16.5107.02 - Grosser Rat Basel-Stadt - Kanton Basel

Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt
An den Grossen Rat
16.5107.02
WSU/P165107
Basel, 6. April 2016
Regierungsratsbeschluss vom 5. April 2016
Interpellation Nr. 33 von Urs Müller-Walz betreffend „unterirdischer Unterbringung von Asylsuchenden in Zivilschutzanlagen“
(Eingereicht vor der Grossratssitzung vom 9. März 2016)
Im Jahr 2015 hat der Kanton Basel-Stadt mehrere Zivilschutzanlagen (ZSA) zur Unterbringung
von Asylsuchenden geöffnet, um das Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) zu entlasten.
Diese Praxis wird mit einem unerwartet hohen Anstieg der Asylgesuche und der daraus
resultierenden und andauernden Notlage begründet. Offiziell wird eine kurze unterirdische
Unterbringungsdauer angestrebt. In Wirklichkeit verbringen die Asylsuchenden aber meist
mehrere Monate von bis zu einem halben Jahr oder sogar noch länger in den unterirdischen
Anlagen.
Die unterirdische Unterbringung von Asylsuchenden im Allgemeinen, aber besonders die langen
Aufenthalte in den Zivilschutzanlagen von mehreren Monaten sind problematisch. Die Asylsuchenden, welche oftmals psychischem Stress ausgesetzt sind und teilweise auch mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen haben, haben in den Zivilschutzanlagen kaum Privatsphäre. Diese Situation belastet die Asylsuchenden in ihrer ohnehin schon schweren Lebenssituation zusätzlich und kann zu psychischen Problemen führen.
Doch nebst den psychischen Problemen, die eine unterirdische Unterbringung von Asylsuchenden verursachen kann, ist die unterirdische Unterbringung auch aus gesundheitlicher Perspektive
höchst problematisch. Die Luftqualität in den Zivilschutzanlagen ist oftmals sehr schlecht. So kann
monatelanges Wohnen in zu feuchten Räumlichkeiten ebenfalls zu gesundheitlichen Problemen
wie beispielsweise Erkrankung der Atemwege führen.
Auch die Betreuung der Asylsuchenden in den Zivilschutzanlagen wirft Fragen auf und wird zunehmend kritisch diskutiert. Die Zivilschutzanlagen im Kanton Basel-Stadt werden von der ORS
Service AG (ORS) betreut. Für die Sicherheit rund um die Anlagen sind private Sicherheitsunternehmen wie beispielsweise die Securitas beauftragt. Vor allem die Betreuung durch die ORS
wurde vermehrt kritisiert, so wurde beispielsweise von abfälligen Bemerkungen des ORS Personals gegenüber den Asylsuchenden in den Medien berichtet.
Kommt es zu einer Überbelegung einer Zivilschutzanlage kann sich die Situation zusätzlich
verschärfen.
Ich bitte deshalb den Regierungsrat, folgende Fragen zu beantworten:
1. Auf welche gesetzliche Grundlage stützt sich der Kanton bei der ober- und unterirdischen
Unterbringung von Asylsuchenden?
2. In welchen ZSA bringt der Kanton Basel-Stadt Asylsuchende unter? Wie viele Plätze bieten
die jeweiligen ZSA für die Unterbringung von Asylsuchenden an und wie viele davon werden
momentan genutzt?
3. Gilt die in der Antwort auf die Interpellation Jürg Meyer (11.5348.02) erwähnte angestrebte
50% Belegung der vorhandenen Betten immer noch als Richtwert, um ein minimales Mass an
privatem Raum zu gewährleisten?
4. Was ist die durchschnittliche und längste Unterbringungsdauer in den jeweiligen ZSA?
Den Mitgliedern des Grossen Rates des Kantons Basel-Stadt zugestellt am 8. April 2016
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Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt
5. Wie kann man Einsicht in den Belegungsplan erhalten?
6. Welche Mindeststandards müssen bei der Unterbringung der Asylsuchenden in ZSA garantiert
werden, um deren Gesundheit und Sicherheit zu gewährleisten? Werden diese eingehalten?
7. Sind dem Regierungsrat Fälle von physischen und/oder psychischen Erkrankungen oder gar
von Hospitalisierungen aufgrund der Wohnbedingungen bekannt?
8. Sind in den ZSA die Gesundheitskosten pro Person höher als in den oberirdischen Asylzentren?
9. Sind dem Kanton Fälle von schlechter Behandlung (verbale oder physische Gewalt) der
Asylsuchenden durch das Personal (ORS, andere Sicherheitsunternehmen) bekannt?
10.Haben die Asylsuchenden Ansprechpersonen, denen sie Vorfälle melden können?
11.Wie wird die Arbeit der ORS und der Sicherheitsunternehmen durch den Kanton überprüft?
12.Strebt der Kanton die oberirdische Unterbringung von Asylsuchenden an?
13.Wird dabei auch beachtet, dass insbesondere die ZSA Grün 80 als abgeschottet bezeichnet
werden kann (wie der Regierungsrat in seiner Antwort auf die schon erwähnte Interpellation
11.5348.02 bestätigt hat) und wird diese deswegen bei allfälligen Schliessungen bevorzugt?
14.Welche weiteren Massnahmen hat der Kanton in Erwartung der auch im Jahr 2016 steigenden
Asylgesuche getroffen, um die oberirdische Unterbringung möglichst aller Asylsuchenden zu
gewährleisten?
Urs Müller-Walz“
Wir beantworten diese Interpellation wie folgt:
Frage 1: Auf welche gesetzliche Grundlage stützt sich der Kanton bei der ober- und unterirdischen Unterbringung von Asylsuchenden?
Die Möglichkeit von Bund und Kantonen, Asylsuchenden eine Unterkunft zuzuweisen, sie kollektiv unterzubringen und entsprechende Bestimmungen und Massnahmen für einen geordneten
Betrieb zu erlassen, findet ihre gesetzliche Grundlage in Art. 28 Asylgesetz. Die aktuelle Nutzung
von Zivilschutzanlagen ordnet sich in die kollektive Unterbringungsform ein.
Alle kollektiven Unterbringungseinrichtungen im Kanton Basel-Stadt verfügen über eine Hausordnung, welche Rechte und Pflichten der untergebrachten Personen zur Regelung des alltäglichen
Lebens und der Sicherheit in der Unterkunft beinhaltet. Weitere Bestimmungen sind in den Leistungsvereinbarungen mit den Betreibern verankert.
Frage 2: In welchen ZSA bringt der Kanton Basel-Stadt Asylsuchende unter? Wie viele Plätze
bieten die jeweiligen ZSA für die Unterbringung von Asylsuchenden an und wie viele davon werden momentan genutzt?
Aktuell sind zwei Zivilschutzanlagen (ZSA) zur Unterbringung von Asylsuchenden in Betrieb. In
der ZSA Grün80 mit insgesamt 90 Plätzen sind derzeit 55 Personen untergebracht, in der
ZSA St. Johann mit insgesamt 50 Plätzen wohnen derzeit 10 Personen.
Den besonderen Bedürfnissen von vulnerablen Asylsuchenden wird Rechnung getragen. Für
diese Personen stehen spezifische Unterbringungsformen zur Verfügung, wie etwa das Wohnheim für vulnerable Personen oder Heimstrukturen, Wohngruppen und Pflegefamilien für unbegleitete minderjährige Asylsuchende.
Frage 3: Gilt die in der Antwort auf die Interpellation Jürg Meyer (11.5348.02) erwähnte angestrebte 50% Belegung der vorhandenen Betten immer noch als Richtwert, um ein minimales
Mass an privatem Raum zu gewährleisten?
Um ein Minimum an Privatssphäre zu gewährleisten, wird in den ZSA weiterhin keine volle Belegung vorgenommen, sondern maximal 50% der vorhandenen Betten genutzt.
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Frage 4: Was ist die durchschnittliche und längste Unterbringungsdauer in den jeweiligen ZSA?
Die ZSA werden als Übergangslösung genutzt. Der Aufenthalt dauert bis zum Transfer in eine
betreute Asylliegenschaft in der Regel einige Wochen bis Monate. Eine maximale Aufenthaltsdauer ist nicht definiert, da die Transfermöglichkeiten von den verfügbaren überirdischen Reserveplätzen sowie den personellen Ressourcen der Abteilung Migration abhängen.
Wird im Einzelfall medizinisch begründet, dass ein weiterer Aufenthalt in der ZSA nicht zugemutet
werden kann, findet ein sofortiger Transfer statt. Ansonsten gilt das Prinzip ‚first in – first out‘.
Unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer wechseln Bewohner der ZSA laufend in überirdische Unterkünfte, abhängig von den über Tag zur Verfügung stehenden freien Plätzen.
Frage 5: Wie kann man Einsicht in den Belegungsplan erhalten?
Die Belegungspläne enthalten persönliche Daten, daher ist eine Einsicht nicht möglich.
Frage 6: Welche Mindeststandards müssen bei der Unterbringung der Asylsuchenden in ZSA
garantiert werden, um deren Gesundheit und Sicherheit zu gewährleisten? Werden diese eingehalten?
Für die Unterbringung von Asylsuchenden werden ausschliesslich Anlagen eingesetzt, welche
sämtliche Sicherheitsvorgaben wie beispielsweise Brandschutz, Notausgänge und Signalisation
derselben erfüllen. Alle Anlagen verfügen über ausreichende sanitäre Anlagen und Schlafstellen,
Aufenthaltsräume, Kücheninfrastruktur, Waschmaschinen und ein Büro für das Betreuungspersonal, welches sieben Tage die Woche und rund um die Uhr in der Anlage präsent ist.
Frischluft wird laufend und ausreichend zugeführt. Die Lüftungsanlagen sind so eingestellt, dass
auch bei einer Vollbelegung und mit geheizten Räumen genügend Frischluft vorhanden ist. Die
Gesundheitsversorgung ist für alle Asylsuchenden gewährleistet. Sie werden - unabhängig von
der Unterbringungsform – ab ihrer Zuweisung zum Kanton krankenversichert und haben einen
Hausarzt oder eine Hausärztin.
Frage 7: Sind dem Regierungsrat Fälle von physischen und/oder psychischen Erkrankungen oder
gar von Hospitalisierungen aufgrund der Wohnbedingungen bekannt?
Es ist nicht auszuschliessen, dass im Einzelfall bestehende Beschwerden durch eine Unterbringung in einer ZSA verstärkt werden. Aufgrund von Wohnbedingungen kausale und auschliessliche Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand zu ziehen, ist jedoch schwierig. Dem Regierungsrat sind keine Fälle von Erkrankungen oder Hospitalisierungen aufgrund der Unterbringung in
einer ZSA bekannt.
Frage 8: Sind in den ZSA die Gesundheitskosten pro Person höher als in den oberirdischen Asylzentren?
Eine detaillierte individuelle Auswertung der effektiven Gesundheitskosten nach Unterbringungsart ist nicht möglich. Der Zugang zur medizinischen Grundversorgung ist für alle Personen im
Asylbereich gleich: die Asylsuchenden sind versichert, haben eine Hausärztin oder einen Hausarzt und die Krankenversicherungspräsmien werden über die Sozialhilfeunterstützung abgerechnet.
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Frage 9: Sind dem Kanton Fälle von schlechter Behandlung (verbale oder physische Gewalt) der
Asylsuchenden durch das Personal (ORS, andere Sicherheitsunternehmen) bekannt?
Dem Regierungsrat sind keine solchen Fälle bekannt.
Frage 10: Haben die Asylsuchenden Ansprechpersonen, denen sie Vorfälle melden können?
Wie alle Sozialhilfebezüger können sich Asylsuchende für Beschwerden im Zusammenhang mit
dem Betreuungspersonal an die nächst höhere Instanz wenden - im Fall der von der Firma ORS
betriebenen ZSA ist dies der oder die jeweilige Vorgesetzte der Zentrumsleitung. Die Zentrumsleitung ist vertraglich verpflichtet, die Sozialhilfe über ausserordentliche Vorfälle umgehend zu
informieren.
Frage 11: Wie wird die Arbeit der ORS und der Sicherheitsunternehmen durch den Kanton überprüft?
Tagesaktuelle Belegungspläne, regelmässige Sitzungen und laufender Informationsaustausch mit
der Sozialhilfe gehören zu den vertraglich festgelegten Leistungen von ORS. Damit die Auftraggeberin ihre Aufsichtspflicht über die Auftragnehmerin wahrnehmen kann, finden regelmässige
Besprechungen statt. Die Sozialhilfe ist berechtigt, zur Kontrolle der Vertragserfüllung Einsicht in
Prozesse und Unterlagen zu nehmen oder die Anlagen unangekündigt zu besuchen.
Frage 12: Strebt der Kanton die oberirdische Unterbringung von Asylsuchenden an?
Der Kanton strebt grundsätzlich eine oberirdische Unterbringung aller Asylsuchenden an. Müssen
Flüchtlinge aus Platzmangel in der Phase der Erstversorgung unter Tag untergebracht werden,
bemüht sich die Sozialhilfe um einen raschmöglichen Transfer in Liegenschaften über Tag. Ziel
ist zudem, eine möglichst regelmässige Verteilung der Asylliegenschaften auf dem gesamten
Stadtgebiet zu erreichen. Entscheidend ist hierbei, wo bei Bedarf Unterkünfte gemietet oder gekauft werden können.
Frage 13: Wird dabei auch beachtet, dass insbesondere die ZSA Grün 80 als abgeschottet bezeichnet werden kann (wie der Regierungsrat in seiner Antwort auf die schon erwähnte Interpellation 11.5348.02 bestätigt hat) und wird diese deswegen bei allfälligen Schliessungen bevorzugt?
Bei einer allfälligen Schliessung wird unter Berücksichtigung des gesamten Unterbingungskontextes geprüft, welche Anlage am sinnvollsten geschlossen werden kann.
Frage 14: Welche weiteren Massnahmen hat der Kanton in Erwartung der auch im Jahr 2016
steigenden Asylgesuche getroffen, um die oberirdische Unterbringung möglichst aller Asylsuchenden zu gewährleisten?
Der Kanton Basel-Stadt ist im Rahmen der Eventualplanung auf Szenarien mit rasch ansteigenden Zuweisungen von Flüchtlingen vorbereitet. Der Regierungsrat hat im Herbst 2015 das Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt beauftragt, zusammen mit den ebenfalls involvierten
Departementen (Bau- und Verkehrsdepartement, Justiz- und Sicherheitsdepartement, Gesundheitsdepartement, Erziehungsdepartement,) einen Koordinationsstab Asyl einzusetzen, welcher
eine rollende Planung gewährleistet. Der Koordinationsstab steht in regelmässigen Austausch mit
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dem Kernstab der Kantonalen Krisenorganisation (KKO). Sollte eine ausserordentliche Lage eintreten, würde die KKO die Führung bezüglich Unterbringung und Erstversorgung von Flüchtlingen
übernehmen. Des weiteren prüft die Sozialhilfe laufend mit Immobilien Basel-Stadt und dem Bauund Verkehrsdepartement zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge.
Am 9. Dezember 2015 beschloss der Grosse Rat die Erstellung einer Containersiedlung mit 150
Plätzen auf dem Areal der ehemaligen BVB-Werkstätten an der Münchensteinerstrasse. Um einem Engpass bezüglich der Unterbringung von Flüchtlingen vorzubeugen, soll die Kapazität in
dieser Siedlung in einem zweiten Schritt um weitere 100 Plätze erweitert werden. Der Regierungsrat verabschiedete am 2. März 2016 den entsprechenden Ratschlag zuhanden des Grossen
Rates. Die Wohnungen sind voraussichtlich Ende 2016 bezugsbereit.
Im Namen des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt
Dr. Guy Morin
Präsident
Barbara Schüpbach-Guggenbühl
Staatsschreiberin
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