Ibo Ortgies Unbekanntes über Schnitger-Orgeln: Hinweise, Funde, Hypothesen, Zuschreibungen (Teil 1) In den letzten Jahren sind einige bedeutende und durchaus überraschende Funde gemacht worden, die unser Wissen über Arp Schnitger (1648 – 1719) bedeutend erweitert haben. In Ars Organi wurde z. B. allein innerhalb der letzten andert halb Jahre über die Identifizierung einer früheren Hamburger Hausorgel berichtet, die in Deyelsdorf weitgehend erhalten ist, sowie die Archivfunde zu einer bisher unbekannten Orgel Schnitgers in Bardenfleth (Oldenburg) vorgestellt. 1 Bei der Arbeit an einem Lexikon-Artikel über Schnitger 2 bin ich vielen Angaben nachgegangen, die Orgeln betreffen, die aus dem Fokus der Schnitger-Forschung gewisserma ßen herausgefallen sind oder auch schon als hypothetische Neuzuschreibungen angesehen werden können. Solche Fälle möchte ich im vorliegenden Artikel vorstellen. 3 Meijer: Das erste Werkverzeichnis der Arbeiten Schnitgers Man darf den Beginn der Schnitger-Forschung wohl mit der grundlegenden Arbeit des Groninger Organisten Siwert Meijer (1817 – 1877) ansetzen, die dieser 1853 und 1854 veröffentlichte. 4 Sein Wissen schöpfte er vor allem aus Schnitgers schriftlichen Unterlagen, die sich offenbar Mitte des 19. Jahrhunderts noch in der Werkstatt befanden. Nach dem Tod Schnitgers 1719 bestand die Werkstatt in den Nie derlanden fort, wohin seine Söhne sie – erst nach Zwolle, dann nach Groningen – verlegt hatten. Dort endete die Werkstatt 1863, nach fast zwei Jahrhunderten einer weit gehend ungebrochenen Tradition. Meijers Publikation ist – neben einer knappen Cha rakterisierung Schnitgers und der Angabe einiger biogra phischer Daten und Hinweise – vor allem das erste und mit etwa hundertdreißig Arbeiten schon sehr vollständige Werkverzeichnis Schnitgers. Er stellte dies vorwiegend zusammen aus Kontrakten, Auftragsbüchern, Schriftver kehr u. ä. Dies waren unschätzbare Unterlagen, die wohl mit dem Ende der Werkstatt untergingen, und man muss dankbar sein, dass Meijer der Nachwelt wenigstens diese Angaben retten konnte. Hier und da streut er Anmerkungen Busch 2014. Henninger 2015. <> Die abgekürzten Titel sind im Literaturverzeichnis vollständig enthalten. 2 Ortgies 2015. 3 Wegen der Bedeutung der Schnitgerschen Werkstatt für den Orgel bau Norddeutschlands und der Niederlande erscheint der vorliegende Artikel parallel in Het orgel (NL) und Ars Organi (D). Eine englische Publikation ist im Gespräch. Der verbindlichste Dank des Verf. gilt für allgemeine Auskünfte, Hinweise und Anmerkungen (soweit nicht weiter unten eigens vermerkt: Jan von Busch (Rostock), Koos van de Linde (Neustadt a. d. Weinstraße), Prof. Dr. Uwe Pape (Berlin). 4 Kommentierte Neuausgabe erstmals bei Edskes 1968. Deutsche Übersetzung in: Fock 1974, S. 282 – 289, und in: Edskes 2013, S. 225 – 230 (mit Einführung S. 217 und dem Faksimile der OriginalAusgaben auf S. 218 – 224). 1 1 Arp Schnitgers Wohnhaus in Hamburg-Neuenfelde. Foto: Philip Kozloff ein, die auf Schnitgers Aufzeichnungen zurückgehen, teils in Form von Zitaten, die er aus dem Deutschen (teils viel leicht auch aus dem Niederdeutschen) in das Niederländi sche übersetzte, teils in Form paraphrasierter Äußerungen. Am Ende seines letzten Beitrags in der Serie heißt es: Übrigens ist es leicht möglich, dass wir von einigen kleinen Orgeln falsche Jahreszahlen angegeben haben, wir haben die Jahre nicht immer genau finden können. So haben wir vielleicht in den Zeitraum 1702 bis 1712 einige Orgeln aufgenommen, die vielleicht schon früher gebaut [worden] sind. Ein paar kleine Orgeln und Reparaturen geringerer Bedeutung, die wir nicht einordnen konnten, haben wir weggelassen. 5 Die Funde und begründeten Zuschreibungen der letzten Jahrzehnte, darunter die oben genannten bestäti gen, dass Meijers Hinweis berechtigt ist. Eine Reihe seiner Angaben ließen sich bislang keiner bekannten Orgel sicher zuordnen. Da sich Meijers Angaben im Kern aber immer wieder als richtig bestätigt haben, sollte die Forschung ein besonderes Interesse haben, die bislang nicht ermittelten Instrumente festzustellen. Werkverzeichnisse aus späterer Zeit Nicht unähnlich der Bach-Rezeption in der Musikgeschichte ist Schnitger nie ganz aus der Literatur über Orgeln und Orgelbau verschwunden. Außer in Meijers Arbeit jedoch waren Schnitgers Orgeln bis zum Anfang des 20. Jahrhun Meijer 1854, S. 61: Overigens is het ligt mogelijk, dat we van sommige kleine werken verkeerde jaartallen hebben opgegeven, wij hebben de jaren niet altijd naauwkeurig kunnen vinden. Zoo hebben we misschien in de tijdruimte van 1702 tot 1712 eenige werkjes geplaatst, die welligt reeds vroeger gemaakt zijn. Een paar werkjes en reparatiën van minder aanbelang, en die we niet teregt konden brengen, hebben we weggelaten. 5 Ars Organi · 64. Jhg. · Heft 1 · März 2016 derts jedoch nur Gegenstand vereinzelter Darstellungen. Sie fanden hier und da Erwähnung in regional- oder lokalge schichtlicher Literatur, und zwar bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, gar nicht selten verbunden mit Lob in den höchsten Tönen. Erst danach begann im Wesentlichen eine andere Sicht zu greifen, und das Klangkonzept der Zeit um 1700, d. h. insbesondere die hochliegenden Stimmen, wurde abgelehnt; ein eindrucksvolles Beispiel dafür findet sich weiter unten im Abschnitt Büchen-Dorf. Bald nach Meijer veröffentlichte Edouard G. J. Gregoir ein weit weniger umfassendes Werkverzeichnis, das sich wohl weitgehend auf Meijers Arbeit stützt, für das er aber auch einzelne andere Informationen auswertete. 6 Erst in den 1920er Jahren begann in der Orgelbewe gung eine intensive und zunehmende Beschäftigung mit Schnitger und seinem Werk. Dass das Schnitger-Schrifttum seitdem geradezu explodiert ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Eine der frühen größeren Arbeiten veröffent lichte Paul Rubardt (1891 – 1971) in den Jahren 1927 und 1928. 7 Auch sie enthält ein umfassendes Werkverzeichnis, das einerseits auf Meijers Arbeit beruht, andererseits auch andere Angaben enthält, deren Herkunft z. T. noch unge klärt ist. 8 1971 veröffentlichte Uwe Pape ein ausführliches Werkverzeichnis mit einigen von der Schnitger-Forschung auch danach noch wenig beachteten Details. 1974 folgte Gustav Focks Darstellung, die bis heute grundlegende Monographie über Schnitger mit zahllosen wichtigen Ein zelangaben. 9 Da die Autoren ihre Verzeichnisse aufgrund jeweils unterschiedlicher Gesichtspunkte zusammengestellt haben, weichen sie z. T. nicht unerheblich voneinander ab. Alle bekannten Werkverzeichnisse haben daher bleiben den Wert als nützliche Hilfsmittel, welche die zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannten Arbeiten Schnitgers mehr oder weniger vollständig aufführen. 10 Gregoir 1865. Rubardt 1927, Rubardt 1928. 8 Es wäre wünschenswert, dass der orgelwissenschaftliche Nachlass Paul Rubardts systematisch aufgearbeitet würde. Er wird aufbewahrt in der Sächsischen Landesbibliothek Leipzig, und in der Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Sondersammlungen. Hierzu auch Hackel 1983. 9 Pape 1971 und Fock 1974 (Werkverzeichnis auf S. 272 – 277). 10 Das Layout des Fockschen Werkverzeichnisses erweckt an drei Stellen zunächst den Eindruck, als ob freie Plätze für noch unbekann te Instrumente existierten oder dass Fock aus unbekannten Gründen Instrumente nicht nannte, aber die Nummern schon vergab. Z. B. steht die Angabe der Nummern 135 – 138 auf zwei Zeilen, und die erste Zeile bleibt nach „135.-“ frei, so dass die vier genannten Arbeiten in und um Berlin erst ab der zweiten Zeile aufgeführt werden – hier nach „138.“ – und es dadurch scheint, als ob diese vier Arbeiten alle unter einer einzigen Nummer geführt werden. Dieses missverständliche Layout führte Wolfgang Henninger zu der Vermutung, die neu und begründet Schnitger zugeschriebene Orgel in Bardenfleth entspreche einer der vermeintlich offenen Nummern (Henninger 2010, S. 58, u. Hennin ger 2015, S. 155). Tatsächlich aber entspricht jede Nr. einer bekannten Arbeit. Vgl. die Nrn. 101 – 102 und 110 – 111, die sich jeweils auf zwei Orgeln beziehen (Fock 1974, S. 275 u. 276). Nicht in den Werkver zeichnissen genannte Funde wie Bardenfleth sind daher tatsächlich vollständige Neuzugänge, die unser Wissen ebenso sehr bereichern wie die Wiederauffindung zunächst verschollener Werke wie Deyelsdorf. 6 7 Ars Organi · 64. Jhg. · Heft 1 · März 2016 Schnitger-Orgel in der Kirche von Eenum. Foto: Jan Willem van Willigen Im Folgenden werde ich vielen der bisher ungeklärten Angaben nachgehen. Nicht in jedem Fall werde ich eine fer tige Lösung anbieten können, sondern nur eine begründete Hypothese. In manchen Fällen wird es nur einige knappe Hinweise geben können, in anderen einen Bericht über den neuesten Forschungsstand, und in einigen Fällen mehr oder weniger vollständige Angaben, die zu Neuzuschreibungen führen. Auch wenn ich in einigen Fällen neue Hinweise geben kann, wird es manchmal nur darum gehen festzustellen, wo man vielleicht mit Erfolg weitersuchen sollte. Ein Erfolg ist dabei selbstverständlich auch der Ausschluss einer Hypothese oder die Dokumentation, dass über einen bestimmten Sach verhalt an einer vermuteten Stelle nichts zu finden ist. Es geht nicht zuletzt auch darum zu zeigen, dass und wieviel wohl noch zu entdecken ist oder sein könnte, und es ist daher auch wahrscheinlich, dass sich in einigen Fäl len schon bald Änderungen durch die laufende Forschung ergeben. Der Artikel ist deshalb nicht zuletzt als Anregung an die Leser zu verstehen, sich an der Suche zu beteiligen. Es wird weiterer Arbeit anderer Forscher in Archiven und anhand der Sekundärliteratur bedürfen, die ich allein nicht bewältigen kann. Daher bin ich für jeden Hinweis aus der Leserschaft dankbar, der geeignet ist, die vorgelegte Evi denz und die Schlüsse zu bestätigen, zu verbessern oder selbstverständlich auch zu widerlegen. Eine vergessene Nachricht über Arp Schnitgers Temperatur und die Orgeltemperaturpraxis in Norddeutschland Bei Schnitger ist bis heute ausschließlich die mitteltönige Temperatur mit acht reinen großen Terzen nachgewiesen, und zwar einerlei ob in großen oder kleinen Orgeln, in Neu2 oder Umbauten bestehender älterer Orgeln, in großen oder kleinen Orten. 11 Eine von der heutigen Schnitger-Forschung übersehene Quelle, die Heinz Herbert Steves bereits 1939 publiziert hat, bekräftigt dieses Bild. 12 Wie sehr die terz reine mitteltönige Temperatur in Nord- und Mitteldeutsch land auch noch gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts als Standard angesehen wurde, der erst zu brechen war, geht aus dieser Quelle hervor. Es ist das Abnahmegutachten für die neue Wagner-Orgel (1737 – 1740) der Heilig-GeistKirche zu Magdeburg. Domorganist Georg Tegetmeyer (1687 – 1764) und der Organist der Johanniskirche Chris tian Friedrich Rolle (1681 – 1751) 13 schreiben in ihrem aus führlichen Gutachten am 14. August 1740: Die Temperatur anlangend, haben wir genau examirt und befunden, daß solche nicht nach der alten Praetorianischen /: wie hier und anders wo leider in allen großen Orgeln befindlich :/ sondern nach der neuen Art ein gericht, so, daß man aus allen Tonen und Semitonien wohl spielen kann. 14 Der Begriff „praetorianische Temperatur“, auch „all gemeine Temperatur“, findet sich wiederholt im deutschen Musikschrifttum des 17. und 18. Jahrhunderts und bezieht sich meines Wissens ohne Ausnahme auf die mitteltönige Temperatur mit acht reinen großen Terzen. 15 Dass 1729 bzw. 1740 sowohl in Hamburg als auch in Magdeburg, den beiden Großstädten, in denen einst zusammengerechnet mehr als dreißig Schnitger-Orgeln standen, ausschließlich Berichte über das Vorherrschen der nicht-modifizierten Mit teltönigkeit („Praetorianische Temperatur“) gegeben wur den, und zwar von den damaligen Gegnern dieses Stan dards, sollte zu denken geben. 16 Heute, mehr als 75 Jahre nach der Publikation dieses Belegs und zahlreicher weiterer Erkenntnisse, ist Schnitgers nachweislich originales Klangbild, was den entscheidenden Faktor Temperatur betrifft, nur in drei von etwa fünfunddrei ßig einigermaßen vollständig erhalten Schnitger-Orgeln zu hören: In Eenum (Provinz Groningen), Hollern (bei Stade) Siehe Ortgies 2007 a und Ortgies/Berben 2015. Steves 1939. 13 Rolle war 1716 zusammen mit Johann Kuhnau (federführend) und Joh. Seb. Bach auch einer der Gutachter bei der Abnahme der neuen Cuntius-Orgel der Marienkirche zu Halle. Dort wurde die Temperatur kritisiert. Zum dortigen Kontext vgl. Ortgies 2007 b. 14 Steves 1939, S. 352. Die Schnitger-Orgel (1694/97 – 1698) war im Übrigen verkauft worden. Prospekt und Reste sind heute in Wegele ben erhalten. 15 Vgl. Werckmeister 1698, S. 78 f.: alten / oder Prætorianischen Temperatur und. Weitere Beispiele: Werckmeister 1691, S. VI, die sogenante allgemeine Temperatur, da man allen Quinten ein Viertheil eines commatis nehme, ferner die Erläuterungen zwischen S. 38 u. 39, sowie S. 76; Sorge 1748 führt schon im Titel die Prätorianische Temperatur“ und erläutert sie S. 43 – 45, u. a.: Die Octaven, kleine Sexten und grosse Tertzen [(]nicht kleine) müssen allenthalben rein seyn. Adlung 1758, S. 277 u. 305 § 91: Was die Temperatur nun ferner betrifft, so hatte man ehedessen die prätorianische, da man die Octaven, alle großen Tertien und kleine Sexten rein machen wollte, die andern Intervallen aber unrein. 16 Über die „praetorianische“ Temperatur in allen Hamburger Orgeln 1729 vgl. Preus 1729, S. 7. Der Kontext der Preusschen Äußerungen wird behandelt in Ortgies 2004 a (vor allem Kapitel 4 und 8) Ortgies 2007 a und Ortgies 2007 b. 11 12 3 Die Wappen von Arp Schnitger (links) und seiner Frau (rechts) über dem Gestühl der Kirche in Hamburg-Neuenfelde. Foto: Reinhardt Menger und Lüdingworth (bei Cuxhaven). Keine der großen Orgeln Schnitgers hat daher in den sonst oft vorbildlich durchge führten Restaurierungen der letzten Jahrzehnte die einzige bei Schnitger nachgewiesene Temperierung erhalten. 17 Der Organist Christian David Graff notierte 1742, dass die Temperatur der Schnitger-Orgel (1698 – 1700, III/48) in St. Ulrich zu Magdeburg schon 1721 geändert worden war: Die Temperatur oder Stimmung ist so eingerichtet, daß man aus allen Tonarten ohne Disharmonie spielen kann, welches ehedem nicht gewesen, sondern erstl[ich] 1721 mit großer Mühe ohne Kosten der Kirche geändert und bisher erhalten worden. 18 Dieser Einzelfall der frühesten bekann ten Umstimmung einer Orgel Schnitgers überhaupt, 1721 in Magdeburg, widerspricht zwar der Angabe der beiden erfahrenen Organisten Tegetmeyer und Rolle, dass alle großen Orgeln 1740 noch mitteltönig gestimmt waren. Es ist aber doch eine Aussage, die den allgemeinen Standard in Nord- und Mitteldeutschland – sowie auch in den Nieder landen – um diese Zeit widerspiegelt. 19 Eine allgemeine Tendenz zu einer damals immer noch neuen Temperaturpraxis ist aus dem frühen Beleg für die Umstimmung 1721 offenbar nicht abzuleiten. Rolle selbst sollte im Übrigen erst ab etwa 1750 in seinem letzten Lebensjahr erleben, dass ,seine‘ Johannis-Orgel, Schnit gers zweitgrößtes Werk, in eine bequehmere[n] Temperatur gebracht wurde. 20 Auch die musikalisch heute sehr überzeugenden Modifikationen der terzrein mitteltönigen Temperatur, die vereinzelt eingestimmt wurden (z. B. die sehr erfolgreiche Modifikation, die Reinhard Ruge, Norden/ Ostfr., in den 1980er Jahren für die Restaurierung der Orgel in Norden entwickelte), entsprechen in keinem bekannten Fall der Schnitgerschen Praxis. Wohltemperierte Stimmungen oder die gleichstufige Temperatur gehören noch viel weniger zum Schnitgerschen authentischen Klangbild. 18 Fock 1974, S. 196. Ortgies 2004 a, S. 197. 19 Vgl. Ortgies 2003. 20 Fock 1974, S. 191. 17 Ars Organi · 64. Jhg. · Heft 1 · März 2016 Eum, Eenum, Ensum Rubardt listet unter dem Jahr 1696 eine Orgel in einem nicht zu ermittelnden Ort „Eum“ (II/28) auf und fügt hinzu: „Dieses Werk wird nur von Grégoir angeführt.“ 25 Bei Gregoir steht Eum in folgendem Zusammenhang: 1696. Groningue, Hôpital (Geertruids-Gasthuis), [...]; Eum, un orgue de 2 clav. et 28 registres; Pieterburen [...]. 26 Die St.-Marien-Kirche zu Gudow. Da Meijer die Orgel in Pieterburen unmittelbar auf das Groninger Instrument folgen ließ, ist wohl Rubardts Aussage beizupflichten, Eum sei Gregoirs Einfügung. Vor erst ist ungeklärt, ob sich Gregoir versehen hat oder ob sich tatsächlich ein derzeit nicht identifizierbares anderes Instrument Schnitgers darunter verbirgt. Foto: Peter Reiser Eine Orgel für einen Kantor in Groningen? Bei Meijer finden wir unter den 1695 neu gebauten Orgeln: zu Groningen für einen Kantor [cantor] eine Hausorgel. 21 Die Angabe passt nicht zu der Information, dass es mit gro ßer Sicherheit zu Zeiten Schnitgers in den Niederlanden und speziell in Groningen weder in der reformierten Kirche noch in den lutherischen Gemeinden Kantoren gab oder auch Personen, die sich selbst als Kantor bezeichneten. 22 Hat Meijer sich vertan? Vielleicht, denn es gibt eine plausible Möglichkeit, dass es sich um einen Namen han delt, „Canter“, der undeutlich zu lesen war. In Groningen gab es eine alteingesessene katholische (sic) Patrizierfami lie dieses Namens. In Frage käme z. B. Johan Joachim Canter (1652 – 1727). 23 Die Familie besaß Grundbesitz in der Stadt und in der Provinz Groningen. Sollte die Orgel jedoch von „einem [Herrn] Canter in Groningen“ für einen außerhalb der Stadt gelegenen Landsitz gekauft worden sein, könnte sie in dem Landsitz „De Juist“ bei Loppersum (Provinz Groningen) aufgestellt worden sein, den ein Hen ricus Canter 1673 erwarb. 24 Meijer 1853 b, S. 112: te Groningen voor een‘ cantor een HuisOrgel. 22 Frdl. Mitteilungen und Hinweise v. Dr. Jan Luth (Groningen), Dr. Jan Smelik (Steenwijk), Prof. Dr. Hans Fidom (Amsterdam u. Gronin gen), Tymen Jan Bronda (Organist an der Lutherse Kerk, Groningen) und Peter Westerbrink (Organist an den Schnitger-Orgeln der ter-AaKerk Groningen u. Noordbroek). 23 Siehe unter „Stamboom Cardinaal >> Johan Joachim Canter“ im Inernet unter <https://www.genealogieonline.nl/stamboom-cardinaal/ I18509.php>. Sein Vater starb bereits 1652 und kommt als Auftrag geber für eine Schnitger-Orgel nicht in Frage. 24 Der Landsitz scheint vor 1720 den Besitzer gewechselt zu haben und wird 1729 letztmalig erwähnt (Formsma 1987, S. 231). Der Name „De Juist“ bezieht sich nicht auf die Nordsee-Insel Juist. Über Henri cus Canter konnte ich bislang nichts ermitteln. Schnitger-Orgeln in der bei Gregoir genannten Grö ßenordnung bestanden in den Niederlanden in Uithuizen (Prov. Groningen, 1699 – 1701, II/28) und Ferwerd (1704, Prov. Friesland, II/26); beide Instrumente sind aber bei Rubardt aufgeführt unter den Nummern 94 und 126. a) Zwei Orgeln für Eenum? Weder die für „Eum“ angeführte Größe noch das ange gebene Baujahr passen zu den Daten der Schnitger-Orgel in der Kirche zu Eenum (1704, I/8). Ist die Größe der Orgel jedoch falsch angegeben, dann kommt Eenum mit der bekannten Orgel am ehesten infrage. Es gab jedoch auch in der Burg „Huis Enum“ bei Eenum eine kleine Orgel, denn dort war 1744 ein Positiv eines bislang unbekannten Orgelbauers vorhanden. Ange sichts dessen, dass in der Kirche zu Eenum schon eine Schnitger-Orgel stand, kommt auch hier der Verdacht auf, dass Schnitger im Zusammenhang mit dem Auftrag für die Kirche ein Positiv geliefert haben könnte. Dieser Anfangs verdacht erhärtet sich, wenn man bedenkt, dass der Eigen tümer von „Huis Enum“, Reint Alberda (1662 – 1724), eng mit dem Bau der Schnitger-Orgel in der Kirche zu Eenum verbunden war: Er war der Patronatsherr der Kirche und Auftraggeber der Orgel, an der sein Wappen und das sei ner Frau Johanna Horenken zu finden ist. 27 Wir wissen, dass Schnitger sich gelegentlich die Gunst einflussreicher Gönner zu sichern suchte, indem er ihnen z. T. preisgüns tige Positive, Hausorgeln, lieferte. 28 Es ist daher denk 21 Ars Organi · 64. Jhg. · Heft 1 · März 2016 Rubardt 1928, S. 168. Rubardt erläutert unmittelbar anschließend: „Weder in Cornelis Covens, Alphabet. Naamlijst van alle den steden, Dorpen en Gehugten . . . Amsterdam 1799, noch in J. T. Bodel Nijen huis, Topograph. Lijst der Plaatsbeschrijvingen van het Koningrijk der Nederlanden. Amst. 1862, findet sich ein Ort oder Dorf dieses Namens. In Frage kommen können folgende in der Provinz Gronin gen liegende Dörfer: Ulrum, Wehe, Winsum, Bedum, Stedum, auch ein Emden [Westeremden], während das früher [von wem? Anm. d. Verf.] angenommene Eenrum ganz ausscheiden muß.“ 26 Gregoir 1865, S. 166. 27 Formsma 1987, S. 93. Edskes 2013, S. 96 u. S. 182. 25 4
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