Tante gesagt, ist er an das Thema rangegangen, vorher hat er gesagt: „Ich habe
meinen Vater, wenn’s hochkommt, zehnmal in meinem ganzen Leben gesehen und ich
habe das abgeschlossen.“
Aber das rumort natürlich in ihm und ich habe den Impuls gesetzt und er hat sich dann
ja mit der Geschichte des Vaters und mit seinen Gefühlen eigentlich angefangen zu
beschäftigen.
Eva Lauterbach:
Und wie offen – das ist auch vielleicht keine leichte Frage – wie offen können Sie denn
selber mit den eigenen Gefühlen umgehen, Nähe herstellen?
Jan Schmitt:
Also, wenn ich an was Interesse habe, kann ich Nähe, glaube ich, schon herstellen.
Aber ich merke trotzdem auch eine riesen Sprachlosigkeit.
Wenn es Probleme gibt, dann habe ich das Gefühl ich kenne die Worte gar nicht wie ich
antworten könnte und denke auch, ertappe mich manchmal dabei, dass es eigentlich ein
innerer Dialog ist, also da ist auch viel, ja, ich würde glaube ich sagen, drücken davor.
Eva Lauterbach:
Wenn Sie noch mal ein Fazit ziehen würden „Mein Vater, sein Vater und ich“,
Ähnlichkeiten, Unterschiede, wo stehen Sie da?
Jan Schmitt:
In dieser Linie, auch wenn ich sagen möchte: ich bin ein ganz anderer Typ, ich stehe
ganz klar in der Linie. Also ich sehe viel von meinem Vater in mir. Auch, wenn ich eine
ganz andere Statur habe, bin ich trotzdem dieses, Monstrum will ich nicht sagen, aber
ich bin, also ich bin ein schmächtiger Typ und bin trotzdem so ein Koloss von Mann wie
ich meinen Vater so empfunden habe. Und habe auch eine ganz schöne Autorität an
mir, dass Leute denken: ach der, ach nee, komm, lass mal lieber, der ist ja irgendwie …
Also ich glaube, dass ich ein ganz schönes Rüstzeug um mich herum habe.
Eva Lauterbach:
Und wo sind Sie anders, also wo sind Unterschiede, zu den Generationen vorher?
Jan Schmitt:
Unterschiede sind auf jeden Fall in der Gedankenwelt, würde ich sagen. Also ich glaube
nicht, dass mein Vater je erahnt hat wieso er so ist wie er ist. Wieso ist er so akribisch,
so pedantisch?
Eva Lauterbach:
Ich glaube auch frühere Generationen haben sich nicht die Frage gestellt: was ist
männlich?
Jan Schmitt:
Nee, überhaupt nicht. Das stand auch gar nicht zur Disposition.
Vielleicht, ich meine damals ging’s ja auch drum, das Land wieder aufzubauen, selbst
die Reflektion dass die Väter alles kaputt gemacht haben, die Söhne in den Trümmern
sich zurecht finden müssen, alles wieder aufbauen, selbst die Reflektion kam ja
eigentlich erst mit der Studentenbewegung.
Eva Lauterbach:
Sie stellen irgendwann mal die Frage: Wo komme ich her und wo gehe ich hin?
Jan Schmitt:
Ich denke, das hat viel damit zu tun, über Dinge zu sprechen und eben dieses
Schweigen nicht fortzuführen, sondern sich zu öffnen, und dass das Luft, auch eine
Breite deutlich macht, die möglich ist, und das ist eine ungeheure Freiheit und das
eigentlich, ja, das ist eine innere Befreiung sozusagen, egal was drum herum erst mal
ist. Und da gehe ich eigentlich einer sehr großen Offenheit entgegen. Und wir sind ja
auch in einer großen Veränderung, was das Männlichkeitsbild betrifft, auch wenn ich
nicht wirklich sagen kann was es eigentlich ist.