Strafrecht AT II VL 3 - Rechtswissenschaftliches Institut

Rechtswissenschaftliches Institut
Vorlesung 3: Strafbefreiungsgründe & Strafrahmen
Dr. iur. Omar Abo Youssef
FS 2016
Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef
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Strafrahmenbestimmung (1)
Vorgehen:
1. Verdient das konkrete strafbare Verhalten überhaupt eine Sanktion?
 Strafbefreiungsgründe:
 Fehlendes Strafbedürfnis, wenn Schuld und Tatfolgen gering
sind (Art. 52 StGB)
 Wiedergutmachung (Art. 53 StGB)
 Betroffenheit des Täters (Art. 54 StGB)
 Einstellung des Verfahrens:
 Ehegatte/eingetragener Partner/Lebenspartner als Opfer
(Art. 55a StGB)
Falls kein Strafbefreiungsgrund vorliegt (nächste Folie):
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Strafrahmenbestimmung (2)
2. Bestimmung des Strafrahmens
= Mindest- und Höchstmass der Strafe werden bestimmt
Vorgehen in der Praxis:
(1) Festlegung des ordentlichen Strafrahmens (vgl. Folie 6 ff.)
(2) Erweiterung des Strafrahmens nach unten aufgrund von
Strafmilderungsgründen? (vgl. Folie 10 ff.)
(3) Erweiterung des Strafrahmens nach oben aufgrund von
Strafschärfungsgründen? (vgl. Folie 15 ff.)
3. Strafzumessung (Lektion 4)
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Strafbefreiungsgründe
–
Fehlendes Strafbedürfnis (Art. 52 StGB):
Voraussetzung: Schuld und Tatfolgen sind geringfügig (Bagatelldelikt)

Wiedergutmachung (Art. 53 StGB):
Voraussetzung: Der Täter hat den verursachten Schaden gedeckt oder
alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um das von ihm bewirkte
Unrecht auszugleichen:
+ Voraussetzungen für eine bedingte Strafe (Art. 42 StGB) sind erfüllt
+ Strafverfolgungsinteresse der Öffentlichkeit und des Geschädigten
sind gering

Betroffenheit des Täters durch seine Tat (Art. 54 StGB):
Voraussetzung: Der Täter ist durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat
so schwer betroffen, dass eine Strafe unangemessen wäre
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Einstellung des Verfahrens
Bei gewissen Delikten*, die gegenüber Personen, welche in häuslicher
Gemeinschaft mit dem Täter leben, begangen werden, wird auf Gesuch
des Opfers oder des gesetzlichen Vertreters das Verfahren sistiert
(Art. 55a StGB).
* Folgende Delikte fallen unter Art. 55a StGB:
 einfache Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3-5 StGB)
 wiederholte Tätlichkeiten (Art. 126 Abs. 2 lit. b, bbis und c StGB)
 Drohung (Art. 180 Abs. 2 StGB)
 Nötigung (Art. 181 StGB)
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Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens
1
Angedrohte Strafe (Straffolge)
 Verbrechen (Art. 10 Abs. 2 StGB), Freiheitsstrafe über 3 Jahre
 Vergehen (Art. 10 Abs. 3 StGB), Freiheitsstrafe bis 3 Jahre oder Geldstrafe
 Übertretung (Art. 103 StGB), Busse
+ Legaldefinitionen der Strafarten
Art. 40 StGB: Freiheitsstrafe = i.d.R. 6 Monate bis 20 Jahre, ev. lebenslänglich
Art. 34 StGB: Geldstrafe = 1 bis 360 Tagessätze
Art. 37 StGB: gemeinnützige Arbeit = 4 bis 720 Stunden
Art. 106 StGB: Busse = i.d.R. bis zu CHF 10’000, ev. höher
+ Spezialbestimmungen
= ORDENTLICHER STRAFRAHMEN
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Ordentlicher Strafrahmen
= MINDESTSTRAFE und HÖCHSTSTRAFE
 d.h. eine Mindest- und Höchstdauer bei der Freiheitsstrafe, bei der
Geldstrafe (Anzahl Tagessätze) und bei der gemeinnützigen Arbeit,
 sowie einen Mindest- und Höchstbetrag bei der Geldstrafe
(Tagessatzhöhe) und der Busse
Anwendungsbeispiel:
Ordentlicher Strafrahmen von Art. 179ter StGB (unbefugtes Aufnehmen
von Gesprächen)?
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Ordentlicher Strafrahmen - Anwendungsbeispiel
Ordentlicher Strafrahmen von Art. 179ter StGB (unbefugtes Aufnehmen
von Gesprächen)?
Angedrohte Strafe: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe
= Vergehen (Art. 10 Abs. 3 StGB)
 Höchststrafe: 1 Jahr Freiheitsstrafe (Art. 179ter StGB) bzw.
360 Tagessätze Geldstrafe à 1.- bis 3000.- CHF (Art. 34 StGB)
 Mindeststrafe: ergibt sich aus den Legaldefinitionen:
 Art. 40 StGB: Freiheitsstrafe (i.d.R.: 6 Monate; Ausnahme: 1 Tag)
 Art. 34 StGB: Geldstrafe (1 Tagessatz à 1.- bis 3000.- CHF)
Ausserdem möglich:
 Art. 37 StGB: gemeinnützige Arbeit (4 bis 720 Std., nur mit Zustimmung
des Täters)
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Ordentlicher Strafrahmen - Anwendungsbeispiel
4 Std. = 1 Tag
720 Std.
Gemeinnützige Arbeit (Art. 37)
oder
1 Tagessatz
180 Tagessätze
360 Tagessätze
Geldstrafe (Art. 34)
1 Tag
oder
i.d.R. mind. 6 Monate
1 Jahr
Freiheitsstrafe (Art. 40)
720 Std. gemeinnützige Arbeit entsprechen 180 Tagessätzen Geldstrafe
entsprechen 6 Monaten Freiheitsstrafe (Art. 36 Abs. 1 StGB; Art. 37 Abs. 1 StGB)
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Strafmilderung (1)
2
In einem zweiten Schritt muss geprüft werden, ob Strafmilderungsgründe
gemäss Art. 48 StGB vorliegen:








Handeln aus achtenswerten Beweggründen (lit. a Ziff. 1)
Handeln in schwerer Bedrängnis (lit. a Ziff. 2)
Handeln unter dem Eindruck einer schweren Drohung (lit. a Ziff. 3)
Handeln auf Veranlassung einer Person, welcher der Täter
Gehorsam schuldig oder von der er abhängig ist (lit. a Ziff. 4)
Provokation durch den Verletzten (lit. b)
Handeln im Affekt oder unter grosser seelischer Belastung (lit. c)
Betätigung aufrichtiger Reue (lit. d)
Zeitablauf und Wohlverhalten (lit. e)
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Strafmilderung (2)
2
AT-Bestimmungen mit Verweis auf Strafmilderung:
 Unterlassungsdelikte (Art. 11 Abs. 4 StGB)
 entschuldbare Notwehr (Art. 16 Abs. 1 StGB)
 entschuldbarer Notstand (Art. 18 Abs. 1 StGB)
 verminderte Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2 StGB)
 vermeidbarer Rechtsirrtum (Art. 21 Satz 2 StGB)
 Versuch (Art. 22 Abs. 1 StGB)
 Rücktritt/tätige Reue (Art. 23 StGB)
 Gehilfenschaft (Art. 25 StGB)
 Teilnehmer am Sonderdelikt (Art. 26 StGB)
BT-Bestimmungen mit Verweis auf Strafmilderung:
 leichter Fall einfacher Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 StGB)
 Üble Nachrede und Verleumdung (Art. 173 Ziff. 4, Art. 174 Ziff. 3 StGB)
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Wirkung der Strafmilderung
2
Wirkung der Strafmilderung nach Art. 48a StGB:
–
Wegfall der Mindeststrafdrohung, d.h. die angedrohte Mindeststrafe
kann durch das Gericht unterschritten werden (Abs. 1)
–
Verhängung einer anderen Strafart zulässig, wobei das Gericht das
gesetzliche Höchst- und Mindeststrafmass der jeweiligen Strafart zu
beachten hat (Abs. 2)
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Strafmilderung - Anwendungsbeispiel
Der Angeklagte ist schuldig des qualifizierten Raubes (Art. 140 Ziff. 4 StGB).
Zum Tatzeitpunkt war er in einem Zustand verminderter Schuldfähigkeit
(Art. 19 Abs. 2 StGB).
Aufgabe: Bestimmen Sie den Strafrahmen.
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Strafmilderung – Anwendungsbeispiel (Lösung)
1. Ordentlicher Strafrahmen von Art. 140 Ziff. 4 StGB?
 Angedrohte Strafe: Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren = Verbrechen
(Art. 10 Abs. 2 StGB)
 Höchststrafe: ergibt sich aus den Legaldefinitionen
 20 Jahre Freiheitsstrafe (Art. 40 StGB)
 Mindeststrafe: 5 Jahre Freiheitsstrafe (Art. 140 Ziff. 4 StGB)
 Geldstrafe und gemeinnützige Arbeit aufgrund der Mindeststrafe nach
Art. 140 Ziff. 4 StGB unmöglich!
mind. 5 Jahre
20 Jahre
Freiheitsstrafe (Art. 40)
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Strafmilderung - Anwendungsbeispiel
2. Erweiterter Strafrahmen nach Art. 48a wegen verminderter Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2)?
10’000 Fr.
1 Fr.
Busse
(Art. 106)
4 Std.
720 Std.
Gemeinnützige
Arbeit (Art. 37)
1 Tagessatz
180 Tagessätze
360 Tagessätze
Geldstrafe (Art. 34)
1 Tag
i.d.R. mind. 6 Monate
20 Jahre
1 Jahr
Freiheitsstrafe (Art. 40)
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Strafschärfung (1)
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Ausgangslage: Durch eine oder mehrere Handlungen Voraussetzungen
für mehrere gleichartige Strafen erfüllt (Art. 49 Abs. 1 StGB)
Die strafschärfende Wirkung (Art. 49 Abs. 1 StGB) hängt davon ab, ob die
relevanten Strafnormen unterschiedliche Rechtsgüter schützen (echte
Konkurrenz) oder nicht (unechte Konkurrenz).
Bei echter Konkurrenz: Erhöhung des ordentlichen Strafrahmens der
schwersten Straftat um max. die Hälfte ihres Höchstmasses, wobei die
gesetzliche Obergrenze der betreffenden Strafart nicht überschritten
werden darf (Art. 49 Abs. 1 StGB)
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Strafschärfung (2)
3
• Kumulationsprinzip:
Addition aller verwirkten Strafen
(im Verwaltungsstrafrecht anzutreffen)
•
Absorptionsprinzip:
nur die nach dem schwersten Tatbestand angedrohte Strafe wird verhängt
(anzuwenden bei lebenslänglicher Freiheitsstrafe)
•
Asperationsprinzip:
Ausgangspunkt ist die Strafe der schwersten Straftat, welche angemessen
verschärft wird
(Normalfall, Art. 49 Abs. 1 StGB)
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Ermittlung der schwersten Tat
Die schwerste Tat wird anhand der im Gesetz erwähnten abstrakten
Strafdrohung ermittelt, wobei folgende Vorgehensweise gilt:
1. In erster Linie wird auf die Deliktsart (Verbrechen, Vergehen,
Übertretung) abgestellt
2. In zweiter Linie ist das vorgesehene Höchstmass der im Tatbestand
angedrohten Strafe zu berücksichtigen
3. In dritter Linie wird das Mindestmass der vorgesehenen Strafen
beachtet
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Begriff der «gleichartigen Strafen» (1)
Art. 49 Abs. 1 StGB meint mit gleichartigen Strafen, dass das Asperationsprinzip bei gleichartigen Strafarten angewendet wird.
Beispiele:
1. Der Täter begeht einen Mord an E (Art. 112 StGB) sowie eine
vorsätzliche Tötung an K (Art. 111 StGB): Beide Delikte sehen eine
Freiheitsstrafe vor  Asperationsprinzip anwendbar
2. Der Täter begeht einen Mord an A (Art. 112 StGB) sowie eine schwere
Körperverletzung an M (Art. 111 StGB): Für Mord wird lediglich eine
Freiheitsstrafe vorgesehen, für eine schwere Körperverletzung kann eine
Freiheitsstrafe oder Geldstrafe verhängt werden. Beide Tatbestände
sehen jedoch als Strafart die Freiheitstrafe vor  Asperationsprinzip
anwendbar
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Begriff der «gleichartigen Strafen» (2)
Beispiele (Forts.):
3. Der Täter begeht eine vorsätzliche Tötung an T (Art. 111 StGB) sowie
eine Beschimpfung gegenüber W (Art. 177 StGB): Für eine vorsätzliche
Tötung ist eine Freiheitsstrafe zu verhängen, die Beschimpfung ist mit
einer Geldstrafe zu bestrafen. Die beiden Delikte sehen nicht dieselben
Strafarten vor  Asperationsprinzip nicht anwendbar
Stattdessen ist gegenüber dem Täter eine Freiheitsstrafe und eine
Geldstrafe zu verhängen.
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Strafschärfung – Anwendungsbeispiel (1)
Der Angeklagte ist schuldig der qualifizierten Veruntreuung (Art. 138 Ziff. 2
StGB) und der qualifizierten Gewalt und Drohung gegen Behörden und
Beamte (Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB).
Aufgabe: Bestimmen Sie den Strafrahmen.
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Strafschärfung – Anwendungsbeispiel (2)
Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens:
1. Bestimmung der Deliktsart:
 Art. 138 Ziff. 2 StGB: Freiheitsstrafe bis 10 J. oder Geldstrafe
 Verbrechen
 Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB: Freiheitsstrafe bis 3 J. oder Geldstrafe
 Vergehen
Art. 138 Ziff. 2 StGB ist aufgrund der höheren abstrakten Strafdrohung
das schwerere Delikt
2. Höchstmass der angedrohten Strafe: Freiheitsstrafe bis zu 10 J.
oder Geldstrafe  Verbrechen (Art. 10 Abs. 2 StGB)
Höchststrafe durch Art. 138 Ziff. 2 StGB auf 10 J. Freiheitsstrafe
beschränkt.
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Strafschärfung – Anwendungsbeispiel (3)
3. Mindestmass der Strafe: ergibt sich aus den Legaldefinitionen
 Freiheitsstrafe (Art. 40 StGB): i.d.R. 6 Monate, ausnahmsweise 1 Tag
 Geldstrafe (Art. 34 StGB): 1 Tagessatz à 1.- bis 3000.- CHF
 Ausserdem möglich ist gemeinnützige Arbeit (Art. 37 StGB): 4 bis 720
Stunden, jedoch nur mit Zustimmung des Täters
Achtung: Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB sieht eine Geldstrafe nicht unter 30
Tagessätzen vor  Sperrwirkung der Mindeststrafe
Beachte: Sperrwirkung der Mindest- und der Höchststrafe des milderen
Delikts (Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB)!
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Strafschärfung – Anwendungsbeispiel (4)
Ordentlicher Strafrahmen von Art. 138 Ziff. 2 StGB:
4 Std. = 1 Tag
720 Std.
Gemeinnützige
Arbeit (Art. 37)
1 Tagessatz
180 Tagessätze
360 Tagessätze
Geldstrafe (Art. 34)
1 Tag
i.d.R. mind.
6 Mte.
1 Jahr
10 Jahre
Freiheitsstrafe (Art. 40)
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Strafschärfung – Anwendungsbeispiel (5)
Erweiterter Strafrahmen nach Art. 49 Abs. 1 wegen mehrfacher
Tatbegehung in echter Konkurrenz (Asperation)
Achtung! Sperrwirkung der Mind.-/Höchststrafe Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2
720 Std.
erhöhte Mindeststrafe
GA (Art. 37)
30 Tagessätze
180 Tagessätze
360 Tagessätze
Geldstrafe (Art. 34)
30 Tage
i.d.R. mind.
6 Mte.
1 Jahr
Freiheitsstrafe (Art. 40)
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10 Jahre
„Sperrwirkung“ der Höchststrafe
120 Std.
13 Jahre
(10 + 3)
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Zusammentreffen von Strafmilderung- und Strafschärfungsgründen
4
Wie ist beim Zusammentreffen von Strafmilderung- und Schärfungsgründen
vorzugehen?
Dem Gesetz kann zu dieser Frage nichts entnommen werden.
In der Lehre wird logisch gefolgert, dass der Strafrahmen sowohl nach oben
als auch nach unten erweitert wird, es erfolgt demnach eine:
Herabsetzung und Erhöhung des ordentlichen Strafrahmens nach den
üblichen Regeln der Art. 48, 48a, 49, siehe auch Art. 104 StGB.
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Gleichzeitige Strafmilderung und Strafschärfung 
Anwendungsbeispiel
Der Angeklagte ist des mehrfachen Totschlags (Art. 113 StGB) schuldig. Er
ist zugleich vermindert schuldfähig (Art. 19 Abs. 2 StGB).
Aufgabe: Bestimmen Sie den Strafrahmen.
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Gleichzeitige Strafmilderung und Strafschärfung 
Anwendungsbeispiel (1)
Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens:
1. Bestimmung der Deliktsart:
 Art. 113 StGB: Freiheitsstrafe von 1 bis 10 J.
 Verbrechen (Art. 10 Abs. 2 StGB)
2. Höchstmass der angedrohten Strafe: 10 J. Freiheitsstrafe
3. Mindestmass der Strafe: durch Art. 113 StGB auf 1 J. Freiheitsstrafe
angehoben
Geldstrafe und gemeinnützige Arbeit sind unmöglich
1 Jahr
10 Jahre
Freiheitsstrafe (Art. 40)
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Gleichzeitige Strafmilderung und Strafschärfung 
Anwendungsbeispiel (2)
Erweiterter Strafrahmen nach Art. 48a StGB wegen verminderter
Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2 StGB)?
1 Fr.
10’000 Fr.
Busse
(Art. 106)
4 Std.
720 Std.
Gemeinnützige
Arbeit (Art. 37)
1 Tagessatz
180 Tagessätze
360 Tagessätze
Geldstrafe (Art. 34)
1 Tag
i.d.R. mind. 6 Monate
1 Jahr
10 Jahre
Freiheitsstrafe (Art. 40)
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Gleichzeitige Strafmilderung und Strafschärfung 
Anwendungsbeispiel (3)
Erweiterter Strafrahmen nach Art. 49 Abs. 1 StGB wegen mehrfacher
Tatbegehung:
1 Fr.
10’000 Fr.
Busse
(Art. 106)
4 Std.
720 Std.
Gemeinnützige
Arbeit (Art. 37)
1 Tagessatz
180 Tagessätze
360 Tagessätze
Geldstrafe (Art. 34)
1 Tag
i.d.R. mind. 6 Monate
1 Jahr
10 Jahre
15 Jahre
Freiheitsstrafe (Art. 40)
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Retrospektive Konkurrenz (1)
5
= Sonderfall der Konkurrenz (Art. 49 Abs. 2 StGB)
Voraussetzungen (kumulativ):

Ein Täter wird wegen einer oder mehreren Straftaten verurteilt

In einem späteren Strafverfahren erkennt ihn der Richter für eines oder
mehrere Delikte schuldig, die der Täter vor der Verurteilung der anderen
Tat begangen hat (massgebender Zeitpunkt = Fällung des erstinstanzlichen Urteils)
In einem solchen Fall hat der Richter den Strafrahmen nach den gleichen
Grundsätzen wie beim Zusammentreffen von strafbaren Handlungen oder
Strafbestimmungen zu setzen (also nach Art. 49 Abs. 1 StGB). Eine Gesamtwürdigung ergibt dann ein bestimmtes Strafmass. Die Differenz zwischen dem
Strafmass und dem ersten Urteil wird als Zusatzstrafe in das zweite Urteil
aufgenommen.
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Retrospektive Konkurrenz (2)
5
• Achtung: Ist die Differenz zwischen der Gesamtwürdigung und dem
erstem Urteil gleich Null, kann der Richter folglich auf die Zusatzstrafe
verzichten.
• Achtung: Wenn die neu zu beurteilenden Straftaten vor und nach dem
ersten Urteil begangen wurden: Ausgangspunkt ist auch in diesem Fall
die schwerste Tat. Geschah die schwerste Tat vor dem ersten Urteil, wird
für sie eine Zusatzstrafe ermittelt, die dann um die Strafmasse der nach
dem Ersturteil liegenden Straftaten erhöht wird. Liegt die schwerste Tat
nach dem Ersturteil, wird das Verfahren umgekehrt.
• Achtung: Übersteigt die Zusatzstrafe zusammen mit der Grundstrafe 24
Monate, darf für erstere (Zusatzstrafe) keine bedingte Strafe mehr
gewährt werden, der bedingte Strafvollzug für letztere (Grundstrafe)
bleibt jedoch bestehen (Rechtskraft des Urteils!).
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