Wenn Füße Hände sind Müssen Schuhe so einiges können

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Wenn Füße Hände sind
Müssen Schuhe so einiges können
Autor:
Redaktion:
Regie:
Lothar Nickels
Rudolf Linßen
Lothar Nickels
Sendung: 16.03.2016 um 10:05 Uhr in SWR2
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
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Anmoderation:
Mit seinen Füßen läuft er nicht nur durchs Leben, sondern er begreift mit ihnen auch die Welt.
Und wenn Füße Hände sind, sagt Autor Lothar Nickels, dann müssen Schuhe so einiges können:
Einen sicheren Stand geben und ganz einfach an- und ausziehbar sein. Das ist besonders wichtig,
damit die Füße jederzeit wie Hände benutzt werden können. Es hat lange gedauert, bis er seine
perfekten Schuhe hatte. Lothar Nickels erzählt, wie sich sein Leben dadurch verändert hat.
Musik: "Going Up the Country" – Kitty, Daisy & Lewis
Erzähler
Also, bevor ich jetzt hier die Geschichte erzähle, muss ich eine Sache klären: Ich hab nämlich
keine Arme! Und keine Hände. Schon immer. Also seit meiner Geburt 1972.
Warum das so ist? Keine Ahnung – weiß ich wirklich nicht!
Und es spielt auch letztlich keine Rolle! Eine große Rolle dagegen spielen die Füße in meinem
Leben.Darauf laufe ich nämlich nicht nur durch die Welt – damit begreife ich die Welt auch.
Konkret heißt das: Ich mache damit alles, was andere Menschen mit den Händen machen: Essen,
Zähneputzen, ein Smartphone bedienen, Autofahren, ja – alles eben. Ich weiß, jetzt tun sich bei
einigen gerade echt viele Fragen auf. Und ich kenne diese Fragen. Weil sie mir natürlich immer
wieder gestellt werden. Das ist auch absolut okay so! Aber für den Moment muss es reichen,
wenn ich sage: Meine Füße sind gleichzeitig meine Hände.
Und genau deswegen geht es jetzt auch um Schuhe. Und das sind Schuhe, die mein Leben
verändert haben. Denn wenn Füße gleichzeitig Hände sind, dann müssen die Schuhe einiges
können. Und die meisten Schuhe, die ich bisher hatte, die konnten überhaupt nix.
Autor
Du erinnerst Dich noch an die klobigen, schwarzen Schuhe?
Stephanie
Jaja. Die waren so skistiefelmäßig.
Autor
Erinnerst Du Dich noch daran, wie ich darin gegangen bin? Wie sah das aus?
Stephanie
(lacht)
Autor
Hey!
Stephanie
Entschuldigung.
Autor
Wie Rumpelstilzchen, oder was kommt jetzt?
Stephanie
Also, ein bisschen, ein bisschen mechanisch-robotermäßig.
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Autor
Echt?
Stephanie
Steifer. Ich glaube, steifer ist der Punkt. Man hat gesehen, dass die schwer sind, diese Schuhe.
Dass Du was mit Dir rumschleppst... wie eine Fußfessel. Genau!
Erzähler
Die sich hier so genau an meine wirklich üblen Schuhe von damals erinnert – das ist Stephanie.
Die fand mich früher übrigens ziemlich grummelig. Was ja auch kein Wunder ist – bei den
Schuhen! Naja – mittlerweile gehen wir beide jedenfalls gerne lange zusammen im Wald
spazieren. Daran war früher ja gar nicht zu denken.
Stephanie
...Dich beim Spaziergang wie mit hinterher schleppen und immer das Gefühl zu haben, ich laufe
irgendwie zu schnell. Du hast doch oft gesagt: „Jetzt lauf mal langsamer. Bitte nicht so
schnell.― Oder hast ein paar Meter hinter mir gewartet, bist stehen geblieben, bis ich dann
irgendwann aufschrecke und denke: Wo ist er denn? Und dann wieder zurückgetrabt bin.
Erzähler
Ja – ich hatte halt null Kondition – eben wegen diesen dämlichen Schuhen!
Stephanie
Erstmal waren sie nicht so schnell aus- und anziehbar. Und haben diesen Übergang von Fuß zu
Hand immer erschwert.
Autor
Noch schlimmer, als die Tatsache, dass diese Verwandlung von Fuß in Hand und Hand in Fuß so
lange gedauert hat, war, dass ich ständig auch Schmerzen hatte in diesen Schuhen. Jeder Schritt
war Schmerz. Wirklich jeder!
Stephanie
Und das hat man auch gesehen. Einfach, dass es Dir keinen Spaß macht rumzulaufen.
Autor
Es hat mir auch keinen Spaß gemacht. Ich bin ja auch wirklich fast keinen Meter umsonst
gegangen. Nicht so wie heute.
Erzähler
Heute ist das ganz anders. In den letzten Monaten war ich nämlich soviel wie noch nie in meinem
Leben zu Fuß unterwegs. Das sind große Worte – aber stimmen tun sie trotzdem. Und das habe
ich einem ganz bestimmten Menschen zu verdanken:
Nämlich Ralph Demaisons. Zu dem fahren wir gerade hin. Er ist Orthopädieschuhmacher–Meister
in Markgröningen, bei Stuttgart. Das ist zwar 400 Kilometer von mir weg. Aber die Fahrt dahin
lohnt sich jedes Mal.
Stephanie
Ortema heißen die?
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Autor
Ortema heißt die Firma, ja. Und die Schuhabteilung dort, in der Ralph Demaisons der Chef ist –
Orthopädieschuhmachermeister – macht einen ganz kleinen Bereich der Ortema aus. Die Ortema
zeichnet sich eigentlich dadurch aus, dass der Chef, der Herr Semsch, sehr stark im
Behindertensport involviert ist.
Stephanie
Also, d.h., die haben ganz viele irgendwie behinderte Kunden, für die sie irgendwelche Sachen
bauen? Nicht nur Schuhe.
Autor
Ja, diese Schuhabteilung, die macht nur einen kleinen da Teil aus. Genau. Aber das sehen wir ja
nachher auch, wenn wir da rein gehen. Das wirst Du direkt sehen, dann wirst Du nicht auf die Idee
kommen, dass wir jetzt da zu den Orthopädieschumachern gehen. Weil da sind ganz viele
Korsetts und Protektoren und so ein Zeug ausgestellt.
Stephanie
Das wusste ich gar nicht. Ich dachte, das wäre ein Schuhmacher. Einfach ein richtig guter
Schuhmacher.
Autor
Ja, das ist er ja auch!
Stephanie
Okay! Das ist der auch.
Autor
Meinst Du, wir würden zu irgendwie einem…
Stephanie
… schlechten Schuhmacher gehen? Okay, aber er macht nur Schuhe? Er macht jetzt nicht Zeugs,
das man für Bewegung aller Art braucht?
Erzähler
Naja, Ralph Demaisons macht jetzt nicht einfach nur Schuhe! Für mich hat er die Schuhe
schlechthin gebaut. Die sind nicht nur praktisch, die sehen auch tausendmal besser aus als die
Schuhe, die ich früher hatte. Eben nicht mehr wie Skistiefel, sondern wie schwarze Sportschuhe
aus dem Laden. Nur, dass der linke ein bisschen höher ist als der rechte. Und solche Schuhe
bauen, da gehen locker mal vier Jahre ins Land. Da muss man viel probieren – und verändern.
Und dann wieder probieren. Und das dauert eben seine Zeit.
Autor
Ralph ist hier…
Stephanie
Ah, das sieht jetzt so aus, wie ich mir das hier vorgestellt habe. Weil, ich wusste ja gar nicht, dass
es eine Klinik und so hier gibt.
Erzähler
Eine Frage, die hat Ralph und mir von Anfang an richtig viel Kopfzerbrechen bereitet. Nämlich, wie
ich die Schuhe selber auf und zu machen kann. Damit das mit der Fuß-zur-Hand-Geschichte
ziemlich zügig geht. Und – wie wir's hinkriegen, dass die Schuhe dazu noch bombenfest sitzen.
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Das ist auch extrem wichtig - besonders für meinen linken Fuß! Der ist nämlich ein Klumpfuß und
auch noch so nach innen gedreht. Den kann ich im Sprunggelenk nicht bewegen.
Der ist da quasi versteift. Und ich trete so mit dem Außenrand auf. Das ist auch der Grund, warum
ich überhaupt orthopädische Schuhe tragen muss. Nicht, weil ich keine Arme habe!
Im Januar 2015 war's dann endlich so weit. Ralph hatte die Lösung für's Auf- und Zumachen:
Drehverschlüsse! Ganz einfach! Und die, hat er mir dann drangebaut.
So hört sich das übrigens an, wenn ich die Schuhe zu mache.
Und so funktioniert's: An jedem Schuh ist ein Rädchen und ein Drahtseil – das ersetzt den
Schnürsenkel. Und wenn ich jetzt an dem Rädchen drehe, spannt sich das Drahtseil und der
Schuh ist zu. Ich meine: Richtig zu! Besonders der linke Fuß sitzt jetzt sowas von fest im Schuh –
Das ist der Hammer!
Ralph Demaisons
Das war zum Beispiel auch eine richtig tolle Sache, als wir dieses Boa-Verschlusssystem dann
verbaut hatten – diese Rückmeldung von Dir: Du kannst auch über unebenen Boden. Oder
gerade diese Geschichte von einer Einfahrt, die Du hochgelaufen bist und den Koffer hoch
praktisch bugsiert hast mit Deinen Beinen. Das war top! Also, und das geht ja dann nur über einen
absolut festsitzenden Schuh. Und das war dann wieder ein Zeichen dafür: O.k., das ist die absolut
richtige Richtung. Und das freut einen natürlich dann selber, insofern ist diese kontinuierliche
Verbesserung – natürlich, die merkt man an der Persönlichkeit. Das ist dann gerade, wie man
eben dann auch im Leben steht. Ja. Und je besser praktisch ebenso ein Schuh auch sitzt und
funktioniert offensichtlich, desto besser geht's natürlich dem, der sie trägt.
Erzähler
Ja, das kann man wohl so sagen! Seit ich die Schuhe mit dem Drehverschluss habe, hat sich
mein Körpergefühl jedenfalls total verändert. Also, kein Vergleich mehr zu früher.
Ralph Demaisons
Also, als Du hier praktisch angekommen bist, da hat man Dir Deinen Leidensdruck schon
angesehen, also angemerkt. Definitiv! Die Art wie Du gelaufen bist: deutlich weniger flüssig,
deutlich unrunder.
Erzähler
Mittlerweile liegen da Welten dazwischen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass ich seit
Januar jeden Tag zu Fuß unterwegs bin. Und sowas hätte ich früher ja nie gemacht – jedenfalls
nicht freiwillig!
Im April habe ich mir dann so eine App auf mein Handy geladen, weil ich einfach mal wissen
wollte, wie weit sind denn die Strecken, die ich da so gehe. Und als ich dann gesehen habe: sechs,
acht, zehn Kilometer – das hat mich irgendwie total gekickt. Davon erzähle ich Ralph, in der
Mittagspause.
Ralph Demaisons
Das glaub ich.
Autor
Nach zehn Kilometern!
Stephanie
Ich habe es registriert. Das geht jetzt seit Monaten so. Ja, also er stellt nämlich momentan
wöchentlich einen Rekord auf. Ich kriege dann einen Anruf. Und dann heißt es: Stephanie, weißt
Du, was ich heute gemacht habe? Und, ja, ich weiß es. Ich kann's mir vorstellen. Ich sage dann
aha! Und dann kommt irgendwann: Ich bin heute Morgen von Bellscheid nach Waxweiler.
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Dann durch den Wald und dann hintenrum und dann da durch und dann über den großen Acker,
wo Du mich mal abgeholt hast, dann da zurück zum Haus. Und insgesamt… Und dann steigerte
es sich so: fünf Kilometer, zehn Kilometer, fünfzehn Kilometer.
Erzähler
Das sind natürlich jetzt schon veraltete Werte! Mittlerweile dürfen es auch gerne mal zwanzig
Kilometer – oder mehr – sein.
Autor
Das ist jetzt kein Witz.
Ralph Demaisons
Ja ja, klar. Ja, da sieht man interessanterweise, wie eigentlich so ein simpler Verschluss – also, ist
natürlich super durchdacht – aber einfach diese Verschlussmöglichkeit, die diesen Schuh deutlich
besser zum Sitzen bringt und dass das eben so unglaublich viel für Dein Gangbild und Deine
Bewegung bringt. Das hätte ich echt nicht gedacht, dass das so gravierend ist von seiner
Auswirkung her. Dass dieses wirklich feste Sitzen der Schuhe jetzt letztendlich am Fuß an Deinen
Füßen wirklich so viel bringt. Das finde ich super.
Erzähler
Insgesamt bin ich in den ersten drei Monaten, seit ich diese App habe, fast 350 Kilometer
gegangen. Und ich hab das Handy oft nicht dabei, wenn ich unterwegs bin! Ich weiß, das ist nur
ne Zahl! Aber diese Zahl zeigt mir, dass ich Dinge hinkriege, die ich selber nicht für möglich
gehalten hätte.
Ach ja, und ein netter Nebeneffekt ist außerdem, dass ich zehn Kilo weg habe. Okay, wobei das
jetzt nicht nur an meinen Fußmärschen liegt: mittlerweile mach ich auch fast jeden Morgen
morgens Sit-Ups – und – strampel mir einen ab auf meinem Trimmrad. Hätt ich nie gedacht, dass
ich sowas mal machen würde.
Autor
Ich muss mein Leben neu überdenken wirklich teilweise, weil diese Schuhe so toll funktionieren.
Das eröffnet Dimensionen, die mir jetzt auch zum Teil noch gar nicht so klar sind. Was Du Dir aber
nicht vorstellen kannst – und ich würde Dir wünschen, würde ich jedem Menschen wünschen, das
zu erleben – ich fühle mich auch unglaublich leicht. Leicht und beweglich. Und ich habe jetzt noch
weniger Schranken im Kopf.
Erzähler
Ralph ist mal eben mit meinen Schuhen verschwunden – irgendwas reparieren. Und mir, mir fällt
plötzlich Nietzsche ein:
Autor
Das kann ich nicht sagen. Doch? „Ich habe gelernt zu gehen, seitdem lasse ich mich laufen.― Und
es geht noch weiter. Da ist dann die Rede vom Fliegen, usw. Und dann am Schluss heißt es…
Und so komme ich jetzt drauf: Ich fühle mich als „als würde ein Gott durch mich
hindurchtanzen.― Das ist super! Das darf man aber nicht sagen in der Sendung. Das hat ja was
total größenwahnsinniges. Das kann ich ja so nicht stehen lassen.
Erzähler
Außerdem habe ich jetzt im Nachhinein festgestellt: Nietzsche hat das alles ein bisschen anders
gesagt. Aber – ab dafür!
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Autor
Ich interpretiere das einfach so: Ich habe das mit dem Gehen hingekriegt. Ich habe echt nochmal
geübt zu gehen, wie das funktioniert. Und seitdem ich weiß, wie das geht – wie es geht – muss ich
darüber nicht mehr nachdenken, dann passiert das einfach automatisch.
Erzähler
Und dann komme ich auch noch drauf, was für ein befreiendes – ja entfesselndes Gefühl das für
mich war, als mir zum ersten Mal klar wurde: Ich muss diese bescheuerten, schwarzen Klötze gar
nicht unbedingt tragen. In diesen Schuhen, das war wahrscheinlich so, wie wenn jemand mit
Armen die Hände in der Hosentasche festgeschnürt bekommt und die da von alleine nicht mehr
rauskriegt. Und von diesem Gefühl hatte ich die Schnauze voll. Und dann habe ich einfach mal
ganz normale Turnschuhe ausprobiert. Gut, bequem ist was anderes – wegen meinem Klumpfuß.
Laufen konnte ich damit nicht so gut. Aber da konnte ich zum ersten mal rein und raus – ohne
fremde Hilfe. Das ist jetzt über zehn Jahre her.
Autor
Und dann hat es klick gemacht. Im Kopf. Weil ich da die Welt begonnen habe zu begreifen. Ich
habe die Welt begriffen – hab gefühlt: Wie fühlt sich das an? Wie fühlt sich… Wie fühlen sich
Gegenstände um mich rum an? Wie fühlen sich Menschen um mich herum an? Wie fühlen sich
Typen an? Wie fühlen sich Frauen an, die ich einfach anfassen kann um mich herum. Das musst
Du Dir vorstellen, das ging ja nicht. Wenn ich irgendwo hingegangen bin, waren meine Füße in
den Schuhen und Ende. Und wenn ich solche Schuhe gehabt hätte damals, dann ja, dann – Jo —
dann wäre ich noch steiler gegangen.
Erzähler
Steilgehen ist übrigens ein sehr gutes Stichwort: Jetzt, wo ich mit den neuen Schuhen von Ralph
so ne Mischung aus Turnschuh und orthopädischem Schuh hab: Jetzt ist noch viel mehr mit
Bewegung drin: Da wird es demnächst dann auch mal eine richtig lange Bergwanderung geben.
Stephanie
… Für lange Wanderung braucht man eben nicht nur Schuhe. Man braucht doch ein Rucksack.
Autor
So habe ich Dir das doch erklärt, Ralph, oder?
Ralph Demaisons
Genau.
Autor
Ich habe zu Ralph gesagt: Ich werde mit Stephanie demnächst irgendwie wandern gehen. Ich
brauche ein Rucksack. Damit Du das nicht alles tragen musst. So war das, oder?
Stephanie
Wie sonst immer!!!
Autor
Wie sonst immer!
Ralph Demaisons
Ja, so war das.
Autor
Gehen wir hier lang?
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Erzähler
Ralph hat sich da was total cooles ausgedacht, damit ich ziemlich bequem einen Rucksack tragen
kann. Auf der Brust habe ich so eine Platte. Und da sind die Bändel vom Rucksack dran befestigt.
Hat ein bisschen was von einer Ritterrüstung oder den Ninja-Turtles. Aber durch diese Platte
verteilt sich das Gewicht gleichmäßig über meinen Oberkörper. Und – ich kann mir das Ding sogar
selber anhängen...
Ralph Demaisons
Das war echt cool heute. Bin losgerannt, hab mir alles zusammengesucht: Zack, Zack, Zack. Die
ganzen Dinger. Und dann jetzt muss ich trainieren, weil ich muss es vorführen und da habe ich
mich reingezwängt. Da kannst Du Dir vorstellen, wie die Kollegen solche Augen gemacht. Und ich
habe mich da reingezwängt. Kratzer am Hals überall, echt, die Stirn, logisch. Weißt Du… Mir sind
ja meine Schultern im Weg. Und dann hin und her. Und ich wollte es ja ohne Hände schaffen, gell.
Stephanie
Das heißt, Du bist so von unten da rein und dann…
Ralph Demaisons
Genau. Ich hab’s mir praktisch so seitlich hingelegt, dann habe ich das dann…
Stephanie
… Darf ich das mal probieren?…
Ralph Demaisons
Ich habe mich dann hoch… Genau… Mit Schwung… Hoch… Zack… Genau…
Mit Schwung… Zack… Nein, nicht ganz so. Nein, erstmal richtig positionieren. Darf ich mal?
Genau.
Stephanie
Aua!
Ralph Demaisons
Ja, Aua! Genau.
Stephanie
Ist da das Loch vom Kopf?
Ralph Demaisons
Zack! Genau.
Stephanie
Und raus müsste ich ja jetzt eigentlich ohne Arme auch wieder kommen?
Ralph Demaisons
Ja, ohne Probleme. Und zwar…
Autor und Stephanie
Ohne Arme und ohne Probleme!
Erzähler
Ich hab ja bis jetzt ziemlich ausführlich davon erzählt, wie toll meine Schuhe sind und wie gut ich
damit laufen kann. Aber jetzt müssen wir von Markgröningen die 400 km auch wieder zuirück. Und
das will auch ich mit den besten Schuhen der Welt nicht laufen müssen. Deshalb sitzen wir jetzt
schon wieder im Auto.
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Stephanie
Ich fand das jetzt noch am Schluss ganz spannend, mit den Prothesen und den Orthesen – dieses
Ersatzteillager, praktisch.
Erzähler
Ralph Demaisons hat uns übrigens beim Rausgehen noch gezeigt, was in Markgröningen außer
Schuhen noch so alles an Spezialanfertigungen gebaut wird.
Stephanie
Ja. Und was ich finde, was es mit mir macht, wenn ich da bin, ist nochmal Körper anders spüren.
Nur durch das hören und das sehen, was da ist. Das ist nicht selbstverständlich, in Schuhen
laufen zu können. Das ist nicht selbstverständlich sich aufrecht halten zu können. Das ist nicht
selbstverständlich, etwas greifen zu können. Das ist gar nichts selbstverständlich. Und Bewegung
und Gelenke bewegen zu können. Gehen zu können.
Autor
Das merkt man ja auch dann erst, wenn solche Funktion ausfallen. Wenn man Schmerzen hat,
weil Dinge nicht mehr funktionieren, wie sie mal funktioniert haben, dann merkt man, was einem
fehlt oder wie toll das war, dass man das konnte.
Stephanie
Ich gehe da mit einer Art Dankbarkeit raus. Von der ich aber weiß, dass sie überhaupt nicht
annähernd so groß ist wie sie wäre, wenn mir das vollkommen klar wäre, was ich gerade gesagt
habe.
Autor
Das ist aber auch gut, dass das Dir nicht so klar ist. Sonst würdest Du ja ständig darüber
nachdenken.
Stephanie
Nein. Wenn einem was ganz klar ist, dann muss man nicht mehr ständig drüber nachdenken.
Dann ist es einfach klar. Dann hat man das im Bewusstsein mit drin. Und das ist gut, wenn man
das ganz klar hat. Was das heißt, wenn ein Körper funktioniert. Wenn man den bewegen kann, so,
wie man ihn bewegen möchte.
Autor
Jetzt stell Dir mal vor: Meine Erfahrung ist ja, was die Schuhe angeht, genau eine umgekehrte. Ich
kannte das eben nicht, wie toll das ist, in funktionierenden Schuhen unterwegs zu sein, die mir
dieses Gehgefühl geben. Sondern das habe ich erst jetzt erfahren. Und wie dankbar ich dafür bin,
dass ich das erleben konnte. Und wie toll das ist, wenn man sein Leben lang in wirklich blöden
Schuhen, in unangenehmen Schuhen, die Schmerzen bereitet haben, gefahren ist… gegangen ist.
Und dann auf einmal geht man wie auf Wolken. Es tut Nix mehr weh. Das ist so schwierig, das zu
vermitteln. Oder manchmal, wenn Leute mich fragen: „Und, wie geht es? Was gibt es Neues?― Ja,
die Schuhe hier! Kucken die auf die Schuhe: „Aha.― Und dann: „Wie jetzt?―, fragen die und dann
fange ich an zu erzählen. Und ich merke sofort, wen das interessiert und wen nicht. Manche Leute
gucken dann, hören sich das an… Ich erzähle ja dann nicht direkt das in epischer Breite. Aber
nach drei bis vier Sätzen merke ich, wen das interessiert und wen nicht. Entweder fragen die
weiter oder sagen: „Oh, jo.―
Stephanie
Aber sie raffen gar nicht, um was es geht.
9
Autor
Die raffen die Tragweite… Das raffen die wenigsten, was das bedeutet. Aber, ich denke, das
müsste doch ziemlich einfach zu verstehen sein, was das bedeutet, wenn Leute, die mich kennen
schon seit Jahren. Die sehen mich nach zwei bis drei Monaten nochmal und ich sehe anders aus.
Ich bin fitter, ich bin dünner, ich bin aktiver. Und wenn ich dann sage, es sind die neuen Schuhe,
die das gemacht haben. Dann müssen sich doch Fragen auftun. Da muss doch klar werden, was
unglaublich besonderes diese Schuhe mit mir gemacht haben, oder?
Erzähler
Was die Schuhe aber auch mit mir gemacht haben: Ich hab mich zu einer ziemlich gewagten
Wette hinreißen lassen.
Autor
Wir können ja mal irgendwann zusammen rennen.
Stephanie
Ja, das können wir auch jetzt heute Abend oder morgen machen.
Autor
Ja?
Stephanie
Ein Wettlauf.
Autor
Geil.
Stephanie
Ja.
Autor
Dann ist ja aber klar, wie das ausgeht? Wollen wir wetten?
Stephanie
Ja, wir können ja aber für mich irgendwelche erschwerten Bedingungen erfinden.
Autor
Häh? Für Dich? Für Dich sollen wir erschwerte Bedingungen… Was soll das denn?
Stephanie
Ich bin mir meines Sieges sicher.
Autor
Ja, Stephanie, das ist klar!
Stephanie
(lacht)
Autor
Wollen wir da was wetten?
Stephanie
O.k., ja.
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Autor
Sehr gut! Ja, also – ich könnte mir gut vorstellen, dass ich nicht verliere.
Stephanie
Ach ja? O.k. Dann machen wir das.
Autor
Ach ja!
Stephanie
Wir machen einen Wettlauf. Und suchen uns irgendeine gerade gute Strecke, dass jeder gleiche
Ausgangsposition hat.
Erzähler
Das haben wir dann auch tatsächlich gemacht! Wir sind zu einem Sportplatz mit einer 100 MeterTartanbahn. Alles hoch professionell! Mit vorher Aufwärmen und so...
Autor
Wie? Wird jetzt losgelaufen schon direkt?
Stephanie
Ja, auf was warten wir? Bis es dunkel wird, oder was?
Autor
Ich würde gerne mein Hemd noch ausziehen…
Stephanie
Damit die Blamage nicht so groß ist…
Autor
… Für Dich, ja.
Erzähler
Tja – und dann wurde es irgendwie immer enger für mich:
Stephanie
Also: Eins…
Autor
Du hast auch Schiss, gell?
BEIDE
(lachen)
Autor
Ah, weißt Du, Stephanie…
Stephanie
Eins…
Autor
…Füßchen darf nicht drübertreten?
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Stephanie
Nee! Mensch, wo warst denn Du im Sportunterricht?
Autor
Ja, ich war im Sportunterricht befreit.
Stephanie
Echt? Ja, solche Dinge rächen sich immer irgendwann.
Autor
Jap. Aber nicht heute!
Stephanie
Eins, Zwei, Drei: Auf… Auf!
Autor
Au, Au…
BEIDE
(lachen)
BEIDE
Auf, die Plätze, fertig, los…
Erzähler
Was man hier hört ist der Wind, das Aufnahmegerät und Stephanie. Und die sind ziemlich weit
weg. Ich hatte wirklich keine Chance! Echt nicht! Und ein kleines bisschen lag es vielleicht auch
daran, dass schnelles Laufen nicht so mein Ding ist. Ich fühle mich da einfach nicht so sicher. Auf
jeden Fall habe ich auch Ralph Demaisons berichtet, wie es ausgegangen ist. Und er hat mir
zurück geschrieben: "Zum Hundertmeterlauf kann ich nur sagen, dass ich dir auch Spikeschuhe
machen kann. Damit steigen deine Chancen für die Revanche!"
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