Ausgabe: Hessische Allgemeine (Kassel-Mitte) Erscheinungstag: 24.02.2016 Seite: 21, Resort: WIRTSCHAFT Wirtschaft Mittwoch, 24. Februar 2016 Wirtschaft sorgt sich um Konjunktur Ifo-Index fällt im Januar deutlich Bahnindustrie in der Region Was 1848 mit Henschel begann, ist Tradition geworden: Die Bahnindustrie hat eine starke Position in Nordhessen. Mindestens 5000 Menschen beschäftigt die Branche, schätzt das Regionalmanagement Nordhessen. Bekannteste Namen sind Bombardier und das Bahn-Instandhaltungswerk in Kassel. Doch der Lokbau beschäftigt auch eine Reihe von Zulieferern, so die Schaltbau-Tochter Bode, die Zugtüren herstellt, die Hübner GmbH & Co. KG, die unter anderem Faltenbälge und Übergangssysteme für Schienenfahrzeuge produziert sowie die aus dem Solartechnikspezialisten SMA ausgegliederte SMA Railway Technologie, die Bordnetze ausstattet. Systemlieferanten wie diese Unternehmen spielen in der Zug-Herstellung eine wichtige Rolle. (wll) Traditionsbranche: Seit über 150 Jahren werden in Kassel Loks gebaut – hier im Bombardier-Werk. Foto: Archiv „Chinas Markt muss sich öffnen“ Interview: Die nordhessische EU-Abgeordnete Martina Werner (SPD) macht sich für die Bahnindustrie stark Das Thema Die europäische Bahnindustrie ist auf dem Weltmarkt stark – noch, sagt die nordhessische EU-Abgeordnete Martina Werner (SPD). In einer Resolution an das EU-Parlament fordert sie Unterstützung für die Branche, damit sie nicht von der China-Konkurrenz überholt wird. VON BARBARA WILL Das EU-Parlament will der europäischen Bahnindustrie den Rücken stärken. Warum braucht die Branche das, obwohl sie wächst? MARTINA WERNER: Noch ist die europäische Bahnindustrie Weltmarktführer. Wir haben noch alle Optionen. Das können wir nutzen, damit wir auch in fünf Jahren noch 400 000 Arbeitsplätze haben, so wie heute. Graben sonst die chinesischen Bahnhersteller den Europäern das Wasser ab? WERNER: Auf jeden Fall. China ist schon sehr weit. Das Land hat schon ein Hochgeschwindigkeitsnetz von 18 000 Kilometern, obwohl mit dem Ausbau erst vor einigen Jahren begonnen wurde. Der chinesische Markt boomt, aber er schottet sich ab. China muss sich für unsere Unternehmen öffnen. Wie will die EU das ändern? WERNER: Ich spreche mit meiner Resolution verschiedene Punkte an. Einer ist die Handelsstrategie der EU: Sie muss sich bei Handelsvereinbarungen mit ausländischen Bahnherstellern zusichern lassen, dass deren Markt auch unseren Unternehmen offen steht. In China zum Beispiel sind zwar Europäer vertreten, aber es muss vor Ort produziert werden, Chinesische Bahnhersteller können günstige Angebote machen, weil sie subventioniert werden. Was kann die EU dagegen überhaupt tun? WERNER: Das dürfte schwierig sein. Die Hersteller bieten oft die ganze Finanzierung des Projekts an – zum Beispiel beim U-Bahn-Bau. Aus unserer Sicht ist das unlauterer Wettbewerb. Es gibt bei europäischen Ausschreibungen aber auch die Möglichkeit, nicht nur die Herstellungs-, sondern auch die Folgekosten über die ganze Lebenszeit des Produkts zu berücksichtigen. Man muss nicht den billigsten Anbieter nehmen. Das muss stärker berücksichtigt werden. Wie profitiert ein nordhessisches Unternehmen vom Entschließungsantrag des EU-Parlaments? WERNER: Ein Teil beschäftigt sich mit kleinen und mittleren Unternehmen, den KMU. Sie haben oft nur einen einzi- gen Kunden. Wir wollen, dass KMU auch Aufträge aus anderen Ländern bekommen können. Zudem muss der Zugang von KMU zum Forschungsprojekt „Shift2Rail“ erleichtert werden. Das ist ein Forschungsprojekt, über das es Zuschüsse für Innovationen gibt. Mit der Förderung sind die Produkte früher marktreif und amortisieren sich schneller. Anbieter aus Übersee könnten das Wettbewerbsverzerrung nennen. WERNER: Das glaube ich nicht. Die EU will Unternehmen helfen, zu kooperieren und innovativer zu werden. Das ist keine Subvention. Wo sind Innovationen nötig? WERNER: Etwa im Güterver- Die EU selbst macht es den Bahnherstellern schwer. Es gibt 11 000 nationale Eisenbahnregeln und viele länderspezifische Zulassungsverfahren. Was ist dagegen zu tun? WERNER: Wenn wir es in Europa hinbekämen, den Markt zu harmonisieren, dann hätten wir deutlich mehr Nachfrage. Wir haben 28 fragmentierte Märkte. Die Zulassungen für neue Produkte dauern zu lange, die Kosten dafür sind hoch. Wenn wir den Aufwand senken könnten, würden Innovationen billiger werden. Lokhersteller Bombardier Rückrufe: 1,7 Mio. Fahrzeuge betroffen Zahl mangelhafter Autos steigt laut Bundesverkehrsministerium – Fast 60 Marken mussten nachbessern VON HAGEN STRAUSS Insgesamt waren im Jahr LKW und Wohnmobile hinzu, deren Probleme detailliert auf- Jahr 2005 = 100, saisonbereinigt 2015 16 F MAM J J A S O N D J F 114 112 110 108,6 109,0 108 106 106,8 107,6 104 107,3 105,7 102 Quelle: DPA MARTINA WERNER (54) stammt aus Kassel und ist seit 2014 EU-Parlamentarierin. Sie ist die industriepolitische Sprecherin der SPDAbgeordneten. Im Industrieausschuss brachte sie eine Resolution zur Bahnindustrie ein. Die Ökonomin arbeitete zuvor bei der KVV in Kassel sowie bei der Wirtschaftsförderung Region Kassel und dem Beteiligungsmanagement beim Landkreis. Martina Werner ist verheiratet und wohnt in Niestetal. als 5,3 Milliarden Dollar – der Konzern hatte sich mit einer Neuentwicklung in der Flugzeugsparte verhoben. Doch vielleicht bekommen die Nordhessen Unterstützung: Neuer Aufsichtsratschef der deutschen Lft Bombardier Transportation (Berlin) wird Wolfgang Tölsner (67). Er leitete von 1992 bis 1996 das Kasseler Lokwerk und bewahrte es vor der Schließung. IFO-GESCHÄFTSKLIMA Index für Deutschland 100 Zur Person STICHWORT Das Bombardier-Lokwerk in Kassel mit 850 Beschäftigten ist das weltweite Lok-Kompetenzzentrum des deutsch-kanadischen Konzerns. Doch trotz guter Auslastung bangen die Beschäftigten, denn Bombardier will in der deutschen Bahnsparte 1430 Stellen streichen. Ob Kassel betroffen ist, ist noch offen. Bombardier schrieb 2015 einen Konzernverlust von mehr kehr. Da wird noch von Hand gekuppelt, die Bremssysteme sind alt. Wir brauchen neue Zugverfolgungssysteme. Das ganze Thema Digitalisierung ist am Güterverkehr bisher vorbei gegangen. MÜNCHEN. In der deutschen Wirtschaft wächst die Furcht vor einer Konjunkturabkühlung. Im Februar gab der IfoGeschäftsklimaindex zum dritten Mal in Folge nach von 107,3 Punkten im Januar auf 105,7 Punkte, wie das Ifo Institut für Wirtschaftsforschung gestern in München mitteilte. Drei Rückgänge des Konjunkturbarometers in Folge werden als Abschwungsignal gedeutet. „Die Sorgen der deutschen Wirtschaft werden größer, insbesondere in der Industrie“, erklärte Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Ihre aktuelle Lage schätzten die 7000 Firmen aus Industrie, Einzel- und Großhandel sowie aus der Bauwirtschaft im Februar leicht besser ein. Der entsprechende Index stieg von 112,5 auf 112,9 Punkte. Der Blick in die Zukunft fiel pessimistischer aus: Der Erwartungsindex rutschte von 102,3 auf 98,8 Punkte. Experten hatten zwar mit einem Rückgang des Ifo-Index gerechnet, aber einen weniger deutlichen Dämpfer erwartet. Der neuerliche Rückgang des Index signalisiere einen Abschwung in der Industrie, sagte Chefvolkswirt Jörg Krämer. Viele Experten müssten deshalb wohl ihre Wachstumserwartungen nach unten korrigieren. (dpa) 60 000 Fahrzeugen. Der vom Stichwort: Ifo-Index Der Ifo-Geschäftsklimaindex gilt als wichtigstes Barometer für die konjunkturelle Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Das Münchner Ifo Institut für Wirtschaftsforschung befragt dazu monatlich rund 7000 Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, des Bauhauptgewerbes sowie des Groß- und des Einzelhandels. Die Unternehmen sollen dabei die gegenwärtige Geschäftslage einschätzen sowie Angaben zu ihrer kurzfristigen Planung und den konjunkturellen Erwartungen für die nächsten sechs Monate machen. Dabei können sie ihre Lage mit gut, be-
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