NDR Info Das Forum (08.03.2016) SOS Malediven – Alleinherrschaft

NDR Info Das Forum (08.03.2016)
SOS Malediven – Alleinherrschaft statt Inselparadies?
Feature von: Sandra Petersmann, ARD Hörfunkstudio Neu-Delhi
Kapitel 1: Die Sonnenseite des Lebens
ATMO 01 sunny side of life spot
Sandra:
Weißer Sand. Türkisschimmerndes Wasser. Getupfte Wölkchen am strahlend
blauen Himmel. Kokospalmen. Die Malediven sind die „Sonnenseite des
Lebens“, schmeichelt der Werbespot der Tourismusbehörde.
ATMO 01 Ende vom sunny side of life spot freistehend, Überblendung
ATMO 02 leise Wellen, Menschen am Strand
Sandra:
Mutter und Tochter aus Deutschland sind verzückt. Ein Urlaub auf den
Malediven stand schon lange oben auf der Wunschliste.
OTON 01 Mutter und Tochter / deutsch / 0’20
Mutter/Tochter: „Ich habe meiner Freundin geschrieben: ich bin im Paradies.
Und das Paradies heißt Malediven. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Du
hast das Gefühl, du bist in einem riesigen Aquarium. So viele Fische um dich
rum. Ganz bunt, diese Farben. Das kann man nicht beschreiben, da muss man
nur gucken.“
ATMO 02 leise Wellen, Menschen am Strand
1
OTON 02 Tochter / deutsch / 0‘13
„Einheimische gab es bei uns überhaupt nicht. Das ist ein geschlossenes Resort.
Und vom Personal waren die auch nicht mal alle einheimisch. Wir hatten Leute
aus Sri Lanka und aus Indien.“
ATMO 03 Malé sound of the city with Muezzin
Sandra:
Am letzten Urlaubstag schlendern Mutter und Tochter über die Hauptinsel
Malé, die Hauptstadt des winzigen Inselstaates im Indischen Ozean. Hier, in
Malé, treffen sie in ihrer kurzen, luftigen Sommerkleidung auf voll verschleierte
Frauen in langen, schwarzen Gewändern. Den deutschen Gästen fallen Schilder
auf, die darauf hinweisen, dass es in Malé verboten ist, im Bikini zu baden. Dass
hier ein politischer Machtkampf tobt, können Mutter und Tochter kaum
glauben.
OTON 03 Mutter und Tochter / deutsch / 0‘21
„Wir haben gar nichts mitgekriegt. Kein TV und vor allem kein Internet. Aber
Fische. Moränen! Und unsere Babyhaie. Du stehst im Wasser und 10
Zentimeter entfernt von dir sind Haie.“
ATMO 03 Malé sound of the city with Muezzin
Sandra:
Ein deutsch-französisches Ehepaar hat eine Woche auf einem Tauchboot
zwischen den Atollen verbracht.
OTON 04 / Collage Ehepaar / deutsch / 0‘29
Er: „Das ist einfach wunderbar und die beste Reise, die man hier auf den
Malediven machen kann. Und ganz besonders mit so einem Führer wie Rama
aus Mauritius.“
2
Sie+Er: „Man fühlte sich schon teilweise wie im Paradies. Ja klar, wenn man auf
so einem Schiff lebt so wie wir, weit weg von der Menschheit, dann ist es okay.
Sie: Das ist einfach umwerfend. Wir haben heute Haifische und Moränen
gesehen. Das ist einfach toll.“
Sandra:
Weit weg von der Bevölkerung - so erleben die allermeisten Touristen die
Malediven. Insgesamt sind es pro Jahr mehr als eine Million. Aus Deutschland
kommen rund 100.000. Der Tourismus ist der mit Abstand größte
Wirtschaftszweig des Landes. Er trägt fast 30 Prozent zum Bruttoinlandprodukt
bei. Doch er beschäftigt nur wenige Malediver direkt. Die meisten
Einheimischen verdienen ihr Geld noch immer mit der Fischerei.
ATMO 02 Meeresrauschen
Kapitel 2: Zwei Welten
Jürgen:
Die Malediven – das sind zwei getrennte Welten. Sie bestehen aus fast 1200
meist winzigen Inseln. Die Atolle liegen wie eine Perlenkette unterhalb der
Südspitze Indiens im Indischen Ozean. Auf 200 siedeln Malediver, etwa 100
werden als Ferieninseln für Touristen genutzt.
ATMO 04 Malé, Menschen+Verkehr
Jürgen:
Die Hauptinsel Malé zählt zu den am dichtesten besiedelten Orten der Welt.
Hier drängen sich rund 150.000 Menschen auf nur knapp sechs
Quadratkilometern. Das ist mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Autos
und Motorroller verstopfen die engen Inselgassen, die von bunten
3
Hochhäusern gesäumt sind. Für Touristen ist Malé kein Ort zum Verweilen.
Doch hier entscheidet sich, was aus den Malediven wird.
ATMO 04 Malé, Menschen+Verkehr
Jürgen:
Auf der Hauptinsel tobt ein Machtkampf zwischen dem alten Regime, das den
Inselstaat 30 Jahre lang mit harter Hand regierte, und der Opposition, die 2008
die demokratische Öffnung erkämpfte.
ATMO 05 Gebet mit „Allah o Akbar“
Jürgen:
Die Religion spielt eine wichtige Rolle in diesem Konflikt. Auf den Malediven ist
der sunnitische Islam Staatsreligion. Es ist verboten, eine andere Religion zu
praktizieren. Die Justiz straft auch nach der Scharia, dem religiösen Gesetz des
Islam. Wer beim vorehelichen Sex erwischt wird, dem droht die öffentliche
Auspeitschung. Im Februar 2012 stürmte ein halbes Dutzend Männer das
Nationalmuseum und zerstörte fast 30 wertvolle Buddha-Statuen. Nichts sollte
mehr daran erinnern, dass die Malediven vor dem 12. Jahrhundert buddhistisch
geprägt waren.
ATMO 05 Gebet mit „Allah o Akbar“
Jürgen:
Droht dem winzigen Inselstaat das gleiche Schicksal wie den Ländern des
arabischen Frühlings, in denen der Sturz von Diktatoren zu Chaos, Krieg oder zu
einer neuen Diktatur geführt hat? Auch aus den Malediven zieht es Menschen
zum selbsternannten Islamischen Staat, Richtung Syrien und Irak. Die
Opposition spricht von mindestens 200. Eine Zahl, die Außenministerin Dunya
Maumoon bestreitet.
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OTON 05 Dunya Maumoon / englisch / 0’36
Übersetzerin 1
„Natürlich macht uns das Sorgen, aber wie ich schon mehrfach gesagt habe:
Wir sollten das Problem auch nicht größer machen als es ist. Wir haben
350.000 Einwohner. Wir glauben, dass die Zahl der ausgereisten Kämpfer bei
40 bis 50 Personen liegt. Selbst wenn man die mit ausgereisten
Familienangehörigen dazu zählt, bleibt die Zahl deutlich unter 100. Der
Terrorismus ist ein globales Problem. Die Malediven sind davon nicht
ausgenommen. Aber wir unternehmen alles, damit die Malediven ein sicheres
Land bleiben.“
Kapitel 3: Das Leid der Schwester
ATMO 06 im Café
Sandra:
Die Begegnung findet erst nach langem Zögern statt. Textnachrichten von
wechselnden Nummern gehen hin und her. Treffpunkt ist ein Café auf einer
luftigen Dachterrasse. Die junge Frau ringt mit sich. Sie will über ihren Bruder
reden, aber sie hat auch Angst. Sie wählt einen Stuhl direkt unter einem
Lautsprecher, damit von den Nachbartischen keiner mithören kann. Laila laufen
Tränen über die Wangen. Sie heißt nur für die nächsten zwei Stunden so.
OTON 06 Laila / Englisch/ 0‘22
Übersetzerin 2
„Mein Bruder sagt, dass er in Syrien ist, aber wir wissen nicht genau wo. Ich bin
sehr wütend auf meinen Bruder. Er muss nicht jeden Tag mit ansehen, wie sehr
unsere Mutter leidet. Du kannst ja gerne selbstsüchtig sein, aber doch nicht
so.“
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Sandra:
Lailas Bruder verschwand vor etwas mehr als einem Jahr mit seiner Frau und
seinen Söhnen, beide keine fünf Jahre alt. Er nahm auch die geschiedene
Schwester seiner Frau und ihre zwei kleinen Kinder mit.
OTON 07 Laila / englisch / 0‘58
Übersetzerin 2
„Mein Bruder hatte die Schule abgebrochen, er nahm Drogen. Aber anstatt ihm
zu helfen, haben wir ihn alle wie einen Kriminellen behandelt. Nur meine
Mutter hat zu ihm gehalten. Wir haben sie dafür gehasst. Mein Bruder
verbrachte als Minderjähriger drei Jahre im Gefängnis. Er war sauber, als er
rauskam, aber er hatte auch seinen Glauben verändert. Er hat nie direkt etwas
gesagt. Er hat unsere Kleidung und unser Verhalten missbilligt. Sein Verhalten
hat für ihn gesprochen. Er hat kein Fernsehen mehr geguckt. Er hat sich immer
mehr isoliert.“
Sandra:
Der Bruder fand als Vorbestrafter keine Arbeit. Er lebte vom Geld der Eltern
und verbrachte die meiste Zeit in der Moschee. Und dann war er auf einmal
weg. Er reiste über Bangkok nach Istanbul. Dort verliert sich seine Spur.
OTON 08 Laila / Englisch / 0‘26
Übersetzerin 2
„Ich weigere mich zu glauben, dass er jetzt ein Kämpfer ist. Ich kann mir das
nicht vorstellen. Ich frage mich, wie das geht. Auf der einen Seite lebst du bei
deiner Familie und hast Internet, und am nächsten Tag ziehst du in die
Schlacht. Ich kann nicht akzeptieren, dass er so was macht.“
6
Sandra:
Es gibt keine Telefonate. Der Bruder und seine Frau melden sich regelmäßig
über Facebook. So hat Laila auch erfahren, dass ihr Bruder verletzt ist. Er hat
seine Familie auf den Malediven um Geld gebeten. Die Fotos, die er und seine
Mitkämpfer zeitgleich über die sozialen Medien verbreiten, treiben Laila
Wuttränen in die Augen.
OTON 09 Laila / English / 0‘38
Übersetzerin 2
„Wir können sie nicht bei Facebook entfreunden. Wir wollen ja wissen, wie es
ihnen geht. Aber es tut weh. Sie posten bei Instagram Bilder mit ihren Waffen
und Uniformen. Sie machen Werbung für ihren Weg. Guckt her, so leben wir
jetzt. Warum kommt ihr nicht auch? Und alle, die das kommentieren, finden es
gut. Für die ist das alles ein verdammter Witz.“
Sandra:
Laila glaubt nicht, dass ihr Bruder nach Hause zurückkommt. Sie hat resigniert.
OTON 10 Laila / Englisch / 0‘31
Übersetzerin 2
„Wir sind alle für meinen Bruder verantwortlich. Meine Familie, wir alle. Der Fall
meines Bruders zeigt unsere Verwundbarkeit. Die Schwächsten nehmen Drogen
und werden kriminell. Und jetzt das. Aber wir kümmern uns nicht um diese
Probleme. An wen hätte sich mein Bruder mit seinen Sorgen wenden können?“
Kapitel 4: Der politische Machtkampf
ATMO 05 Gebet mit „Allah o Akabar“
7
Jürgen:
Die Radikalisierung der Gesellschaft spielt sich vor dem Hintergrund einer
politischen Krise ab. Der erste frei gewählte Präsident der Malediven ist heute
ein verurteilter Mann. Mohammed Nasheed gab im Februar 2012 unter
zweifelhaften Umständen sein Amt auf. Teile der Sicherheitskräfte hatten
gemeutert. Der Ex-Präsident selber spricht bis heute von einem Putsch. Ein Jahr
später verlor er eine umstrittene Wahl. Er lag damals vorne, doch der Oberste
Gerichtshof ließ zwei Wahlrunden annullieren. Vor einem Jahr wurde
Mohammed Nasheed zu 13 Jahren Haft verurteilt. Begründung des Gerichts:
Nasheed habe als Präsident versucht, sich die unabhängige Justiz mit Hilfe der
Armee gefügig zu machen.
OTON 11 Nasheed / Englisch / 0‘19
Übersetzer 1
“Im Gefängnis versuchst du zuerst, eine Stunde durchzuhalten. Dann 24
Stunden. Dann sieben Tage. Dann einen Monat. Und dann ein Jahr. Du bist in
einem Netz gefangen. Und je mehr du dich wehrst, desto mehr verstrickst du
dich.“
Jürgen:
Als die Malediven zwischen 1978 und 2008 von Maumoon Gayoom regiert
wurden, saß Nasheed mehrfach im Gefängnis. Damals noch weitgehend
unbemerkt. Doch heute sind auch die Malediven in die globale Welt
eingebunden. Nasheeds Anwältin ist die britische Menschenrechtsexpertin Amal
Clooney, Ehefrau des Schauspielers George Clooney.
OTON 12 Amal Clooney / Englisch / 0’22
Übersetzerin 3
“Das Regime verhält sich immer autoritärer. Demonstranten werden umzingelt
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und verhaftet. Und alle Oppositionsführer sitzen entweder im Gefängnis oder
werden von der Regierung verfolgt. Mein Klient ist einer von ihnen. Er wurde
einem politischen Schauprozess unterworfen, was auch die Vereinten Nationen
bestätigt haben.“
Jürgen:
Die Malediven werden seit November 2013 von Präsident Abdulla Yameen
regiert. Er ist der Halbbruder des langjährigen Alleinherrschers Gayoom. Weite
Teile der Justiz und der Sicherheitskräfte haben bis heute enge Beziehungen
zum alten Machthaber. Genauso wie die Tourismusindustrie, die sich unter
seiner Herrschaft entfaltet hat. Dunya Maumoon, die maledivische
Außenministerin, ist seine Tochter. Sie verteidigt die Politik ihrer Regierung.
OTON 13 Dunya Maumoon / Englisch/ 0’31
Übersetzerin 1
“Als junge Demokratie müssen wir uns der Herausforderung stellen, unsere
Institutionen zu stärken und sie reifer zu machen. Wir sind international in
einer sehr schwierigen Position. Ich kämpfe als Außenministerin Tag und Nacht
dafür, dass der Rest der Welt die Malediven so wahrnimmt, wie sie wirklich
sind. Bei uns steht niemand über dem Gesetz, auch Ex-Präsidenten nicht. Wir
bitten den Rest der Welt, unsere Souveränität zu respektieren.“
Jürgen:
Als der internationale Druck aus den USA und Europa immer größer wurde, ließ
die maledivische Regierung Nasheed im Januar nach London ausreisen. Offiziell
aus humanitären Gründen, damit der Häftling sich wegen eines Rückenleidens
medizinisch behandeln lassen könne. Aus dem Exil fordert Nasheed seitdem
gezielte Sanktionen gegen die politische Elite.
OTON 14 Nasheed / Englisch / 0‘28
9
Übersetzer 1
“Ich will, dass der Präsident sich öffnet und alle politischen Gefangenen
freilässt. Wir wollen, dass alle, die auf den Malediven Menschenrechte
verletzen, mit einem internationalen Reiseverbot belegt werden und dass ihre
Auslandskonten eingefroren werden. Bis sie nachgeben.“
Jürgen:
Es gibt Korruptionsvorwürfe gegen die politische Elite der Malediven. Auch
Schwarzgeld soll organisiert gewaschen worden sein. Die Regierung in Malé
sorgt sich um ihre wichtigste Einnahmequelle. Außenministerin Dunya
Maumoon wirbt um Vertrauen.
OTON 15 Dunya Maumoon / Englisch / 0‘32
Übersetzerin 1:
„Sanktionen schaden unserem Image und unserem Tourismus. Sie schaden allen
Maledivern. Ich bitte den Rest der Welt dringend, die Lage auf den Malediven
zu untersuchen und zu verstehen. Ich bitte um Unterstützung für die
demokratisch gewählte Regierung. Nasheed versucht, seine Geschichte zu
verkaufen, um seiner Strafe zu entkommen.“
Jürgen:
Im Windschatten des politischen Machtkampfes steigen Jugendarbeitslosigkeit,
Drogenkonsum und Bandenkriminalität. Radikale Prediger aus Saudi-Arabien
und Pakistan reisen ein und aus.
Kapitel 5: Das Leid der Mutter
ATMO 07 Malé Kinder spielen im Sultan Park
Sandra:
Vor Aminaths Haustür spielen Kinder im Park. Die zierliche kleine Frau sitzt
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zusammengekauert auf einem Stuhl in ihrer Küche und vermisst ihren Sohn.
Ahmed Rilwan wurde zum letzten Mal in der Nacht zum 8. August 2014 lebend
gesehen. Auf einer Fähre. Damals war er 28 Jahre alt.
OTON 16 Aminath SCHLUCHZEND! / Dhivehi/ 0‘23
Übersetzerin 3
“Gott schenkt mir Geduld. Öffentlich versuche ich, stark zu sein und für meinen
Sohn zu kämpfen. Ich weine in meinem Zimmer, wenn ich für ihn bete. Wenn
mich Leute auf der Straße für ihn kämpfen sehen, können sie nicht ahnen,
welchen Schmerz ich in mir trage.“
Sandra:
Rilwan war Blogger und Journalist. Er schrieb über die politische Krise, über
kriminelle Banden, über religiösen Extremismus. Er veröffentlichte auch, dass
Politiker die Banden und radikale Islamisten benutzen, um ihre Gegner
einzuschüchtern, berichtet seine Schwester Mariyam.
OTON 17 Mariyam / Englisch / 0‘25
Übersetzerin 2
„Wenn die Regierung ein Motiv hat, dann ganz sicher seine Arbeit. Rilwan hat
sich vor seinem Verschwinden mit dem wachsenden religiösen Extremismus
beschäftigt. Er war ein investigativer Journalist, der den Sachen auf den Grund
ging. Er hat die Politik hinterfragt.“
Sandra:
Rilwans Mutter Aminath verlangt Antworten. Sie hat mehrfach versucht, den
amtierenden Präsidenten Yameen und den alten Machthaber Gayoom zu
treffen. Vergeblich. Wenn die Familie demonstriert oder öffentlich schweigend
an Rilwan erinnert, kommt die Polizei.
11
OTON 18 Aminath / Dhivehi / 0‘33
Übersetzerin 3
„Ich habe die Polizisten angeschrien, dass sie mitverantwortlich sind für das
Schicksal meines Sohnes ist. Aber das einzige, was ich von der Polizei höre, ist,
dass es keine Beweise dafür gibt, dass Rilwan gewaltsam verschleppt wurde
oder dass er tot ist. Keiner hat Antworten für mich.“
ATMO 04 Malé, Menschen+Verkehr
Sandra:
Zaheena Rashid ist die Chefredakteurin der Online-Zeitung, für die Rilwan bis zu
seinem Verschwinden gearbeitet hat. Hinter ihrem Schreibtisch hängt das
Plakat, mit dem sie und ihre Kollegen nach Rilwan suchen. Draußen, auf der
Straße, ist die Angst Zaheenas ständiger Begleiter.
OTON 19 Zaheena / Englisch / 0‘39
Übersetzerin 1
„Nachdem Rilwan verschwunden war, wurde unser Büro angegriffen. Sogar
eine Machete (spr.: Matschete) steckte in unserer Tür. Ich bekam Drohungen,
dass ich die nächste sein würde. Der Mann, der unser Büro angegriffen hat,
läuft heute immer noch frei rum, obwohl seine Tat von der
Überwachungskamera gefilmt wurde. Dazu ständige Todesdrohungen. Auch die
Justiz droht uns, vor allem, wenn wir über die Verfahren gegen
Oppositionsführer berichten. Meine Befürchtung ist, dass wir unseren Job als
Journalisten nicht mehr machen können.“
Sandra:
Auch Rilwan hatte vor seiner Verschleppung Todesdrohungen erhalten. Seine
letzte nächtliche Fahrt mit der Fähre von Malé auf die Nachbarinsel Hulumalé
hielt eine Überwachungskamera fest. Das letzte Lebenszeichen. Mehrere
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Augenzeugen sahen später, wie ein Mann am frühen Morgen des 8. August
2014 vor Rilwans Wohnung mit Gewalt in ein Auto gestoßen wurde. Doch die
Polizei behandelt den Fall bis heute nicht als Verschleppung. Die vorliegenden
Indizien haben private Ermittler aus London zusammengetragen. Im Auftrag
der Familie, von Freunden und Kollegen. Bald sind zwei Jahre vergangen.
Rilwan’s Schwester Maryam will das Unaussprechliche nicht aussprechen.
OTON 20 Maryam / Englisch / 0‘40
Übersetzerin 2
“Wenn jemand stirbt, trauern die Angehörigen für einige Zeit, und dann geht
das Leben weiter. Aber nichts zu wissen? Wir glauben, dass Polizei und
Regierung vom ersten Tag an nachlässig waren. Wenn es uns als Familie nicht
gelungen wäre, das Videomaterial aus der Überwachungskamera am Fährhafen
zu präsentieren, hätten sie die Akte geschlossen und gesagt, dass Rilwan nach
Syrien abgehauen ist. Es gab Versuche, diese Geschichte in Umlauf zu bringen.
Über eine Internetseite, mit dem Foto aus seinem Reisepass.“
Kapitel 6: Zivilgesellschaft unter Druck
ATMO 04 Malé, Menschen+Verkehr
Jürgen:
Ein verschwundener Journalist. Aufgelöste Demonstrationen. Regierungsgegner
auf der Anklagebank, im Gefängnis oder im Exil. Dazu eine dubiose Explosion
auf der offiziellen Präsidentenyacht im vergangenen November, nach der
kurzzeitig der Notstand verhängt wurde: Die Zivilgesellschaft zieht sich
verängstigt ins Private zurück und schweigt. Shahindha Ismael vom
Demokratie-Netzwerk führt das auf die verhängnisvolle Verquickung von Politik,
Politikverdrossenheit und Religion zurück.
13
OTON 21 Shahindha Ismael / Englisch / 0’26
Übersetzerin 3
„Den Maledivern ist ihre religiöse Identität heute wichtiger als ihre politische.
Wir können nicht frei sprechen. Wir können nicht frei über den Islam sprechen.
Und wir können nicht offen über die Probleme sprechen, die wir mit der
Regierung oder durch die Regierung haben. Aber vor allem können wir nicht frei
über religiöse Themen sprechen."
ATMO 04 Malé, Menschen+Verkehr
Jürgen:
Ein paar Straßenecken weiter verzweifelt auch Maryiam Shiuna an der
Entwicklung. Sie leitet das Malediven-Büro von Transparency International.
Während sie spricht, malt sie Kringel auf den Notizblock, der vor ihr liegt.
OTON 22 Mariyam Shiuna / Englisch / 0’38
Übersetzerin 1
“Unsere Gesellschaft ist heute sehr polarisiert. Die verschiedenen Lager sind
aufgeteilt zwischen dem ehemaligen Diktator Gayoom und der
Demokratiebewegung von 2008. Nasheed ist sehr populär, aber er spaltet auch.
Es ist ihm nie gelungen, eine klare Mehrheit jenseits der 50 Prozent zu
erreichen. Das ist ein Fakt. Einige glauben, dass er anti-islamisch ist. Ich glaube,
die Malediver sind überwiegend noch konservativ. Und wer behauptet, dass in
diesem Land keine Radikalisierung stattfindet, der verleugnet die Wahrheit.“
Jürgen:
Die demokratische Öffnung von 2008 hat auch radikale, religiöse Elemente von
der Alleinherrschaft Maumoon Gayooms befreit. Doch die maledivischen Anti-
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Terror-Gesetze des Landes werden nicht gegen Extremisten, sondern gegen die
Opposition eingesetzt.
Kapitel 7: Die Müllinsel
ATMO 08 Fliegen und Müllbagger auf Thilafushi
Sandra:
Der Gestank und die Fliegenschwärme sind kaum auszuhalten. Baggerschaufeln
verteilen die nächste Müllladung. Wenn die Malediven eine eigene Hölle
haben, dann sieht sie so aus. Hier, auf Thilafushi, landet seit 1992 der Großteil
des Mülls, der im Inselreich produziert wird. Mehr als 300 Tonnen am Tag. Und
je mehr Touristen kommen, desto mehr Müll müssen die kleinen Malediven
verkraften.
ATMO 08 Fliegen und Müllbagger auf Thilafushi
Sandra:
Auf Thilafushi verschlingt ihn das Feuer. Die Insel ist eine MüllVerbrennungsanlage unter tropischem Himmel. Für Ölfässer, Batterien,
Lackeimer, alte Medikamente, Sonnencremeflaschen und Melonenschalen. Ali,
der nicht wirklich so heißt, wendet sich entsetzt ab. Er ist der einzige Student,
der bereit ist, mit einer ausländischen Journalistin zu reden. Ali lebt im
benachbarten Malé und ist zum ersten Mal auf der Müllinsel.
OTON 23 Ali / Englisch / 0‘27
Übersetzer 2
“Ich bin erstaunt und wirklich schockiert. Ich wusste nicht, dass es hier so
aussieht. Wir können in Malé immer die Rauchwolken sehen, aber das hier
stellen wir uns dann nicht vor. Ich weiß nicht, wer dafür verantwortlich ist. Aber
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ich denke, es ist die Aufgabe der Regierung, für eine vernünftige
Müllbeseitigung zu sorgen.“
Sandra:
Ali ist 24 Jahre alt und studiert Jura, weil er für Gerechtigkeit sorgen will. Doch
er hat mit der Demokratiebewegung abgeschlossen.
OTON 24 Ali / Englisch / 0‘30
Übersetzer 2
„Wir sind alle enttäuscht. Die Politiker streiten nur und vergessen, dass es
draußen Bürger gibt, die viele Bedürfnisse haben. Am Anfang war es mein Ziel,
einen echten Unterschied zu machen. Aber jeder, der das versucht, landet im
Knast. Jetzt studiere ich nur noch, um das Land zu verlassen.“
Sandra:
Beim Inselrundgang erzählt Ali, dass er zu Hause kaum Platz hat. Er zwängt sich
mit seiner Großfamilie in eine winzige Zweizimmerwohnung, die umgerechnet
900 Euro kostet. Die Miete ist nur mit möglichst vielen Bewohnern zu
stemmen. Beengte Wohnverhältnisse und hohe Mieten sind Standard in Malé.
Auf der Hauptinsel konzentriert sich das Leben. Nur hier können Kinder eine
weiterführende Schule besuchen oder studieren. Die große Enge treibt vor
allem junge Männer in der Nacht nach draußen. Ali berichtet, dass viele seiner
alten Schulfreunde arbeitslos sind und sich kriminellen Banden angeschlossen
haben - vernachlässigt wie das Müllproblem.
OTON 25 Ali / Englisch / 0‘40
Übersetzer 2
„Und dann willst du von vorne anfangen und den Leuten beweisen, dass du
doch ein guter Mensch bist. Und gute Menschen tragen hier lange Bärte. So ist
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das. Um zu beweisen, dass sie sich verändert haben, schließen sie sich diesen
extremistischen, religiösen Gruppen an und finden da eine neue Brüderlichkeit.
Ich habe vor denen keine Angst. Ich habe ehrlich gesagt sogar die Hoffnung,
dass sie sich gegen unsere Regierung erheben und sie stürzen.“
ATMO 09 Müll-Fliegen, Wellen
Sandra:
Die nächste Müllladung erreicht Thilafushi. Auf der benachbarten
Flughafeninsel landet das nächste Flugzeug mit Touristen, die in ihren
abgeschotteten Luxus-Resorts verschwinden, um die Sonnenseite des Lebens
zu genießen.
(eventuell: ATMO 01 Ende vom sunny side of life spot freistehend)
Zur Verfügung gestellt vom NDR
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