Die Finanztransaktionssteuer wird wohl kaum

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www.traders-mag.com 05.2013
Durch die Finanztransaktionssteuer (FTT) sollen eigentlich
die Verursacher der Finanzkrise beteiligt werden, argumentiert die Politik. Aber auch Privatinvestoren wie Fondsparer
oder aktive Trader trifft die FTT. Prof. Dr. Christian Koziol,
Inhaber des Lehrstuhls für Finance an der Eberhard Karls
Universität Tübingen, erklärt in einem exklusiven Interview
Interview mit Prof. Dr. Christian Koziol
mit unserem Autor Daniel Schütz, warum und welche Folgen
dies für private Anleger haben könnte.
Die Finanztransaktionssteuer wird
wohl kaum Gerechtigkeit schaffen
» Schütz: Herr Professor Koziol, herzlichen Dank, dass Sie
sich die Zeit genommen haben, um mit uns über die Problematik der Finanztransaktionssteuer zu sprechen. Was
genau ist die FTT?
Schütz: Meinen Sie, dass mit dieser Steuer das angestrebte
Ziel erreicht werden kann?
Koziol: Die FTT setzt bei der Aktivität von Finanzmarkt-
rechtigkeit zu schaffen. Ich zweifle daran, dass diejenigen,
teilnehmern an. Es wird nicht, wie man es von anderen
die einen Schaden angerichtet haben, tatsächlich für diesen
Steuern kennt, der Erfolg besteuert, sondern das Handels-
Schaden aufkommen werden. Es ist sicherlich ein berech-
volumen. Bei klassischen Geschäften wird sowohl für den
tigter Versuch, aber ob das mit einem solch einfachen Mittel
Käufer als auch für den Verkäufer ein Steuersatz von 0,1
wie der FTT geschaffen werden kann, ist fraglich.
Prozent auf das Handelsvolumen angesetzt, bei Derivaten
gilt ein verringerter Steuersatz von 0,01 Prozent.
Koziol: Bei dieser Steuer gibt es kein eindeutiges Ziel. Ich bin
äußerst skeptisch, dass es gelingt, durch diese Steuer Ge-
Das nächste ist die Höhe der Steuereinnahmen. Ich
vermute, dass diese eher einen symbolischen Charakter
hat. Deshalb glaube ich, dass es noch ein anderes Ziel gibt,
Schütz: Was soll mit dieser Steuer bezweckt werden?
was noch keiner ausgesprochen hat, nämlich die Ruhig-
Koziol: Politiker und Wirtschaftsfachleute argumentie-
stellung der Wähler, der aufgebrachten Bevölkerung. Ich
ren, dass sie Gerechtigkeit schaffen wollen. Man möchte
denke, dass dieses Ziel mit der FTT erreicht werden kann.
diejenigen treffen, die die Finanzkrise ausgelöst haben.
gespannten Finanzlage dem Staat jeder Euro gut tun
Schütz: Können Sie uns sagen, wie weit das Vorhaben
mittlerweile gediehen ist?
würde. Jede zusätzliche Einnahme ist willkommen.
Koziol: Ja – nach dem Widerstand einiger europäischer
Und im dritten Schritt heißt es, dass der Hochfrequenz-
Länder an der Teilnahme zur FTT haben sich jetzt elf Län-
handel, der negativ angesehen wird, zurückgedrängt
der, darunter Deutschland, Italien, Spanien und Frank-
werden soll.
reich, geeinigt, die FTT zum 1. Januar 2014 einzuführen.
Im zweiten Schritt wird gesagt, dass in der jetzigen an-
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Dieses Ziel wird inzwischen auch schon von einigen Poli-
fällig. Wenn ich die Produkte länger halte, ist nicht davon
tikern als sehr ambitioniert gesehen und ich denke, dass
auszugehen, dass die Rendite stark geschmälert wird. Mit
einige Gegner der FTT noch das eine oder andere Ass im
„länger“ halten meine ich ein halbes Jahr oder länger.
Ärmel haben. Vielleicht nicht, um die Steuer komplett zu
Richtet man nun den Fokus auf Banken und Sparkas-
verhindern, aber zumindest, um die Steuer aufzuhalten
sen, werden dort den Kunden typischerweise die Aktien
oder hinauszuzögern, sodass ich realistisch betrachtet
meist nicht direkt, sondern gerne durch einen Invest-
vielleicht von einer Einführung 2015 ausgehe.
mentfonds oder Anlagezertifikate angeboten. Diese Produkte werden natürlich besonders betroffen sein. Zum
Schütz: Betrifft die FTT den Privatanleger?
einen dadurch, dass Fonds ihre Positionen regelmäßig
Koziol: Ja. Grundsätzlich ist jeder Privatanleger direkt
umschichten, wofür dann vom Fonds die FTT bezahlt
betroffen. Wir kennen natürlich alle die Abgeltungsteuer
werden müsste – was die Performance schmälern würde.
von 25 Prozent auf Finanzerträge. Das kann bei dem einen
Zum anderen werden Anlagezertifikate typischerwei-
oder anderen viel Geld ausmachen. Diese Steuer bezieht
se mit Optionen abgesichert. Gerade bei der Erzeugung
sich jedoch nicht auf den Gewinn, sondern auf die Han-
dieser Optionen fällt in hohem Maße eine FTT an, die
delsaktivitäten. Wer seine Anlagen im Portfolio liegen
dann eben auch zu Lasten der Performance der Kleinan-
lässt und weniger handelt, hat aufgrund der geringen Ak-
leger gehen würde.
tivität wenig zu befürchten. Wer hohe Handelsaktivitäten
hat, wird stärker von der Steuer betroffen sein.
Schütz: Fällt denn auch der Forex-Spotmarkt unter die
Steuer?
Schütz: Welche Produkte sollen denn konkret besteuert
werden, die für den Privatanleger interessant sind?
Koziol: Dieser erhöhte Steuersatz von 0,1 Prozent gilt
Koziol: Es geht los mit Aktien, Anleihen und verbrieften
on 0,1 Prozent zu entrichten hätte. Der Forex-Spotmarkt
Derivaten. Dort ist die FTT direkt bei Kauf und Verkauf
bleibt somit nicht verschont.
auch auf Währungen, sodass man bei jeder Transakti-
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Schütz: Wie wäre es denn, wenn Futures an ausländischen
Börsen wie an der CBOT (Chicago Board of Trade) zum Beispiel auf den Euro oder den S&P gehandelt würden? Wie
wäre dieser Sachverhalt zu beurteilen?
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Future-Positionen und bei Auflösung zu entrichten hat.
Bei genauerer Betrachtung findet man aber einige Inkonsistenzen bei der Besteuerung von Futures, sodass hier
das letzte Wort vermutlich noch nicht gesprochen ist.
Koziol: Die Intention des Gesetzgebers scheint es zu sein,
land steuerpflichtig bin, dann würde die FTT für alle
Schütz: Fällt die Steuer auch dann an, wenn ich meine Aktie
nicht mit Gewinn, sondern mit Verlust verkaufe?
Transaktionen gelten. Es ist sogar noch kniffliger: Selbst
Koziol: Aus der Erfolgssteuer kennen wir ja, dass man
wenn ich als Nicht-Europäer – aus steuerlicher Sicht be-
Verluste anrechnen beziehungsweise vortragen kann. All
trachtet – eine Aktie oder ein Wertpapier von einem Emit-
das ist hier nicht gegeben. Man würde also doppelt be-
tenten dieser elf Länder handle, soll die Steuer auch fällig
straft werden. Erstmal hätte man ein schlechtes Invest-
werden. Wie das im Detail umgesetzt werden soll und ob
ment getätigt und müsste dann noch zusätzlich die FTT
das juristisch wasserdicht ist, kann ich nicht beurteilen.
zahlen.
Steuerschlupflöcher zu schließen. Wenn ich in Deutsch-
Aber der Plan ist, viele Schlupflöcher zu schließen, um
Steuervermeidungsstrategien zu verhindern.
Schütz: Wie wir festgestellt haben, sind auch Retail Trader
von der Steuer betroffen. Könnten Sie für uns an einem
Beispiel exemplarisch durchrechnen, was ein Retail Trader
zu bezahlen hätte, zum Beispiel beim Kauf einer Aktie und
eines DAX-Futures?
Schütz: Frankreich und Italien haben bereits im Alleingang
eine Finanztransaktionssteuer eingeführt. Gibt es schon
erste Erfahrungen und Ergebnisse?
Koziol: Ja. Beim französischen Weg fällt auf, dass mit einem relativ hohen Steuersatz von 0,2 Prozent gearbeitet
wird, der damit doppelt so hoch ist wie der Vorschlag der
EU-Kommission. Das könnte man schnell als besonders
Koziol: Wenn ich eine Aktie kaufen würde und die Aktie
harten französischen Weg interpretieren. Bei genaue-
kostet – als einfaches Rechenbeispiel – 100 Euro, dann
rer Betrachtung fällt auf, dass die Steuer nur beim Kauf
sind beim Kauf sofort 0,1 Prozent fällig. Das wären in die-
zu entrichten ist und nicht zusätzlich beim Verkauf. Au-
sem Fall zehn Cent an zusätzlichen Kosten. Beim Verkauf
ßerdem gilt das nur für französische Aktien von großen
dieser Aktie – nehmen wir an, sie steht mittlerweile bei
Emittenten, die eine Marktkapitalisierung von über eine
120 Euro – müssten noch einmal 0,1 Prozent entrichtet
Milliarde Euro haben, sodass viele Produkte verschont
werden. Das wären dann zwöf Cent, also 22 Cent zusätzli-
bleiben. Erste Studien zeigen, dass das Handelsvolumen
che Belastung, um dieses Aktiengeschäft durchzuführen.
an den Börsen zurückgeht. Der Kapitalmarkt reagiert also
Das hört sich jetzt nach nicht so viel an, die entschei-
darauf, er nimmt die Kosten nicht ohne weiteres hin.
dende Frage ist aber, wie oft man seine Aktien im Jahr
Frankreich ist noch eine „Light-Variante“. „Light“ im
handelt. Wenn man statt einmal jährlich die Aktienposi-
Sinne von: Wer wirklich möchte, findet Schlupflöcher, weil
tion monatlich umschichtet, dann würde die Steuer von
viele Wertpapiere noch nicht mit der FTT belastet werden.
22 Cent auf 2,64 Euro ansteigen und so die Rendite in
erheblichem Maße um etwa zweieinhalb Prozentpunkte
verringern.
Der Diskussionsstand beim DAX-Future besagt im
Schütz: Gibt es Pläne, wie diese europäische Steuer
verteilt werden soll? Bleibt das Geld, das in Deutschland
eingenommen wurde, auch in Deutschland?
Moment, dass man hier den Future-Stand (Nominalbe-
Koziol: So verstehe ich es, dass jedes Land von seinen
trag) besteuert. Hier gilt der verringerte Steuersatz von
Steuerpflichtigen die Steuer erhebt und dann auch auto-
Derivaten von 0,01 Prozent, den man bei Abschluss der
nom über das Geld verfügt. Wobei es knifflige Fälle gibt:
Angenommen, einer der Handelsteilnehmer stammt aus
Prof. Dr. Christian Koziol
Prof. Dr. Christian Koziol ist Inhaber des Lehrstuhls für Finance an der Eberhard Karls
Universität Tübingen. Zuvor studierte er Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität
Karlsruhe (TH) und promovierte und habilitierte an der Universität Mannheim. Seine
Forschungsschwerpunkte sind Unternehmensfinanzierung, Analyse von Derivaten,
Risiko-Management und aktuelle Finanzmarkt-Herausforderungen. Das aktuelle
BWL-Ranking des Handelsblatts zählt ihn zu den Top 250 Forschern gemessen am
Lebenswerk und zu den Top 30 unter 40 Jahren. Durch seine Tätigkeiten als wissenschaftlicher Beirat im Deutschen Derivate Verband (DDV), Beratungsprojekte
und vielfältige Schulungen leistet er einen kontinuierlichen Beitrag zum Austausch
zwischen Wissenschaft und Praxis.
einem Land, das nicht einer FTT unterliegt und handelt
dann beispielsweise eine deutsche Aktie, die der Steuer unterliegt. Welchem Land steht dann diese Steuer
zu? Weil es eine deutsche Aktie ist, wird die Steuer von
Deutschland erhoben. Und umgekehrt: Wenn ein Franzose mit einem Engländer eine deutsche Aktie handelt,
ergeben sich Detailfragen, ob das Emissionsland der
Aktie oder eben der steuerliche Sitz der Handelsteilnehmer maßgeblich ist. Gerade dann, wenn solch besondere
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Konstellationen auftreten, halte ich das nicht für eindeutig und konsistent, wie man die Steuer hier durchführen
kann. Für solche Fälle müssen von der Politik Lösungen
gefunden werden.
Daniel schütz
Daniel Schütz ist Forex Trader und Spezialist für
Muster- und Formationsanalyse. Als stellvertretender Regionalmanager der VTAD-Gruppe
in Stuttgart leitet er dort eine Lehrstunde zum
Thema der Grundlagen der Technischen Analyse.
Er ist zertifizierter Technischer Analyst (CFTe).
Schütz: Zum Abschluss eine letze Frage. Um es mit den
Worten des Altkanzlers Helmut Schmidt auszudrücken:
„Wer die Pflicht hat, Steuern zu zahlen, der hat das Recht,
Steuern zu sparen“. Gibt es im Falle der FTT legale Steuervermeidungsstrategien? Zum Beispiel durch einen Zweitwohnsitz in einem europäischen Land, das keine FTT hat?
sich Derivatemärkte entwickeln, an denen ein identisches
Koziol: Für Privatanleger, die eingeschränkte Möglichkei-
Produkt wie vielleicht eine Daimler-Aktie gehandelt wird.
ten haben, bin ich skeptisch. Der naive Weg, ich handle
Normalerweise würde die Daimler-Aktie als Wertpapier
meine Aktien jetzt nicht mehr in Frankfurt, sondern in
eines deutschen Emittenten der FTT unterliegen, egal
New York, wird nicht funktionieren, weil der steuerliche
wer sie handelt. Aber wenn ich ein Derivat handle, zum
Sitz relevant ist (Ansässigkeitsprinzip). Kann ich aber
Beispiel eine Call-Option auf die Daimler-Aktie mit gerin-
größere Anstrengungen unternehmen – und das trifft
gem Basispreis (LEPO = Low Exercise Price Option) und
auf institutionelle Investoren zu –, dann muss man den
diese Option wurde von einem anderen Emittenten, der
steuerlichen Sitz in ein Land ohne FTT verlegen. Das ist
nicht der Steuer unterliegt, begeben, dann kann ich auf
erstmal ein Muss. Auch hat man noch das Problem, dass
diese Weise ein nahezu identisches Produkt ohne Steuer-
man womöglich ein Wertpapier eines Emittenten han-
belastung kaufen. In dem Fall würde es vermutlich gehen.
deln möchte, der dieser Steuer unterliegt (Ausgabeprinzip). Das müsste man umgehen. Dann glaube ich, werden
Schütz: Herzlichen Dank für das Gespräch. «
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