Medieninformation Ausgangslage/Hintergrund In den letzten Jahren ist die Zahl bestehender Sachwalterschaften stark angestiegen (im Jahr 2003 waren es noch etwa 30.000 Sachwalterschaften, im Jahr 2015 waren es etwa 60.000). Oft kommt schon sehr früh der Ruf nach einem Sachwalter, ohne dass man sich je mit der betroffenen Person selbst auseinandergesetzt hätte. Außerdem sind bestehende Alternativen zur Sachwalterschaft wie die Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung oder Angehörigenvertretung meist zu wenig bekannt. Das Ziel der Reform des Sachwalterrechts ist es, Sachwalterschaften soweit wie möglich zu vermeiden. Es soll damit mehr Menschen ermöglicht werden, ihr Leben nach ihren Wünschen und Vorstellungen selbst zu gestalten. Wesentlich dafür sind die Stärkung der Selbstbestimmung und ein zunehmendes Bewusstsein dafür, dass die Sachwalterschaft nur eine „ultima ratio“ sein kann. Dennoch soll die Sachwalterschaft als Form der Vertretung nicht völlig abgeschafft werden. Denn es wird auch weiterhin Personen geben, die trotz der Hilfe anderer, nicht mehr in der Lage sind, selbst Entscheidungen zu treffen (beispielsweise bei gänzlich fehlender Äußerungsfähigkeit). Aktuelle Zahlen Sachwalterschaft – Stand 1.1.2016 Aufrechte Sachwalterschaften: 58.529 Vorsorgevollmachten: 64.928 Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger: 13.094 Modellprojekt: Von März 2014 bis Dezember 2015 wurde das Modellprojekt „Unterstützung zur Selbstbestimmung“ durchgeführt. Mit drei der vier Sachwaltervereine wurde dabei an 18 Gerichtsstandorten versucht, im Rahmen eines erweiterten Clearings (Clearing Plus), Alternativen zur Sachwalterschaft zu finden. Die Ergebnisse wurden in einer Begleitforschung des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) dokumentiert und fließen in die Sachwalterreform ein. Wesentlicher Bestandteil des Projektes war die Ausweitung des schon bisher genutzten Clearings, das die Sachwaltervereine durchführen. Das Clearing sollte vor allem abklären, ob es subsidiäre Hilfen – beispielsweise in Form einer Vorsorgevollmacht oder einer Angehörigenvertretung – gibt und welche Angelegenheiten für die betroffene Person zu besorgen sind. Zudem wird im Falle der Notwendigkeit einer Sachwalterschaft geklärt, ob nahe Angehörige zur Übernahme bereit sind. Das Clearing Plus geht noch einen Schritt weiter: Entsteht der Eindruck, dass eine Person mit entsprechender Hilfe ohne Sachwalter auskommen könnte, so wird durch intensive Gespräche mit nahestehenden Personen und Einrichtungen erhoben, welche Gründe zur Sachwalterschafts-Anregung geführt haben und ein Plan zur Umsetzung alternativer Lösungen entwickelt. Das Konzept des Clearings wurde ursprünglich vom Verein „VertretungsNetz – Sachwalterschaft“ entworfen und unter Einbeziehung von Menschen mit Behinderung, Behinderungsorganisationen, Sachwaltervereinen sowie beteiligten Richtern weiterentwickelt. Projektstart war im Oktober 2013. In einem ersten Schritt wurden von den Sachwaltervereinen fünf Monate lang die bestehenden regionalen Unterstützungsmöglichkeiten erforscht und Vernetzungsarbeit mit den regionalen Einrichtungen betrieben, bevor dann das Modellprojekt von März 2014 bis Dezember 2015 durchgeführt wurde. Ergebnis und wesentliche Erkenntnisse der Begleitforschung des IRKS Beobachtungszeitraum (1. März 2014 bis 30. Juni 2015): Die Evaluation des Projektes durch das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) zeigt, dass an den Modellstandorten in herkömmlichen Clearingverfahren in mehr als einem Drittel der Fälle das Verfahren eingestellt wurde - das heißt in einem Drittel der Fälle war keine Bestellung eines Sachwalters mehr notwendig. Es kann also ein großer Teil bereits effektiv durch das herkömmliche Clearing abgefangen werden. Bei Clearing Plus-Verfahren konnten sogar in rund zwei Drittel der Fälle alternative Unterstützungslösungen gefunden werden. Insgesamt wurden an den Modellstandorten 163 Fälle als Clearing Plus geführt – das sind rund sechs Prozent der gesamten ClearingFälle bzw. drei Prozent der Anregungen (hochgerechnet ca. 2.700 Clearing-Fälle bzw. ca. 5.270 Sachwalterschaftsanregungen). Es hat sich aber gezeigt, dass es in vielen Regionen nicht ausreichend Unterstützungsangebote für Betroffene gibt. Das Clearing und die Anregerberatung fördern das Bewusstsein, dass Sachwalterschaft „ultima ratio“ sein muss. Eine Ausweitung des Clearings würde eine weitere Zunahme der Verfahrenseinstellungen bewirken. Folgende Grafik zeigt, dass die Einstellungsraten umso höher sind, je mehr Anregungen an einem Gerichtsstandort einem Clearing unterzogen werden. Die rote Linie bildet diesen statistisch abgesicherten Zusammenhang ab. Durch die Möglichkeit, im Bedarfsfall zu einem Clearing Plus-Verfahren zu verlängern, lässt sich dieser Vermeidungseffekt von Sachwalterschaften weiter erhöhen. Reform des Sachwalterrechts Ein Entwurf soll bis zum Sommer 2016 vorliegen. Der gesamte Reformprozess findet unter Einbeziehung der betroffenen Personen („SelbstvertreterInnen“), aber auch anderer Personengruppen (Rechtsprechung, Anwaltschaft, Notariat, Behinderteneinrichtungen, SeniorenvertreterInnen, HeimvertreterInnen, Sachwaltervereine, Volksanwaltschaft, etc.) statt. Ziel der Reformbemühungen ist es, die Sachwalterschaft nur mehr in den Fällen einzusetzen, in denen sie unbedingt erforderlich ist. Vor einem allfälligen Einsatz der Sachwalterschaft soll die betroffene Person so lange wie möglich in die Lage versetzt werden, selbstbestimmt zu handeln. Durch einen Ausbau der Angehörigenvertretung und der niederschwelligeren Gestaltung der Vorsorgevollmacht soll eine Person schon vor dem Verlust der Handlungsfähigkeit selbstbestimmt für sich die Entscheidung treffen, wer später für sie handeln soll. Sollte eine Sachwalterbestellung jedoch unvermeidbar sein, dann wird sie in Zukunft aber nur für konkrete Angelegenheiten und auch nur zeitlich befristet erfolgen. Im Zuge der Reform soll das Clearing durch die Sachwaltervereine, das aktuell von den Gerichten unterschiedlich häufig in Anspruch genommen wird, verpflichtend werden. Diese Überlegungen werden durch die guten Ergebnisse des Modellprojekts bestätigt. Denn schon die intensivere Inanspruchnahme des Clearings führt zu vermehrten Einstellungen der Verfahren zur Bestellung von Sachwaltern. Im Bedarfsfall soll aber auch nach dem Auslaufen des Modellprojekts ein Clearing Plus durchgeführt werden können. Da das Clearing Plus aber teilweise sehr ressourcenintensiv ist, soll es sehr zielgerichtet, abhängig von den Ressourcen der Sachwaltervereine, erfolgen. Die Evaluierung hat gezeigt, dass es in einigen Fällen ausreicht, den Betroffenen mehr Zeit zu geben und die Situation durch die Vereine zu beobachten. Dann lösen sich manche Situationen, die zu einer Anregung der Sachwalterbestellung geführt haben auch ohne Bestellung auf. Dies wäre ein wertvoller Schritt im Sinne der Stärkung der Selbstbestimmung von Personen mit Unterstützungsbedarf.
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