wellness mit lisbeth

Gesundheit
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w ellness
Lisbeth
W
ir könnten uns ja mal wieder ein verlängertes
Wellnesswochenende gönnen“, meinte neulich
meine Frau. Meine Zustimmung ließ nicht lange
auf sich warten. Schließlich hatten ihre Worte für mich nur
Wohlklang: „Sich etwas gönnen“ ist für sich genommen
schon positiv besetzt und die Aussicht auf ein „verlängertes
Wochenende“, angereichert mit „Wellness“ setzte endgültig Glücksgefühle bei mir frei. Der Begriff ist einfach genial, suggeriert er dem Leser, dass die Inanspruchnahme
von Wellnessmaßnahmen ihm auf jeden Fall guttun wird.
Gebildet aus den Worten „well-being“ (also Wohlbefinden) und „Fitness“ oder „Happiness“ beschreibt „Wellness“
Aktivitäten oder Behandlungen, die das körperliche, seelische
und geistige Wohlbefinden steigern sollen. Vor allem in den
Bereichen Entspannung und Ernährung wird der Begriff verwendet, oftmals auch bezogen auf Bewegung, Meditation und
Stressbewältigung. Ein Modebegriff ist entstanden, der die Gefahr in sich birgt, dass wir Konsumenten uns auf alles stürzen,
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mit
l isBeth
das sich irgendwie damit in Verbindung
bringen lässt. Die Gefahr der Kommerzialisierung zeigt sich deutlich, ist doch
die Freizeitindustrie längst auf den
Wellness-Zug aufgesprungen. „Wellnessreisen“ mit eigens aufgelegten
Katalogen, Hotels, die danach streben,
sich das Prädikat „Wellnesshotel“ anzuheften und ab sofort ihre Abteilung mit
Hallenbad, Sauna und Anwendungen
wie Massage „Wellnessoase“ nennen.
Ein „Wellnessgutschein“ sichert dem
Schenkenden Bewunderung für die
tolle Idee und ewige Dankbarkeit. Das
Ganze unter dem Einfluss einer immer
penetranter auftretenden Werbebranche, die uns allabendlich vor Augen
führt, dass es Zeit wird, mehr für uns
und unsere Gesundheit zu tun. Manche
sprechen bereits über einen regelrechten
„Wellnesswahn“.
Trotz der Gefahr, sich den Mechanismen dieser „Wellnessindustrie“ in
gewissem Maße auszuliefern, machten
wir uns auf die Suche nach einem geeigneten Ziel. Da wir uns eine weite Anreise ersparen wollten, fiel unsere Wahl
auf einen Kurort in der Soester Börde:
Bad Westernkotten.
Das seit 1975 staatlich anerkannte
Sole- und Moorheilbad, zwischen Erwitte und Lippstadt gelegen, ist vom
Siegerland in etwa zwei Stunden zu erreichen. Fast läuft man Gefahr, auf der B 55 hinter Erwitte den
kleinen Kurort zu übersehen. Über mehr als tausend Jahre hat
die Gewinnung von Salz aus Sole das Leben und Wirtschaften
dieses Ortes geprägt. Erinnert wird daran zum Beispiel durch
das Sälzerdenkmal im Ortskern sowie die jährlich zu kürende
Sälzerkönigin als Repräsentantin des Kurortes.
Beschaulich kommt er daher, nichts erinnert an andere
mondäne Metropolen des traditionellen Kurbetriebes.
Während der Anreise gingen mir Bilder und Beschreibungen von „alten“ feudalen Kurorten durch den Kopf.
Fühlte ich mich wie Thomas Manns Hans Castorp im Roman „Der Zauberberg“, der zur Kur ins schweizerische
Davos fuhr? Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz
im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.
Von Hamburg bis dort hinauf, das ist aber eine weite Reise;
zu weit eigentlich im Verhältnis zu einem so kurzen Aufenthalt. (...) Seine Meinung vielmehr war gewesen, sie rasch
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Frage: Gibt es das traditionelle Bild von Gästen in einem
Kurort heute noch? Also machte ich mich auf den Weg zur
Tourist-Information der Kurverwaltung. Der freundliche
Mitarbeiter klärte mich schnell auf: Den „traditionellen“
Kurgast alter Prägung gibt es heute nicht mehr; der früher
auch von den Krankenkassen verordnete drei- bis vierwöchige Kuraufenthalt ist weggefallen.
Der typische Gast in Bad Westernkotten kommt eher für
wenige Tage, um auszuspannen und die örtlichen Angebote
zu nutzen. Eine Ausnahme bilden die beiden Kliniken, die
weiterhin Rehabilitationsmaßnahmen anbieten.
Aber wie stellen sich
der Ort und seine Beherbergungsbetriebe auf
diese veränderte Situation ein? „Mit gezielten
Wellnessangeboten und
-arrangements“, war die
Antwort. Also doch: Kuren heißt heute Wellness!
Was erwartet somit den
Gast in Bad Westernkotten? Viele Vermieter warten mit eigener Badeabteilung auf. Dazu kommen
die üblichen Angebote
Franz und Wilhelmine
wie Massage, Moorbäder,
physiotherapeutische Angebote, Ayurveda usw., Angebote,
die man heute als „Medical Wellness“ bezeichnet.
Für mich der Hauptgrund diesen kleinen Badeort aufzusuchen ist die Hellweg-Sole-Therme, ein kleines, aber
feines Bade- und Saunaparadies. Das Hallenbad mit Außenbecken lädt mit seiner 33 Grad warmen und dreiprozentigen Natursole zum Verweilen und Entspannen ein. Im
schönen Kurpark bieten zwei Gradierwerke die Möglichkeit zur Freiluftinhalation.
Wellness also. Auf einer Bank sitzen, die Sonne genießen – Lisbeth geht es einfach gut, wie man sieht. Diese
tägliche Portion „Wellness im Kleinen“ ist das wahrscheinlich Wichtigste, was man für sich tun kann. Fernab aller
kommerzieller Angebote heißt Wellness für mich: zur Ruhe
kommen, abtauchen in ein Buch, die Seele baumeln lassen.
Und so kehrte ich nach diesem erholsamen Wellnesswochenende im Gegensatz zu Hans Castorp nicht ganz als derselbe zurück, als der ich abgefahren war.
Uli Hoffmann
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abzutun, weil sie abgetan werden musste, ganz als derselbe
zurückzukehren, als der er abgefahren war, und sein Leben
genau dort wieder aufzunehmen, wo er es für einen Augenblick hatte liegen lassen müssen.
Das war gewiss ein ganz anderes Unterfangen, zu einem
mehrwöchigen Kuraufenthalt in einen berühmten Kurort
aufzubrechen. Ich war ja nur in Sachen „Wellness“ unterwegs und am Ortseingang von Bad Westernkotten entdeckte ich nichts, was diesen Ort aus vergleichbaren anderen Ortschaften dieser Gegend herausheben würde. Kein
pompöses Kurhaus, keine Scharen elegant gekleideter Kurgäste, die auf der Promenade flanierten.
Stattdessen begegnete ich zwei besonderen „Kurgästen“:
Darf ich vorstellen? Franz und Wilhelmine, momentan zur
Kur in Bad Westernkotten. Sie sind durch den kleinen Ort geschlendert, in eins der Geschäfte gegangen, haben sich vielleicht auf einer Bank im Kurpark ein wenig ausgeruht. Ob
sie sich gerade hier kennengelernt haben? Vielleicht tauschen
sie sich über ihre ersten Eindrücke von „ihrem Kurort“ aus?
Oder planen sie etwa gemeinsame Unternehmungen? Eventuell werden wir hier Zeugen von dem, was man „Kurschatten“ nennt, getreu dem Spruch: Während einer Kur ist vieles
anders – sogar die physikalischen Gesetze: So kommt es vor,
dass ein Schatten zum einzigen Licht avanciert. Anselm Vogt
Ein paar Sträßchen weiter fielen mir zwei weitere Persönlichkeiten auf: Der fesche Bruno ist vermutlich gerade
dabei, seine Brunhilde zum Tanztee im Kurhaus einzuladen. Was eine Kur halt an Events so vorhält…
Genug phantasiert jetzt! Bediene ich hier etwa alte Klischees? Die sympathischen Figuren, „Alltagsmenschen“
genannt, wurden geschaffen
von der Wittener Künstlerin Christel
Lechner. An
insgesamt acht
Stellen
Bad
Westernkotten
schmücken sie
das Ortsbild.
Dem Phänomen Kur wollte
ich nachgehen,
vor allem der
Brunhilde und Bruno
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