Vorschau zum Konzert in der AZ - sinfonia

KULTUR 17
NORDWESTSCHWEIZ
DIENSTAG, 8. MÄRZ 2016
«Soll ich alles
auf die Geige
setzen?»
Sechs bis sieben Stunden
Geigenspiel pro Tag sind
der Richtwert in ihrem Leben: Geigerin Elea Nick.
ALEX SPICHALE
Klassik Die 16-jährige Geigerin Elea Nick
hat ein Ziel: Solistin zu werden. Am Freitag
spielt sie in Baden
VON CHRISTIAN BERZINS
In der halben Welt gespielt, Wettbewerbe gewonnen, gar im Hallenstadion aufgetreten: Es wird jedem
schwindlig, wenn er die Kurzbiografie der 16-jährigen Elea Nick überfliegt. Und doch weiss die Schweizer
Geigerin sehr genau: So famos sie
auch Geige spielt, so schön das Palmares ist: Sie ist noch nirgends.
Das war vor zwei Jahren so, als ich
Elea bei einem Meisterkurs in Andermatt traf – «Sagen Sie ihr doch Du»,
ermahnte damals die Mutter Cornelia
Nick. Und das war vor zwei Wochen
so, als ich Elea im zürcherischen Oerlikon traf – nun siezend und alleine.
Jetzt ist die Karriere fortgeschritten, bereits stellen sich wichtige Weichen. Im Juni ist Elea vom namhaften
Olympus Festival in St. Petersburg
eingeladen und im Oktober tritt sie in
Zürcher Tonhalle mit den Zürcher
Symphonikern auf.
Doch bei allem Zauber rund um
diese Auftritte gibt es auch viele Fragen. Zum Treffen in Oerlikon kommt
Elea Nick ohne Geige, dafür mit dem
Schulrucksack: Die AKAD will gemeistert sein. Für Elea ist die Erwachsenen-Matur via Fernstudium die einzige Form, Schule und Geigenspiel unter einen Hut zu bringen. Mehr oder
weniger jedenfalls. Elea ist nicht der
Typ, der etwas halbbatzig macht. Das
ist keine Floskel. Sechs bis sieben
Stunden Geigenspiel pro Tag sind der
Richtwert in ihrem Leben. Seit Jahren. Und so stellt sie sich die Frage:
«Soll ich alles auf die Geige setzen,
die Matur verschieben?»
Entweder Solistin – oder nichts
Falls es mit dem Geigenspiel tatsächlich nicht klappt, bliebe noch
Zeit für die Matura. Doch diesen Gedanken gibt es offiziell nicht. Elea ist
nicht zufällig Schülerin der Pädagogen-Legende Zakhar Bron: «Wer mit
12 Jahren zu Bron kommt, will Solist
werden. Ich arbeite seit 10 Jahren
darauf hin. Es ist gar keine Frage, ob
‹Ja› oder ‹Nein›.» Gemünzt auf eine irgendein 16-jähriges Mädchen, das eine Lehre als Köchin beginnen würde,
hiesse das: «Ich will in 10 Jahren meinen ersten Michelin-Stern.»
Nicht mal den Gedanken ans Orchesterspiel lässt Elea zu. Der Allesoder-nichts-Gedanke ist verinnerlicht, da mögen noch so viele grossartige, junge Geiger, «Genies», auf den
Markt drängen . . . und scheitern.
Mit einigen von ihnen sitzt sie nun
gar im LGT Young Soloists-Orchester
– und geniesst es, obwohl das alles ihre Konkurrenten auf dem Geigerweltmarkt sind. Doch Elea winkt ab: «Den
Konkurrenzkampf führen die Eltern.
Aber die sind beim LGT meist gar
nicht mehr mit dabei.» Anders gesagt: Geigen-Diven mögen um den
Thron kämpfen, wer aber 16 ist und
«nur» hochbegabt ist, hat mit den anderen Hochbegabten viel gemeinsam.
Das eint. Apropos Thron: Bron-Schüler und Weltstar Maxim Vengerov
(*1974) hat sich einst über meine kritischen Interviewfragen beim Management beschwert, Elea Nick hingegen
ging nach dem Interview aufgestellt
nach Hause.
Wie Vengerov damals 1990 steht
auch Elea vor entscheidenden Entwicklungsjahren: Es gilt, Dirigenten
vorzuspielen, Orchester anzufragen,
Werbung zu machen und Stiftungen
anzugehen. Ihre Mutter ist damit viel
beschäftigt, denn sie weiss: Je mehr
Elea auftritt, je mehr kann sie sich
entwickeln.
Ein harter Weg, denn selbst mit
Wettbewerb-Trophäen aus Nowosibirsk, Busan oder Verona sind Konzertengagements nicht zugesichert.
Und doch wäre es falsch, so Elea,
Wettbewerbe zu missen: «Es gilt, viele Programme auf Top-Niveau zu erarbeiten – das ist ein ideales Training
für mich. So mache ich Fortschritte.
Bei Wettbewerben geht es vielleicht
sogar mehr um die Vorbereitung als
um den Sieg.» Wer erst bei diesen
Worten den Vergleich mit Spitzensportlern zieht, ist ein Träumer.
Wirklich karriereentscheidend sind
nur zwei, drei Top-Wettbewerbe – etwa der «Queen Elisabeth». Dort in
Brüssel war sie sogar schon, wenn
auch erst als staunenden Zuhörerin.
Doch dieses Podium ist durchaus ein
Ziel – und der Respekt davor enorm:
«Wer nach Brüssel geht, muss extrem gut vorbereitet sein, muss sicher darüber sein, was er macht: Da
geht man nicht einfach so mal so
zum Spass hin.»
Ein Leben mit vier Vätern
Vielleicht ist es gut, dass Elea Nick
in diesen Jahren gleich vier Väter hat.
Da ist natürlich der echte, der Komponist und Musiktheorie-Dozent –
und da sind drei andere, ihre drei
Lehrer. Eine Dreifaltigkeit. Der 68jährige Zakhar Bron steht zuoberst,
zur Rechten dessen ehemaliger Schüler, der 34-jährige Alexander Gilman –
und zur Linken zurzeit der 66-jährige
Pierre Amoyal.
Bron ist für die letzten Inputs da,
wenn Elea Nick ihre Werke konzertreif beherrscht. Gilman sorgt für die
tägliche Arbeit. Bei Amoyal schliesslich gilt es, Ideen zu sammeln, die
ausserhalb des Bron-Universums liegen.
Das ist für Elea wohl gar nicht so
leicht, obwohl gerade in den letzten
zwanzig Jahren viele Geiger und vor
allem Geigerinnen international triumphierten, die aus einer anderen
Schule als jener von Bron kamen: Sie
zelebrierten nicht die Virtuosität,
sondern spielten weicher und verinnerlichter – weniger brillant, weniger
virtuos.
Muss davon überzeugt sein
«Es ist nicht meine Welt», sagt Elea
ehrlich, und fügt dann entschuldigend,
aber auch etwas stolz an: «für mich als
Bron-Schülerin.» Sie sieht etwa das Violinkonzert von Felix Mendelssohn, das
sie diese Woche in Baden mit der sinfonia.baden spielt, durchaus in romantischer, virtuoser Tradition, auch wenn
diese Musik noch mit einem Bein im
18. Jahrhundert steht.
Muss man es besser als die anderen
spielen, wenn man das berühmte
Werk traditionell spielt? «Ich muss es
so spielen, dass ich davon überzeugt
bin, dann kann ich es rüber bringen.
Es muss bei den Leuten ankommen.»
Nächstes Konzert Baden, 11. März,
20 Uhr, Stadtkirche Baden.Karten: Info
Baden, Bahnhofplatz 1.
TV Sternstunde: Meisterschülerinnen,
der Traum von der Solokarriere, Dokumentarfilm von Nico Gutmann, SRF1,
Sonntag, 20. März, 11.55 und 23.20 Uhr.
«Den Konkurrenzkampf
führen die Eltern, wir jungen
Geiger und Geigerinnen
verstehen uns bestens.»
Elea Nick Geigerin (16)
Entschleunigung und Raserei
Festival Das Programm der 8. Ausgabe von «Jazz geht Baden» steckt voller Kontraste
VON TOM GSTEIGER
Das siebte Jahr war überhaupt nicht
verflixt. Und so kann man sich frohgemut auf die achte Runde des kleinen,
aber feinen Festivals «Jazz geht Baden» freuen. Am Freitag und Samstag
stehen je drei Konzerte auf dem Programm, bei denen der sowieso sehr
flexible Begriff Jazz mal mehr, mal
weniger stark strapaziert wird – zu
hören gibt es vier Bands und zwei Solisten.
Explosiv und exzentrisch
Wir halten uns ans Motto «Ladies
first!» und richten darum den Fokus zuerst auf die Sängerinnen Lauren Newton und Erika Stucky, die am Samstag
auftreten werden. Was diese Sängerinnen verbindet, ist ein Hang zu explosiv-exzentrischer Expressivität – ansonsten sind sie allerdings in ganz un-
terschiedlichen musikalischen Regionen unterwegs.
In den aufmüpfischen Performances von Erika Stucky spielen persiflierende und theatralische Elemente eine nicht zu unterschätzende Rolle. In Baden wird sie, begleitet von
der österreichischen Blechhauf ’nBrassband, in die Rolle der legendären Geierwally aus Tirol schlüpfen
(dabei wird sie sich garantiert nicht
an den sentimentalen Filmvorlagen
orientieren!). Kaum alpenländisches
Kolorit wird es beim Blindflug geben,
den die Free-Impro-Spezialistin Lauren Newton mit dem Holzbläser Sebastian Strinning und dem Schlagzeuger Emanuel Künzi unternehmen
wird. Abgerundet wird der Samstagabend durch ein Solo-Rezital des
Bassgitarristen Björn Meyer, dem ein
guter Ruf als geschmackssicherer
World-Music-Eklektizist vorauseilt.
pi» angekündigte Anton Bruhin ist ein
Eigenbrötler, der auch als Maler und
Dichter tätig ist. Mit dem Holzbläser
Marcel Lüscher wird ein Veranstalter
von «Jazz geht Baden» nicht nur als
Ansager, sondern auch als Bandleader
auf der Bühne stehen. Er hat sein
wunderbar melodiöses Slow-MotionDuo mit dem isländischen Gitarristen
Kristinn Samri Kristinsson zum Quartett erweitert.
Zappelphilipp und Turbo-Bläser
Expressiv, aufmüpfisch: Erika Stucky tritt am «Jazz geht Baden» auf.
Ein zugleich kleines, einfaches und
kurioses Instrument wird im Zentrum
des Solo-Konzerts am Freitag stehen.
Das Trümpi ist eine Maultrommel und
NICI JOST
zählt zu den ältesten Musikinstrumenten der Schweiz, wie archäologische Funde aus dem Mittelalter bezeugen. Der als «Champion des Trüm-
Raserei statt Entschleunigung verspricht das Quartett Amok Amor aus
Berlin, das vom entfesselten Zappelphilipp-Schlagzeuger Christian Lillinger
vorangepeitscht wird und zu dem mit
dem Trompeter Peter Evans und dem
Saxofonisten Wanja Slavin zwei tollkühne Typen mit Turbo-Gebläse gehören.
http://www.jazzgehtbaden.ch