Leseprobe zum Titel: Stuttgarter Zeitung (10.03.2016)

Die unabhängige Zeitung für Baden-Württemberg
1,80 €
Donnerstag, 10. März 2016
Nr. 58 | 10. Woche | 72. Jahrgang | E 4029
50 Jahre Reisemesse ITB
Urlaubslust? Von wegen
Ende der
Gewaltenteilung
Polen Die EU darf die
Entmachtung des
Verfassungsgerichts nicht
hinnehmen. Von Florian Hassel
Terroranschläge und Flüchtlingskrise verleiden vielen Deutschen
die Reiselust. Die Messe in Berlin will den Umschwung schaffen. SEITE 2
as Urteil von Warschau ist eindeutig. Polens Verfassungsrichter erklären Gesetzesänderungen, die
Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit
des Verfassungsgerichtes stark einschränken und die Regierung effektiver Kontrolle
entziehen sollen, für verfassungswidrig.
Voraussichtlich am Freitag wird auch die
Venedig-Kommission, das auf Verfassungsfragen spezialisierte Gremium des Europarates, Polen auffordern, die Änderungen
zurückzunehmen. Im Februar hatten sechs
anerkannte Verfassungsexperten das Vorgehen der polnischen Regierung gegen das
Verfassungsgericht auch nach internationalen Maßstäben für rechtswidrig erklärt.
Doch Polens eigentlicher Herrscher Jarosław Kaczynski und seine Regierung
wollen das Urteil ihres Verfassungsgerichts
nicht veröffentlichen und es ebenso ignorieren wie ein Urteil vom Dezember, demzufolge Polens Präsident drei noch unter
der Vorgängerregierung legal gewählte
Verfassungsrichter vereidigen muss.
Polens Verfassungsrichter können nun
zwar weiter urteilen, aber unter einer Regierung, die ihre Urteile ignoriert, ist die
Gewaltenteilung aufgehoben; ist die Herrschaft des Rechts in Polen nicht nur bedroht, sondern abgeschafft. Die Regierung
eines EU-Mitgliedes, des größten und
wichtigsten Landes in Zentraleuropa, stellt
sich bewusst außerhalb des europäischen
Rechtsraumes.
Kaczynski und seine Partei Recht und
Gerechtigkeit (PiS) wollen, wie jede auf
autoritäre Herrschaft zielende Macht, eine
zentrale Grundlage des Rechtsstaates faktisch abschaffen: dass eine Regierung und
ihre Mehrheit im Parlament einer Kontrolle durch unabhängige Richter als dritter
Macht im Staat unterworfen sind.
Die nun für verfassungswidrig erklärten
Gesetzesänderungen, die Kaczynski und
Gefolgsleute gleichwohl anwenden wollen,
sehen auch mögliche Disziplinarmaßnahmen gegen Verfassungsrichter vor – bis hin
zur Absetzung durch das Parlament und
zu strafrechtlichen Verfahren. Im aktuellen Warschauer Klima scheint nicht einmal
mehr ausgeschlossen, dass ein Verfassungsgerichtspräsident verhaftet wird,
weil er seine Pflicht erfüllt.
Wie antworten die Polen, wie antwortet
Europa auf die Ausschaltung des Verfassungsgerichts? Die Polen haben zu Zehntausenden gegen die antidemokratischen
Manöver der PiS protestiert. Doch um eine
kritische Masse zu erreichen, müssten
wohl allein in Warschau Hunderttausende
demonstrieren. Kaczynski zeigt keine Bereitschaft zum Nachgeben und erfindet
ausländische Feinde, die hinter den Protesten stehen sollen. Polens Demokraten stehen vor einem langen Weg von Protest, Aufklärung und Reform in den eigenen Reihen,
wenn sie das Blatt wenden wollen.
Was kann Europa tun? Die bevorstehende Aufforderung der Venedig-Kommission,
zum Rechtsstaat zurückzukehren, ist nur
eine Empfehlung, aber mit hoher symbolischer Kraft. Trotzdem scheint Kaczynski
bei der Demontage des Verfassungsgerichts zum Durchmarsch gegen alle entschlossen. Bleibt es dabei, müsste die EUKommission im eröffneten Rechtsstaatsverfahren gegen Warschau bald Sanktionen verhängen – und Warschau mittelfristig die Fördermilliarden kürzen.
Wahrscheinlich ist dies nicht: In Zeiten,
in denen die EU die Türkei wegen ihrer
zentralen Rolle in der Flüchtlingsfrage umwirbt, ist ein entschlossenes Vorgehen
gegen demokratische Sünder in der EU unwahrscheinlich. Zudem scheuen Kaczynskis Alliierte wie Ungarns ebenfalls selbstherrlich regierender Ministerpräsident
Viktor Orban ein solches Exempel und können ihr Veto einlegen. Das in seiner Radikalität beispiellose Vorgehen Polens unter
Kaczynski bedroht den Zusammenhalt der
EU als einer Vereinigung von Demokratien.
Doch wie in der Flüchtlingskrise sind effektive Lösungen nicht in Sicht.
Foto: dpa Montage: Stecker
D
Entdecken
Interview
Medien
Tricksen, tarnen, täuschen: auch im
Tierreich gibt es Betrüger SEITE 18
Geht die Jugend am Sonntag wählen?
Ein Gespräch mit Schülern SEITE 28
Es lebe das Qualitätsfernsehen:
die Grimme-Preise in Marl SEITE 32
Wochenende
DA S
VO N
2./3.
April
2016
Frankreichs Jugend
geht auf die Straße
M AG A Z I N
A K T U E L L
S O N N TAG
Sport
M AG A Z I N
A K T U E L L
SO N N TAG
DA S
VO N
3. April
2016
Nachrichten
&
Tipps
AUF
ZW E
T
I SEI
EN
Auholjagd
VfB ist keine andere
So gut wie der
die Rückrunde
Mannschat in
macht die verkorste
gestartet. Das
Hinrunde fast
vergessen.
Reiten
der
Medaillen bei
Sorgen um
EMin Aachen –
Totilas
Millionen-Pferd
Handball
TVB 1898 Stuttgart
verliert gegen Rhein-Neckar
Löwen und gewinnt
an Erfahrung
Sport
mehr
Alles zum VfB und
in unserer
aktuellen Sport
neuen App
Re is e
IT
TE M
HEU
ITEN
T SE
ACH
Mensch
und Technik
e 13
ab Seit
Wie retten Sie
gen?
Ihre Erinnerun
Seite 8
Freizeit
nde?
Was tun am Wochene
Basteltipps
Denksport und
Seite 22
Wissen
Wie reisen eigentlich
Pferde im Flugzeug?
Seite 6
Zehntausende Franzosen machen gegen die geplante
Arbeitsmarktreform der Regierung mobil. Von Axel Veiel, Paris
Streik
Neue StZ-Beilage
am Wochenende
Wir wandern
ewegung:
Die neue Massenb
haben,
en wieder Lust
Warum die Mensch
zu laufen
durch die Natur
Die Stuttgarter Zeitung erweitert ihr journalistisches Angebot am Wochenende. Von
Ende März an erhalten Sie immer donnerstags zusätzlich Tipps und Termine für Ihre
Freizeitgestaltung, samstags liegt der StZ
das 24-seitige Magazin „Wochenende“ bei.
Am Sonntagmorgen informieren wir Sie
digital – auf dem PC, dem Tablet oder dem
Smartphone – über Sport und aktuelles
Weltgeschehen. Die neuen Angebote ersetzen die gedruckte Ausgabe von „Sonntag
Aktuell“. Sie erscheint letztmals am Ostersonntag, dem 27. März.
Bei der Entwicklung des neuen Leseangebots haben wir 1500 Leserinnen und
Leser nach ihren Wünschen gefragt. Auf
einer Doppelseite informieren wir heute
ausführlich über Neues und Bewährtes
(wie etwa acht Seiten Reise oder die Familienseite „Kind und Kegel“).
StZ
– Das neue Wochenende SEITEN 24, 25
Richter stoppen Reform
Die polnische Regierungspartei Recht und
Gerechtigkeit hat die Regeln für das Verfassungstribunal geändert und damit in Europa heftige Kritik ausgelöst. Nun erheben
auch die betroffenen Richter Einspruch: sie
erklären die Reform für rechtswidrig. SEITE 8
Streit über Fahrverbote
Trotz des Feinstaubalarms ist der Autoverkehr in Stuttgart am Mittwoch nicht signifikant zurückgegangen. Die IHK warnt vor
für die Wirtschaft problematischen Fahrverboten. Umweltschützer fordern ebendiese schon vom Sommer an. SEITE 19
Freitag
8°/1°
Samstag
9°/2°
Börse SEITEN 15, 16
Dax 9723,09 Punkte (+ 0,31 %)
Dow Jones 17 000,36 Punkte (+ 0,21 %)
Euro 1,0973 Dollar (Vortag: 1,1028)
Ausführliches Inhaltsverzeichnis SEITE 2
46010
4 190402 901800
G
den auszuweiten. Die Vergütung von Überstunden soll ebenfalls Gegenstand innerbetrieblicher Regelungen sein, wobei ein Aufschlag von mindestens zehn Prozent nicht
unterschritten werden darf.
Die Front der Reformgegner zeigt freilich erste Risse. Während die am Mittwoch
protestierenden, im Ruf der Radikalität
stehenden Gewerkschaften fordern, das
Vorhaben komplett fallen zu lassen, verlangt die auf öffentliche Kundgebungen
bisher verzichtende gemäßigte Gewerkschaft CFDT lediglich „zahlreiche Nachbesserungen“. Regierungschef Manuel
Valls, der Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter seit Tagen zu Einzelgesprächen
empfängt, hat Kompromissbereitschaft
signalisiert, soweit das Vorhaben dadurch
nicht in seinem Kern angetastet werde.
Die konservative Opposition, die eine
derart weit gehende Arbeitsmarktreform
bisher nicht einmal hinter verschlossenen
Türen zu fordern wagte, richtet ihre Kritik
gegen das „zu erwartende Einknicken“ der
Regierung. „Der Berg kreißt und wird letztlich eine Maus gebären“, so der Republikaner-Chef und Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. Für den 12. und 31. März sind weitere
Proteste geplant. Am 23. März will Valls
die Reform in den Ministerrat einbringen.
Vor zehn Jahren war der Versuch der damaligen konservativen Regierung, einen
Arbeitsvertrag für junge Menschen mit
einer langen Probezeit einführen zu wollten, am Widerstand der Straße gescheitert.
– Tollkühn gegen die Arbeitslosigkeit SEITE 3
Die Balkanroute für Flüchtlinge ist faktisch
geschlossen. Slowenien, Kroatien, Serbien
und Mazedonien lassen seit Mittwoch niemanden ohne gültigen Reisepass und Visum mehr passieren. Damit sitzen mehr als
35 000 Menschen in Griechenland fest.
Auch das Schicksal der Flüchtlinge, die bereits auf der Strecke nach Westeuropa
unterwegs sind, ist völlig offen. Ungarn rief
landesweit den Krisenzustand aus, Polizei
und Militär an der Grenze sollen verstärkt
werden. EU-Gipfelchef Donald Tusk begrüßte die Entwicklung. Dies sei keine Frage einseitiger Maßnahmen, sondern eine
gemeinsame Entscheidung der 28 EUStaaten, erklärte er auf Twitter.
dpa
– Weitere Berichte SEITEN 5, 7
Luff
Zu nehmende Hürden
Ist die Queen für den Brexit?
it einem „Bombenschlag“ hat das BouLondon Elizabeth II., so Hochzeit mit Jerry Hall gesehen. Die „Sun“ fand
levardblatt „The Sun“ am Mittwoch al- wird behauptet, will den solche Einwände unfair. Sie wisse mit Bestimmtheit, so die Zeitung, dass die Queen dem Pro-Eurole Welt aufgeschreckt. Die Queen, verAustritt aus der EU.
päer Clegg „zornig“ und „emotional“ und „eine
kündete die Zeitung, wolle den britischen AusVon Peter Nonnenmacher
ganze Weile lang“ die Meinung gesagt habe. Sie hatritt aus der EU. Das habe sie bei einem Gala-Esbe „keinen Zweifel an ihren leidenschaftlichen Gesen in Windsor Castle vor fünf Jahren dem damaligen Vizepremier Nick Clegg gegenüber deutlich gemacht – fühlen betreffs Europa gelassen“ und einmal sogar erklärt: „Ich
weil ihrer Ansicht nach die EU in „die falsche Richtung“ ziehe. verstehe Europa nicht.“ Witzigerweise waren der Queen noch
Clegg, dazu befragt, konnte sich an eine solche Konversation im vorigen Sommer Vorhaltungen aus genau gegensätzlicher
„nicht erinnern“. Auch ein Palastsprecher dementierte die Mel- Richtung gemacht worden. Bei einem Staatsbankett in Berlin
dung rasch: Die Königin sei immer „politisch neutral“, und man hatte sie vor einer „Spaltung Europas“ gewarnt.
Was die 89 Jahre alte Dame privat denkt, weiß niemand gehabe die Presse-Beschwerdestelle angerufen.
EU-Befürworter auf der Insel witterten ein Komplott der nau zu sagen. Einmal, vorm schottischen Unabhängigkeits-ReGegenseite. Immerhin ist der „Sun“-Verleger Rupert Murdoch ferendum 2014, mahnte sie ihre Untertanen, „sorgsam über die
für seine Brexit-Sympathien bekannt. Argwohn erweckte nicht Zukunft nachzudenken“. Aber generell hat sie sich in der Öfzuletzt die Information, dass einer der Gäste, die das damalige fentlichkeit nie eine Blöße gegeben. Bei den Wettbüros auf der
Gespräch der Queen mit Nick Clegg mitgehört haben sollen, der Insel glaubt aber kaum jemand, dass Elizabeth II. je öffentlich
Tory-Minister Michael Gove war, heute einer der Anführer der für einen Brexit in die Bresche springen würde. Die Chancen
Austrittskampagne. Hatte Gove sich hier etwas Cleveres einfal- dafür stehen dort 100 zu 1. Am 23. Juni stimmen die Briten dalen lassen? Zuletzt wurde er vorigen Samstag auf Murdochs rüber ab, ob sie Mitglied der Europäischen Union bleiben.
M
Wetter SEITE 10
Donnerstag
9°/0°
ewerkschaften, Grüne, Kommunisten, Studenten- und Schülerverbände haben am Mittwoch in
Frankreich gegen die geplante Flexibilisierung des Arbeitsmarktes protestiert. Zu
Zehntausenden gingen Jugendliche im
ganzen Land auf die Straße, errichteten
Barrikaden vor Universitäten und Schulen,
skandierten „Wir haben Besseres verdient“
oder „Wir wollen keine Arbeitssklaven
sein“. Die Zahl der Unterzeichner einer
Online-Petition „Neues Arbeitsgesetz:
Nein danke“ stieg auf über 1,2 Millionen.
Während Reformgegner die zur Eindämmung der Rekordarbeitslosigkeit geplanten Neuerungen als „wirtschaftsliberalen, die Unternehmer einseitig begünstigenden Irrsinn“ anprangerten, sprach
Staatschef François Hollande von einer
notwendigen Reform „zum Erhalt des französischen Sozialmodells“.
Der bis hinein ins Lager der regierenden
Sozialisten auf Widerstand stoßende Gesetzentwurf sieht erweiterte Kündigungsmöglichkeiten vor. So sollen Arbeitgeber
künftig auch im Fall eines dauerhaften Auftrags- oder Umsatzrückgangs berechtigt
sein, sich von Beschäftigten zu trennen. Die
Abfindung für Entlassene, die bisher weitgehend im Ermessen der Arbeitsgerichte
lag, soll berechenbarer und auf maximal 15
Monatsgehälter beschränkt werden. Auch
würde die Reform Betrieben die Möglichkeit einräumen, die gesetzliche Wochenarbeitszeit von 35 Stunden im Einvernehmen mit der Belegschaft auf bis zu 48 Stun-
Flüchtlingsroute
über Balkan ist dicht
www.stuttgarter-zeitung.de
// Killer
& Co. Die StZ-Krimikolumne
// Pet
Content Süße Tiergeschichten aus dem Netz